AfD floppt in Aachen

Starker Gegenprotest – aber ohne wirkliche politische Alternative

750 Rechte – das war das Mobilisierungsziel der AfD, die am Samstag auf dem zentralen Aachener Marktplatz eine Hetzkundgebung durchführen wollte. Dafür hatte sie in ganz NRW die Werbetrommel gerührt. Gekommen sind am Ende kaum 150. Demgegenüber standen weit über 1500 Gegendemonstrant*innen. Ein klares Zeichen gegen die rechte Hetzveranstaltung. Doch auch der Gegenprotest hatte politische Schwächen, die dringend korrigiert werden müssen.

Von Christian Walter, Aachen

Am 15. August kündigte die AfD ihre Kundgebung an. Dreieinhalb Wochen hatte sie Zeit, um ihre Anhänger*innen zu mobilisieren. Hochkarätige Redner, um das erhoffte Publikum auch anzuziehen, hatte sie aufgetrieben: Laut der angekündigten rein männlichen Rednerliste sollten unter anderem ihr NRW-Chef sowie AfD-Abgeordnete aus EU-Parlament, Bundestag und dem thüringischen und nordrhein-westfälischen Landtag reden. Und, als Hauptredner, der nur wenige Tage vorher gekürte Spitzenkandidat zur EU-Parlamentswahl, Maximilian Krah.

Im Aachener AfD-Verband ist schon lange der rechtsradikale Partei-Flügel tonangebend. Im Stadtrat wird die Partei unter anderem von einem Mitglied vertreten, das bereits mit Björn Höcke auf einer Bühne stand. Und auch mehrere der Redner werden diesem Flügel zugerechnet. Mit Krah hat ihr Spitzenkandidat für das EU-Parlament erst kürzlich ein Buch herausgebracht, in dem er seine völkisch-rassistischen Vorstellungen darstellt: Deutsch sei man nicht nur durch Kultur und Tradition, entscheidend seien auch Natur und Biologie. Doch auch der „nicht rechtsradikale“ Rest der Partei ist keineswegs ungefährlicher: Sie stehen geschlossen für einen rassistischen Kurs, der ihre brutal neoliberale Politik nur verschleiern soll. Wäre die AfD an der Macht, gäbe es nicht „nur“ noch viel offenere Diskriminierung als derzeit. Es gäbe flächendeckenden Sozialabbau, einen massiven Aufbau staatlicher Repression, eine weitere Militarisierung der Gesellschaft und Angriffe auf gewerkschaftliche Rechte. Die AfD ist also keine Alternative zur aktuellen Regierungspolitik. Sie würde nur alles, was an ihr zu bekämpfen ist, noch viel aggressiver durchprügeln.

Rechte hetzen – und niemand hört’s

All das verschweigt die AfD gerne. Nach vorne stellt sie ihre Hetze gegen Geflüchtete, queere Menschen und andere Minderheiten. Das war auch auf der Kundgebung in Aachen so. Zwar soll selbst das eigene Publikum kaum etwas verstanden haben, zu laut war der Gegenprotest. Aus Medienberichten ist aber zu entnehmen, dass etwa der Hauptredner Krah in Richtung Gegenprotest „Echte Männer stehen Rechts!“ gerufen haben soll. Tatsächlich war sein Publikum sehr männerlastig, auch dominierten dort graue Haare. Krisen und Kriege seien Krahs Rede zufolge eine Folge „queerer Politik“ und von „Überfremdung“.

750 Teilnehmer*innen waren angekündigt, kaum 150 erschienen – und das, obwohl landesweit zur Teilnahme aufgerufen wurde. Das lässt vermuten, dass kaum wer außerhalb des engeren Partei-Umfeldes gekommen sein dürfte. Beim Gegenprotest hingegen waren 200 angemeldet, weit über 1500 kamen. Angesichts der eigenen Mobilisierungsschlappe und der mehr als zehnfachen Überlegenheit war die Kundgebung für die AfD in Aachen eine krachende Niederlage.

