Was die zunehmende Aufrüstung und die Krisen des Kapitalismus für unsere Zukunft bedeuten
Die sogenannte Doomsday Clock, welche die Gefahr eines Atomkrieges darstellen soll, steht zur Zeit neunzig Sekunden vor Zwölf. So nahe an einer globalen Katastrophe war die Menschheit laut den zuständigen Forscher*innen noch nie. Parallel dazu spricht der russische Außenminister Sergej Lawrow von einer “realen Gefahr” eines dritten Weltkrieges. Tatsächlich nehmen militärische Konflikte weltweit zu. Viele Staaten rüsten ihr Militär in einem nie zuvor gesehenen Tempo auf. Die Spannungen zwischen China und den USA drohen zu eskalieren. Die Welt scheint sich zunehmend in ein Pulverfass zu verwandeln. Könnte es irgendwann in die Luft gehen? Droht ein neuer Weltkrieg?
von Caspar Loettgers, Berlin
Ende April gab das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) bekannt, dass die globalen Militärausgaben auf ein Rekordniveau von 2,24 Billionen US-Dollar gestiegen sind (eine Zahl mit 15 Nullen). Viele Staaten hätten im Jahr 2022 ihre Ausgaben erhöht, um auf eine sich verschlechternde Sicherheitslage weltweit zu reagieren, die sich aus ihrer Sicht in naher Zukunft nicht verbessern werde, so das Institut. Auch die Anzahl an Nuklearwaffen sei im letzten Jahr von 9490 auf 9576 gestiegen. Eine Aufrüstung in einem solchen Ausmaß gab es seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht mehr. Dies stellt eine Trendwende im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten dar. Zum Vergleich: 2005 beliefen sich die weltweiten Militärausgaben auf 1,44 Billionen US-Dollar. Zwischen 2010 und 2014 schrumpften sie sogar.
Das Niveau, auf dem Staaten weltweit aufrüsten, führt zu Recht bei vielen Menschen zu Verunsicherung. Was passiert, wenn diese ganzen Waffen irgendwann mal zum Einsatz kommen? Könnte nicht schon eine Fehlkommunikation der Zünder für einen Weltkrieg sein? Die katastrophalen Folgen für die Menschheit und den gesamten Planeten wären kaum auszumalen.
Krieg und Kapitalismus
Im kapitalistischen System, in dem wir leben, werden immer wieder Kriege um Einfluss, Zugang zu Ressourcen oder Absatzmärkten geführt. Dies liegt in der Natur des Kapitalismus. Um möglichst viel Profit zu machen und somit im globalen Konkurrenzkampf nicht unterzugehen, müssen Konzerne immer wieder auf die Suche nach Absatzmärkten oder günstigen Rohstoffen gehen. Dabei vertreten Nationalstaaten die Interessen ihrer heimischen Banken und Konzerne. Sie fungieren quasi als ausländische Vertretung. Oft werden diese Kämpfe mittels Wirtschaftssanktionen, Zöllen und Diplomatie geführt. Wenn sich aber die Lage zuspitzt, es um sehr profitable Märkte geht oder wenn die herkömmlichen Methoden keine Lösung bringen, greifen Regierungen zum Krieg. Gerade in Krisenzeiten, spitzt sich dieser Konkurrenzkampf zu 1938 schrieb der russische Revolutionär Leo Trotzki dazu: „Wenn ein Kleinbauer oder Arbeiter von der Verteidigung des Vaterlandes spricht, denkt er dabei an die Verteidigung seines Hauses, seiner Familie und der Familien anderer gegen Invasion, gegen Bomben, gegen Giftgase. Der Kapitalist und sein Journalist verstehen unter Verteidigung des Vaterlandes die Eroberung von Kolonien und Märkten, die Ausdehnung des „nationalen“ Anteils am Welteinkommen durch Plünderung.“
Neue Ära des Kapitalismus
Diese Kämpfe um Einfluss, Zugang und Kontrolle von Ressourcen und Absatzmärkten haben sich in den letzten Jahren weiter zugespitzt. Die Auflösung der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre und die Wiedereinführung des Kapitalismus in Osteuropa, hat dem Kapital Zugang zu neuen Absatzmärkten beschert. Gleichzeitig kam es zu einer Entfesselung des Imperialismus. Zuvor hatte die Sowjetunion den westlichen Imperialismus im Zaum gehalten, da die Existenz einer nichtkapitalistischen Planwirtschaft (trotz ihres undemokratischen und bürokratischen Charakters) eine politische Bedrohung für den Kapitalismus war, der die kapitalistischen Staaten zusammen schweißte. Hinzu kamen Aufstände in der neokolonialen Welt, die den westlichen Imperialismus zeitweise zu einem taktischen Rückzug zwangen. Es herrschte für eine gewisse Zeit eine begrenzte friedliche Koexistenz. Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion trat die Welt in eine neue Ära ein.
