Vierwöchige Protestwelle der Bäuer*innen 

Foto: Z6ehswhha5HGRTd CC-by-sa 4.0

Es geht um mehr als um Kfz- und Dieselsteuer – Sozialistische Vorschläge für die Protestbewegung und die Landwirtschaft

Nach der Ankündigung der Ampel-Regierung für landwirtschaftliche Fahrzeuge die Kfz-Steuer einzuführen und die Dieselsteuer zu erhöhen, gab es vier Wochen lang täglich irgendwo Proteste und Aktionen von aufgebrachten Bäuer*innen und am Ende eine Großdemonstration in Berlin. Wie lange die Teilzugeständnisse der Ampelregierung und das Versprechen noch vor der Sommerpause ein Konzept für Verbesserungen für die landwirtschaftlichen Betriebe zu verabschieden die Proteste abflauen lässt, steht in den Sternen. Denn die Krise in der Landwirtschaft wird sich mit der Krise des Kapitalismus weiter verschärfen. 

von Ursel Beck, Stuttgart

In vielen Städten wurde mit tausenden von Traktoren im Dezember und Januar zeitweise der Verkehr lahmgelegt. Weil sie nur 50 kmh in der Stunde fahren, dürfen Traktoren nicht auf die Autobahn. Dieses Fahrverbot wurde vielfach ignoriert. Autobahnzufahrten und sogar Autobahnabschnitte wurden blockiert. In einigen Gegenden gab es auch Blockaden von Lagern und Logistikzentren von Supermarktketten.  Laut Angaben des Bauernverbands kamen 6.000 Traktoren und 30.000 Menschen zur Großdemo am 15.1. nach Berlin. An diese Demo und bereits zuvor bei lokalen Demos hatten sich auch Transportunternehmer*innen und Handwerker*innen beteiligt um gegen hohe Energiepreise und den CO2-Aufschlag auf die Mautgebühren zu demonstrieren. Wie seit Jahren gibt es anlässlich der Landwirtschaftsausstellung  „Grüne Woche“ in Berlin eine Demo unter dem Motto „Wir haben es satt“. Ein Bündnis von umwelt- und ökologisch orientierten Bauern mobilisiert am  20.1. für eine gentechnikfreie, bäuerliche und umweltverträgliche Landwirtschaft  und protestiert dabei hoffentlich auch offensiv  gegen AfD, Verschwörungsideologen und Neonazis, die die Bäuer*innen für ihre Zwecke instrumentalisieren und ihren Einfluß weiter ausbauen wollen. 

Steuererhöhung

Entgegen der ständigen Beteuerungen der Ampelregierung, dass es keine Steuererhöhungen geben wird, sollen für die Bauern die Steuern erhöht werden. Die Einführung der KfZ-Steuer wurde aufgrund der Proteste schnell zurückgenommen. Die Erhöhung der Dieselsteuer soll nicht sofort, sondern schrittweise bis 2026 erfolgen. Es ist Etikettenschwindel wenn hier von Wegfall von „klimaschädlichen Subventionen“ gesprochen wird. Für Bäuer*innen  gibt es  bei Traktoren  keine Alternative zum Diesel. Gerade die Biobbäuer*innen trifft die Einführung der Dieselsteuer besonders, weil sie wegen der mechanischen Unkrautbekämpfung öfters über ihre Äcker fahren müssen. Die Argumentation mit klimaschädlichen Subventionen nützt nur der AfD, Rechtsextremen und Klimaleugner*innen, die den Widerstand gegen die Steuererhöhungen zu einem Kampf gegen Klimaschutz erklären. 

Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte

Für die Bäuer*innen war die Kfz–und Dieselsteuer der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Um insgesamt eine Milliarde würden die derzeit 256.000 Betriebe zusätzlich belastet. Weil dieser Angriff alle Bäuer*innen traf, gab es von der Großbäuer*in über den Vollerwerbs bis zur Nebenerwerbs- und Hobbybäuer*in eine seltene Einigkeit. Bei den Demonstrationen wurde jedoch deutlich, dass es um die gesamten Rahmenbedingungen und um Planungssicherheit für die Landwirtschaft geht. Und hier gehen die Interessen der verschiedenen sozialen Schichten und Betriebszweige der Landwirt*innen weit auseinander. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass bislang keine weiteren konkreten Forderungen gestellt werden. Das ermöglicht es rechten Kräften den Unmut immer mehr in Richtung Sturz der Ampelregierung und Neuwahlen zu kanalisieren mit dem Ziel die AfD zu stärken. Nach Neuwahlen könnte die CDU/CSU  in die Regierung kommen und wieder den Agrarminister stellen. Die Politik der CDU in der Vergangenheit ist aber genauso wie die Ampel verantwortlich für eine Politik gegen die bäuerlichen Familienbetriebe, die die Bäuer*innen auf die Straße bringt. Längst ist bekannt, dass im Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestages auch die Oppositionsparteien CDU und AfD der Aufhebung der Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge zugestimmt haben. Erst seit die Bäuer*innen dagegen auf die Straße gehen, gibt es von den Regierungs- und Oppositionsparteien Absetzbewegungen von diesem Beschluß. 

