Eskalation im Nahen Osten

Frieden und Selbstbestimmung im Kapitalismus unmöglich – Stellungnahme der Sol-Bundesleitung

Die Bilder aus Israel und dem Gaza-Streifen sind schrecklich. Hunderte tote Zivilist*innen auf beiden Seiten. Der Angriff der Hamas auf israelischem Territorium folgt der Eskalationspolitik der in Teilen rechtsextremen israelischen Regierung gegen die Palästinenser*innen in den letzten Monaten und Jahren. Diese reagiert wiederum mit der wahllosen Bombardierung Gazas und Tötung von Palästinenser*innen. Nun droht ein neuer, umfassender Krieg, dessen Opfer aus der Arbeiter*innenklasse beider Nationen kommen werden und der die Menschen in der Region Frieden und Selbstbestimmung keinen Schritt näher bringen wird.

Propaganda entgegentreten

Das erste Opfer des Kriegs ist die Wahrheit. Nachrichten und Propaganda sind kaum zu unterscheiden. In der ARD-Sondersendung kommen nur der israelische Botschafter und ein CDU-Außenpolitiker zu Wort. Die Berichterstattung beschränkt sich auf die Darstellung der brutalen Vorgehensweise der Hamas, die wahllos israelische Zivilist*innen (und Tourist*innen und Arbeitsmigrant*innen) getötet und verschleppt hat. Wir lehnen den Angriff der Hamas ab, weil er mit den zivilen Opfern die Falschen trifft und dem palästinensischen Volk im berechtigten Kampf gegen Besatzung, Belagerung und Unterdrückung nicht hilft. Aber wir lehnen es ab, die Ereignisse der letzten Tage nicht im Kontext von Jahrzehnten eben dieser Besatzung, Belagerung, Unterdrückung, Tötung und Vertreibung der Palästinenser*innen zu betrachten. Dazu gehören auch 212 in diesem Jahr durch den Staat Israel getöteten Palästinenser*innen, dazu gehört auch, dass der israelische Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir den israelischen Terroristen glorifiziert, der 1994 29 Palästinenser*innen in einer Moschee getötet hat und im Märt der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich zur Zerstörung der palästinensischen Stadt Huwara aufrief, nachdem dort zwei israelische Siedler getötet worden waren.

Der israelisch-jüdische Journalist Haggai Matar schrieb am 7.10. während des Angriffs der Hamas: „Im Gegensatz zu dem, was viele Israelis sagen, und obwohl die Armee von dieser Invasion eindeutig völlig unvorbereitet getroffen wurde, handelt es sich nicht um einen “einseitigen” oder “unprovozierten” Angriff. Das Grauen, das die Israelis – mich eingeschlossen – jetzt empfinden, ist nur ein Bruchteil dessen, was die Palästinenser tagtäglich unter dem jahrzehntelangen militärischen Regime im Westjordanland und unter der Belagerung und den wiederholten Angriffen auf den Gazastreifen zu spüren bekommen haben.“

Asymmetrischer Konflikt

Wenn man darauf hinweist, dass die politische Verantwortung für den so genannten Nahost-Konflikt und damit auch für die toten israelischen Zivilist*innen beim israelischen Staat und dessen Besatzungs- und Unterdrückungspolitik liegt, unterstützt man weder die Hamas noch spricht man diese von Verantwortung frei. Aber es muss klar sein, dass dieser Konflikt ein asymmetrischer zwischen einer hoch gerüsteten Militärmacht und einer vergleichsweise kleinen Widerstandsgruppe ist. Und es muss klar sein, dass es ohne Entrechtung, Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser*innen diesen Konflikt nicht geben würde.

Deshalb lehnen wir die heuchlerische und einseitige Berichterstattung und Solidarisierung mit dem Staat Israel ab. Es ist heuchlerisch vom Recht auf Selbstverteidigung Israels zu sprechen, ohne dasselbe Recht den Palästinenser*innen zuzugestehen. Unsere Solidarität gilt den einfachen Menschen auf beiden Seiten des Konflikts, die Opfer der Politik der herrschenden Kräfte sind.

Netanjahu

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat vor einigen Tagen vor der UNO eine Landkarte des Nahen Osten hoch gehalten, die einen israelischen Staat zeigte, der vom Mittelmeer bis zum Jordan reicht und auf der die Palästinenser*innengebiete nicht zu sehen waren. Nach dem Angriff der Hamas auf Israel, kündigte er an, Gaza in eine „Trümmerinsel“ zu verwandeln und rief die Bevölkerung auf, Gaza zu verlassen – was unmöglich ist, da das Gebiet seit Jahren unter einem israelischen Belagerungszustand steht. Netanjahu kann sich bei der Hamas bedanken, denn deren Angriff bedeutet das vorläufige Ende der sich seit Monaten entwickelnden Massenbewegung gegen die Justizreform und gibt ihm die Möglichkeit, die israelische Nation hinter sich zu sammeln. Dabei zeigt das erfolgreiche Vordringen der Hamas-Kämpfer, dass Netanjahu und der Staat Israel ihre Versprechen, die israelisch-jüdische Bevölkerung zu schützen, nicht einhalten können.

