Ein Gespräch mit Peter Feldmann über die Wohnungssituation in Frankfurt am Main.
Peter Feldmann ist aktiv in der Mieter*innenbewegung in Frankfurt/Main, war von 2012 bis 2022 Oberbürgermeister der Stadt und ist dortiger Sprecher der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
In Frankfurt am Main regt sich zur Zeit Protest und Widerstand von Mieterinnen und Mietern. Worum geht es?
Es geht um drei große Komplexe, die immer wieder zu Protesten der Mieter/innen führen:
Ersten die langfristigen Leerstände inmitten von Frankfurt aus Spekulationsinteressen. Das macht die Menschen, insbesondere die Anwohnerinnen und Anwohner wütend. Dagegen gibt es immer wieder Protest.
Zweitens die auffällige Passivität im Wohnungsbau. Der Druck auf die Menschen steigt durch die unaufhörlichen Preissteigerungen bei den privaten Mieten und führt zu endlosen Wartelisten beim Wohnungsamt und den öffentlichen Gesellschaften. Selbst Facharbeiterinnen und Facharbeiter können sich die Wohnungen in der Stadt nicht mehr leisten.
Von der Stadtregierung selbst favorisierte Wohnbauflächen werden nicht bebaut. Konsequenzen werden nicht gezogen:
Auseinandersetzungen mit den regionalen Nachbarn, die zustimmen müssten? Fehlanzeige!
Auseinandersetzungen mit der Landesregierung, die uns zu lange und zu wenig bei der Diskussion um neue Flächen unterstützt? Fehlanzeige!
Auseinandersetzungen zur Fortsetzung des erfolgreichen Dachausbauprogramms? Fehlanzeige!
Auseinandersetzungen zur Fortsetzung der Umbauprojekte von Büroflächen in Wohnungen? Fehlanzeige!
Jegliche Konflikte werden vermieden, der auseinandersetzungsfreie Mainstream gesucht….
Schon Jugendliche fühlen sich wegen der hohen Mieten im Stich gelassen: Sie erkennen realistisch, dass sich ein Großteil von ihnen unsere Stadt nicht mehr leisten kann. Faktisch werden sie von den Extremmieten aus der Stadt getrieben.
Schließlich die Respektlosigkeit bei umfangreichen Sanierungen und energetischen Umbauten gegenüber Mieterinnen und Mietern,die von Umbauplänen oft nur unzureichend erfahren oder zu spät informiert werden.
Die avisierten Nebenkostenabsenkungen durch energiesparende Maßnahmen werden nicht umgesetzt. Im Gegenteil steigen die Kosten. Dagegen ist im Frankfurter Süden erneut eine Initiative entstanden, die die protestierenden Mieterinnen und Mieter unterstützt.
Ein Mietpreisstopp wurde in Ihrer Amtszeit als Oberbürgermeister eingeführt. Wie ist die Bilanz und was fordern die Mieterinnen und Mieter heute diesbezüglich?
Ja, der Mietpreisstopp ist eine der größten Errungenschaften für 150.000 bis 200.000 Menschen. Diese erhalten kalkulierbare Mieten! Ein Erfolg gemeinsam mit den Mieterinitiativen und Gewerkschaften. Aber der Mietenstopp ist nur dann ein nachhaltiger Erfolg, wenn er vorangetrieben und ausgeweitet wird.
Deshalb unterstütze ich die Forderungen:
– Weg mit der Begrenzung des Mietenstopps und der Einkommensgrenze bei der Nassauischen Heimstätte (84.000 Euro für eine Familie mit zwei Kindern ist zu niedrig angesetzt). Gerade Doppelverdiener mit Kindern liegen schnell an dieser Einkommensgrenze. Dadurch entsteht unnötig Sozialneid zwischen mittleren und unteren Einkommensbezieherinnen und -beziehern. Bezahlbarer Wohnraum für alle bedeutet Klassensolidarität versus Spaltung und Hetze gegen Migrantinnen und Migranten!
Bei der ABG (der größten Wohnbaugesellschaft der Stadt) geht’s doch auch ohne Sozialstaffelung und Mieterspaltung.
Die weiteren Forderungen sind:
– Der Mietpreisstopp bei der Nassauischen Heimstätte muss von fünf auf zehn Jahre verlängert werden
– Die Vonovia muss gezwungen werden, den versprochenen Mietpreisstopp individuell zu garantieren. Sonst ist er nur schwer kontrollierbar. Auch hier muss endlich die ABG-Struktur Anwendung finden.
– Das frühere Angebot eines Mietpreisstopps der GWH muss veröffentlicht und ebenfalls angewandt werden.
-Der Mietpreisstopp muss auf die privaten Vermieter ausgeweitet werden.
Wäre es nicht an der Zeit den Spieß mal umzudrehen und Mietsenkungen zu fordern?
Vollkommen richtig! Die ABG schreibt trotz Mietenstopp seit über zehn Jahren Rekordergebnisse. Das zeigt, dass die prognostizierten Horroszenarien nicht eingetreten sind und auch keine Pleite angesagt ist. Gerade weil Gewinne eingefahren wurden, sollten jetzt die Mieten runter! Die ABG hat nach den Kämpfen um die Ausweitung des Mietenstopps auch 2019/2020 tatsächlich eine Senkung der Mieten für Sozial-und Familienwohnungen angeboten. Der Wert von Immobilien steigt auch ohne horrende Mieterhöhungen, da „ Grund und Boden“ ein knappes Gut sind.
Wie formiert sich der Protest? Gibt es eine Selbstorganisation von Mieterinnen und Mietern?
Ja,die Gegenwehr gibt es in drei verschiedenen Formen::
Einmal klassische Mieterinitiativen wie z.B.beim Protest gegen Sanierungen ohne die Einbeziehung der betroffenen Mieterinnen und Mieter.
Zweitens über erste Ansätze von Mieter*innenselbstorganisation bzw. Mieter*innenräten wie bei dem Kampf gegen den Verkauf der Nassauischen Heimstätten, für mietergerechte Erhaltungsmaßnahmen und für den Mietpreisstopp….bis hin zu ersten gewählten Ratsstrukturen bei der NH.
Drittens, vebandsorientierter, über das „Bündnis gegen den Mietenwahnsinn“ mit Gewerkschaften, Paritätischem Wohlfahrtsverband, Mieter*innenverbänden, Mieter*innengewerkschaft bis hin zu kleinen Vereinen.
Auch der hohe Leerstand ist ein Preistreiber der Mieten und verschärft die Lage. Was wird diesbezüglich gefordert und an Aktionen geplant?
Spekulativer Leerstand ist etwas, dass Menschen zu Recht sauer macht. früher gab es in Hessen ja das Zweckentfremdungsverbot, das es der Stadt erlaubte, lange zweckentfremdete Häuser wieder einer Wohnnutzung – notfalls mit der Polizei – zuzuführen.
Da die damalige Landesregierung von CDU und FDP die Fortführung des Zweckentfremdungsverbotes torpedierte, ist es richtig das Zweckentfremdungsverbot erneut einzufordern, bei spekulativem Leerstand die Vergesellschaftung von Grund und Boden laut.§15 Grundgesetz anzuwenden. Enteignung ist hier die richtige Antwort. Und Hausbesetzungen beispielsweise von wohnungssuchende Studierenden bei längerem spekulativen Leerstand zu tolerieren: Eigentum verpflichtet !
Das Interview führte Sascha Staničić.