Struktur landwirtschaftlicher Betriebe

Landwirt*innen sind eine sehr heterogene Gruppe. Es gibt industriell mit Angestellten und (Saison)Arbeitern betriebene kapitalistische Großbetriebe, die von Großbauern oder Agrargesellschaften geführt werden und oft mit miesen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten hohe Gewinne einstreichen. 5% der größten Höfe bewirtschaften 40% der landwirtschaftlichen Flächen.  Es gibt bäuerliche Vollerwerbsbetriebe, die den Betrieb ganz oder hauptsächlich mit Familienarbeitskräften betreiben. Es gibt Nebenerwerbsbäuer*innen, die weniger als die Hälfte ihres Einkommens aus der Landwirtschaft beziehen. Der Großteil ihres Einkommens kommt aus Lohnarbeit oder einer weiteren Selbstständigentätigkeit. Bei den Betriebsgrößen und Einkommen gibt es ein starkes Nord-Süd und Ost-Westgefälle. In Mecklenburg-Vorpommern sind die Einkommen am höchsten, in Baden Württemberg am niedrigsten. 

Familienbetriebe kämpfen ums Überleben 

Das Gros der Betriebe sind bäuerliche Vollerwerbsbetriebe. Sie kämpfen um ihre Existenz. Betriebe sind schnell überschuldet, wenn die Erzeugerpreise einbrechen und die Zinsen und Tilgungen auf Kredite für Investitionen nicht mehr bedient werden können. Das macht Angst. Bauern und Bäuerinnen sind oft körperlich und seelisch über die Schmerzgrenze belastet. Eine 80-Stundenwoche und Arbeit am Wochenende führen dazu, dass Familienarbeitskräfte umgerechnet oft weniger in der Stunde verdienen als den gesetzlichen Mindestlohn. Steigende Zinsen, steigende Preise für Boden, Pacht, Betriebsmittel, Reparaturen und Energie vergrößern die Schere zwischen Kosten und Erzeugerpreisen. Die Vorgaben der Agrarpolitik für die Bauern ändern sich ständig, sind oft nur Symbolpolitik oder befinden sich im Schwebezustand. Die Agrarpolitik von EU, Bundes- und Landesregierungen ist ein bürokratisches Monster, mit dem sich die Bauern ständig neu auseinandersetzen müssen. Auch von den Energiegesetzen sind die Bauern betroffen. Im ersten Entwurf von Habecks Heizungsgesetz im Frühjahr 2023 war vorgesehen, das Heizen mit Brennholz zu verbieten. Nicht aus Rücksicht auf die Landbevölkerung, sondern wegen der Profitinteressen der Pelletindustrie erfolgte eine 180 Grad-Wende. Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland haben für die Bäuer*innen nicht nur die Energie- sondern auch die Düngerpreise in die Höhe getrieben. Die vorübergehend höheren Getreidepreise haben diese erhöhten Kosten nur zeitweise ausgeglichen. Die Sol ist gegen die Wirtschaftssanktionen und gegen das Energieembargo gegen Russland, weil es nur die arbeitende Bevölkerung trifft und kein Mittel ist, den Krieg um die Ukraine zu beenden. Die weltweite Krise des Kapitalismus, Kriege und Klimakatastrophe machen die Verhältnisse für die Landwirtschaft immer unberechenbarer. Das Mercosur-Freihandelsabkommen der EU mit Lateinamerika ist ein Bedrohungsszenario für die europäische Landwirtschaft, das Klima und die Verbraucher. Es bedient nur die Profitinteressen der europäischen Industriekonzerne. Eine aktuelle Prognose der DZ-Bank geht davon, dass von den heute 256.000 Betrieben im Jahr 2040 weniger als die Hälfte, nämlich 100.000 übrig sind. Das Fazit der DZ-Bank: „Der bäuerliche Familienbetrieb steht zunehmend vor dem Aus“. 

