“Es muss nicht bleiben, wie es ist”

Vorwort zur deutschen Ausgabe des Buches von Christine Thomas über Marxismus und Frauenbefreiung

In Dezember 2021 wurden die Mitglieder der vierundzwanzigsten Bundesregierung vereidigt. Das Besondere: Die Hälfte der Minister*innen waren Frauen und die neue Regierung damit das erste deutsche Kabinett mit paritätischer Besetzung. Die regierenden Parteien überschlugen sich mit Eigenlob, was für ein wichtiger Schritt dies für die Emanzipation von Frauen sei. Diese „feministische“ Einstellung hinderte die Kabinettsmitglieder nicht daran, weiter mit Katar oder Saudi-Arabien zu paktieren, in denen Frauenrechte mit Füßen getreten werden. Auch Deutschland ist nicht über Nacht zu einem Frauenparadies geworden; die Missstände existieren weiterhin, das Leben von 42 Millionen in Deutschland lebenden Frauen hat sich nicht qualitativ verändert. Und so wichtig war die Parität doch nicht, denn knapp ein Jahr später ist sie durch den Wechsel im Verteidigungsministerium schon wieder beendet.

Warum ändert sich kaum etwas? Kaum ein*e Politiker*in würde behaupten, gegen Gleichstellung von Mann und Frau zu sein. Die Regierung besteht aus einer Reihe selbsterklärter Feminist*innen und doch gibt es keine sichtbaren Verbesserungen. Stattdessen sehen wir, dass lang erkämpfte Errungenschaften während der Pandemie unter Angriff kamen.

Christine Thomas erklärt, warum. Weil die sogenannten Feminist*innen in der Regierung in Wirklichkeit Vertreter*innen eines Feminismus des Scheins, der feierlichen Phrasen und leerer Versprechen sind – des bürgerlichen Feminismus. Ihr Ansatz wird nie eine Gleichstellung der Geschlechter erreichen. Doch Thomas zeigt in dieser Neuauflage ihrer marxistischen Einführung in das Thema von 2010, dass es auch anders geht. Es ist möglich, den Sexismus zu überwinden.

Sexismus ist nicht naturgegeben

Doch dafür muss man ihn verstehen. Als Marxistin schaut sich Thomas die Vergangenheit an und bilanziert: Zwar existierte Sexismus bereits vor dem Kapitalismus, aber nicht immer. In der langen Zeit vor der Entstehung der Gesellschaften, die auf Privateigentum an Produktionsmitteln basierten, lebten Menschen in kooperativen Gemeinschaften. Die niedrige Produktivität verhinderte eine Ausbeutung von Menschen durch andere Menschen; das Überleben setzte Zusammenarbeit und Solidarität voraus. Die Entstehung der systematischen Frauenunterdrückung war tief verbunden mit dem Aufkommen der Klassengesellschaft. Erst mit der Entstehung von Ausbeutung und Klassengesellschaften begann die Ausbeutung der Frau sowie ihre Unterdrückung. Dies offenbart den Kern des Übels: Die Ungleichheit in den Klassengesellschaften ist die Grundlage für die Ungleichheit der Geschlechter.

Der Sexismus existiert also nicht in einem luftleeren Raum, sondern in einer Gesellschaft, in der es materielle Ursachen für die Unterdrückung der Frau gibt, aus denen sich gesellschaftliche Benachteiligung auf allen Ebenen ergibt. Das bedeutet, dass die Diskriminierung von Frauen nicht in Bewusstseinsprozessen, also dem Denken von Menschen, ihren Ursprung hat, sondern in ihrer materiellen Stellung in der Gesellschaft. Dies wird vor allem deutlich in der Tatsache, dass das Schicksal der Frau im Laufe der Jahrtausende eng an die Rolle der Familie gekoppelt war. Es war der Übergang zur Kleinfamilie, der die Frau aus der gesellschaftlichen Arbeit drängte.

Der Kapitalismus erlaubte Frauen, wieder gesellschaftliche Arbeit in Form von Lohnarbeit zu leisten, doch die alten Muster sind geblieben. Die Hausarbeit muss weiterhin verrichtet werden. Daraus ergibt sich ein Gesamtbild, das sich selbst reproduziert: Aufgrund von Sexismus werden Frauen schlechter bezahlt, dies macht sie häufig abhängig von ihren Partnern, woraus sich wiederum sexistische Vorurteile entwickeln, zum Beispiel dass Frauen oft als Anhängsel ihres Mannes gesehen werden. Oder: Aufgrund von Sexismus erledigen Frauen den Großteil der Hausarbeit, Kinderbetreuung, Pflege etc., dadurch haben sie weniger Zeit für das gesellschaftliche Leben oder politische Arbeit, wodurch sie weniger Raum im öffentlichen Leben einnehmen und den Eindruck vermitteln, weniger relevant zu sein.