Wir und andere Linke hatten Anfang der 1990er Jahre davor gewarnt, dass die neue Weltordnung eine Zunahme von weltweiten militärischen Konflikten und Kriegen mit sich bringen würde. Unsere Einschätzungen haben sich bestätigt. In den letzten Jahren kam nun noch der Aufstieg Chinas hinzu, der den Führungsanspruch der USA zunehmend in Frage stellt.
Diese neue Weltlage führt zu immer mehr Reibungspunkten zwischen China und den USA, aber auch zwischen vielen Staaten, die einen unabhängigen Weg zwischen den beiden Weltmächten suchen, wie zum Beispiel Indien, Brasilien oder die Türkei. Dadurch ist eine multipolare Weltordnung entstanden, in der zunehmend viele Akteur*innen um Absatzmärkte und Rohstoffe kämpfen Laut einem Bericht des „Economist“ hat die Anzahl der weltweiten Konflikte nicht nur zugenommen, sondern auch die Dauer. In den 1980er dauerten Konflikte im Durchschnitt zehn Jahre, heute dauern die meisten mindestens zwanzig.
Klimawandel
Die Auswirkungen des Klimawandels verstärken diesen Trend. Ganzen Städten droht durch den Anstieg des Meeresspiegels der Kollaps oder der Untergang, im wahrsten Sinne des Wortes. Trinkwasserreserven schrumpfen in vielen Regionen und Regenfälle bleiben aus. Das hat teilweise direkte Auswirkungen auf die kapitalistische Produktion. In Taiwan, wo etwa sechzig Prozent der weltweit hergestellten Halbleiter produziert werden, liegt der Niederschlag vierzig Prozent unter dem früheren Durchschnitt. Das ist ein Problem, denn die Chipproduktion braucht enorm viel Wasser, Tendenz steigend. Denn desto komplizierter die Halbleiter werden, desto mehr Wasser wird benötigt. Als 2021 eine Dürre in Taiwan die Chip-Produktion schon einmal einschränkte, brach die globale Autoproduktion um ein Viertel ein. Damals konnten viele Autokonzerne die Verringerung der Produktion mit der Erhöhung des Preises für einzelne Fahrzeuge ausgleichen. Sollten die Dürren zunehmen und die Chip-Produktion immer schwieriger werden, wird das nicht mehr in dem Maße möglich sein. Eine Einschränkung der Produktion in einem solchen Maße bedeutet, dass Konzerne nach neuen Wegen und Standorten suchen, ihre Produkte zu produzieren und unweigerlich in Konkurrenz zueinander geraten werden.
Gleichzeitig führt der Klimawandel zu neuen Kampfschauplätzen. Ein Beispiel hierfür ist die zunehmende Aufrüstung in der Arktis. Wobei sich Russland, die USA und andere Staaten darauf vorbereiten, Ansprüche auf die Zugänge zu neuen Ressourcen und Handelswegen, die durch das Schmelzen der Eiskappen frei werden, zu sichern. Laut Schätzungen befinden sich dreißig Prozent der unentdeckten Erdgas- und 15 Prozent der unentdeckten Erdölvorkommen in der Arktis. Außerdem befindet sich unter dem schmelzenden Eis eine Vielzahl an seltenen Erden, die für die moderne Computerproduktion benötigt werden. Ein lukratives Geschäft, was Länder wie Russland oder die USA nicht kampflos anderen überlassen werden.
Solche Spannungen können auch in anderen Teilen der Welt beobachtet werden und könnten in nächster Zeit auch zu regionalen Kriegen führen, die größere Dimensionen annehmen, als in der Vergangenheit.
Atomwaffen
Eine Eskalation dieser Konflikte und der Einsatz von Nuklearwaffen ist dabei jedoch kurzfristig unwahrscheinlich. Ein Weltkrieg würde sofort den Einsatz von Atomwaffen auf die Tagesordnung setzen. Die Folgen der modernen Atomwaffen sind dabei so verheerend, dass es die Zukunft ganzer Kontinente in Frage stellen würde. Damit würden die Kapitalist*innen ihre eigene Zukunft gefährden.
