Städtische Beschäftigte kämpfen für Stuttgart-Zulage

Montag war kein Arbeitstag, Montag war Streiktag“

Am 13. November streikten in Stuttgart über 2500 städtische Beschäftigte in Verwaltungen, Kitas, bei der Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS), städtischen Schwimmbädern. Forderungen waren Altersteilzeit und eine „Stuttgart-Zulage“ von 470,57 Euro. Um die tausend Kolleginnen und Kollegen, darunter 250 Streikende im Einzelhandel versammelten sich zu einer Streikkundgebung auf dem Marktplatz.

Von Wolfram Klein, Sol Stuttgart und ver.di-Mitglied

Zur Zeit finden in Stuttgart die Haushaltsberatungen für den Doppelhaushalt 2024-25 statt. Die finanzielle Lage der Stadt ist wahrscheinlich seit langer Zeit die bester aller Großstädte. Derzeit ist die Stadt schuldenfrei. Die Gewerbesteuereinnahmen sind in 2023 um zwanzig Prozent gestiegen und haben erstmals die Marke von einer Milliarde Euro gerissen. Es gibt jedoch auch eine enorme Umverteilung von unten nach oben. Gespart wird bei der öffentlichen Infrastruktur und beim Personal zugunsten der Finanzierung von zerstörerischen Großprojekten wie Stuttgart 21, an denen sich Banken und Baukonzern bereichern.

ver.di (bzw. ihre Quellgewerkschaft ÖTV) fordern schon seit 1988 eine „Stuttgart-Zulage“ für kommunale Beschäftigte. Angesichts der teuren Mieten und allgemein hohen Preise in Stuttgart reichen die Gehälter für kommunale Beschäftigte hinten und vorne nicht. Die Personalnot in den Kindergärten und in den Ämtern wird immer dramatischer. Beim Jugendamt sind derzeit 300 Erzieher*innenstellen nicht besetzt. Die Öffnungszeiten von Kitas werden eingeschränkt. 3000 Kitaplätze fehlen. Unterträglich lange Warteschlangen vor der Ausländerbehörde, lange Schlangen vor der KfZ-Zulassungsstelle in den letzten Monaten, sowie die derzeitige komplette Schließung von sechs Bürgerbüros ist das Ergebnis des Personalmangels aufgrund von Unterbezahlung und schlechter Arbeitsbedingungen. Die einzige Antwort der Stadt bislang: eine teuere aufwendige Werbekampagne zur Personalgewinnung unter dem Slogan „Stuttgart von Beruf”. Weil das offensichtlich nicht die erhoffte Wirkung zeigt und der Unmut unter den Beschäftigten und auch unter Eltern und allen Nutzer*innen der kommunalen Dienstleistungen immer größer wird, will die Stadt nun eine Zulage von lächerlichen 150 Euro im Monat in den neuen Haushalt einstellen, die aber mit anderen Zulagen verrechnet werden soll, so dass für viele Beschäftigte nur wenig übrig bleibt.

Berechtigte Forderungen

ver.di fordert stattdessen eine Zulage von 470,57 Euro… um diesen Betrag hatte der Gemeinderat am 16. März den Bürgermeister*innen die Aufwandsentschädigung erhöht (auf 823,49 im Monat). Der Werbeslogan der Stadt Stuttgart wurde dabei geschickt verfremdet in „Stuttgart von Beruf – muss Mensch sich leisten können. Stuttgart-Zulage & Altersteilzeit sind das Mindeste”. Im Gemeinderat bekommt ver.di für die Forderung nach einer tarifierten Großstadtzulage über 470,57 Euro nur von der linken Frakionsgemeinschaft Unterstützung. Sie hatte bereits vor Wochen einen entsprechenden Antrag zu den Haushaltsberatungen eingebracht.

Zugleich fordert ver.di auf Landesebene Tarifverhandlungen über eine flexible Altersteilzeit auf Landesbezirksebene. Die Regelung auf Bundesebene war bei den bundesweiten Tarifverhandlungen nicht verlängert worden. Die kommunalen Arbeitgeber stellen es so dar, dass man sich darauf geeinigt habe, die Regelung auslaufen zu lassen. ver.di sagt, dass die Verhandlungen in dieser Frage auf Bundesebene gescheitert sind und fordert deshalb eine Regelung auf Landesebene.

Um Druck für Verhandlungen über diese Frage zu machen, rief ver.di Stuttgart jetzt die Beschäftigten der städtischen Ämter, Verwaltungen und Eigenbetriebe zum Streik auf. Um gleichzeitig Druck bei der Stuttgart-Zulage zu machen, wählte ver.di den Tag der ersten Lesung des Haushalts als Termin und rief zur Kundgebung auf dem Marktplatz vor dem Rathaus auf. Die Stadt Stuttgart ging gegen den Streik vor Gericht. Am Freitag (10. November) lehnte das Arbeitsgericht Stuttgart eine einstweilige Verfügung gegen den Streik ab. Damit war der Streik möglich, die Mobilisierung aber durch das Hin und Her während der Vorbereitung erschwert.