Es ist wichtig, Sexismus in den Köpfen zu bekämpfen, gegen Vorurteile und sexistische Witze vorzugehen. Doch um etwas zu verändern, muss die Ursache des Problems angegangen werden. Es ist notwendig, die materielle Benachteiligung aufzuheben, um die Grundlage für das Ende des Sexismus zu schaffen. Das bedeutet in erster Linie den Kampf für das Prinzip „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ sowie für Entlastung der privaten Haushalte durch kostenlose Kinderbetreuung, ausreichend kostenlose Pflegeangebote und günstige öffentliche Kantinen in allen Nachbarschaften.

Die herrschende Klasse profitiert

In der bürgerlichen Debatte über Sexismus kommt meist eine Frage zu kurz, nämlich: Wer profitiert von Frauendiskriminierung? Manche politischen Kräfte vertreten die Meinung, dass alle Männer von Sexismus profitieren würden; einige nennen Männer aus dem Grund „privilegiert“. In diesem Zusammenhang ist die Rolle der „Identitätspolitik“ nennenswert. Vertreter*innen der Identitätspolitik betrachten verschiedene Diskriminierungsmuster weitgehend als unabhängig voneinander existierend und fokussieren sich auf Verbesserung für die diskriminierte Gruppe (in dem Fall Frauen) auf Kosten der nicht diskriminierten Gruppe (in dem Fall Männer). Da das Konzept gerade in den letzten Jahren an Unterstützung gewann, befindet sich im Anhang des Buchs der Text „Von Privilegien und Rücksäcken“ von Hannah Sell, in dem Identitätspolitik und ihre spalterische Folgen analysiert werden.

Doch schon die Autorin arbeitet heraus: „Natürlich haben einige Männer davon Vorteile, wie beispielsweise mehr Freizeit. Aber ein paar Stunden mehr im Fitnessclub oder in der Kneipe verbringen zu können, ist unbedeutend im Vergleich zu den enormen wirtschaftlichen Vorteilen, die sich hieraus für die herrschende Klasse ergeben.“ Lohndumping, schlechte Arbeitsbedingungen, kostenlose Pflege von Menschen zu Hause und Vieles mehr, was nur durch sexistische Diskriminierung möglich ist, sind für Unternehmer*innen hochprofitabel. Für die Arbeiter*innenklasse sind sie Nachteile.

Gleichzeitig ist Diskriminierung ein Werkzeug der Spaltung. Im kapitalistischen System, das auf Ausbeutung, Armut und Diskriminierung basiert, muss die Arbeiter*innenklasse gespalten werden, um die Herrschaft einer Minderheit aufrechterhalten zu können. Sexismus spaltet die Klasse fast genau in der Mitte und eröffnet Kapitalist*innen eine Menge Möglichkeiten, Verschlechterungen für alle Arbeiter*innen durchzusetzen. Deshalb haben Kapitalist*innen ein objektives Interesse an einer Reproduktion sexistischer Vorstellungen und der Spaltung der Arbeiter*innenklasse. Denn wenn die Arbeiter*innen nicht gemeinsam für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen für Alle einstehen, sondern sich untereinander um die Reste der riesigen Gewinne streiten, dann fragen sie nicht, wo der tatsächliche Reichtum bleibt – ein ungeheuerlicher Reichtum, der bei Banken und Konzernen in Form von Milliardengewinnen und bei den Reichen in Form von Milliardenvermögen vorhanden ist.