Hinzu kommt, dass viele Konzerne globale Investitionen tätigen. Kriege können dazu führen, dass Beziehungen zwischen Ländern abbrechen, Sanktionen verhängt werden und verheerende Wirtschaftskrisen mit sich ziehen. Ein Beispiel hierfür war der Anstieg an Öl- und Gaspreisen nach der Invasion Russlands in der Ukraine. Ein Krieg mit China würde noch verheerendere Folgen haben. 16 Prozent der Geschäfte deutscher DAX Konzerne laufen über China. Bei den Autobauern sind es teilweise sogar vierzig Prozent. Ein Krieg würde diese Investitionen gefährden. Weshalb die Bundesregierung auch äußerst vorsichtig im Umgang mit China ist und versucht, direkte Konfrontationen zu vermeiden. Wahrscheinlicher ist es, dass es in der Zukunft zu immer mehr Stellvertreterkriegen kommt, etwa im Sudan, im südpazifischen Meer oder in anderen Teilen der Welt, bei denen Staaten, wie die USA oder China jeweils Seiten unterstützen und aufrüsten, die ihre Interesse am besten vertreten.
Die Krise des Systems kann jedoch das Unwahrscheinliche wahrscheinlich machen. Durch die Verschärfung von politischen und ökonomischen Krisen, kann es in Zukunft zu mehr bonapartistischen Regierungen kommen, die nicht immer die direkten Klasseninteressen der eigenen Kapitalist*innen vertreten. Sollte in Russland beispielsweise tatsächlich eine Fraktion der Oligarchie an die Macht kommen, die für eine radikalere Kriegsführung eintritt, kann eine nukleare Eskalation nicht ausgeschlossen werden. Ähnliches ist auch in Pakistan möglich. Genauso ist es möglich, dass es zwischen China und den USA zu einer direkten militärischen Konfrontation rund um Taiwan oder an anderer Stelle im südpazifischen Meer kommt. Ein solcher Zusammenstoß könnte stattfinden, ohne sich in einen neuen Weltkrieg zu entwickeln.
Schlussfolgerungen
Auch wenn unmittelbar kein neuer Weltkrieg bevorsteht, ist das globale kapitalistische System in eine neue Ära von tiefen multiplen Krisen eingetreten. Die Vielzahl an Konflikten wird zu immer mehr Kriegen und militärischen Konfrontationen führen, die für weite Teile der Weltbevölkerung ein komplett neues Ausmaß von Armut und Leid bedeuten werden. Eine weltweite Eskalation kann längerfristig auch nicht ausgeschlossen werden.
Diese neue Ära wird sich nicht geradlinig entwickeln. Der Ausbruch von Kriegen führt oft zu Verwirrungen in den Reihen der Arbeiter*innenklasse. Viele verfallen dem Mythos der Vaterlandsverteidigung, sowie etwa zu Beginn des Ukraine Krieges. Sollte es zu einem Krieg zwischen den USA und China kommen, kann dies die inneren Widersprüche des Kapitalismus für eine Weile überdecken. Sobald sich aber der Nebel des Krieges legt, treten diese Widersprüche noch deutlicher zu Tage. Neue Bewegungen und Proteste können dadurch entstehen, die eine breitere Schicht an Menschen mit der Frage konfrontieren, wie weitere Kriege verhindert werden können.
Die Aufgabe von Sozialist*innen ist es, diese Fragen zu beantworten und aufzuzeigen, dass der Ursprung aller Kriege im Kapitalismus liegt. Uns ist bewusst, dass sozialistische Ideen zur Zeit nicht sehr weit verbreitet sind und dass es vielen Menschen an einer Vorstellung fehlt, was nach dem Kapitalismus kommen kann. Die Sol ist deswegen Teil des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale, das sich dem Kampf für eine neue weltweite sozialistische Arbeiter*innenbewegung verschrieben hat. Durch unsere Arbeit wollen wir einen Beitrag dazu leisten, den Kapitalismus in Zukunft zu überwinden und weitere Krisen und Kriege damit abzuwenden. Wir wollen die Arbeiter*innenklasse weltweit mit einem sozialistischen Programm bewaffnen, dass genau diese Perspektive abseits des Kapitalismus aufzeigt. Wir freuen uns über jede*n der*die sich unserem Kampf anschließen möchte und in einer Welt ohne Konkurrenz, Krieg und Armut leben möchte.