Gewerkschaften: Wie weiter im Kampf gegen Rassismus und die AfD?

Verbindung mit Kampagne gegen Krisenfolgen nötig

Ausgehend von den Massendemonstrationen gegen die AfD und Rassismus hat auch in den Gewerkschaften das Thema Einzug gehalten, wie die Gewerkschaften diesen Kampf führen können. DGB und Einzelgewerkschaften rufen zur Teilnahme an den Protesten gegen die AfD auf. Außerdem hat das Bündnis „Köln stellt sich quer“ (KSSQ) aus antirassistischen Initiativen, Gewerkschaften, Kirchen und Parteien wie SPD und Grünen zu einer 15-minütigen Arbeitsniederlegung am 21. März aufgerufen. Zudem wird in gewerkschaftlichen Zusammenhängen diskutiert, wie man den Zulauf zur AfD auch in den Betrieben stoppen kann. Diese Diskussion ist in der Tat wichtig.

Denn schon bei den Bundestagswahlen 2021 haben Gewerkschaftsmitglieder und Arbeiter*innen überdurchschnittlich stark AfD gewählt.Viele andere stellen sich angesichts dessen die Frage, wie der Kampf gegen die AfD, deren Einflussnahme und gegen rassistische Vorurteile erfolgreich geführt werden kann. Dabei ist wichtig, sowohl zu diskutieren, was praktisch getan werden kann, als auch mit welchen politischen Inhalten dies geschehen sollte. Dies wird entscheidend sein, damit nicht noch mehr Kolleg*innen in die Arme der AfD getrieben werden, aber auch, um diejenigen zurückzugewinnen, die sie wählen wollen.

von Angelika Teweleit, Sol-Bundesleitung

Dass massenhaft Menschen gegen die AfD und Rassismus auf die Straße gehen, ist gut. Es hat viele ermutigt und aufgezeigt, dass die AfD-Gegner*innen in der Mehrheit sind. Aber die politische Ausrichtung der Demonstrationen und auch der Aufrufe der Gewerkschaften sind nicht dazu geeignet, den Einfluss der AfD so zurückzudrängen, wie es nötig ist. Da die Regierenden versuchen die Proteste zu vereinnahmen, besteht sogar die Gefahr, dass sich der Rückhalt der AfD verfestigt. Die Gewerkschaften haben eine sehr wichtige Aufgabe im Kampf gegen rechts. Doch mit moralisierenden Appellen, die nur den Rassismus der AfD zurückweisen, nicht aber die sozialen und politischen Probleme ansprechen, die die AfD stark machen, ist es nicht getan.

Es ist nötig, den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus mit dem Kampf gegen seinen sozialen Nährboden zu verbinden. Die AfD profiliert sich als radikale Opposition zur Politik der etablierten Parteien. Dass es aber Unmut über diese Politik gibt, ist berechtigt logisch.

Viele Kolleg*innen fragen sich, was sie sich noch leisten können, nachdem das monatliche Gehalt bereits für alle möglichen Rechnungen und Lebensmittel ausgegeben wurde. Gleichzeitig ist die Arbeitsbelastung enorm angestiegen. Gesellschaftliche Krisen und Kriege haben in den letzten Jahren zugenommen und die AfD spielt mit den Abstiegs- und Zukunftsängsten, die daraus resultieren. Diese Entwicklung haben aber die pro-kapitalistischen Parteien zu verantworten. Mit dem jetzigen Kürzungshaushalt der Ampelregierung kommen weitere Einschränkungen auf die Masse der arbeitenden Bevölkerung zu – sei es durch weiter steigende Energie- und Spritkosten, für die es keinen Ausgleich gibt, Einsparungen beim Schienenverkehr mit Auswirkungen auf den Fern- und Nahverkehr, Kürzungen bei den Kommunen (wodurch es zu Schließungen von Freizeiteinrichtungen u.ä. kommt), Schließungen von Krankenhäusern und mehr. Eigentlich wären Milliarden nötig, um die Bereiche Gesundheit, Bildung, Soziales, Personennahverkehr und Klimaschutz auszubauen. Stattdessen kommt es zu weiteren Einsparungen.