Spekulation mit landwirtschaftlichen Flächen 

Seit der der Finanzmarktkrise 2007/08 legen die Reichen und Superreichen ihr Geld mehr und mehr in Immobilien und landwirtschaftlichen Flächen an. Branchenfremde Investoren kaufen tausende von Hektar zu Preisen, die keine ortsansässige Landwirt*in bezahlen kann. Das betrifft vor allem Ostdeutschland. Aber nicht nur. Lag der Kaufpreis für landwirtschaftliche Flächen 2005 noch bei 8.692 je Hektar, waren es 2018 bereits 25.485. Ein Plus von 193%. Tendenz steigend. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom Dezember 2021 gehören fast 60% der Agrarflächen in Deutschland Nichtlandwirt*innen und privaten Investor*innen. Zu den Investoren in landwirtschaftliche Flächen gehören Konzerne wie VONOVIA, Rückversicherung Munich oder Aldi. Allein die Stiftung von Aldi-Nord hat in Ostdeutschland in den letzten Jahren vier Betriebe mit 8.000 ha für 24 Millionen Euro gekauft. Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Wenn ein Hof oder eine landwirtschaftliche Flächen verkauft wird, muss die Gemeinde das Vorkaufsrecht haben und darf das Land nicht weiterverkaufen. Die Flächen oder Höfe können durch bei der Gemeinde angestellte Beschäftigte bewirtschaftet oder an ortsansässige Bäuer*innen  günstig verpachtet werden. Anstatt bereits versiegelte Dach- und andere Flächen für Fotovoltaik vorzuschreiben, hat die Ampelregierung den Bau von riesigen Solarparks auf landwirtschaftlichen Flächen erlaubt. Dafür kaufen Energiekonzerne und private Investoren Äcker und Wiesen auf. Die großen Solarparks werden zu  Treibern der Boden- und Pachtpreise und heizen den Konkurrenzkampf um landwirtschaftliche Flächen an. Energiekonzerne und private Investor*innen bezahlen für Solarparks pro Hektar bis zu 3.500 Euro Pacht im Jahr. Das Zehnfache, von dem was ein landwirtschaflicher Betrieb für die Nutzung bezahlen kann. Auch der Flächenfraß für immer neue Gewerbegebiete, neue Autobahnen und Straßen nimmt der Landwirtschaft Flächen weg. Wer Flächen nicht freiwillig verkauft, wird enteignet. Jeden Tag gehen in Deutschland 55 Hektar durch Überbauung verloren. Die Klimakatastrophe und die damit zusammenhängenden Extremwetter machen die Landwirtschaft unsicherer und stellen sie vor extreme Herausforderungen. Die riesigen Überschwemmungen in Niedersachsen zum Jahresende 2023 haben das erneut deutlich gemacht.

Lebensmittelkonzerne diktieren Erzeugerpreise 

Eine jüngst veröffentlichte Studie des Landwirtschaftsministeriums Baden Württemberg belegt, dass die Verbraucherpreise in den letzten zehn Jahren stark gestiegen sind, der Erlös der bei den Bäuer*innen  ankommt hingegen kaum. Der Anteil der Einnahmen der Bäuer*innen an einem Brötchen liegt bei weniger als fünf Prozent des Verkaufserlöses. Den Bäuer*innen werden die Preise von den Lebensmittelkonzernen diktiert. Aldi, Rewe und Edeka und die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) beherrschen 85 Prozent des Lebensmittelmarktes. Und diese Konzerne waren es, die ihre Gewinne während der Corona-Pandemie und danach extrem erhöht haben. Laut einem Bericht von Oxfam haben 95 Energie- und Lebensmittelkonzerne 2022 ihre Gewinne verdoppelt. Laut einer im Juli 2023 veröffentlichten Untersuchung von Allianz Trade sind mehr als ein Drittel der Preiserhöhungen der Lebensmittelketten durch „übermäßige Gewinnmitnahmen“ zu erklären und nicht durch gestiegene Rohstoff- und Erzeugerpreise. Das zeigt: Es gibt eine Profit-Preis-Spirale, die die Bauern genauso trifft wie die Lohnabhängigen. Konventionell wirtschaftende  Bauern erhielten in 2023 einen Erzeugerpreis für einen Liter Milch von 45 Cent. Im Supermarkt kostete der Liter Milch 1,09 Euro. Deshalb ist es richtig, dass bei den Protesten die Lager und Logistikzentren der Lebensmittelkonzerne, wie bereits bei Protesten 2020, blockiert wurden. Allerdings gibt es keine Informationen darüber, ob diese jüngsten Blockaden wie 2020 mit der Forderung nach höheren Erzeugerpreisen verbunden wurden. Bei den jüngsten Bäuer*innenprotesten hat Landwirtschaftsminister Cem Özdemir erneut „auskömmliche Erzeugerpreise“ versprochen. Eine Nachfrage der Presse bei Lidl und Kaufland zum Thema Erzeugerpreise ergab, dass die Lebensmittelkonzerne nicht bereit sind offen zu legen, wie sie ihre Preise kalkulieren. Sie sollten gesetzlich dazu gezwungen werden. Es ist von zentraler Bedeutung sowohl für die Beschäftigten im Einzelhandel, als auch für die Erzeuger*innen  und die privaten Verbraucher*innen, dass diese Konzerne in Gemeineigentum überführt und demokratisch verwaltet und kontrolliert werden. Durch Reduzierung der Gewinne im Einzelhandel und bei den Lebensmittelkonzernen können die Erzeugerpreise erhöht, die Löhne der Beschäftigten bei Aldi, Lidl und Co. erhöht   und die Ladenpreise gesenkt werden. 