Starker Gegenprotest…

Der Gegenprotest hatte sich bereits wenige Tage nach der AfD-Ankündigung begonnen zu formieren. Ein Aufruf wurde formuliert, der neben der rechten Hetze der AfD korrekterweise auch ihre desaströse Sozialpolitik angriff. Sobald der Aufruf veröffentlicht wurde kamen täglich weitere Unterstützer*innen hinzu – bis zur Demo haben 76 Parteien, Gewerkschaften, Verbände, Religionsgemeinschaften und Initiativen ihre Unterstützung bekundet. Und der Protest war dann auch unüberhörbar: Erst haben über tausend Menschen eine kraftvolle Demonstration durch die Stadt zum Kundgebungsort der AfD durchgeführt. Dort traf sie lange ein, bevor die AfD begann. Die Polizei schickte die Gegendemo auf einen viel zu kleinen Platz auf einer Seite des Kundgebungsortes vor dem Aachener Rathaus. Doch viele kamen erst nach der Demo zur Gegenkundgebung, sodass der Platz bald voll war. Es gab sogar Berichte, dass die Polizei die Zugänge wegen Überfüllung gesperrt hätte. Gegendemonstrant*innen stauten sich teilweise in den Seitenstraßen – und umzingelten so die AfD-Veranstaltung. Die Polizei, die den Gegenprotest auf Entfernung halten wollte, hatte so selbst dafür gesorgt, dass viele Gegendemonstrant*innen viel näher an der AfD waren als geplant. Die offensichtlich überforderte Polizei forderte Menschen auf, Richtung genehmigtem Kundgebungsort weiterzugehen, doch war nicht in der Lage das auch durchzusetzen.

Mit Parolen, Trillerpfeifen, allerlei Krach machenden Mitbringseln und Musik aus einer sehr starken Soundanlage wurde die rechte Hetze effektiv übertönt. Zwischendurch gab es immer wieder Redebeiträge, die sich mit einzelnen Rednern der AfD oder ihren Inhalten auseinandersetzten. Sehr lange hielt es die AfD nicht aus, ihre unhörbare „Kundgebung“ war bald vorbei. Einige Teilnehmer begaben sich im Anschluss zu einer Querdenken-Aktion, die gegen Corona-Impfungen wetterte. Der Gegenprotest war mit dem Ende des blaubraunen Spuks dann auch bald zu Ende, zum Abschluss wurde gemeinsam das antifaschistische Partisan*innenlied „Bella Ciao“ gesungen.

…aber mit Schwächen

Unter den beteiligten Gegendemonstrant*innen und in vielen beteiligten Organisationen herrscht nach diesem deutlichen Sieg eine große Euphorie. „Wir sind viel mehr!“, „Ganz Aachen hasst die AfD!“ – so wird der Tag dort resümiert. Doch man darf sich nichts vormachen. Angesichts der letzten Wahlumfragen hasst nicht ganz Aachen die AfD, im Gegenteil: Tausende planen, ihr bei der nächsten Wahl ihre Stimme zu geben. Nur wenige davon dürften bei der AfD-Kundgebung aufgetaucht sein. Das stützt unsere Einschätzung, dass wir es in Deutschland nicht mit einem Rechtsruck zu tun haben, dass es nicht plötzlich viel mehr überzeugte AfD-Anhänger*innen gibt als noch vor einem Jahr, sondern dass es eine Entfremdung und Polarisierung gibt und viele Menschen nach Möglichkeiten suchen, ihren Protest gegen die massenfeindliche Regierungspolitik auszudrücken. Unter dem Einfluss rechter Hetze in Leitmedien und von Spitzenpolitiker*innen der etablierten Parteien, und weil eine attraktive und glaubhafte linke Alternative dazu fehlt, kann derzeit fatalerweise die AfD davon profitieren. Das ist eine Warnung, denn nach dem Motto „nach unten zu treten ist leichter als nach oben zu schlagen“ wird die rechte und queerfeindliche Hetze der AfD bei einigen fruchten.

Wie kann diesen Menschen eine echte Alternative angeboten werden? Eine Alternative, die die wirklichen Ursachen benennt und bekämpft – nicht Geflüchtete oder queere Menschen, sondern die Profitgeilheit der Banken und Konzerne und die Politik ausnahmslos jeder bürgerlichen Partei, die Politik nach deren Wünschen macht?