Dabei werden dann – von der AfD, aber auch von Vertreter*innen von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP – Geflüchtete zum Sündenbock für soziale Missstände gemacht, um von den eigentlichen Ursachen abzulenken: der Politik der prokapitalistischen Parteien und einer profitorientierten Wirtschaft im Kapitalismus, in der einige wenige Reiche selbst in den Krisen immer reicher werden, während die Masse der arbeitenden Bevölkerung die Krisenlasten tragen muss.

Gemeinsam mit denjenigen, die für diese Misere Verantwortung tragen und sie verschlimmern, nämlich den Unternehmerverbänden und Regierenden, kann man keinen wirksamen Kampf gegen Rassismus und Rechts organisierenweil sie selbst die Ursachen für den Aufstieg der AfD zu verantworten haben und weil sie selbst rassistische Politik betreiben.

Wenn der DGB-Vorstand eine gemeinsame Erklärung mit dem Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)* abgibt, in der es heißt, dass die jahrzehntelang bestehende Sozialpartnerschaft einen „fairen und sozialen Ausgleich“ geschaffen habe und den Wohlstand sichern konnte, geht das an der Realität vorbei. Was ist fair daran, dass die Reallöhne sinken, während die Vermögen der oberen ein Prozent weiter steigen? Was ist sozial daran, dass die Masse der arbeitenden Bevölkerung steigende Kosten für Energie, Wohnen und Lebensmittel zahlen müssen, während Großaktionär*innen von Energie- und Immobilienkonzernen sowie Supermarktketten davon profitieren?

Kurswechsel nötig

Die Gewerkschaftsführungen müssen sich deutlich gegen die Kapitalverbände und diese Regierung stellen, die den Lebensstandard der Masse der arbeitenden Bevölkerung mit ihrer Politik absenkt. Sie müssten deutlich sagen, dass sie die „Sozialpartnerschaft“, in der die Konzerne ihre Gewinne steigern und die Arbeitenden in die Röhre gucken, nicht länger mitmachen. Gleichzeitig müssten sie den berechtigten Unmut aufgreifen, ohne auf klare antirassistische Positionen zu verzichten. Mit klaren Forderungen müssten sie gegen die AfD und gegen eine Politik, die die AfD stark macht, auftreten. Das beste Mittel im Kampf gegen Rassismus und die AfD ist der gemeinsame Kampf von Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten für ihre gemeinsamen Interessen, also für auskömmliche Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, günstigen Wohnraum, Investitionen in Bildung, Gesundheit und Soziales – unabhängig von ihrer Herkunft oder Hautfarbe. Die Gewerkschaften haben die Aufgabe, diesen Kampf zu organisieren und migrantische Kolleg*innen dabei bewusst einzubeziehen.

#15 vor 12

Der Aufruf zu einer 15-minütigen Arbeitsniederlegung gegen die AfD und gegen Rassismus, wie ihn das „Köln stellt sich quer“-Bündnis formuliert hat, ist positiv. Er macht deutlich, dass der Kampf gegen die AfD in Betriebe und Gewerkschaften getragen werden muss und eröffnet die Diskussion über die Möglichkeit eines politischen Streiks.

Ein solcher Streik sollte sich aber auch gegen die sozialen Ursachen des Aufstiegs der AfD richten, ansonsten besteht die Gefahr, dass es bei einer reinen Symbolaktion bleibt, der sich auch gefahrlos Unternehmer*innen und Regierende anschließen können. Ein solcher Aufruf müsste mit einer Aufklärungs- und Vorbereitungskampagne in den Betrieben einher gehen, um auch die AfD-Wähler*innen unter den Kolleg*innen und Gewerkschaftsmitgliedern zu erreichen. Und: 15 Minuten wären in dem Fall zu wenig, um die Zeit tatsächlich für Debatten in den Betrieben zu nutzen und um deutlich zu machen, dass die Gewerkschaften bereit sind, sich auch mit dem Kapital anzulegen.

Wir treten in den Gewerkschaften dafür ein, den Kölner Aufruf zum Ausgangspunkt zu nehmen, eine solche bundesweite Arbeitsniederlegung mit möglichst weitgehender politischer Ausrichtung durchzusetzen.

