Rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien legen bei EU-Wahlen zu

Sozialistische Antworten nötig

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament vom 6. bis 9. Juni haben die Rechtspopulist*innen und die extreme Rechte erwartungsgemäß zugelegt bei einer Wahlbeteiligung von 51 Prozent. Die weit rechts stehenden Parteien werden bei der nächsten Sitzung des Europäischen Parlaments fast ein Viertel der Sitze innehaben, 2019 war es noch ein Fünftel. Die Wahlen zum nahezu machtlosen Europäischen Parlament bieten eine Momentaufnahme der politischen Stimmung auf dem Kontinent, auch wenn sie angesichts der Tatsache, dass fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler nicht zur Wahl gegangen sind, kein vollständiges Bild vermitteln können.

von Niall Mulholland, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI)

In Frankreich hat die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) einen überwältigenden Sieg errungen. Sie erhielt doppelt so viele Stimmen wie die Partei Renaissance von Präsident Emmanuel Macron und neun Prozent mehr als im Jahr 2019. Die RN gewann dreißig der 81 Sitze des Landes. Dies veranlasste Macron, eine höchst riskante Neuwahl auszurufen. Macron setzt darauf, die Bedrohung durch das Rassemblement National vor den nächsten Präsidentschaftswahlen abzuwenden, und er will auch versuchen, genügend Legitimität zu erlangen, um neue Maßnahmen durchzusetzen, darunter Angriffe auf öffentliche Dienstleistungen und Arbeiter*innenrechte. Umfragen deuten derzeit darauf hin, dass die RN bei den Wahlen Ende Juni mehr Sitze als Macrons Partei erringen könnte. Das Wahlbündnis “Volkseinheit”, auf das sich “La France insoumise” (FI -“Unbeugsames Frankreich”), die Sozialistische Partei (PS), Grüne und die Kommunistische Partei geeinigt haben, liegt in den Umfragen für die nationalen Wahlen Ende dieses Monats bei 28 Prozent, Le Pens RN bei 31 Prozent.

Bundeskanzler Olaf Scholz lehnte Forderungen nach Neuwahlen in Deutschland ab, nachdem alle drei Parteien der Bundesregierung große Verluste erlitten haben und die Sozialdemokrat*innen ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl einfuhren. Die weit rechts stehende AfD kam mit 16 Prozent der Stimmen auf den zweiten Platz, hinter der konservativen CDU/CSU. Die rechtsextremen “Fratelli d’Italia” (“Brüder Italiens”) der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni erreichten über 28 Prozent der Stimmen, gegenüber 26 Prozent bei den Parlamentswahlen 2022. Rechtsextreme und reaktionäre nationalistische Parteien führten die Umfragen in Österreich und Ungarn an. In Spanien erzielten die Rechtsextremen beträchtliche Zugewinne, und in Zypern gewann die rechtsextreme ELAM-Partei ihren ersten EU-Sitz überhaupt. Auch in Griechenland und den Niederlanden konnte die extreme Rechte zulegen. In Südirland errungen die migrationsfeindlichen rechtsextremen Parteien zwar keine EU-Sitze, gewannen aber einige Sitze bei den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen.

Die rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien nutzten auf zynische Weise die weit verbreitete Unzufriedenheit über die jahrelangen Sparmaßnahmen, die hohen Lebenshaltungskosten und die Wohnraumkrise in den meisten Ländern sowie weitere drängende soziale und wirtschaftliche Probleme aus, mit denen die Menschen konfrontiert sind, und machten dabei häufig Migrant*innen zum Sündenbock.

Der Aufstieg der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien ist eine Warnung an die Arbeiter*innenklasse in der EU, wenn auch nicht überall gleichermaßen. Obwohl diese Kräfte ein breites Spektrum der Rechten repräsentieren, einschließlich neofaschistischer Elemente und anderer wie Melonis “Brüder Italiens”, die einige ihrer Politiken in die traditionellere “rechte Mitte” verlagert haben, wenn sie im Amt sind, stellen sie im Allgemeinen eine Gefahr für die Interessen der Arbeiter*innenklasse dar. Ihre rassistische, migrationsfeindliche Rhetorik und Politik sowie andere reaktionäre Ideen zielen darauf ab, die Arbeiter*innenklasse zu spalten, und das in einer Zeit, in der die Einheit der Klasse gegen die Angriffe der Bosse dringend nötig ist.