Dies macht den Sexismus zu einer Klassenfrage. Das bedeutet, dass jeder männliche Arbeiter ein Interesse daran hat, dass die Diskriminierung der Frau bekämpft wird. Dagegen liegt es nicht im Interesse einer jeden Frau, Sexismus abzuschaffen. Wenn eine Frau Kapitalistin ist, dann steht sie auf der anderen Seite des Klassenkampfes und verteidigt die Klassengesellschaft. Als Frauen erfahren Kapitalistinnen und reiche Frauen Sexismus – auch wenn sie durch ihr Vermögen damit besser umgehen können, beispielsweise indem sie sich Kinderbetreuung, Haushaltshilfe oder Schwangerschaftsabbruch im Ausland leisten können. Doch in den Worten von Christine Thomas: „Bei Führungspersonen zählt nicht der individuelle Charakter oder das Geschlecht, sondern welche Klasseninteressen sie vertreten.“ Denn als Kapitalistinnen profitieren sie vom Sexismus. Deshalb können wir uns nicht auf reiche und mächtige Frauen in der Wirtschaft und Politik verlassen. Sie werden immer wieder frauenfeindliche Maßnahmen umsetzen, weil sie für den Fortbestand des Kapitalismus notwendig sind, auch wenn es bedeutet, dass die Mehrheit von Frauen in eine kapitalistische Hölle geschickt wird.

Frauen in Krisen

Christine Thomas schreibt aus britischer Sicht. Ihre lebhaften Beispiele und Ausführungen werden in den meisten Fällen für deutsche Leser*innen verständlich und nachvollziehbar sein. Auch wenn die genaue Lage der Frau in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich ist, spiegeln sich generelle Tendenzen und Entwicklungen ähnlich in Deutschland wieder. Doch gerade durch die Pandemie verschärften sich viele der genannten Probleme.

Es ist allgemein bekannt, dass Frauen von Krisen meist direkter und brutaler getroffen werden. Gründe hierfür sind vielfältig. Einerseits sind Frauen ökonomisch benachteiligt. Der sogenannte Gender Pay Gap, der den Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen beschreibt, lag in Deutschland 2022 bei 18 Prozent. Hinzu kommt, dass jede dritte Frau – oft ungewollt – sich in „atypischen Arbeitsverhältnissen“ befindet, meist Minijobs oder Teilzeitarbeit; dies trifft dagegen nur auf 12,2 Prozent der Männer (Statistik aus 2017) zu. Schließlich vertieft das System von Hartz IV, inzwischen Bürgergeld genannt, die Ungleichheit und Abhängigkeit, da das Gehalt des Partners angerechnet wird. Insgesamt ergibt es einen durchschnittlichen Brutto-Gehaltunterschied von 1192 Euro.

Aus dem Grund sind Frauen tendenziell weniger in der Lage, finanziellen Puffer aufzubauen oder Verdienstausfälle zu kompensieren. Gleichzeitig befinden sich Frauen öfter in prekären Beschäftigungsverhältnissen, die eine Entlassung leichter machen.

Die oftmals prekäre Situation von Frauen wird verschärft, denn Krisen verstärken Ungleichheiten. Frauen erhalten oft weniger Gehalt, weil sie häufiger in kleinen und mittleren Unternehmen ohne Tarifbindung und mit niedriger gewerkschaftlicher Organisierung beschäftigt sind. Dies resultiert darin, dass obwohl eine ähnliche Anzahl von Frauen und Männern in Kurzarbeit geschickt wurden, Frauen deutlich seltener eine Aufstockung erhielten – hinzu kommt, dass Kurzarbeitergeld auf der Grundlage von Netto-Gehalt berechnet wird und damit die Ungerechtigkeiten des Ehegattensplittings manifestiert. Und schließlich arbeiten Frauen öfter in Branchen, die während einer Krise direkt betroffen sind. Dazu gehören Einzelhandel, Gastgewerbe, Tourismus und Dienstleistungssektor. Nach Krisen brauchen Frauen meist deutlich länger, um wieder eine Arbeit zu finden als Männer.

Die Sol kämpft für ein Ende der wirtschaftlichen Benachteiligung von Frauen. Wir fordern das Prinzip „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“. Des Weiteren stellen wir uns gegen alle Formen von Kürzungen und Stellenabbau. Die soziale Stellung von Frauen bedeutet, dass gerade sie von umfassender sozialen Absicherungssystem profitieren würden.

Frauen zu Hause

Im Kapitalismus werden Arbeiterinnen doppelt unterdrückt – einerseits werden sie als Arbeiterinnen zu Profitzwecken ausgebeutet und andererseits werden sie spezifisch als Frauen diskriminiert. Dies äußert sich besonders in der Rolle der Frau in der Familie. Frauen erledigen den Großteil der Hausarbeit. Dazu gehört Putzen, Kochen, Kinderbetreuung etc. Desweiteren pflegen Frauen öfter Familienangehörige, auch bei gleicher erwerbstätiger Situation wie ihre Partner. Insgesamt geht man davon aus, dass Frauen in Deutschland circa eineinhalb Mal so viel Zeit für die sogenannte unbezahlte „Sorgearbeit“ aufbringen wie Männer.