Und es ist nötig zu warnen: Wenn solch ein Aufruf gemeinsam mit Arbeitgeberverbänden und Regierungsparteien erfolgt und wieder bei einem rein moralischen Appell stehen bleibt, hat das den Charakter einer von oben angeordneten Aktion. Kolleg*innen, die zur Zeit aus falschen Gründen mit der AfD sympathisieren, würden dadurch noch mehr in ihre Arme getrieben.

Denn ein großer Teil der Kolleg*innen, die momentan äußern, dass sie die AfD wählen, tun dies aus einer Proteststimmung heraus, und weil sie das Gefühl haben, dass keine andere politische Kraft sich um ihre Belange kümmert. Das zeigt, wie groß die Verwirrung ist und dass eine Perspektive fehlt. Natürlich müssen die Gewerkschaften über die arbeiter*innen- und gewerkschaftsfeindliche Politik der AfD aufklären. Gleichzeitig muss aufgezeigt werden, wie man sich gemeinsam gegen die Verschlechterungen wehren kann. Das wäre der beste Weg, um rassistischen Vorurteilen entgegen zu wirken und sie schließlich zu verdrängen.

Dass die AfD so stark werden konnte, ist Ausdruck der Krise des Kapitalismus und des Legitimationsverlustes der etablierten Parteien – und dass es keine linke Partei der Arbeiter*innenklasse gibt, welche zu diesen Kräften eine kämpferische und glaubwürdige Alternative formuliert und das in der Praxis auch umsetzt. Wer will, dass die AfD wieder klein wird, kommt nicht darum herum in den Gewerkschaften die Frage zu diskutieren, wie eine wirkliche Arbeiter*innenpartei entstehen kann.

Gewerkschaftliche Kampagne

Unmittelbar sollten Versammlungen in Betrieben organisiert werden, um darüber zu diskutieren, wie man gemeinsam gegen die AfD, die drohenden Kürzungen und den sinkenden Lebensstandard mobilisieren kann. Das beste Mittel dagegen ist gemeinsamer Klassenkampf. Aktuelle Tarifrunden, wo Kolleg*innen von Bussen und Bahnen, im Einzelhandel, bei der Bahn, an den Flughäfen, auf den Baustellen und anderen ohnehin im Arbeitskampf stehen, können außerdem als Startpunkt für gemeinsame Streikkundgebungen genutzt werden. Dies würde die Idee verstärken, dass die Beschäftigten aus allen Bereichen für ihre gemeinsame Interessen zusammen auf die Straße gehen können und sich weitere anschließen sollten. Damit könnte man auch die Diskussion über die nächsten Schritte einleiten und konkretisieren.

Forderungen

Natürlich wäre es nötig, dass die Gewerkschaften diese Mobilisierungen auch mit klaren, politischen Forderungen verbinden. Da wäre zunächst die Forderung nach Rücknahme der jetzigen Kürzungsbeschlüsse, nach einem drastischen Ausbau von Fern- und Nahverkehr, des Gesundheitswesens, der Bildung und des Sozialbereichs, einer automatischen Anpassung von Löhnen und Sozialleistungen an die Preissteigerungen. Geld ist genug da – es muss bei den Reichen geholt werden. Daher sollten die Gewerkschaften eine Milliardärsabgabe und eine massive Besteuerung von Vermögen der Super-Reichen und Konzernprofiten fordern. Außerdem sollten sie fordern, dass die massive Aufrüstung der Bundeswehr rückgängig gemacht wird und die Schuldenbremse abgeschafft wird.

Arbeitsplatzerhalt

Außerdem wäre es nötig, angesichts zunehmender Entlassungs- und Schließungspläne von Unternehmen einen konsequenten Kampf für den Erhalt aller Arbeitsplätze zu organisieren. Auch hier muss dringend der Spaltungspropaganda von rechts eine kämpferische Gewerkschaftspolitik entgegen gesetzt werden. Andernfalls gibt es wiederum die Gefahr, dass Rechte ihre Propaganda von „deutschen Arbeitsplätzen für Deutsche“ in die Betriebe tragen. Es sind natürlich nicht die migrantischen Kolleg*innen, die für Entlassungen oder Betriebsschließungen verantwortlich sind, sondern die Bosse.

