Attentat in der Slowakei und Unruhen in Georgien

Foto: Robert Fico (Wikimedia Commons)

Russland-Ukraine-Krieg verschärft die europäischen Spaltungslinien

Zwei Vorfälle aus den letzten Wochen – das Attentat auf den slowakischen Premierminister und die Massenproteste gegen das neue „Russische Gesetz“ der georgischen Regierung – verstärken die politischen Spannungen in beiden Ländern und sind bezeichnend für die zunehmende Spaltung in Europa.

Von Niall Mulholland, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI)

Der seit 27 Monaten anhaltende Krieg in der Ukraine, in dem Russland zuletzt militärische Gewinne erzielte, hat ethnische, nationale, politische und militärische Spannungen innerhalb und zwischen europäischen Staaten verschärft.

Das Attentat auf Premierminister Robert Fico schockierte nicht nur Slovak*innen, sondern ganz Europa – und das nur wenige Wochen vor den Wahlen zum Europäischen Parlament, bei denen mit deutlichem Stimmenzuwachs für die populistische und nationalistische Rechte gerechnet wird.

Unter anderem bezeichnete Dmitri Medwedew, der ehemalige Präsident Russlands, die geplante Ermordung von Robert Fico als neuen „Franz-Ferdinand-Moment“. Die Ermordung des österreichisch-ungarischen Erzherzhogs in Sarajewo im Jahr 1914 wird häufig als finaler Auslöser des Ersten Weltkriegs beschrieben. Der Vergleich ist zwar übertrieben – dennoch: Europa ist heute zweifellos politisch, wirtschaftlich und militärisch stärker polarisiert denn je; zwischen Russland und der Ukraine tobt ein Krieg immer größeren Ausmaßes, der von rivalisierenden globalen Mächten unterstützt wird, und bisher schon fast 500.000 Menschen ihr Leben gekostet hat. Nach dem Attentat auf Ficos Leben fragte sich die New York Times: „Wie weit gehen die Europäer*innen in diesem Krieg gegen sich selbst, während die extreme politische Polarisierung ihre Gesellschaften verfolgt?“

Der mutmaßliche Attentäter in der Slowakei, ein ehemaliger Kohlenbergwerk-Arbeiter, wurde zunächst als „Einsamer Wolf“ beschrieben, der häufig seine politischen Positionen gewechselt habe und zuletzt die Ukraine im Krieg gegen Russland unterstützt habe. Das slowakische Innenministerium revidierte diese Vermutung später, und gab an, dass der Täter möglicherweise nicht allein agiert habe. Unabhängig von den Motiven der Tat – sie weisen auf eine extrem polarisierte Gesellschaft hin.

Fico begann seine politische Laufbahn als Mitglied der Kommunistischen Partei vor dem Berliner Mauerfall, als die Slowakei zu der damaligen Tschechoslowakei gehörte. Als der Kapitalismus in der Tschechoslowakei und der Region wieder eingeführt wurde, wurden die privilegierten stalinistischen Bürokrat*innen zu kapitalistischen Oligarch*innen, die die staatliche Wirtschaft plünderten und sich in ungekanntem Ausmaß bereicherten, wohingegen sich der Lebensstandard der Masse der Bevölkerung dramatisch verschlechterte.

Unter Ficos Führung vertrat seine neue Partei „Richtung – Slowakische Sozialdemokratie“ (Smer) zunehmend rechte, nationalistische Positionen. Bei den Parlamentswahlen letztes Jahr fuhr Fico einen Kurs gegen die EU, gegen die Ukraine, gegen Einwanderung und gegen LGBTQ+-Rechte. Zwar ist Fico in der slowakischen Hauptstadt Bratislava einerseits mit einer starken Opposition konfrontiert, andererseits hat er dafür im deindustrialisierten und ärmeren ländlichen Raum breite Unterstützung. Wie die anderen rechten und populistischen nationalistischen Politiker*innen auf dem Kontinent spielt Fico auf zynische Weise mit den Ängsten der Leute: Immigrant*innen würden Arbeitsplätze und Wohnungen „wegnehmen“ und lokale Infrastruktur zerstören. (Schätzungsweise kamen 2022 circa 5,1 Millionen Immigrant*innen in die EU – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr).

Fico begann seine vierte Amtszeit als Premierminister im Oktober 2023. Seine Smer-Partei führt eine Dreierkoalition an. Er kritisierte die EU-Sankionen gegen Moskau und plädierte für eine „Verhandlungslösung“ im Ukraine-Krieg, wie sie Putin fordert. Wie auch sein Verbündeter Viktor Orbán, der populistische nationalistische Premierminister Ungarns, hat Fico Versuche unternommen, Medien, Rechtsinstitute und andere kritischen Organe zum Schweigen zu bringen. Er warf zum Beispiel dem Staatssender RTVS einen „liberalen Bias“ gegen seine Regierung und eine Pro-EU-Agenda vor.

Das Attentat auf Robert Fico hat die Spaltung des Landes weiter verstärkt – und der Innenminister verkündet: „Wir stehen an der Schwelle eines Bürgerkriegs“.