Um acht Uhr morgens begann die Streikgelderfassung auf dem Marktplatz. Kurz danach zogen die Streikenden ins Rathaus vor den Sitzungssaal, wo die Kolleg*innen die Gemeinderät*innen lautstark über ihre Forderungen informierten. ver.di berichtete, dass die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) ihre Sitzung vom Freitag extra um einen Tag verlängert hatte, um das Stuttgarter Urteil abzuwarten. Am Samstag hätten sie aber nicht entschieden, ihre Landes-Mitgliedsverbände zur Aufnahme von Tarifverhandlungen zu ermächtigen, aber „wegzuschauen“, wenn Kommunen Haustarifverträge abschließen. Zu Recht forderte ver.di jetzt die Stadt Stuttgart auf, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.

Gleichzeitig fordert ver.di, die „Stuttgart-Zulage“ auch über einen Tarifvertrag zu regeln und nicht durch einen bloßen Gemeinderatsbeschluss, den der Gemeinderat jeder Zeit wieder auslaufen lassen oder ändern kann. Im Juni 2024 sind in Stuttgart Kommunalwahlen. Die Zeit ist günstig, um eine Großstadtzulage und eine Altersteilzeitregelung zu erkämpfen. ver.di hat für die zweite Lesung des Haushalts am 4. Dezember einen weiteren Streiktermin angekündigt. Der Druck könnte enorm erhöhte werden, wenn alle Gewerkschaften und auch DIE LINKE für diesen Termin alle Gewerkschaftsmitglieder, die von dem Erzieherinnenmangel betroffenen Eltern und die ganze von Personalnotstand betroffene Bevölkerung aufruft an dieser Kundgebung teilzunehmen und die Landesbeschäftigten, die Beschäftigten im Einzelhandel gleichzeitig streiken. Aber wie geht es weiter, sofern der Haushalt ohne eine Zulage in befriedigender Höhe verabschiedet ist? Dann wird sich die Stadt darauf berufen, dass jetzt der Haushalt beschlossen und kein Geld für eine höhere Zulage da ist. Wenn aber eine Zulage tarifvertraglich geregelt wird, dann muss das Geld dazu eben her. Und wenn es im Haushalt nicht da ist, müssen sich die Gemeinderät*innen eben auf den Hosenboden setzen und einen Nachtragshaushalt beschließen. Er wäre ja nicht der erste.

ver.di Stuttgart argumentiert zu Recht, dass der VKA jetzt schon bei Großstadt- und Ballungsraumzulagen „wegschaue“ und bei einer tarifvertraglichen Regelung in Stuttgart „wegschauen“ werde.

Steilvorlage für eine Ausweitung des Kampfs

Tatsächlich ist die „Wegschau“-Entscheidung der VKA eine Steilvorlage für ver.di bundesweit. Jetzt sollte die Gewerkschaft in möglichst vielen Kommunen Tarifverträge zu Altersteilzeit fordern … und auch zu Großstadt- oder Ballungsraumzulagen, denn schließlich nutzt eine Altersteilzeit den Kolleg*innen nichts, wenn sie ihren Job wechseln, weil sie bei der Stadt zu wenig verdienen. Dabei wäre es natürlich sinnvoll, Streiktermine bundesweit zu koordinieren und Streiks auch mit anderen Tarifrunden zu verbinden, im Handel, bei den Landesbeschäftigten, im Nahverkehr etc.

Zum heutigen Streiktag waren auch Beschäftigte im Handel aufgerufen, etwa 250 von ihnen nahmen am Streik teil. Auf der Kundgebung redete auch eine Kollegin von Kaufland Bad Cannstatt und berichtete von ihrem Streik. Etwas schade war, dass nicht von Anfang an auf die Teilnahme der Kolleg*innen vom Handel hingewiesen wurde. Angesichts des schlechten Wetters nahmen viele Kolleg*innen nicht die ganze Zeit an der Kundgebung teil, so dass sie davon nichts mitbekommen haben.

Während der Kundgebung gab es in den verschiedenen Redebeiträgen interessante Informationen, die zeigten, wie wichtig die gewerkschaftlichen Forderungen sind. So berichtete ein Kollege von der Abfallwirtschaft Stuttgart, dass die Stadt Müllwagen zumieten muss, weil sie zu wenig Personal hat, um ihre eigenen defekten Müllwagen zu reparieren. Statt so viel Gehalt zu bezahlen, um ihre offenen Stellen zu besetzen, bezahlt die Stadt also lieber Miete für Müllwagen! Welch ein Wahnsinn! Zwei Vertreterinnen der „Kitastrophe“, einer Initiative von Eltern und Fachpersonal, die sich gegen den Personalmangel in den Kitas engagiert, solidarisierten sich in einem Beitrag mit den Streikforderungen von ver.di.

