Präsidentschaftswahlen in den USA: Biden oder Trump?

Interview mit Claire Bayler von der Independent Socialist Group (Unabhängige Sozialistische Gruppe) in den USA

Frage: Viele Menschen in Deutschland verstehen nicht, wie Trump trotz seiner vielen Gerichtsverfahren und seiner Politik so viel Unterstützung haben kann. Wie lässt sich das erklären?

Claire: Nach vier Jahren der Krise unter Biden ist die Gefahr eines Trump-Comebacks real. Aber die Mehrheit der Wähler*innen will weder das eine noch das andere, und fast die Hälfte der US-Wahlberechtigten geht nicht zur Wahl. 

Der Kapitalismus stützt sich auf Rechtspopulist*innen, wenn häufige Wirtschaftskrisen die Arbeiter*innen nach links oder sogar zu sozialistischen Ideen treiben. Sie versprechen bessere Lebensbedingungen, während sie in rassistischer Wweise Sündenböcke, Transphobie und andere Bigotterie einsetzen. 

Der Großteil der Kapitalist*innenklasse hält Trump für unzuverlässig. Biden tritt als „Verteidiger der Demokratie” auf und versucht, ein zunehmend diskreditiertes System zu rehabilitieren. Aber das Zweiparteiensystem im Interesse der Konzerne  ist eine falsche Wahl, bei der, als eine Art Protestwahl, immer und immer wieder eine Regierungspartei, die im Interesse der Konzerne handelt, gegen eine andere ausgetauscht wird. 

Die beiden Parteien repräsentieren Differenzen in der Kapitalist*innenklasse über die beste Umsetzung ihrer Interessen, haben aber einen überparteilichen Pakt zur Verteidigung von Kapitalismus und Imperialismus.

Frage: Wie sieht Bidens Bilanz aus?

Claire: Bidens Politik hilft der „Anti-Establishment“-Kandidatur Trumps. Biden unterstützt Israels mörderischen Krieg gegen den Palästinenser*innen. Er hat den Militärhaushalt um hundert Milliarden Dollar erhöht, dreieinhalb Mal so viele Menschen deportiert und fünfzig Prozent mehr Ölbohrungen genehmigt als Trump. Die Demokrat*innen haben das Abtreibungsrecht nicht auf Bundesebene festgeschrieben, als sie den Kongress unter der Biden- und Obama-Regierung kontrollierten.

Biden weigert sich, Wohlfahrtsmaßnahmen aus der Pandemie-Ära zu verlängern, wie zum Beispiel die Ausweitung der öffentlich unterstützten Krankenversicherung, das Moratorium für Zwangsräumungen, das Aussetzen von Studierendenkrediten. Der „arbeiter*innenfreundlichste Präsident der Geschichte” brauchte nur 72 Stunden, um den Eisenbahner*innen einen schrecklichen Tarifvertrag aufzuzwingen und Streiks zu verbieten.

Frage: Gibt es eine Aussicht auf unabhängige linke Kandidat*innen?

Claire: 63 Prozent der Amerikaner*innen wünschen sich eine dritte Partei. Der unabhängige Dan Osborn führt in Umfragen gegen die Senatorin von Nebraska und Republikanerin Deb Fisher. Osborns Bilanz als Gewerkschafts- und Streikführer ist der Schlüssel zu seinem derzeitigen Erfolg in einem „republikanischen“ Bundesstaat. Wir rufen dazu auf, dass andere seinem Beispiel folgen und dass seine Kampagne dazu beiträgt, eine Arbeiter*innenpartei zu organisieren. 

Die Linke, die Progressiven und die Arbeiter*innenbewegung sollten die stärksten unabhängigen linken Präsidentschafts-, lokalen und bundesstaatlichen Kandidaturen bestimmen, hinter denen sie sich vereinen können. Zu den Präsidentschaftskandidat*innen gehören Jill Stein (Grüne Partei) und Cornel West (unabhängig).

Frage: Was schlägt die ISG vor?

Claire: Die organisierte Arbeiter*innenbewegung kann den jahrzehntelangen Rückgang des Lebensstandards und der Macht der Gewerkschaften rückgängig machen, wenn sie ihre beträchtlichen Ressourcen für eine neue Partei einsetzt. Die Gewerkschaften könnten sofort unabhängige linke Kandidat*innen unterstützen und Mitglieder mit demokratisch beschlossenen Programmen aufstellen. 

Die United Auto Workers (UAW) haben eine Chance vertan, als sie im Januar entschieden haben, Biden zu unterstützen. Eine große Gewerkschaft – mit dem Schwung eines weithin unterstützten Streiks und der Rekordpopularität der Gewerkschaften – hätte unabhängige linke Kandidat*innen unterstützen und aufstellen und das Vertrauen in die Politik der Arbeiter*innenklasse stärken können. Die Gründung einer Arbeiter*innenpartei ist ein Schritt zum Aufbau des Vertrauens und der Organisationen der arbeitenden Menschen, um Kapitalismus durch Sozialismus zu ersetzen.

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