Kapitalismus verhindert Frieden

Dreißig Jahre nach dem Oslo-Abkommen, das den Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung bereiten sollte, beweisen die aktuellen Ereignisse, was wir Marxist*innen immer gesagt haben: im Rahmen des Kapitalismus ist der Konflikt im Nahen Osten nicht zu lösen, weil die herrschende Klasse Israels den Palästinenser*innen keine wirkliche Selbstbestimmung zugestehen kann. Sie braucht den Konflikt, um die Bedrohungslage für die israelisch-jüdische Bevölkerung aufrechtzuerhalten, denn diese ist die Quelle ihrer sozialen Basis, ihrer Macht und ihres Reichtums.

Für das Recht auf Selbstbestimmung

Wir verteidigen das Recht der Palästinenser*innen, sich gegen die israelische Unterdrückung zu verteidigen. Wir schrieben aber schon 2021 nach der Bombardierung Gazas durch Israel: „Die Existenz der Hamas ist Ergebnis der Verzweiflung in Gaza. Gleichzeitig bieten die Raketen der Hamas und ihr spalterisches Programm keinen Ausweg aus der aktuellen Situation für die palästinensische Bevölkerung und wir lehnen ihre Methoden entschieden ab. Sie heizen die ethnische und konfessionelle Spaltung vor Ort an und bieten einen Vorwand für größere Interventionen der israelischen Armee.“ Wir lehnen es auch ab, das palästinensische Volk mit der Hamas gleichzusetzen. Die Mehrheit der in Gaza lebenden Palästinenser*innen leiden nicht nur unter der Belagerung und Isolation durch Israel, sondern auch unter der Herrschaft der rechts-islamistischen und arbeiter*innen- und frauenfeindlichen Hamas. Es ist ein schwerer Fehler, wenn Linke in dieser Situation eine solche Organisation unterstützen, weil sie gegen die Besatzer kämpft. Denn sie kämpft mit den falschen Methoden und den falschen Zielen, die Linke nicht unterstützen sollten. Notwendig ist eine unabhängige Organisierung der palästinensischen Arbeiter*innen, der Landbevölkerung und der armen Menschen.

Für eine sozialistische Lösung

Wir treten für eine Massenbewegung des palästinensischen Volkes ein, wie es die erste Intifada in den 1980er Jahren war. Dazu sollte die Bildung demokratisch organisierter Verteidigungskomitees gehören, die den Kampf gegen den israelischen Staatsterror führen könnten.

Eine solche Bewegung bräuchte ein sozialistisches Programm, das die Arbeiter*innenklasse Israels nicht als Feind betrachtet, sondern diese auffordert, mit Regierung und Staat in Israel zu brechen und gemeinsam eine demokratische Lösung des Nahost-Konflikts zu erreichen. In Israel treten wir für die Bildung von Arbeiter*innenorganisationen ein, die gegen die pro-kapitalistische Politik der israelischen Regierung auf Basis eines sozialistischen Programms kämpfen.

Unabhängige Organisationen der Arbeiter*innenklasse auf beiden Seiten müssten eine gegenseitige Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung und ein Programm zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Region vertreten, das nicht auf kapitalistischer Basis umsetzbar sein könnte.

Wenn sich die arbeitende Bevölkerung auf beiden Seiten unabhängig von pro-kapitalistischen und reaktionären Kräften organisiert, kann sie Frieden und Selbstbestimmung erkämpfen. Unmittelbar sollte die Forderung nach einem Ende der Kampfhandlungen, einem Nein zu Vergeltungsschlägen, Freilassung der Geiseln und der politischen Gefangenen auf beiden Seiten erhoben werden.

Der israelische Staatsterror, Belagerung, Besatzung, Siedlungsbau und Vertreibung müssen ein Ende haben. Sie sind auch nicht im Interesse der israelisch-jüdischen Arbeiter*innenklasse. Wir treten ein für ein ein unabhängiges sozialistisches Palästina und ein sozialistisches Israel mit zwei Hauptstädten in Jerusalem/alQuds als Teil eines sozialistischen Nahen Ostens. Dafür kämpft die Sol als Teil des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale, einer internationalen sozialistischen Organisation. Werde mit uns aktiv!

Veranstaltung der Sol und der Sozialistischen Offensive (Österreich):