Agrarsubventionen

Die von EU, Bundes- und Landesregierungen bezahlten Subventionen an die Landwirtschaft betragen in Deutschland derzeit jährlich 8,5 Milliarden Euro. Das sind zehn Prozent der jährlichen Rüstungsausgaben. Fast fünf Milliarden Subventionen kommen von der EU und sind zu achtzig Prozent Flächensubventionen. Jeder Hektar landwirtschaftlich bewirtschafteter Fläche wird derzeit mit um die 300 Euro pro Hektar im Jahr subventioniert. Das bedeutet, dass die größten Betriebe am meisten profitieren. Während der durchschnittliche landwirtschaftliche Betrieb in Deutschland um die siebzig Hektar groß ist, bewirtschaften Holdings und private Investoren 5000, 10.000 oder 20.000 Hektar und erhalten eine entsprechend hohe Förderung. Die oberen zehn Prozent der größten landwirtschaftlichen Betriebe bekamen im Zeitraum von 2014 bis 2019 58 Prozent der EU-Fördergelder, in Ostdeutschland waren es sogar 73 Prozent (Quelle MDR DATA). Aber auch Agrarkonzerne wie Südzucker greifen hohe Subventionen ab und maximieren damit ihre Gewinne. Die Subventionierung des Agrarsektors mit der Gießkanne muss zugunsten einer Umverteilung von oben nach unten abgeschafft werden. Kleinere und mittlere Landwirtschaftsbetriebe müssen auf der Grundlage nachgewiesenen Bedarfs für ein existenzsicherndes und ausreichendes Einkommen, für ihre Leistung bei der Nahrungsmittelproduktion und dem Erhalt und der Pflege der Kulturlandschaft bezuschusst werden. Kleinere konventionell arbeitende Betriebe müssen ausreichend finanzielle Anreize zur Umstellung der Produktion auf eine ökologische Wirtschaftsweise haben. Wenn Maßnahmen wie vier Prozent verordnete Flächenstilllegung überhaupt sinnvoll sind, dann muss es dafür einen ausreichenden finanziellen Ausgleich für die Ertragsverluste der kleineren Betriebe geben. Darüber hinaus ist es sinnvoll, Maschinenringe und andere Einrichtungen des gemeinschaftlichen Nutzens und der Kooperation zu fördern. Wichtig wäre eine staatliche Unterstützung beim Know-how und der Finanzierung einer dörflichen dezentralen erneuerbaren Energieversorgung. Die Gemeinde Feldheim in Brandenburg ist ein Beispiel, wie in Dörfern mit örtlichen Ressourcen und örtlichem Know How eine dezentrale erneuerbare Energieversorgung aufgebaut wird. Der Strompreis liegt hier konstant bei 12 Cent/kwh. Durch eine solche günstige Energieversorgung können für alle Dorfbewohner*innen die Energiepreise und die Produktionskosten für Bäuer*innen, Bäcker*innen und andere Handwerker*innen drastisch reduziert werden. Auf einem Transparent bei den Bauernprotesten war zu lesen: „Sie säen nicht, sie ernten nicht, aber sie wissen alles besser“. Dahinter steckt die berechtigte Kritik, dass Politiker*innen und Behörden über die Köpfe der Bäuer*innen hinweg Entscheidungen treffen, die nicht nachvollziehbar und oft auch nicht sinnvoll oder sogar kontraproduktiv sind. Deshalb ist es wichtig, dass Landwirt*innen und auch die abhängig Beschäftigten in der Landwirtschaft als Expert*innen der landwirtschaftlichen Produktion ernst genommen und in die notwendigen agrarpolitische Debatten und Entscheidungen für eine umwelt- , tier- und verbraucherfreundliche Landwirtschaft einbezogen werden. 

