Wie die Gesellschaft “kriegstüchtig” gemacht werden soll
Laut dem deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius muss Deutschland wieder “kriegstüchtig” werden. Das ließ sich der Kinderkanal des ZDF nicht zweimal sagen. In einem Videoclip, der Anfang März im Internet die Runde machte, beschwert sich ein Taurus Marschflugkörper mit lustigem Gesicht über die Entscheidung des Bundeskanzlers, ihn nicht in die Ukraine zu schicken. Schließlich sollen auch die Kleinsten keine Zweifel an der “Zeitenwende” haben.(1)
von Caspar Loettgers, Berlin
Der ZDF-Kinderkanal ist nicht allein. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs findet eine massive Militarisierung der Gesellschaft statt. Diese Militarisierung ist nicht neu. Seit der Wiedervereinigung 1990 werden sukzessive die Grenzen und Möglichkeiten in Bezug auf den Einsatz der Bundeswehr ausgeweitet. Im April 1999 warf die Bundeswehr Bomben über Belgrad ab und bombardierte damit zum ersten Mal seit 1945 wieder ein anderes Land. Zwei Jahre später folgte der längste deutsche Auslandseinsatz in Afghanistan. Jeweils natürlich unter dem Vorwand, Menschenrechte und “demokratische Werte” zu verteidigen. Doch im Kern ging es immer darum, die Grundlage zu schaffen, die Bundeswehr international einzusetzen, um die Interessen des deutschen Kapitals weltweit zu verteidigen.
Im Kapitalismus können Staaten nicht dauerhaft friedlich koexisteren. Das liegt in der Natur des Systems. Denn kapitalistische Staaten treten global in Konkurrenz zueinander auf, sei es um Ressourcen, Handelswege oder Absatzmärkte. Oft wird diese Konkurrenz mittels Zöllen, Handelsabkommen oder Ähnlichem ausgefochten. Doch wenn die Konkurrenz sich zuspitzt, müssen auch mal härtere Mittel her. Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Frei nach dem Sprichwort: Jeder Werkzeugkasten braucht einen Hammer, kann ein unabhängiger kapitalistischer Staat nicht ohne ein Militär existieren . Dies gilt insbesondere in Zeiten von Instabilität, wirtschaftlicher und politischer Krise.
Erst “Zeitenwende”, dann “kriegstüchtig”
Als schließlich der Ukraine-Krieg ausbrach, sah die Bundesregierung ihre Chance und ergriff sie mit beiden Händen. Unverzüglich wurde die öffentliche Empörung über den Angriff Russlands genutzt, um auch in Deutschland hinsichtlich der Ausstattung der Bundeswehr einen Gang höher zu schalten. Scholz kündigte die “Zeitenwende” und die massive finanzielle Aufrüstung der Bundeswehr an. Ein Jahr später spitzte Pistorius die Zielsetzung weiter zu: die “Zeitenwende” bedeute konkret, Deutschland müsse wieder “kriegstüchtig” werden. Damit meinte Pistorius nicht nur die Ausstattung der Bundeswehr. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, erklärt, dass es neben Investitionen in Personal und Material auch einen Wechsel im ”Mindset” brauche.(2)
Das richtige Mindset
Dieser Wechsel im “Mindset” beschränkt sich längst nicht auf die Bundeswehr selbst. In Talkshows und Zeitungskolumnen überbieten sich Politiker*innen und Kommentator*innen, was alles nötig sei, um auf Kriegskurs zu kommen. Moritz Schularick, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft fordert künftig drei statt “nur” zwei Prozent der Wirtschaftsleistung fürs Militär auszugeben. Politologe Carlo Masala beschwerte sich über das, aufgrund der Geschichte, ambivalente Verhältnis vieler Deutscher zum Militär: “Können wir das mal ablegen? Der Weltkrieg ist seit fast acht Jahrzehnten vorüber.”(3)
Auch die Bundeswehr selbst versucht in den Chor einzustimmen. In den letzten Jahren entstanden Internetserien wie “Die Rekruten” oder “KSK – Kämpfe nie für dich allein”. Durch eine lockere Aufmachung soll die Bundeswehr als Beschützerin der “Freiheit” und “Demokratie” dargestellt werden. 34 Millionen Euro gibt der Staat dafür jährlich aus.
Doch nicht nur die Bundeswehr soll kriegstüchtig werden. Zuletzt forderte die Bildungsministerin ein “unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr” an deutschen Schulen. Und auch Gesundheitsminister Lauterbach will das Gesundheitswesen für Kriege fit machen.
Was damit begründet wird, man wolle auf den Ernstfall vorbereitet sein, ist vor allem ein ideologisches Sturmreif-Schießen der Gesellschaft. Wenn Jugendliche die Bundeswehr vor allem aus actiongeladenen Internetclips kennen, Pflegekräfte Kriegsszenarien trainieren und Lehrer*innen “unverkrampft” über die Bundeswehr unterrichten sollen, dann hat das Auswirkungen darauf, wie kritisch über die stetig fortschreitende Militarisierung gedacht wird.
Wen schützt die Bundeswehr?
Mit Blick auf die momentane Weltlage ist es nachvollziehbar, dass viele Menschen sich Sorgen um ihre Sicherheit und Zukunft machen. Die Wahrheit ist jedoch, dass eine noch so gut ausgerüstete Bundeswehr kein Garant für Frieden und Sicherheit ist. Denn diese werden nicht durch einen äußeren Feind bedroht, sondern durch die Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Konkurrenzkampfes.
Konkret ist es jedoch kaum vorstellbar, dass das russische Militär Deutschland angreifen könnte, angesichts der Grenzen, an die es in der Ukraine gerät. Viel gefährlicher ist die Gefahr eines globalen Flächenbrands, der sich aus der zunehmenden Konkurrenz der USA und Chinas ergeben könnte.
Die Bundeswehr war nie ein Verteidiger von “Frieden” und “Freiheit”. Im Kapitalismus wird die Außenpolitik von den Profitinteressen der heimischen Konzernen und Banken diktiert. Eine “wertebasierte Außenpolitik” dient nur dazu, diese auch ideologische Flankendeckung zu geben. Oder anders gefragt: welche Fortschritte in Punkto “Freiheit” und “Demokratie” können die Menschen in Afghanistan nach zwanzig Jahren Bundeswehreinsatz genießen?
Das liegt in der Natur dieses Systems. Wirkliche Sicherheit und langfristigen Frieden wird es nur geben, wenn dieses auf Konkurrenz und Profit ausgerichtete System überwunden wird. Nur eine sozialistische Demokratie in der Arbeiter*innen weltweit gemeinsam über die Ressourcen und deren Einsatz entscheiden, kann eine friedliche Entwicklung der Gesellschaft sichern.