Wähler*innen wenden sich von den etablierten Parteien der bürgerlichen Herrschaft ab

Die Zugewinne der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien sind auf verzerrte Weise ein Indiz für die Abkehr von Millionen von Wähler*innen von den traditionellen Parteien des Bürgertums – den konservativen und liberalen Parteien der Bosse und den pro-kapitalistischen sozialdemokratischen Parteien. Die Wahlergebnisse zeigen, dass viele Wähler*innen den endlosen Sparkurs der Regierungsparteien, die hohen Lebenshaltungskosten, die Wohnungskrise und die Unterstützung des blutigen Krieges in der Ukraine und des Massakers im Gazastreifen durch die EU nicht mehr hinnehmen wollen. 

Zu den größten Verlierern der Wahlen gehören die Grünen, mit einigen Ausnahmen in Schweden, Dänemark und den Niederlanden, wo das Bündnis sozialdemokratischen Partei der Arbeit und Grünen knapp vor der rechtsextremen Partei von Geert Wilders lag. Fünf Jahre nachdem sie die Gesamtzahl ihrer Sitze von 52 auf 74 erhöht hatten, fielen die Grünen auf 53 zurück. Darin spiegeln sich die Erfahrungen der Wähler*innen mit den Grünen in Koalitionsregierungen wider, wie z. B. in Deutschland, wo diese sich selbst als “radikal” darstellenden Parteien sklavisch der Pro-Markt- und Pro-Ukraine-Kriegslinie folgten und unpopuläre Gesetze vorschlugen, die nach Ansicht vieler Wähler*innen die Arbeiter*innenklasse am meisten für die Umweltpolitik zahlen ließen. Klimaskeptische konservative und rechtsextreme Parteien haben ebenfalls eine starke Propaganda gegen die angeblichen Kosten der EU-Umweltpolitik für die Taschen der hart arbeitenden Menschen betrieben. Der ” grüne Backlash ” wird wahrscheinlich dazu führen, dass die EU ihre ohnehin nur mittelmäßigen Maßnahmen und Ziele zum Klimawandel aufgibt oder weiter verwässert.

Während der Aufstieg der extremen Rechten die Schlagzeilen beherrschte, haben die sogenannten konservativen Parteien der “Mitte” (d. h. die traditionellen Parteien der kapitalistischen Ordnung) bei den EU-Wahlen insgesamt weiterhin die meisten Sitze im EU-Parlament. Der Block der konservativen Parteien, die Europäische Volkspartei (EVP), gewann den größten Stimmenanteil im EU-Parlament und erhöhte seine Sitze um 10 Stück auf 186.

Die sozialdemokratischen Parteien wurden zweitstärkste Kraft in der EU, konnten aber mit ihrer pro-kapitalistischen Politik die WählerInnen der Arbeiter*innenklasse nicht begeistern. Die Sozialdemokrat*innen in Schweden z. B. erhielten mit 24,8 Prozent die meisten Stimmen, aber dies war auch ihr schlechtestes Wahlergebnis bei den EU-Wahlen seit 33 Jahren.

Die liberale Fraktion Renew Europe hat in Deutschland und Spanien stark verloren und ist von 102 auf 80 Sitze zurückgefallen, konnte aber den dritten Platz im Brüsseler Parlament halten.

Manche linke Parteien legten zu, wie die griechische Kommunistische Partei (KKE), die ihren Stimmenanteil von 5,35 Prozent bei den Europawahlen 2019 auf 9,25 Prozent steigern konnte. Auch die Kommunistische Partei in Österreich konnte zulegen. Die Linkspartei in Schweden (die ehemalige kommunistische Partei) erzielte mit elf Prozent (4,2 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Wahl und einen neuen Sitz) die größten Zugewinne aller Parteien bei den EU-Wahlen des Landes.

In Frankreich erhielt Jean-Luc Mélenchons “La France insoumise” 9,9 Prozent und gewann damit im Vergleich zu 2019 eine Million Stimmen hinzu, lag aber immer noch weit hinter Le Pens Partei. Das Potenzial für eine radikale sozialistische Anziehungskraft zeigt sich darin, dass die FI dreißig Prozent der Stimmen bei den Jugendlichen erhielt und in Lille, Lyon, Toulouse, Bordeaux und Grenoble an der Spitze stand. 