Das Geld bei den Reichen und bei der Reduzierung der Militärausgaben holen 

„Nicht nur beim Schach wird der Bauer zuerst geopfert, damit die Großen noch größere Sprünge machen“. Ein Plakat mit dieser Aufschrift bei den Bauernprotesten bringt es auf den Punkt. Während die Bäuer*innen und die gesamte arbeitende Bevölkerung zur Kasse gebeten wird, während bei Gesundheit und Sozialem gekürzt wird, werden die Industriebetriebe durch Steuererleichterungen und die Subventionierung des Strompreises um 19 Milliarden Euro im Jahr entlastet. Die Militärhilfe für die Ukraine zur Fortführung des mörderischen Krieges wird von der Ampelregierung 2024 um vier auf acht Milliarden erhöht. Der Etat für die Bundeswehr wird um 17 Milliarden auf 85,5 Milliarden erhöht. Damit ist der Rüstungsetat zehnmal höher als die gesamten jährlichen Subventionen  für die deutsche Landwirtschaft. Neben den Rüstungsausgaben können hunderte von Milliarden Euro durch den Stopp des Baus von neuen Autobahnen und unsinnigen zerstörerischen Großprojekten wie Stuttgart 21, Stromautobahnen für die Energiekonzerne usw. gekürzt werden. Eine aktuelle Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass 4300 sehr reiche Haushalte in Deutschland ein Vermögen von 1,4 Billionen Euro haben. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Der Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz und die Aldi-Eigentümer-Familien Albrecht hatten 2023 ein Vermögen von 84,4 Milliarden Euro. Nur 1,2 Prozent Vermögenssteuer würde die Milliarde Mehrbelastung für die Bäuer*innen gegenfinanzieren. Deshalb muss endlich eine Vermögenssteuer für die Vermögensmilliardäre eingeführt und die legale und illegale Steuerhinterziehung der Superreichen gestoppt werden. Würde man bei den 4300 Mehrfachmilliardär*innen zehn Prozent  ihrer 1,4 Billionen Euro Vermögen durch eine Vermögenssteuer abschöpfen, hätte der Staat 140 Milliarden Euro für gesellschaftlich sinnvolle und notwendige Investitionen zur Verfügung. Allein sechzig Milliarden Euro mehr Steuern könnten die Finanzämter einnehmen, wenn sie die Steueroasen trocken legen würden, in denen Reiche und Konzerne ihre Gewinne unversteuert verstecken. Auch Großgrundbesitzer*innen sind unter diesen Reichen und Superreichen. Dazu gehört an erster Stelle die Familie Thurn und Taxis. Mit 32.000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche und 20.000 Hektar Wald ist sie der größte Grundbesitzer in Deutschland. Dazu kommen mehrere Schlösser. Das größte davon ist Schloss Emmeram mit 500 Zimmern. Gloria von Thurn und Taxis behauptet dennoch, sie gehöre nur zum Mittelstand und profiliert sich als rechtsextreme Verschwörungsideologin. Die DGB-Jugend der Oberpfalz hat bereits 2022 zurecht die Enteignung des Fürstenhauses gefordert. Gewinne und Vermögen von Großbäuer*innen und Agrargesellschaften müssen mit einer progressiven Steuer belegt werden. 

Ampel schröpft arbeitende Bevölkerung 

Kleinere und mittlere Bäuer*innen und große Teile der Mittelschichten leiden wie die Arbeiter*innenklasse an den erhöhten CO2- und anderen Abgaben sowie an den Kürzungen der Ampel im Gesundheitswesen und der damit verbundenen Schließung von Krankenhäusern, den Kürzungen bei der Rente, beim Bafög, beim Bevölkerungs- und Katastrophenschutz, bei Maßnahmen gegen sexuellen Kindesmissbrauch, Suchtprävention und den anderen Kürzungen. 