Während der Pandemie und des Lockdowns übernahmen viele Menschen, aber auch da insbesondere Frauen, mehr unbezahlte Haus- und Erziehungsarbeit. Vor allem durch die Schulschließungen wurde viel Druck auf die Familien weitergegeben. Und leider führte das zur Verstärkung und Zementierung der traditionellen Rollenverteilung. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Frauen sich mehr für die Betreuung der Kinder verantwortlich fühlen und dadurch psychisch mehr belastet sind. Außerdem stellt die Zunahme der häuslichen Pflichten die Möglichkeit von vielen Frauen infrage, weiterhin in vollem Umfang der Lohnarbeit nachzugehen.

Recht auf Selbstbestimmung

Eines der wesentlichen Rechte der Frauen, für die international gekämpft wird, ist das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und damit das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. In Deutschland ist Abtreibung ein Straftatbestand und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Unter anderem muss sie innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft durchgeführt werden. Außerdem muss die Frau vorab eine Beratung absolvieren, die „dem Schutz des ungeborenen Lebens“ dienen soll.

Diese harmlos klingenden Einschränkungen, die schon in „normalen“ Zeiten problematisch sind, wurden im Laufe der Pandemie zu echten Hürden für Frauen, die ihre Schwangerschaft beenden wollten. Aufgrund des Lockdowns reduzierten sich die Möglichkeiten der Beratungen und die Kapazitäten von Praxen.

Es war schon davor schwer genug, eine Praxis zu finden, die Abtreibungen vornimmt. Durch den Paragraphen 219a, der bis Mitte 2022 in Kraft war, wurden Informationen über den Eingriff oder selbst Hinweise, dass solche angeboten werden, als „Werbung“ kriminalisiert. Bis zu seiner Abschaffung wurden regelmäßig Ärzt*innen zu Geldstrafen verurteilt, weil sie über Abtreibungsmethoden informiert hatten. Doch auch jetzt sinkt die Zahl der Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Viele wollen sich nicht dem Terror von fundamentalistischen „Prolife“-Aktivist*innen aussetzen. Aber auch sinkt die Zahl der Ärzt*innen, die überhaupt über nötiges Wissen verfügen, weil es aufgrund der Gesetzesbestimmungen nicht zur Standardausbildung gehört.

Frauen können nicht frei sein, wenn sie nicht über ihren Körper verfügen können. Deshalb tritt die Sol für das Recht auf kostenfreie Schwangerschaftsabbrüche ohne Zwangsberatung, sowie kostenlose Verhütungs- und Hygienemittel ein.

Gewalt gegen Frauen

Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls führte die Bundesregierung eine Foto-Kampagne mit dem Titel „Das ist sooo deutsch“ durch. Eines der massenhaft gehängten Plakate zeigte eine Frau und einen Mann, die sich gefühlvoll umarmen; die Schrift auf ihren Stirnbändern ergibt gemeinsam die Worte „keine Gewalt“. Die Aussage soll anscheinend sein: „Es ist sooo deutsch“ gegen Gewalt gegen Frauen zu sein. Ob gewollt oder nicht, verbreitet das Bild die Legende, dass Gewalt gegen Frauen durch Migrant*innen „importiert“ werde. Was für eine Lüge!

UN-Women, eine Organisation der Vereinten Nationen, schreibt über das Jahr 2021: „Alle 4,5 Minuten wird eine Frau in Deutschland Opfer partnerschaftlicher Gewalt – alle 45 Minuten schwerer körperlicher Gewalt. Allein 3.527 Frauen waren von ‘Vergewaltigung, sexueller Nötigung’ und ‘sexuellen Übergriffen’betroffen – das ist alle 2,5 Stunden.“ Die Täter sind dabei meistens Menschen aus dem Bekanntenkreis und am häufigsten der eigene Partner. Durchschnittlich erfolgt täglich ein Mordversuch an einer Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner; alle drei Tage ist der Mordversuch erfolgreich.

