Neustart und Aufbruch verkündet, „Weiter so“ beschlossen

Bericht vom Europa-Parteitag der Partei Die Linke

Vergangenes Wochenende fand in Augsburg der erste Bundesparteitag der Partei Die Linke seit dem Austritt von Sahra Wagenknecht statt. Inhaltlich sollte es um das Wahlprogramm und die Kandidat*innen zur EU-Wahl kommendes Jahr gehen. Doch der Parteitag war auch ein Versuch eines “Startschusses” für DIE LINKE nach Wagenknecht. Ob eine Wiederbelebung der Partei jedoch möglich ist, bleibt auch nach diesem Parteitag fraglich.

von Caspar Loettgers, Berlin

Seit dem letzten Parteitag in Erfurt ist viel passiert. In der Linkspartei endete der Konflikt mit Sahra Wagenknecht mit ihrem Austritt und der Gründung des “Bündnis Sahra Wagenknecht” (BSW). Die Linke-Fraktion hat sich selbst aufgelöst und wird in Zukunft nur noch als Gruppe im Bundestag existieren.

Das alles hätte natürlich viel Diskussionsstoff geboten, doch der Parteivorstand stellte die Abspaltung des Wagenknecht-Lagers als ein Ende der Kontroversen dar. Nun sollte ein geschlossenes Bild nach außen vermittelt werden, um den “Neustart” der Partei möglichst glatt über die Bühne zu bringen. Eine Analyse der tieferen politischen Ursachen für die Krise der Partei und ein sich daraus ergebender Kurswechsel in Sachen Programmatik und politischer Praxis blieb aus.

Programm zur EU-Wahl

Schon im Vorfeld wurde von Teilen des linken Flügel, insbesondere der Antikapitalistischen Linken (AKL), kritisiert, dass das Wahlprogramm eine weitere Neuauflage vergangener Programme zur EU-Wahl ist, in dem Illusionen in die EU geschürt werden. Tatsächlich ist es in einigen Fragen sogar ein Rückschritt. Im Wahlprogramm 2019 wurde zumindest erklärt, man wolle ein sozialistisches Europa. In dem nun vorgelegten Entwurf für ein Wahlprogramm wurde das Wort “Sozialismus” oder “sozialistisch” kein einziges Mal erwähnt. Auch in der Frage der Haltung zur EU ist das aktuelle Programm ein Rückschritt. So wurde zur letzten Wahl zumindest eingestanden, dass die vertraglichen Grundlagen der EU keine positiven Veränderungen erlauben. Nun wird die Illusion aufgestellt: “Positive Veränderungen sind möglich. (…) Der Neoliberalismus in der EU ist bereits unter massivem Druck. Endlich. (…) Wir können ihn überwinden.”

Die Parteiströmung Antikapitalistische Linke (AKL) hatte deshalb einen Antrag eingebracht, den Programmentwurf komplett zurückzuziehen und einen neuen Entwurf mit einer grundsätzlichen Kritik an der EU und deren Nichtreformierbarkeit zu erarbeiten. Dieser EU sollte stattdessen „die Perspektive eines anderen ‘Europa von Unten’, ausgehend von den Widerstandsaktionen, Streiks und sozialen Bewegungen in den europäischen Ländern“ im EU-Wahlprogramm entgegengesetzt werden. Die Antragskommission hielt diesen Antrag für unzulässig.

Ein weiterer Versuch dem Programm Antikapitalismus und Sozialismus einzuhauchen bestand in Ersetzungsanträgen der Präambel durch die AKL und den Ortsverband Stuttgart-Bad-Cannstatt, in dem Sol-Mitglieder aktiv sind und aus dem Ursel Beck Delegierte aus Baden Württemberg war. Die Mehrheit der Delegierten lehnte jedoch eine Debatte und mögliche Änderung der Präambel ab. So wurde eine Befassung dieser Anträge und eine Debatte über den Charakter der EU verhindert.1

Auch viele weitere Einzelanträge, die dem Programm punktuell eine sozialistische Ausrichtung geben wollten, wurden mehrheitlich abgelehnt. So stellte der Ortsverband Stuttgart-Bad Cannstatt einen Änderungsantrag zur Energiefrage: „Wir kämpfen für die Überführung aller Konzerne im Energiebereich in öffentliches Eigentum und wollen ihre Gewinne und Ressourcen für eine dezentrale Energieversorgung mit erneuerbarer Energie und die drastische Absenkung der Preise für die privaten Verbraucher nutzen.“ Obwohl bei dem Parteitag von führenden Parteimitgliedern immer wieder davon gesprochen wurde, dass sich Die Linke mit den Konzernen anlege und die Eigentumsfrage stelle, hat die Antragskommission die Übernahme dieses Antrags abgelehnt. Vor der Abstimmung über den Antrag hielt der Bundesschatzmeister Harald Wolf die Gegenrede und sagte man wolle wegkommen von “diesem Schlagwortsozialismus”. Trotzdem bekam der Antrag 172 Stimmen gegen 195 Gegenstimmen und 31 Enthaltungen.