Alle gemeinsam gegen  Ampelregierung und Konzerne

Es ist dringend notwendig, dass die Gewerkschaften die Kampfkraft ihrer Mitglieder in die Waagschale werfen gegen die Kürzungen und Abgabenerhöhungen der Ampelregierung. Dabei sollte auch gefordert werden, dass die Dieselsteuererhöhung für die Bäuer*innen zurückgenommen wird und  die Subventionen für die Landwirtschaft von den großen zu den kleineren Betrieben umverteilt werden. Eine Abgabe auf die Verbraucherpreise, um eine ökologische und tiergerechte Wirtschaftsweise in der Landwirtschaft zu finanzieren, muss von den Gewerkschaften und der Partei Die Linke abgelehnt und  bekämpft werden. Wichtig ist auch für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für die in der Landwirtschaft fest und saisonal angestellten Arbeiter*innen zu kämpfen. Mit einer solchen Programmatik könnten die Gewerkschaften die kleinen und mittleren Bäuer*innen für einen gemeinsamen Kampf gewinnen und dem Bauernverband die Kontrolle über diese Schichten entziehen. Dabei muss auch klare Kante gezeigt werden gegen alle rechtspopulistischen und rechtsextremen Kräfte. Aufgabe der Partei Die Linke ist es, Teil einer solchen Bewegung zu sein und dabei antikapitalistische Erklärungen und Forderungen einzubringen. 

Bei den Bauernprotesten wird auf Plakaten und in Reden immer wieder die Forderung nach fairen Preisen erhoben. Aber in einer kapitalistischen Wirtschaft, in der der Markt Preisschwankungen bestimmt und in der vor- und nachgelagerten Industrie der Landwirtschaft monopolartige Machtstrukturen herrschen, kann es für die kleineren und mittleren Bauern keine Preise geben, die die Produktionskosten und ein ausreichendes Einkommen decken. Auf der Grundlage des Kapitalismus gibt es keine dauerhafte Lösung für die Existenzsicherung der arbeitenden Bevölkerung in Stadt und Land. Deshalb muss der Kampf  verbunden werden mit der Abschaffung kapitalistischer Verhältnisse und dem Aufbau einer sozialistischen Demokratie. Denn nur wenn die Banken und Konzerne, die heute  Wirtschaft und Landwirtschaft bestimmen, in öffentliches Eigentum überführt werden und demokratisch von gewählten Vertreter*innen der Beschäftigten, Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen sowie von Vertreter*innen der bäuerlichen Betriebe und abhängig Beschäftigten in der Landwirtschaft verwaltet und kontrolliert werden, kann es eine Gesellschaft geben in der die  Interessen von Mensch, Natur, Klima und Tieren nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden, sondern im Einklang miteinander Fortschritt für alle bedeutet. Auf der Grundlage von Gemeineigentum an den marktbeherrschenden Unternehmen und einer demokratisch geplanten Wirtschaft kann die Bereicherung der Aktionär*innen auf Kosten von abhängig Beschäftigten und Bäuer*innen abgeschafft, der kapitalistische Konkurrenzkampf durch Kooperation unter den Bäuer*innen und zwischen Industrie- und Landwirtschaft beseitigt werden. Das Höfesterben, die Massentierhaltung, das Ausrotten von Insekten durch Pestizide, die Überdüngung der Böden und der Raubbau an der Natur kann dann gestoppt werden. Wenn Banken verstaatlicht sind, können überschuldete Bäuer*innen entschuldet werden, ohne sie zu ruinieren. Landwirtschaftlichen Betrieben können billige oder sogar kostenlose Kredite gegeben werden. Alle in der Landwirtschaft Tätigen werden gute Arbeitsbedingungen, gute Löhne, gute Renten, eine gute Gesundheitsversorgung und gute soziale Bedingungen erhalten. 