Georgien

Die Angst vor einer Ausbreitung ziviler Konflikte besteht auch in Georgien, wo die Regierungspartei „Georgischer Traum“ trotz monatelangen Massenprotesten, auf die die Polizei mit Gewalt reagierte, das „Agentengesetz“ absegnete. Dieses Gesetz verpflichtet Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Geld aus dem Ausland erhalten, sich bei der Regierung zu registrieren.

Gegner*innen des Gesetzes bezeichnen es abfällig als „Russisches Gesetz“, da es große Ähnlichkeiten mit einem von Putins Regierung verabschiedeten Gesetzes aufweist, das dem Kreml ein hartes Durchgreifen gegen Oppositionelle und NGOs ermöglicht. Es wird erwartet, dass die Präsidentin Georgiens ablehnen wird, das Gesetz zu unterschreiben, woraufhin es zur finalen Abstimmung zurück an die Regierung gegeben wird. Sollte das geschehen, hat Brüssel angekündigt, Georgiens Aufnahmeantrag für die EU einzufrieren.

Georgien liegt im Südkaukasus und war der erste Ex-Ostblock-Staat, in dem eine „Farbenrevolution“ im November 2003 begann. Proteste aufgrund von zweifelhaften Parlamentswahlen führten zum Rücktritt von Präsident Eduard Schewardnadse, ein ehemaliger Außenminister der Sowjetunion. Die pro-kapitalistische, pro-westliche Führung der Opposition verbesserte den Lebensstandard der verarmten Bevölkerung nicht. Der in den USA ausgebildete Politiker Micheil Saakaschwili gewann die Wahlen und wurde im Westen gefeiert, was die Spannungen zwischen Georgien und Putins Russland erhöhte. Seit einem kurzen Krieg mit Russland über die Abspaltung von Südossetien, dem Kaukasuskrieg 2008, besetzen russische Truppen etwa 20 Prozent georgischen Territoriums. Als Saakaschwilis Herrschaft repressiver und korrupt wurde, verlor er an Unterstützung. 2012 kam das Parteienbündnis „Georgischer Traum“ an die Macht, finanziert von Bidsina Iwanischwili, der im post-stalinistischen Russland Milliarden verdiente.

Die neue georgische Regierung versuchte, gute Beziehungen zu Russland aufzubauen, aber öffentlich an dem Vorhaben festzuhalten, EU und NATO beizutreten. In manchen Umfragen gab es bis zu achtzig Prozent Unterstützung für eine EU-Mitgliedschaft Georgiens – das ist nicht verwunderlich, da Arbeiter*innen niedrigen Löhnen und Armut zu entkommen hoffen. Gleichzeitig nutzt die Regierung der Partei „Georgischer Traum“ eine sozial-konservative Rhetorik, vor allem im ländlichen Raum, und verurteilt offen die „sozialen Werte“ der EU. Im Zuge ihrer nationalistischen Propaganda schreibt die georgische Regierung die Geschichte um, und baut mittlerweile auch Statuen Stalins, der in Georgien geboren wurde.

Letztes Jahr beugte sich die Regierung der Partei „Georgischer Traum“ den Straßenprotesten und der Kritik aus Brüssel an dem „Agentengesetz“ bzw. „Russischen Gesetz“. Allerdings scheint die Regierung jetzt alles daran zu setzen, die aktuelle Version des Gesetzes zu verabschieden, zumal im Oktober Wahlen anstehen.

Das Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) erklärte bei der Auflösung der Sowjetunion und anderer stalinistische Staaten in Osteuropa, dass die Wiedereinführung des Kapitalismus weder Frieden noch Wohlstand bringen würde, wie die kapitalistischen Ideolog*innen versprachen. Im Gegenteil: Die Marktwirtschaft führte zu Kriegen und verschärfte ethnische und nationale Spannungen, Verarmung der Massen und brutale Klassenausbeutung. Die verschiedenen politischen Lager repräsentieren konkurrierende Oligarch*innen und Interessen externer Mächte, die mehrfach gezeigt haben, dass sie keinen Weg für eine bessere Zukunft der Arbeiter*innenklasse der Region bieten. Stattdessen führen sie die Region in mehr Verarmung, interne Konflikte und Kriege.

Der Aufbau von Massenorganisationen der Arbeiter*innenklasse, inklusive tatsächlich unabhängiger Gewerkschaften und politischer Parteien mit einem sozialistischem Programm, ist eine dringende Aufgabe in der Slowakei, Georgien und der ganzen Region. Auf diese Weise können Arbeiter*innen über ethnische und nationale Spaltungslinien hinweg zusammenarbeiten im Kampf für demokratische Rechte, gute Arbeitsplätze, Bildung, Gesundheit und öffentlichen Nahverkehr – alles zusammenhängend mit dem Kampf darum, das Desaster der derzeitigen Gangster-Herrschaft des Kapitalismus und die Ausbeutung durch konkurrierende imperialistische Mächte zu beenden. Eine Föderation demokratischer sozialistischer Gesellschaften würde die Hauptstützen der Wirtschaft unter demokratische Kontrolle der Arbeiter*innenklasse bringen – zum Wohl der Vielen, und um Teilung und Konflikte zu beenden.

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