Insgesamt ist es den Parteien, die formal links von den SozialdemokratInnen stehen, jedoch nicht gelungen, signifikante Fortschritte zu erzielen. Dies spiegelt zum Teil das Versagen einiger dieser Parteien wider, die während ihrer Amtszeit auf lokaler und nationaler Ebene keinerlei radikale sozialistische Veränderungen bewirkt haben. Nach der Abspaltung der “linkskonservativen” BSW (“Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit”) musste die deutsche Linkspartei ihr bisher schlechtestes EU-Wahlergebnis hinnehmen und erhielt 2,7 Prozent, während das BSW 6,1 Prozent gewann.

Das allgemeine Scheitern der “radikalen Linken”, bei den EU-Wahlen einen Durchbruch zu erzielen, hat seine Ursachen in den letzten Jahrzehnten des Verrats und der Enttäuschung sowie in einem schwachen politischen Programm, das nicht den dringenden Bedürfnissen der Arbeiter*innenklasse in dieser Zeit der kapitalistischen Krise entspricht. Der Verrat von Syriza, die 2015 in Griechenland an die Macht gekommen ist und versprochen hat, die drakonische EU-Austeritätspolitik zu stoppen, und daran gescheitert ist, und die “antikapitalistische” Podemos in Spanien, die sich die Macht mit den rechten Sozialdemokraten geteilt hat, haben beispielsweise Teile der Linken und der Arbeiter*innenklasse demoralisiert und der nationalistischen Rechten und der populistischen Rechten einen Raum geboten, den sie ausnutzen konnten.

Klassenbasiertes sozialistisches Programm und antiimperialistischer Ansatz nötig

In einer Zeit tiefgreifender wirtschaftlicher und sozialer Krisen, weit verbreiteter Arbeitskämpfe, eines Krieges in der Ukraine, Millionen von Demonstrant*innen in ganz Europa gegen das Massaker in Gaza und von radikalisierten Studierenden, die Besetzungen organisieren, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Linke ein klares klassenbasiertes sozialistisches Programm hat und sich unmissverständlich gegen Imperialismus stellt. Ein solches Programm, verbunden mit dem Aufbau einer kämpferischen Arbeiter*innenmassenpartei, kann den Bossen und ihren politischen Parteien erfolgreich entgegentreten und den trügerischen Lockrufen der populistischen Rechten Einhalt gebieten.

Da die populistischen und rechtsextremen Abgeordneten mit rund 146 Sitzen knapp ein Viertel des EU-Parlaments stellen, werden sie von ihren Wähler*innen genauer unter die Lupe genommen und sie werden erwartungsgemäß von internen Spaltungen geplagt sein. Sie sind in zwei größere Fraktionen aufgeteilt: die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR) und die Fraktion für Identität und Demokratie (ID) sowie mehrere fraktionslose Parteien.

Die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) steht derzeit außerhalb der Fraktion Identität und Demokratie (ID), nachdem einer ihrer Abgeordneten, Maximilian Krah, mit der Aussage, nicht jeder, der in Hitlers SS diente, sei ein Verbrecher gewesen, einen Skandal ausgelöst hatte. Die ID- Fraktion wird von Marine Le Pens Rasssmeblement National dominiert, das sich im Vorfeld der französischen Parlamentswahlen von seinem früheren faschistischen Image zu distanzieren versucht. Um wieder in die Fraktion aufgenommen zu werden, schloss die AfD-Fraktion Krah aus.

Ungeachtet ihrer Tendenz zur Spaltung muss die nationalistische, rassistische und populistische extreme Rechte von der Linken und der Arbeiter*innenklasse an den Urnen und durch Kampagnen vor Ort bekämpft werden. Zu den Forderungen, für die die Linke kämpfen sollte, um der extremen Rechten den Boden zu entziehen, gehören anständige Arbeitsplätze für alle, ein existenzsichernder Lohn, ein umfassendes Programm für den Bau von Sozialwohnungen für alle, ein angemessen finanziertes Gesundheits- und Bildungswesen und die Verstaatlichung der Schlüsselindustrie. 

Dieser Kampf muss über alle Grenzen der EU hinausgehen und die Arbeiter*innenklasse im solidarischen Kampf gegen die endlosen Angriffe und die Ausbeutung durch das kapitalistische System vereinen. Das bedeutet, alle Illusionen in die “fortschrittliche” EU der Bosse zu widerlegen, die kapitalistischen EU-Strukturen abzulehnen und für eine sozialistische Föderation der europäischen Staaten auf freiwilliger und gleichberechtigter Basis zu plädieren, mit demokratischer Kontrolle und Verwaltung der wichtigsten Bereiche der Wirtschaft.

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