CDU verliert Unterstützung bei den Bauern 

Die Mehrheit der Bauern in Westdeutschland war in der Vergangenheit eine verlässliche Stütze für die CDU/CSU. Zunehmend wurde jedoch die Krise der Landwirtschaft und der Gesellschaft mit der Politik der jahrzehntelang regierenden Christdemokraten und ihrer Agrarminister verbunden. Das hat zu einer Abkehr der Bäuer*innen  von der CDU/CSU geführt, ohne dass eine andere Partei in der Lage war, eine neue Bindung herzustellen. Wie in fast allen Wähler*innenschichten wurden auch die Bäuer*innen  von Stammwähler*innen zu Wechselwähler*innen. Laut Wahlanalysen haben bei der Bundestagswahl 2013 noch 74 Prozent der Bäuer*innen CDU/CSU gewählt. 2021 waren es nur noch 45 Prozent. Mit acht Prozent Stimmenanteil für die AfD, haben die Bauern 2021 noch unterdurchschnittlich rechtsextrem gewählt. Von der Abwanderung der CDU profitierte die FDP mit 14 Prozent Stimmenanteil unter den Bäuer*innen. Die Steuererhöhungen sowie die  Arroganz und der Zynismus, mit der FDP-Minister Christian Lindner auf die Proteste der Bäuer*innen reagiert, dürfte dazu führen, dass die FDP bei den nächsten Wahlen die Wähler*innen wieder verliert, die sie bei der letzten Wahl dazu gewonnen hat. Bäuer*innen mit einer ökologischen Ausrichtung ihres Betriebes hatten vorübergehend Hoffnungen in die Grünen, zumal sie höhere Erzeugerpreise versprachen. Diese Hoffnungen wurden enttäuscht. Das Heizungsgesetz hat weiteren Unmut gegen die Grünen geschürt. Das hat zu einer politischen Orientierungslosigkeit geführt, in der die Partei Die Linke gefragt war. Die Linkspartei hat sich jedoch an die kapitalistischen Verhältnisse angepasst. In Bremen und Thüringen regiert sie zusammen mit SPD und Grünen und betreibt hier Politik gegen die arbeitende Bevölkerung. Deshalb verwandelt sie den Unmut gegen die  bürgerlichen Parteien nicht in eine wirksame außerparlamentarische und parlamentarische linke Opposition. In Thüringen ist Bodo Ramelow Ministerpräsident und die Linke-Politikerin Susanne Karawanskij Agrarministerin. Bei Wahlumfragen liegt die AfD in Thüringen Anfang 2024 bei fast 37 Prozent. Sie füllt das entstandene Vakuum. In Bayern sind das die Freien Wähler, die in kurzer Zeit zur Regierungspartei geworden sind. In Ostdeutschland und weniger stark in Westdeutschland konnten Verschwörungsideologen, AfD und andere rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte aufgrund der Enttäuschung an Boden gewinnen. Bereits bei den Bauernprotesten 2021 und verstärkt bei den aktuellen Protesten kommt diese Polarisierung am rechten Rand unter anderem durch Pflug- und Schwertfahnen zum Ausdruck. Damit wird ein Bezug zum völkisch nationalistischen und antisemitischen „Landvolk“ der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts hergestellt. Stuttgarter Behörden und Polizei haben auf Nachfrage der Presse erklärt, dass sie bei den Bauernprotesten rechtsextreme Symbole gesehen hätten, würden sie jedoch als „nichts Verbotenes“ betrachten. Dadurch können sich diese Kräfte nur ermutigt fühlen. Das Gleiche gilt für die Geflüchtetenfrage. Wenn die Ampelregierung inzwischen die menschenfeindliche Abschottungspolitik betreibt, die die AfD schon lange fordert, führt das nur zu einer weiteren Radikalisierung nach rechts. Das Geheimtreffen im November zur „Remigration“, sprich die geplanten Zwangsdeportation von Milliionen Menschen nach Afrika, ist Ausdruck davon. Rechtsextreme nutzen die Bäuer*innenproteste ganz gezielt um die Bäuer*innen zu instrumentalisieren. Dabei verschweigt die AfD bewusst, dass in ihrem Programm die Abschaffung aller Subventionen für die Landwirtschaft steht. Je nach Ort und Region nimmt die Rolle der Rechtspopulisten und Rechtsextremen unterschiedliche Ausmaße an. Vor allem die sozialen Medien werden von den Rechtsextremen professionell für ein Trommelfeuer an falschen Informationen, Hetze gegen Geflüchtete, Antisemitismus und Umsturzfantasien genutzt. In Dresden hatte ein Funktionär der rechtsextremen Freien Sachsen im Schatten der Bauernproteste für den 8. Januar zu einer Demo mit dem Motto „Tag des Widerstands“ aufgerufen und konnte 10.000 mobilisieren. Es war allerdings eher das übliche Pegida-Spektrum. Neu hinzugekommen waren Handwerker*innen und wenige Bäuer*innen. Wenn der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft, Reiner Wendt, davon spricht, dass es keine gezielten Versuche der Unterwanderung der Bauernproteste durch Rechtsextreme gibt, dann bestätigt das, dass er selber ein Rechtsextremer ist und er seinen Kollegen im Dienst sagen will, dass sie nicht so genau hinschauen müssen. 

