Kurswechsel in der IG Metall dringend nötig
Nach der dritten Verhandlungsrunde in der nordwestdeutschen Stahlindustrie gibt es ein Ergebnis. Wie ist dieses zu bewerten?
Von Torsten Sting, ver.di-Mitglied, Rostock
Dies war keine „normale“ Tarifrunde in der Stahlindustrie. Sie war insofern etwas besonderes, da es nicht „nur“ um höhere Löhne ging. Es war seit längerer Zeit das erste Mal, dass die IG Metall, im Zuge einer branchenweiten Tarifbewegung, die Frage der kollektiven Arbeitszeitverkürzung wieder aufgegriffen hat. Satte 28 Jahre nach Einführung der 35-Stunden-Woche in der metallverarbeitenden Industrie.
Schlechter Abschluss
Wenn man sich das gesamte Ergebnis anschaut und die immer noch vorhandene Stärke der IGM in diesem Industriebereich berücksichtigt, ist das Ergebnis eine einzige Enttäuschung.
Für das Jahr 2024 gibt es keine Erhöhung der tariflichen Entgelte, stattdessen im Januar die erste Hälfte der insgesamt 3000 Euro Inflationsausgleichsprämie (IAP). Von Februar bis November dann die zweite Hälfte, jeweils als monatliche Rate.
Erst ab Januar 2025 gibt es 5,5 Prozent mehr Lohn. Der Tarifvertrag hat wieder eine lange Laufzeit, bis zum 30. September 2025.
Vor dem Hintergrund der Reallohnverluste in den vergangenen Jahren, der (unabhängig von der offiziell sinkenden, durchschnittlichen Inflation) anhaltend hohen Preissteigerung bei den zentralen Dinge des Lebens und der Tatsache, dass durch die Beschlüsse der Bundesregierung neue Preissteigerungen drohen, ist das Ergebnis viel zu wenig.
Beim zweiten großen Thema, der Arbeitszeitverkürzung, ist die IGM mit dem Versuch gescheitert eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung für alle durchzusetzen.
„Bei Druck auf die Beschäftigung im Zuge der Transformation können die Betriebsparteien – ausgehend von der Regelarbeitszeit von 35 Stunden – die Arbeitszeit um drei Stunden absenken.“ So schreibt es die IG Metall auf ihrer Website. Dies geschieht dann allerdings nur mit einem Teillohnausgleich und muss zudem vom Betriebsrat ausgehandelt werden. Dieser befindet sich jedoch in einer schwächeren Position als die Gewerkschaft, da er nicht zum Streik aufrufen darf.
Die Beschäftigten können auch individuell die Arbeitszeit auf bis zu 33,6 Stunden in der Woche verkürzen. Sofern, „betriebliche Belange“ dem nicht entgegenstehen. Diese Formulierung wird dazu führen, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen bei ihrer Personalabteilung eine Abfuhr einhandeln werden, weil die Regelung nicht verbindlich ist. Und auch hier gibt es keinen vollen Lohnausgleich.
Zudem gibt es die Möglichkeit für die Unternehmen, bei guter Auftragslage und mit Zustimmung des Betriebsrates die Arbeitszeit um maximal drei Stunden zu erhöhen. Das anvisierte Ziel der Verkürzung auf 32 Stunden Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und dem „Einstieg“ in die Vier-Tage-Woche wurde weit verfehlt.
Damit wurde eine wichtige Chance verpasst, das Thema kollektive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich zum Erfolg zu führen und infolgedessen ein positives Beispiel für andere Gewerkschaften zu setzen. Bei der Tarifrunde der Deutschen Bahn, kämpft die GdL um die 35-Stunden-Woche. Hier sollte gewerkschaftsübergreifend Solidarität organisiert werden, wenn es im neuen Jahr wieder zu Streiks kommt. Ansonsten gilt es bei den nächsten Tarifrunden, dass Thema offensiv einzufordern.
Kampfbereitschaft
Angesichts der Tatsache, dass die Tarifrunde erst angelaufen war und es noch nicht einmal einen 24-Stunden-Streik wie bei den letzten Tarifrunden in der Metallverarbeitung gab, ist es bezeichnend, dass die IGM-Spitze schon den Abschluss gesucht hat. Etwa ein Viertel der 80.000 Beschäftigten des Tarifgebietes hatte sich an den Warnstreiks beteiligt. Schaut man sich die Reaktionen auf der Facebook-Seite der Gewerkschaft an, gehen diese eindeutig in Richtung klarer Kritik. Ein Kollege schreibt: „Wir haben noch nicht mal richtig angefangen zu streiken und ihr lasst euch so schnell einschüchtern.“
Gegengewicht zur Führung nötig
Dieses schlechte Ergebnis ist kein Zufall. Die IGM-Führung ist einer pro-kapitalistischen und auf „Sozialpartnerschaft“ ausgelegten Politik verpflichtet. Die deutsche Stahlindustrie ist zweifellos einem scharfen, internationalen Wettbewerb und dem Druck der „Transformation“ (Umstellung auf eine Produktion die deutlich weniger CO2 ausstößt) ausgesetzt. Doch es kann nicht die Aufgabe einer Gewerkschaft sein, sich den Kopf der Kapitalist*innen zu zerbrechen. Sie ist dazu da die Interessen der Beschäftigten durchzusetzen.
Statt Unterstützung für staatliche Hilfen (über eine Milliarde Euro stehen im Raum) und einen (wieder mit unseren Steuergeldern) subventionierten Industriestrompreis braucht es einen klaren Kurswechsel. Die IGM hat sich in ihrer Satzung, die „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“ zum Ziel gesetzt. Es ist an der Zeit, diesen Worten endlich Taten folgen zu lassen und den Kampf für dieses Ziel aufzunehmen. Das bedarf jedoch einer Veränderung der Gewerkschaft selbst hin zu einer kämpferischen und demokratischen Interessenvertretung und weg von Standortlogik und Sozialpartnerschaft. Dafür ist es nötig, dass sich kritische Kolleginnen und Kollegen, jetzt zusammenschließen. Mit der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), gibt es dafür einen Ansatzpunkt.