Es ist makaber, dass für eine Frau das eigene Zuhause einer der gefährlichsten Orte ist. Und gerade deshalb wurde befürchtet, dass ein Lockdown, durch welchen die Möglichkeiten des Opfers, dem Täter zu entkommen oder auszuweichen, beschnitten werden, zum Anstieg der Fälle und der Brutalität von häuslicher Gewalt führen würde. Tatsächlich ist die Zahl der polizeilich registrierten Fälle häuslicher Gewalt in den Jahren 2020 und 2021 insgesamt leicht gestiegen, wobei die Zahlen stark variieren und in manchen Bundesländern ein Rückgang verzeichnet wurde. Da der Lockdown die Opfer isolierte und damit einen Hilferuf erschwerte, liegt es nahe, dass sich die Dunkelziffer swährend der Pandemie erhöht hat.

Unabhängig davon, ob der Lockdown zu einem weiteren erheblichen Anstieg geführt hat oder nicht, ist es ein Armutszeugnis für die Herrschenden, dass Gewalt in ihrem System keine Ausnahme, sondern tägliche Realität für Frauen ist. Gewalt und insbesondere Gewalt gegen Frauen ist im Kapitalismus systemimmanent. Sie ist eine Folge der Brutalität des Systems und der Verwendung der weiblichen Sexualität in Werbung und Medien als etwas, was stets für Männer verfügbar ist und ihnen zusteht. Gleichzeitig verschärft wirtschaftliche Abhängigkeit das Problem, da eine Trennung von einem gewaltvollen Partner den Verlust des Lebensunterhalts bis hin zur Obdachlosigkeit bedeuten kann.

Gerade dies zeigt, wie sehr der Kampf gegen Frauenunterdrückung mit dem Kampf für soziale Forderungen verflochten ist. Die Sol kämpft in erster Linie für einen sofortigen und kostenlosen Zugang zu Schutz und Hilfe für Opfer häuslicher Gewalt. Der Staat muss ausreichend Mitteln für genügend Notunterkünfte sowie ein flächendeckendes Angebot von selbstverwalteten Frauenhäusern zur Verfügung stellen.

#linkemetoo

In April 2022 haben mehrere Mitglieder der Partei DIE LINKE Anschuldigungen sexueller Übergriffe gegen Führungspersonen und andere Mitglieder gehoben. Dies zeigt, dass auch linke Organisationen, die politisch gegen Gewalt gegen Frauen eintreten, nicht immun gegen den Sexismus sind. Dies ist nicht überraschend, denn Mitglieder solcher Organisationen leben wie alle anderen Menschen in einer Gesellschaft, in der Sexismus Alltag ist. Dennoch: Linke und insbesondere sozialistische Organisationen, die den Anspruch haben, die gesamte Arbeiter*innenklasse zu vertreten, müssen besondere Anstrengungen unternehmen, um Sexismus in eigenen Reihen zu bekämpfen. Es darf keine Toleranz gegenüber sexistischer Gewalt geben. Die Organisation muss eine Atmosphäre schaffen, in der sexistisches Verhalten angesprochen und reflektiert wird. Deshalb müssen alle Vorwürfe ernst genommen und untersucht werden. Sollten sich Mitglieder als verantwortlich für sexistische Übergriffe erweisen, müssen für sie Konsequenzen folgen. Die Sol tritt dafür ein, in solchen Fällen unabhängige, demokratisch gewählte Untersuchungskommissionen mit der Aufgabe zu betrauen, die Vorfälle aufzuklären und Konsequenzen vorzuschlagen.

Prostitution

Die Ausbeutung der Frau und ihrer Sexualität findet in Prostitution, bei der der Körper der Frau für eine begrenzte Zeit zur Ware gemacht wird, ihre extremste und direkteste Ausprägung. Da in Deutschland seit 2002 eine liberale Gesetzgebung gilt, ist das Land zu einer Hochburg der Prostitutions-„Industrie“ geworden mit einem jährlichen Umsatz von 14 bis 15 Milliarden Euro. Durch das Ausmaß verdiente sich Deutschland den Titel „Bordell Europas“, zu welchem organisierte Ausflüge aus anderen Ländern stattfinden. Es ist schwer einzuschätzen, wie viele Menschen als Prostituierte arbeiten. Eine oft genannte, auch wenn nicht empirisch belegte, Zahl geht von 400.000 Menschen in Deutschland aus; es gibt außerdem Schätzungen von bis zu einer Million.