Rechtspopulismus von links bekämpfen 

In Anbetracht der derzeitigen politischen Gemengelage wird sich der Unmut  bei den nächsten Wahlen in einem beträchtlichen Stimmenzuwachs für die AfD ausdrücken. Hier drängen sich Parallelen zu den Niederlanden auf. Dem  Wahlsieg von Geert Wilders gingen heftige Bauernproteste gegen die vorherige Regierung voraus. AfD, Neonazis, Verschwörungsideolog*innen, Rassist*innen und Klimaleugner*innen können nur durch links gestoppt werden. Nötig ist eine Massenmobilisierung von Gewerkschaften, der Partei Die Linke, Sozialverbänden, Antikriegsbündnissen und Bäuer*innen gegen alle Angriffe und für eine staatliche Umverteilung von oben nach unten. Regionale Großdemonstrationen und eine bundesweite Großdemonstrationen wären ein erster Schritt für eine Kampagne gegen die Angriffe der Regierung und für Verbesserungen für die Masse der Bevölkerung. Bei den Bäuer*innenprotesten in den 70er Jahren und auch noch beim erfolgreichen Kampf der Bäuer*innen und der ländlichen Bevölkerung gegen die Daimler-Teststrecke in Boxberg wurde mit der Bundschuh-Fahne einen Bezug zum revolutionären Bauernkrieg vor 500 Jahren hergestellt. Im Kampf um das Stahlwerk  in Duisburg-Rheinhausen 1986/87 wurden kämpfende Stahlarbeiter*innen aktiv von Bäuer*innen unterstützt. Beim regionalen Generalstreik im Dezember 1987 im Ruhrgebiet haben sie mit ihren Traktoren geholfen, die Rheinbrücken zu blockieren. Diese Tradition des Kampfes zwischen Arbeiter*innen und Bäuer*innen gilt es wieder aufzugreifen. Das wäre das beste Mittel im Kampf gegen Rechtspopulisten und Neonazis. 

Bauernorganisationen

Die mit Abstand größte Bauernorganisation ist der Deutsche Bauernverband. Er gibt seine Mitgliederzahl mit 300.000 an. Die Politik des Bauernverbandes bestimmen Großbäuer*innen mit CDU-Parteibuch, wie der Bundesvorsitzende Joachim Rukwied. Er besitzt 340 Hektar Ackerland und 22 Hektar Weinberge. Bei Weinbergen gelten fünf Hektar bereits als ausreichend für einen Vollerwerbsbetrieb. Über hochdotierte Aufsichtsratsposten wie z.B. bei Südzucker ist Rukwied mit den Agrarindustriellen verfilzt. Für seine Aufsichtsratsposten bekam er im Jahr 2020 laut Monitor 167.000 Euro. Während jede arme Bürgergeldempfänger*innen ihre Verhältnisse offen legen muss, bevor sie einen Euro staatliche Gelder vom JobCenter bekommt, werden Rukwied Steuergelder hinterhergeworfen. Allein im Jahr 2022 erhielt er 100.000 Euro Subventionen aus den Agrarfördertöpfen. Gleichzeitig hält er die Erhöhung des Mindestlohns auf 12,41 Euro zum 1. Januar 2024 für die in der Landwirtschaft beschäftigten (Saison-)ArbeiterInnen für „unzumutbar“. Rukwied und Co. machen zusammen mit der CDU Politik für Großbauern, private Investoren und das Agrarbusiness. Sie stehen für Massentierhaltung, die Überdüngung der Böden, den Einsatz von Pestiziden einschließlich dem  weiteren Einsatz des Ackergifts Glyphosat. Aus Opposition zu dieser Ausrichtung des Bauernverbands hat sich 1980 die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) gegründet. Sie organisiert besonders die ökologisch ausgerichteten bäuerlichen Familienbetriebe und gehört zu den Mitorganisatoren der jährlichen „Wir-haben-es-satt“-Demo in Berlin. Bei den Bauernprotesten sind sie zu erkennen mit dem Plakat „Landwirtschaft ist bunt nicht braun“.1998 fühlten sich viele Milchviehhalter nicht mehr vom Bauernverband vertreten und gründeten den Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) mit dem Ziel der Erkämpfung höherer Milchpreise . Am rechten Rand der Bauernschaft entstanden in den letzten Jahren die Freien Bauern und die Organisationen „Landwirtschaft verbindet Deutschland“ (LSV)  LSV  bezeichnet sich als eine „Bewegung von deutschen Landwirtinnen und Landwirten deren Existenz und Betriebe durch die Politik gefährdet sind“. Dem Verein wird eine Verbindung zur AfD und anderen Rechtsextremen nachgesagt, die er immer wieder leugnet. Es ist nicht zu erwarten, dass sich aus der Bauernschaft eine antikapitalistische und sozialistische Strömung oder Organisation entwickelt. Es ist Aufgabe einer linken Partei ein sozialistisches Programm für den Agrarsektor zu entwickeln und dafür Überzeugungsarbeit unter den kleineren und mittleren Bäuer*innen  zu leisten. 

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