Sicher nicht, indem man sich als Verteidiger*in der aktuellen Ordnung aufspielt. Leider konnte man das bei der Gegenkundgebung teilweise vermuten. Vielfach wehten Fahnen von SPD und Grünen und ihren Jugendorganisationen, teilweise auch EU-Fahnen. SPD und Grüne hatten auch prominent mit zu den Protesten aufgerufen, ebenso wie die EU-Fans von Volt, die in der EU absurderweise ein Modell gegen den Nationalismus der AfD sehen. Die Initiative zu den Protesten kam nicht von diesen Parteien. Die kam von aufrechten Linken und Antifaschist*innen. Doch in der Hoffnung, ein „breites Bündnis“ zu formieren und damit mehr Menschen auf die Straße zu bringen, wurde im Aufruf zwar viel richtige Kritik an der AfD geäußert. Aber wurde darin auch kritisiert, dass sie von einem „kriminellen System“ spricht und ein Teil von ihr von „Umsturz und Revolution“ träumt. Auch wenn sie damit natürlich etwas ganz anderes meinen als Sozialist*innen: Träume von „Umsturz und Revolution“ generell zu verteufeln bedeutet nichts anderes, als das aktuelle politische System Deutschlands zu verteidigen.

Vor allem aber – und das ist fatal: Es gab im Aufruf kaum Kritik an der herrschenden Politik. Nur sehr kurz stand am Ende, dass eine Politik, die „erhebliche soziale Belastungen für die große Mehrheit der Bevölkerung“ bedeute sowie Geflüchtete bekämpfe und Krieg befördere der AfD nutze. Das ist zwar richtig, wenn auch sehr oberflächlich und allgemein. Aber benannt wurde nicht, wer diese Politik macht. Bundesweit sind das eben auch SPD und Grüne, die den Aufruf sicher nicht unterschrieben hätten, wenn die Kritik deutlicher ausgefallen wäre oder sie sogar benannt worden wären. Während die AfD von Massenabschiebungen träumt und das Asylrecht beschneiden möchte ist das die Regierungspolitik dieser „antifaschistischen“ Parteien. Während die AfD sozialen Kahlschlag will, planen unter anderem SPD und Grüne den heftigsten Kürzungshaushalt seit Jahren. Menschen, die nach einer Alternative zu dieser Politik suchen, werden sich kaum einem Protest gegen eine vermeintliche „Alternative“ anschließen, der – zumindest in Teilen – wie ein Bollwerk der Regierung aussieht.

Es ist richtig und wichtig, möglichst viele Menschen gegen die AfD zu mobilisieren. Aber man macht sich etwas vor, wenn man das ohne ein politisches Programm macht, das den Höhenflug der AfD an der Wurzel bekämpft. Das heißt: Antifaschismus muss immer antikapitalistisch sein. Er muss die Regierung des Kapitals und ihre unsoziale und rassistische Politik herausfordern und eine echte Alternative anbieten – den entschiedenen Klassenkampf gegen die Macht der Banken und Konzerne, solidarisch, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung, Geschlecht oder Religion. Bürgerliche Empörung über die „unmoralischen Dreistigkeiten der AfD“ können Linke stattdessen den Bürgerlichen überlassen.

Und es ist nicht gesagt, dass der Gegenprotest mit einem anderen Aufruf unbedingt kleiner gewesen wäre: Hunderte linke Aktivist*innen waren da, die unsere Kritik an der Regierungspolitik teilen – viele dürften eher trotz einiger aufrufender Kräfte gekommen sein, als wegen diesen. Die Gruppen von SPD- und Grüne-Mitgliedern waren aufgrund ihrer Fahnen und Banner zwar recht gut sichtbar, aber sie waren es nicht, die den Platz voll gemacht haben. Und viele von ihnen sind vorzeitig wieder gegangen.

Mit einem weitergehenden, klassenkämpferischen Aufruf hätte man auch gezielt an Orten mobilisieren können, wo man viele Leute trifft, die keine Fans der Regierungspolitik sind – in benachteiligten Nachbarschaften, vor Betrieben, Schulen oder dem Arbeitsamt. Dort trifft man viele Menschen, die sicher keine Fans der Regierungspolitik sind. Zu viele linke Gruppen haben diese Art der Mobilisierung außerhalb der eigenen, meist akademischen Komfortzone aufgegeben und scheinen zumindest in diesem Fall auf viele unterstützende Organisationen gesetzt zu haben, die dann ihr Umfeld mobilisieren. Die Aachener Ortsgruppe der Sol hat sich aufgrund der Kritik entschieden, den Aufruf nicht zu unterschreiben. Aber wir waren mit mehreren Genoss*innen vor Ort, haben hunderte Flyer für unseren SozialismusTag am 28. Oktober verteilt und sehr viel positives Feedback bekommen. Dort wird es auch einen Workshop geben, der sich mit dem Hoch der AfD auseinandersetzt – und ein sozialistisches Programm dagegen diskutiert.