Selbst ein Änderungsantrag des Ortsverbandes Bad Cannstatt zur Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 15 Euro wurde nicht übernommen. In der Gegenrede wurde sogar behauptet, das führe zu einer Lohn-Preis-Spirale. Diese einer linken Partei unwürdigen Behauptung hat dann wohl eher mitgeholfen, dass der Parteitag die Forderung nach einem Mindestlohn von 15 Euro beschlossen hat.

Der Versuch der Parteirechten Waffenlieferungen zur „Selbstverteidigung“ zu befürworten2, ist beim Parteitag krachend gescheitert. Das hält jedoch Linke-Politiker wie den thüringischen Ministerpräsident Bodo Ramelow oder den Landesverband Bremen nicht davon ab, sich für Waffenlieferungen an die Ukraine auszusprechen und damit eine weitere Eskalation des Krieges zu unterstützen. Es gab auch keine Aufweichung der Position bei der Verteidigung von Geflüchteten und dem Asylrecht. Aber auch hier ist es so, dass Landesregierungen, in denen Die Linke an der Regierung ist, sich an Abschiebungen beteiligen. Diese Widersprüche wurden beim Parteitag ignoriert, um eine Geschlossenheit zu demonstrieren, die es nicht gibt.

Die Kandidat*innen

Dieses Umschiffen von strittigen Fragen spiegelte sich auch bei der Wahl der Spitzenkandidat*innen wieder. Im Juli haben wir bereits einen ausführlichen Artikel zum Verfahren und die Kandidat*innen veröffentlicht, auf den wir hier verweisen. Damals erklärten wir, dass gerade Carola Rackete und Gerhard Trabert zu Fragen wie der EU und Waffenlieferungen unklare Positionen haben und zumindest Aussagen getätigt haben, die unterschiedlich ausgelegt werden können. Bei ihren Bewerbungsreden ließen beide diese Fragen aus und auch in der Fragerunde wurden aufgrund des Verfahrens kritische Fragen dazu verhindert. Die einzige Frage, die an Rackete gestellt wurde, ob sie Mitglied der Partei werden würde, ließ sie unbeantwortet.

Krieg in Gaza

Über die derzeit extrem wichtige Frage des Krieges in Gaza, hatte der Parteivorstand keinen Antrag vorgelegt. Erst ein Antrag aus der Parteilinken zwang den Parteivorstand, die Diskussion auf die Tagesordnung zu setzen und einen Beschluss zu fassen. In der auf 25 Minuten begrenzten Debatte über den Antrag kamen dann aber doch einige unterschiedliche Positionen auf, die in dieser kurzen Zeit jedoch nicht ausdiskutiert werden konnten. Der Parteirechte Klaus Lederer sprach von einem “Akt eliminatorischer Enthemmung” im Bezug auf den Terrorangriff der Hamas und stellte einen direkten Vergleich zum deutschen Faschismus her und machte so seine einseitige Unterstützung des Staats Israel deutlich, während andere Redner*innen die Solidarität mit den Palästinenser*innen in den Mittelpunkt rückten.

Dennoch versuchte der Parteivorstand, ein harmonisches Bild der Partei zu zeichnen. Nach Verhandlungen zwischen den Antragssteller*innen und dem Parteivorstand wurde ein Kompromissantrag beschlossen, der die wichtigsten Fragen unbeantwortet lässt und viel Raum für Interpretationen bietet. So heißt es unter anderem:

Israel hat das Recht sich zu verteidigen. Doch die Verbrechen der Hamas entbinden Israel nicht seiner völkerrechtlichen Verantwortung. Die Bombardierung ziviler Einrichtungen und das Vorenthalten humanitärer Güter für die Zivilbevölkerung sind ein massiver Bruch der Genfer Konvention und des humanitären Völkerrechts.”

Im Umkehrschluss heißt das, dass der israelische Staat das Recht hat, Gaza anzugreifen, solange er sich ans Völkerrecht hält womit aber zur Zeit in bürgerlichen Kreisen auch das Angreifen von Krankenhäuser gerechtfertigt wird, was wiederum Ausdruck davon ist, dass das so genannte Völkerrecht je nach Interessenslage unterschiedlich interpretiert wird. Im weiteren Text wird zwar betont, dass Antisemitismus überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund zugeschrieben wird und diese unter Generalverdacht gestellt werden, was eine “problematische Verschiebung des Diskurses” ist. Hieraus wird aber “nur” abgeleitet, dass “pauschale Demonstrationsverbote” abzulehnen sind. Eine entschiedene Absage an die massive Repression gegen pro-palästinensische Demonstrationen, das Verbot palästinensischer Organisationen und das Verbot von Parolen für die Befreiung Palästinas fehlt vollkommen. Ebenso wird dieser Umdefinierung des Begriffs antisemitsch, wonach alles was gegen die in Teilen rechtsextreme Netanjahu-Regierung und für die Befreiung Palästinas gesagt wird, antisemitisch sein soll, nicht widersprochen. Sätze wie “Die Antwort der israelischen Regierung auf das Massaker und den massiven Raketenbeschuss auf Israel war die exzessive Bombardierung des Gaza-Streifens” lassen Fragen offen. Was wäre etwa eine nicht-exzessive Bombardierung des Gaza-Streifens? Warum gibt es mehr Empörung über den Terrorangriff der Hamas als über den Massenmord der israelischen Regierung im Gaza-Streifen? Warum wird nur die Befreiung der Geiseln gefordert, nicht jedoch die Freilassung der tausenden palästinensischen politischen Gefangenen in Israels Militärgefängnissen. Es fehlt auch jede Erklärung der kapitalistischen Ursachen des Nahost-Kriegs und der Zusammenhang zum Ukraine-Krieg und den anderen 21 Kriegen, die derzeit auf der Welt toben. Eine linke Partei müsste erklären, dass der Kapitalismus ursächlich verantwortlich für alle Kriege ist, dass es Frieden, Sicherheit und nationale Selbstbestimmung nur durch eine sozialistische Veränderung geben kann und dass es dafür Massenbewegungen braucht gegen die Kriegstreiber in der Welt und gegen den Kapitalismus. Aber auch hier stellt Die Linke nicht die Systemfrage, obwohl die Systemfrage beim Parteitag immer wieder genannt wurde, nur leider als Floskel ohne politisch-praktische Konsequenz.