In den letzten Jahren gibt es zunehmend Versuche, auch seitens einiger Linker, Prostitution zu einem normalen Beruf umzudeuten. Einige Prostituierte bezeichnen sich deshalb souverän als „Sexarbeiterinnen“. Die Befürworter*innen dieser Haltung sagen, dass Prostitution im Bereich der sexuellen Freiheit liege und – solange es freiwillig erfolge – nichts daran auszusetzen sei. Das heißt, für sie ist Prostitution an sich kein Missstand, den man als Ganzes überwinden will, sondern ein Wirtschaftszweig, der zwar problematische Aspekte habe, aber grundsätzlich weiter fortbestehen soll.

Vor dem Hintergrund, dass Menschen, die sich prostituieren, oft mit Ausgrenzung und Verachtung begegnet werden, ist der Wunsch nach einer selbstbewussten und „normalen“ Bezeichnung nur zu verständlich. Aber nicht harmlos, denn sie ignoriert die gesellschaftliche Realität. Prostitution und ihre Normalisierung haben Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft. Sie beeinflusst das Bild der Frau und zementiert sexistische Vorurteile. Wenn Prostitution als normal angesehen wird, entsteht ein Bild, wonach Frauen käuflich und immer verfügbar seien und nur das Vergnügen des Mannes zur Aufgabe haben. Zusätzlich stellt die Prostitution das vermeintliche Recht des Mannes auf Sex über das Wohlbefinden der Frau.

Gleichzeitig ist Prostitution eben keine Arbeit wie jede andere. Prostituierte nehmen massive psychische Probleme in Kauf. Zu psychologischen Folgen der Prostitution gehören Dissoziation, das heißt Entfremdung vom eigenen Körper, traumatisches Gedächtnis, Angststörung, Persönlichkeitsstörung und viele weitere Traumaerscheinungen. In welchem anderen Beruf erleiden 60 bis 68 Prozent der Beschäftigten posttraumatische Belastungsstörungen vergleichbar mit denen eines Kriegs- oder Folteropfers? Zusätzlich sind Prostituierte besonders Gewalt ausgesetzt. 82 Prozent wurden Opfer von körperlichen Angriffen, 92 Prozent sexuell belästigt, 83 Prozent mit einer Waffe bedroht und 68 Prozent vergewaltigt. Seit der Legalisierung der Prostitution sind mindestens 74 Prostituierte ermordet worden – davon 13 in legalen Bordellen.

Auch die Frage der Freiwilligkeit muss kritisch hinterfragt werden. Prostitution wird immer von Menschenhandel und Zwangsprostitution begleitet, sodass sie nicht davon getrennt betrachtet werden kann. Viele Frauen prostituieren sich, weil sie keine Alternative haben, kein anderes Einkommen finden. Wie freiwillig ist die Entscheidung einer jungen Frau ohne Ausbildung und Job, aber dafür mit großen Schulden? Wie freiwillig prostituiert sich eine illegale Migrantin, der Abschiebung droht? Dies zeigt: Man kann im Kapitalismus nicht von „Freiwilligkeit“ sprechen. Denn alle, die kein Vermögen besitzen, sind gezwungen, Geld einzunehmen. Die Meisten tun dies über Lohnarbeit; wenn diese Option allerdings aus diversen Gründen nicht möglich ist, stehen Frauen vor unmöglichen Entscheidungen. Von einer Freiwilligkeit kann keine Rede sein.

Dies verdeutlicht die Notwendigkeit von sozialer Absicherung für alle, die sie brauchen. Deshalb fordert die Sol staatlich finanzierte Hilfsangebote für Prostituierte verbunden mit Umschulungs- und Ausstiegsprogrammen. Diese Angebote müssen für alle gelten, deshalb ist das Bleiberecht für alle ein notwendiger Bestandteil, um Prostitution zurückzudrängen. Um allen in der Arbeiter*innenklasse eine Perspektive zu sichern, fordert die Sol zusätzlich ein öffentliches Investitionsprogramm in den Bereichen Soziales, Bildung, Gesundheit und Umwelt zur Schaffung sicherer und tarifgebundener Arbeitsplätze – finanziert durch die Profite der Banken und Konzerne.

Kann ich denn mein Leben nicht selber bestimmen?

