Italien: Halbzeit für Meloni

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Rechtspopulistische Regierung in Rom dient den Kapitalist*innen

Rechtspopulistische Kräfte werden voraussichtlich bei der Europawahl Erfolge feiern. In Italien stellt die rechtspopulistische Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) bereits seit zwei Jahren die Ministerpräsidentin Georgia Meloni in einer Koalition mit den Rechtsparteien Lega Nord und Forza Italia. Was lässt sich aus den Erfahrungen mit der rechten Regierung in Italien lernen?

von Michael Koschitzki, Berlin

Melonis Partei bezeichnete ihren Wahlsieg im Jahre 2022 gerne als “Marsch auf Rom” in Anspielung auf den faschistischen Diktator Mussolini, der von der jugendlichen Meloni als “bester Politiker in fünfzig Jahren” beschrieben worden war. Mal davon abgesehen, dass schon damals der Mythos des Marsches die tatsächliche Machtübergabe des italienischen Kapitals an Mussolini verschleierte, stimmt die Analogie auch jetzt nicht: Um lediglich sieben Prozent steigerte die rechte Koalition ihre Stimmen. Dass die Fratelli d’Italia ihren Anteil mehr als verfünffachen konnte, war Ergebnis einer Umverteilung der Stimmen innerhalb des rechten Lagers. Sie konnten gewinnen, weil sie die einzige Kraft außerhalb der früheren Regierung waren, während sich Lega und Forza Italia an der Regierung der nationalen Einheit unter dem Technokraten Draghi beteiligt hatten und dafür abgestraft wurden. Ein Resultat, das sie seither in Umfragen halten, aber nicht ausbauen konnten.

Armut und Staatsschulden

Meloni konnte sich auch auf Teile der Bevölkerung stützen, die hofften, dass es ihnen mit ihr sozial besser gehen könnte. Doch stattdessen ist die Armut weiter gewachsen und betrifft über 5,7 Millionen Menschen in Italien. Wie die Vorgängerregierungen hat Meloni mit der enormen Staatsverschuldung zu kämpfen – die zweithöchste Europas nach Griechenland. Die angekündigten Steuersenkungen, die vor allem Besserverdienenden zugutekommen würden, sind deshalb auch alles andere als sicher. Und einig sind sich die rechten Kräfte auch nicht. Wie würden sie mit einem weiteren Einbruch der Wirtschaft und ausbleibenden Einnahmen umgehen? Welches Verhältnis nehmen sie zur EU und ihren Forderungen ein?

Zwischen Mäßigung und Sozialkahlschlag

Solche Fragen könnten die Dreierkonstellation zukünftig scheitern lassen. Doch zunächst bemüht sich Meloni auf europäischer Ebene um Mäßigung. Der Ukraine-Kurs der EU wird entgegen den russlandfreundlichen Positionen ihrer Koalitionspartner mitgetragen. Der neoliberalen Politik der EU widerspricht sie genauso wenig wie ihre Vorgängerregierungen. Im Gegenteil: Im zweiten Amtsjahr brachte sie mit der Streichung des Bürgergelds eins der größten Kürzungspakete der italienischen Geschichte durch. Während der Maximalbetrag zuvor bei 780 Euro (inklusive Miete) lag, waren es danach 500 Euro für Bedürftige und sogar nur 350 Euro für Personen, die offiziell als arbeitsfähig galten. Dagegen gab es zwar regionale Massenproteste, vor allem im Süden des Landes, doch sie wurden nicht zu starken landesweiten Protesten zusammengefasst und das Paket konnte verabschiedet werden. Die FDP kann derweil neidisch nach Italien schauen.

Angriffe auf Regenbogenfamilien und Migrant*innen

Überaus einig ist sich die Regierung in Angriffen auf das Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare und sowieso allen Lebensformen, die nicht in ihr Weltbild passen. Meloni versucht, sich mit einem traditionellen Familienbild und gegen geschlechtergerechte Sprache Unterstützung in konservativen Kreisen zu sichern. Die erste Frau in diesem Amt macht also keine Politik für Frauen und Minderheiten.

Gefährlich sind auch ihre Abschiebepläne für die sie eine Kooperation mit Albanien aufbaute. Im Mai wurde die erste europäische Flüchtlingsunterkunft außerhalb der EU eröffnet. Unter menschenunwürdigen Bedingungen werden dort Asylrechte verwehrt werden. 

Charakter der Regierung

All das überrascht nicht angesichts des rechtspopulistisch bzw. rechtsextremen Charakters der Regierungsparteien. Die letzten zwei Jahre zeigten aber, dass solche Parteien sich in den entscheidenden Fragen den Interessen der Kapitalist*innenklasse anpassen müssen und sie ihre Propaganda nicht völlig umsetzen können. Trotz aller Sozialrhetorik gibt es Verschlechterungen für die Massen und in der Außenpolitik wurde der Pro-EU-Kurs eingeschlagen. Selbst bei der Einwanderungspolitik musste sie die Zahl der Arbeitsmigrant*innen erhöhen, weil das den Bedürfnissen des italienischen Kapitalismus entsprach.

Gleichzeitig unterscheiden sich die Maßnahmen nicht grundlegend von der Politik anderer bürgerlicher Regierungen, die ebenfalls kürzen und abschieben. Kein Wunder also, dass es vor den Europawahlen eine Annäherung zwischen Kommissionspräsidentin von der Leyen und Meloni zu geben scheint. 

Widerstand und neue Partei

Widerstand ist möglich, wie die Sozialproteste letzten Sommer oder die Massenproteste gegen Gewalt gegen Frauen im Herbst gezeigt haben. Es gibt keine Zerschlagung der Arbeiter*innenbewegung in Italien und damit keinen Vorabend des Faschismus. 

Doch die Arbeiter*innenbewegung muss schnellstmöglich die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Die italienische Linke erlitt in den 90er Jahren Schiffbruch durch die Regierungsbeteiligung der Rifondazione Communista. Die Arbeiter*innenklasse durchschritt nach zahlreichen Fehlern der Linken den Irrweg der populistischen Fünfsterne-Bewegung, die abgestraft wurde und durch ihre Absprachen mit der Lega den Rechten den Weg ebnete. 

In erster Linie sind jetzt die Gewerkschaften gefordert, praktischen Widerstand gegen die unsoziale Politik zu organisieren, aber auch ein politisches Angebot auf die Beine zu stellen, hin zu einer Massenarbeiter*innenpartei mit sozialistischem Programm. Nur mit so einer Alternative kann den Rechten das Handwerk gelegt werden – in Italien und in ganz Europa.