Doch am wichtigsten ist, dass der Beschluss den Konflikt in gar keinen Kontext von Jahrzehnten der Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser*innen stellt und auch keinerlei Verbindung zum Kapitalismus zieht. Statt eine Einheit der Arbeiter*innen beider Seiten zu propagieren und einen Klassenstandpunkt zu formulieren, wird abstrakt ein Ende der Gewalt gefordert.

Sozialistische Partei: nötiger denn je

Auf dem Parteitag wurde immer wieder deutlich, dass es eine Partei braucht, die eine Antwort auf die multiple Krise des Kapitalismus und deren Verschärfung bietet. Zum Krieg in der Ukraine ist der Krieg in Gaza hinzugekommen. Obendrauf entfachte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts letzte Woche die Krise über den Haushalt in der Regierung neu und rückte mögliche Neuwahlen ein Stück näher.

Von der tiefen Unzufriedenheit mit der Bundesregierung profitiert vor allem die AfD, während Die Linke in Umfragen in der Regel unter fünf Prozent liegt.

Eine sozialistische Partei muss hinsichtlich dieser Entwicklungen konsequent die Systemfrage stellen und dem Kapitalismus die gesellschaftliche Alternative einer sozialistischen Demokratie entgegenstellen. Verbal wurde das teilweise anerkannt, doch die Beschlüsse sprechen eine andere Sprache und was praktisch davon umgesetzt wird, ist wiederum eine andere Frage. Der Parteivorsitzende Martin Schirdewan hat in seiner Eingangsrede behauptet, dass dort wo Die Linke mitregiert, sich die Verhältnisse zum Besseren wenden. Entsprechend wurde dem linken Ministerpräsident Bodo Ramelow beim Parteitag eine Bühne geboten und seine Wiederwahl zum Ministerpräsidenten durch die Landtagswahl in Thüringen 2024 zum Ziel der Partei erklärt. Warum aber in Thüringen, die AfD bei Umfragen derzeit bei 34 Prozent liegt und Die Linke verliert, wurde nicht beantwortet. Ein Delegierter aus Bremen, der auch zum Kandidat der Partei bei den Europawahlen nominiert wurde, hat auf die Frage nach der Schließung des Krankenhauses Links der Weser durch eine linke Gesundheitssenatorin erklärt, in Bremen gebe es zu viele Krankenhäuser und die Schließung wäre eine pragmatische Lösung. Die Belegschaft des Krankenhauses, der Betriebsrat und 10.000 Einwohner*innen Bremens, die gegen die Schließung unterschrieben haben, sehen das anders. Diese Politik in Regierungsbeteiligung ist jene, die das Bild der Partei in der Arbeiter*innenklasse prägt und nicht Reden auf einem Parteitag.

Neueintritte

Seit dem Austritt von zehn Bundestagsabgeordneten, die dem Wagenknecht-Lager zugehören, gab es in der Partei bisher mehr Eintritte als Austritte. Viele Mitglieder wollen weiter in der Partei kämpfen, weil sie richtigerweise verstehen, dass eine linke Partei dringend gebraucht wird. Klar ist aber, dass die Fortsetzung eines prinzipienlosen Blocks linker Strömungen mit den Parteirechten den rechten Flügel stärkt und Streiks, Demonstrationen und sozialen Kämpfe nicht genutzt werden, Die Linke als antikapitalistische und sozialistische Kraft zu verankern und aufzubauen. Wenn dann die Linke weitere Wahlniederlagen kassiert, wird die Enttäuschung zunehmen und sich die Tendenz von Mitgliederverlusten und der Zusammenbruch von Strukturen fortsetzen. Um das zu verhindern, kämpfen Sol-Mitglieder wo immer möglich für eine kämpferische und sozialistische Ausrichtung der Linken.

1Antragsheft 3, S83-88 https://www.die-linke.de/fileadmin/user_upload/Antragsheft_3_neu.pdf

2Antragsheft 3, Antrag L.01.2625.1

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