Seit dem Zusammenbruch des Stalinismus und dem selbsterklärten Siegeszug des Kapitalismus fand eine ideologische Offensive statt mit dem Ziel, Probleme zu individualisieren. Die Vorstellung, dass „jede*r seines*ihres eigenen Glückes Schmied*in“ sei, ist tief im Bewusstsein breiter Schichten verankert. Wenn es doch rechtliche Gleichberechtigung gibt, warum können dann Frauen nicht selbst erfolgreich werden? Sie haben doch die freie Wahl, sich für besser bezahlte, männlich dominierte Berufe zu entscheiden, sich mehr gegen Hausarbeit zu wehren oder keine Kinder zu haben und sich nichts aus den Schönheitsidealen zu machen. Und es gibt Frauen, die das machen, im Kapitalismus erfolgreich werden oder den Genderrollen trotzen.

Doch daraus den Schluss zu ziehen, dass keine gesellschaftlichen Lösungen notwendig sind, bedeutet sich der Realität zu verweigern. Frauen und Mädchen werden ihr ganzen Leben darauf getrimmt, sich diesen gesellschaftlichen Realitäten zu beugen. Das schränkt die Möglichkeit einer wirklich freien Entscheidung massiv ein. Man kann hier tausende Beispiele nennen; ein besonders anschauliches ist der Einfluss der Gesellschaft auf das Verhältnis von Mädchen zum Fach Mathematik. Es ist ein Fakt, dass (in Deutschland) von den Schüler*innen, die gut in Mathe sind, die meisten Jungs sind. Aber dieser Unterschied ist umso größer, je später er gemessen wird. Und in Untersuchungen an Grundschulkindern wurde herausgefunden, dass Lehrkräfte unterbewusst gerade Jungs in Mathe bevorzugen, indem sie sie öfter zu Wort kommen lassen und öfter loben. Daraus folgt nicht, dass keine Frau gut in Mathe werden kann, sondern dass weniger Mädchen sich für das Fach begeistern und diese dann gegen die Vorurteile der Lehrkräfte und später der Bosse oder von Kolleg*innen ankämpfen müssen. Frauen, die sich für diesen Weg entscheiden, müssen sich ihr ganzes Leben gegen sexistische Vorurteile wehren. Das Beispiel zeigt, wie sexistische Vorurteile in der Gesellschaft auch einzelne Individuen beeinflussen können, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen.

Aber vielleicht lohnt sich stattdessen eine andere Frage zu stellen. Statt „was können Frauen dem Kapitalismus geben?“ kann man fragen: Was kann denn der Kapitalismus Frauen und Männern geben? Warum soll es denn so sein, dass man sich entscheiden muss – egal ob als Mann oder Frau – ob man lieber Kinder haben will oder Karriere machen möchte? Warum sollen ganze Bereiche wie die der Kinderbetreuung oder Pflege unterbezahlt werden? Die Wahrheit ist: Der Kapitalismus hat unabhängig von Geschlechterungerechtigkeiten der Arbeiter*innenklasse nichts anzubieten.

Frauen in Kämpfen

Im bürgerlichen Diskurs wird nahegelegt, dass Errungenschaften aus politischer Debatte hervorgehen. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass die großen Errungenschaften in der Menschheitsgeschichte, seien es demokratische Rechte für Alle und für Frauen insbesondere oder soziale Reformen Ergebnisse von Kämpfen oder Nebenprodukte von Revolutionen waren. Nichts wird uns geschenkt. Jede Errungenschaft und jede Verbesserung muss erkämpft und verteidigt werden. Doch gleichzeitig zeigt uns das, dass sich der Kampf für diese Errungenschaften lohnt. Reformen wurden in der Vergangenheit erkämpft. Wir können die Gegenwart und die Zukunft verändern.

Weltweit entscheiden sich Massen von Frauen, an Protesten, Revolten und Revolutionen teilzunehmen. Kaum eine der vielen Massenbewegungen der letzten Jahre hatte keine relevante Beteiligung von Frauen. Im so genannten Arabischen Frühling 2011 spielten Frauen eine bedeutende Rolle. Die Aufstände im Iran, die das Potenzial haben, die frauenfeindliche Diktatur zu Fall zu bringen, werden ebenfalls maßgeblich von Frauen getragen.

Auch in Deutschland bewegt sich etwas. Da Frauen überproportional in Bereichen mit schlechter gewerkschaftlicher Organisierung arbeiten, waren sie in der Vergangenheit seltener in betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen involviert. Doch es gibt Hoffnungsträgerinnen. Während der Pandemie wurden eine Reihe von schlecht bezahlten Sektoren wie Einzelhandel, Sozialdienste oder Pflege – alles Bereiche, in denen Frauen häufiger vertreten sind – stets als „systemrelevant“ bezeichnet. Dies hatte Einfluss auf das Selbstbewusstsein der Beschäftigten. Und aus der Tatsache, dass die „Held*innen der Pandemie“, die die Gesellschaft am Laufen gehalten haben, mit kaum mehr als Beifall dafür belohnt wurden, folgt eine Verärgerung und Entschlossenheit, sich für die eigenen Interessen einzusetzen.