Eine Kollegin vom Amt für öffentliche Ordnung berichtete vom Personalmangel auf den Ämtern, unter dem die Bevölkerung durch lange Warteschlangen, beschränkte Öffnungszeiten leidet. Seit Wochen erleben wir eine Hetzkampagne durch Medien und Politik, dass die Kommunen durch Zuwanderung überlastet seien. Die Redebeiträge auf der Kundgebung zeigten deutlich, dass bessere Bezahlung , die eine Besetzung von offenen Stellen ermöglicht, die Lage für die Bevölkerung entspannen und der Hetze den Wind aus den Segeln nehmen würde. Es wäre gut, wenn ver.di diesen Zusammenhang deutlich benennen würde.

Einen weiteren Redebeitrag hielt eine Kollegin des städtischen Klinikums, das zum Streik nicht aufgerufen war. Es wäre gut, auch diese Kolleg*innen in den Kampf mit einzubeziehen.

Hanna Binder, die stellvertretende Landesbezirksleiterin von ver.di berichtete unter anderem, dass bei den Tarifverhandlungen der Landesbeschäftigten die Landesarbeitgeber gegen die ver.di-Forderung einer Stadtstaaten-Zulage argumentieren, dass für eine Zulage in Städten wie Stuttgart mehr Grund bestehe als in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen.

Zwischen den Redebeiträgen gab es einen Demozug „rund ums Rathaus“. Die Stimmung war gut und im Lauf des Vormittags wurde auch das Wetter etwas besser.

Wofür Geld da ist …

Wenn die Stadt Stuttgart behauptet, sie habe kein Geld für die Erfüllung der ver.di-Forderungen, so hat sie Geld für sinnlose Großprojekte. Nicht nur wird Stuttgart 21 immer weiter gebaut, obwohl sich alle Warnungen der Kritiker*innen bestätigen und die Projektbeteiligten einschließlich der Stadt Stuttgart um die Verteilung der explodierenden Kosten streiten. Als neues Großprojekt droht jetzt der Abriss und Neubau der Schleyerhalle. Bis jetzt heißt es, die Kosten würden bis zu 400 Millionen Euro betragen. Eine Verdoppelung oder Verdreifachung der Kosten ist bei solchen Projekten so gut wie sicher – Geld, das zum Beispiel für die städtischen Beschäftigten, soziale oder ökologische Belange sinnvoll ausgegeben wäre. Außerdem ist das Projekt in Zeiten des Klimawandels ökologisch unverantwortlich: Stahl und Beton sind wichtige Verursacher von CO2-Emissionen. Und das alles nur, um im Konkurrenz„krieg“ der Städte mit einer größeren Halle „aufzurüsten“. Aus diesen und anderen Gründen engagiert sich der LINKE-Ortsverband Stuttgart-Bad Cannstatt-Mühlhausen-Münster, in dem Mitglieder der Sol eine führende Rolle spielen, seit Monaten gegen die Abriss-Neubau-Pläne (und fordert stattdessen eine Umbenennung der Halle). Auch beim Warnstreik verteilten wir Flugblätter zum Thema, die auf viel Zuspruch trafen. Der Ortsverband wird vor der Bezirksbeiratssitzung am 22.11. eine Protestaktion machen, denn hier steht das Thema Abriss-Neubau Schleyerhalle auf der Tagesordnung.

Auf unsere Anregung hin hatte DIE LINKE Stuttgart für den Streiktag am 13.11. ein Flugblatt verfasst, in dem sie ihre Unterstützung der ver.di-Forderungen erklärte und die an der Streikversammlung Beteiligten darüber informierte, dass die linke Fraktionsgemeinschaft zum dritten mal in Folge bei Haushaltsberatungen eine Großstadtzulage fordert und für den Doppelhaushalt 2024/2025 eine tarifierte Zulage in Höhe von 470,57 Euro ohne Verrechnung mit anderen Zulagen beantragt hat. Bis zum nächsten Streiktag am 4.12. sollte im Kreisverband und auch beim kommenden Kreisparteitag diskutiert werden, wie DIE LINKE eine noch größere Rolle spielen kann den Kampf der städtischen und aller anderen in Tarifauseinandersetzung stehenden Beschäftigten unterstützen kann und dabei als kämpferische sozialistische Kraft Profil und Unterstützung gewinnen kann.

Insgesamt unterstützten vier Sol-Mitglieder den Streik, verteilten Linke-Flyer und boten die Zeitung „Solidarität” an.

Laut ver.di waren an diesem Tag 115 Kitas vollständig und viele weitere teilweise geschlossen und wurde fast kein Müll in Stuttgart abgeholt – ein guter Auftakt für weitere Streiks.

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