Statt Sozialpläne zu verhandeln, geht es darum Arbeitsplatzabbau und Betriebsschließungen tatsächlich zu verhindern. Dazu müssen die Gewerkschaften auch die Forderung nach Gemeineigentum wieder auf die Tagesordnung setzen – sei es bei Ford im Saarland oder bei Karstadt. So könnten – unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung – Arbeitsplätze gesichert und wo nötig eine Umstellung auf klimafreundliche Produktion stattfinden, ohne dass Kolleg*innen ihre Einkommen verlieren oder Verzicht üben müssen. Im Gegenteil, auf Grundlage von Gemeineigentum an den Produktionsmitteln und demokratischer Kontrolle und Verwaltung können Arbeitszeiten bei vollem Lohn- und Personalausgleich reduziert und Arbeitsbedingungen verbessert werden.

Politischer Streik

Viele Diskussionen in Betrieben und Gewerkschaften, aber auch konkrete Erfahrungen von gemeinsamen Streikkundgebungen – wären wichtige Voraussetzungen, um auf einen verallgemeinerten Widerstand gegen Kürzungspolitik und Krisenfolgen bis hin zu politischem Streik zu kommen.

Natürlich wird das Argument entgegen gehalten, dass ein politischer Streik in Deutschland nicht legal sei und deshalb unmöglich. Erstens stimmt das nicht. Das Streikrecht ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt und alle „Verbote“ politischer Streiks basieren auf Richterrecht und nicht Gesetzen. Viele Arbeitsrechtler*innen ziehen daher die Behauptung, politische Streiks seien „verboten“ in Zweifel und sehen in der deutschen Rechtssprechung sogar einen Widerspruch zu europäischem Recht. Doch unabhängig davon gilt: wenn sich die Arbeiter*innen in der Vergangenheit durch Fragen der Legalität hätten beeindrucken lassen, wäre es nicht zur Bildung von Gewerkschaften, dem Acht-Stundentag oder sogar dem allgemeinen Wahlrecht gekommen. Gerichte sollen im Kapitalismus die Interessen des Kapitals und letztlich ihr System schützen. Deshalb nimmt auch die Diskussion über weitere Einschränkungen des Streikrechts aktuell zu, weil es zu einer Zunahme von Streiks gegen die Folgen der Krisen kommt und die Herrschenden „soziale Explosionen“ fürchten. Gerade, wenn solche Angriffe gegen Gewerkschaften und Beschäftigte angedroht werden, ist es umso wichtiger, dagegen entschlossen vorzugehen. Appelle und Demonstrationen werden nicht ausreichen, wenn per Gesetz das Streikrecht eingeschränkt werden soll. Gerade dann wäre ein politischer Streik notwendig.

Kurswechsel in den Gewerkschaften herbeiführen

Die Aufgaben sind groß, aber auch die Chancen wachsen, in den Gewerkschaften für einen solchen kämpferischen Kurswechsel einzutreten. Denn seit letztem Jahr sehen wir eine Aktivierung von Kolleg*innen und vielfach waren Beschäftigte zum ersten Mal in ihrem Leben im Streik. Die Debatten über die Ausrichtung der Gewerkschaften und die Notwendigkeit des Aufkündigens der Sozialpartnerschaft haben zugenommen. Kämpferische Kolleg*innen sollten sich systematisch vernetzen und über Strategien des Kampfes diskutieren und diese koordiniert in ihre Betriebe und Gewerkschaften hineintragen. Dafür sind die „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ (VKG) und innerhalb von ver.di das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ Anfangspunkte.

Angesichts der wachsenden Unsicherheit im Kapitalismus und der Unfähigkeit der Herrschenden, nur eines der drängenden Probleme zu lösen, sollte auch über den Tellerand geschaut werden, und eine Diskussion über eine sozialistische Gesellschaftsalternative gestartet werden. Es kommt darauf an, Kolleg*innen für den Kampf um ein Programm zu gewinnen, mit denen sie ihre eigene Lage und die der gesamten arbeitenden Klasse verbessern können – jetzt und in der Zukunft. Auf einer solchen Grundlage kann eine Perspektive gemeinsamer Gegenwehr aufgezeigt werden, die auch das Gift des Rassismus und Nationalismus, wie sie von der AfD und anderen rechten Gruppen verbreitet werden, zurückdrängen können. Wer mit uns gemeinsam solche Perspektiven in die Bewegung tragen möchte, sollte sich der Sol anschließen.

*dgb.de Pressemitteilung vom 29. Januar 2023