Dies gilt insbesondere für die Pflege. Schon vor der Pandemie begann eine Bewegung von Krankenhausbeschäftigten für mehr Personal in den Kliniken. Grund ist die unerträgliche Arbeitsbelastung und der Personalmangel in diesem Beruf, was sich in der Pandemie vergrößert hat. Ausgehend von den Beschäftigten an der Berliner Charité, wo Sozialist*innen eine wichtige Rolle in der ver.di Betriebsgruppe spielten, haben mittlerweile in vielen Krankenhäusern Beschäftigte den Kampf für Entlastungstarifverträge aufgenommen und teilweise Erfolge erzielen können. Mit dem Slogan „Mehr von uns ist besser für alle“ haben sie sich von dem moralischen Druck befreit, ihre Streiks wären nicht im Interesse der Patient*innen und konnten viel Unterstützung in der gesamten Arbeiter*innenklasse mobilisieren. Auch hier zeigte sich: Verbesserungen müssen erkämpft werden.

Kapitalismus abschaffen

Und Verbesserungen sind möglich. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Geschichte der Russischen Revolution. Dort schaffte die Arbeiter*innenklasse unter Führung der bolschewistischen Partei und mit Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern den Kapitalismus ab. In allen Lebensbereichen wurden dadurch unvorstellbare Fortschritte erzielt – insbesondere haben sich Frauen eine Reihe von Errungenschaften erkämpft, die selbst aus heutiger Sicht beeindruckend sind. Diese kurze Zeit der Freiheiten verdeutlicht, wie schnell Verbesserungen umgesetzt werden können, wenn nicht der Profit, sondern die Interessen der Arbeiter*innenklasse im Vordergrund stehen. Das war nur möglich, weil die russische Arbeiter*innenklasse dem Kapitalismus den Garaus gemacht hatte.

Denn die Überwindung von Sexismus ist im Kapitalismus unmöglich. Zum einen profitieren Kapitalist*innen von ihm. Wenn Unternehmer*innen Frauen weniger zahlen können – zum Beispiel aufgrund von sexistischen Vorurteilen – werden sie es tun. Zum anderen benötigt die herrschende Klasse Sexismus als Spaltungsinstrument, um den Kapitalismus zu verteidigen. Im Kapitalismus haben die Leute das Sagen, die von Sexismus profitieren. Sie werden niemals zulassen, dass Frauen den Männern gleichgestellt sind.

Deshalb muss jeder Kampf gegen Frauendiskriminierung ein Kampf gegen das System der Ausbeutung, der Armut und der Diskriminierung sein – gegen den Kapitalismus. Eine Befreiung kann nur durch eine revolutionäre Veränderung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen erreicht werden. Eine solche Veränderung liegt nicht nur im Interesse der Frauen. In den Worten von Christine Thomas: „Die Probleme, die der Kapitalismus für Männer aus der Arbeiterklasse erzeugt, überwiegen bei weitem alle Vorteile, die sie möglicherweise in der Familie haben.“ Der Kapitalismus macht das Leben der großen Mehrheit der Menschen zur Hölle auf Erden – unabhängig von ihrem Geschlecht.

Um den Kapitalismus zu überwinden, muss die Arbeiter*innenklasse geeint agieren. Ohne Frauen, die die Hälfte der Arbeiter*innenklasse ausmachen, ist eine erfolgreiche Revolution unvorstellbar. Deshalb ist das Schicksal der Frau untrennbar mit dem der Arbeiter*innenbewegung verbunden. Um abschließend Thomas zu zitieren: „Eine erfolgreiche Umgestaltung der Gesellschaft ist nur auf Grundlage der bewussten Analyse des Charakters und der Ursachen von Frauenunterdrückung möglich. Es sind alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die Frauen davon abhalten können, ihre zentrale Rolle bei der eigenen Befreiung und der Befreiung der gesamten Arbeiter*innenklasse wahrzunehmen.“

Wir haben es in der Hand. In diesem Sinne: Es muss nicht bleiben, wie es ist.

Aleksandra Setsumei, Februar 2023

Das Buch kann hier bestellt werden.

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