Solidarität mit Benjamin Ruß – Nein zu Berufsverboten!
***26. Juli 2024 – Prozesstermin von Benjamin Ruß am Münchner Arbeitsgericht ab 11:00 Uhr***
Solidaritätserklärungen bitte an info@solidaritaet.info – wir leiten sie weiter!
Die Personalabteilung der Technischen Universität München will den Geowissenschaftler Benjamin Ruß nicht einstellen. Und das, obwohl er für die Stelle am Lehrstuhl für Kartographie fachlich geeignet ist und vom Institut eine Zusage erhalten hat.
Von Chiara Stenger, Berlin
Begründet wird seine Nicht-Einstellung mit “fehlender Verfassungstreue” laut dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Vorgeworfen werden dem Wissenschaftler, der sich auch als Marxist versteht, Gewaltorientierung, Ablehnung des Kapitalismus und Absichten zur Veränderung des Systems. So begründete der Kanzler der Universität Ruß’ Anwältin gegenüber, dass ihr Mandant sich “in der Gesamtheit seiner Äußerungen […] klassischer Begriffe wie Faschismus, Rassismus, Kapitalismus, Polizeigewalt/-willkür, mittels derer auch die Gegnerschaft zur bestehenden Ordnung betont und begründet wird” bediene. Hintergrund dessen ist ein in Bayern üblicher Fragebogen zur Mitgliedschaft in sogenannten “extremistischen Organisationen” für die Einstellung von Personen im öffentlichen Dienst. In diesem Fragebogen werden von anarchistischen Gruppen über die DKP oder SDAJ auch die Linksjugend, der SDS, die Rote Hilfe sowie wie wir, die Sol, als extremistische Gruppen bewertet. Bewerber*innen sind verpflichtet, aktuelle wie ehemalige Mitgliedschaften in diesen Organisationen anzugeben. Das erinnert an den “Radikalenerlass” von 1972, bei dem Bewerber*innen im Öffentlichen Dienst ebenso jahrelang auf ihre Verfassungstreue geprüft wurden. Und auch damals lag der Fokus insbesondere auf “Linksextremismus”.
Berufsverbot wegen “Extremismus”
Benjamin Ruß gab beim Ausfüllen des Fragebogens ehrlich an, dass er in der Vergangenheit Mitglied der Hochschulgruppe “Die Linke.SDS” war und die Rote Hilfe finanziell unterstützt. Dies diente als Grundlage für die negativ ausgefallene Prüfung seiner “Verfassungstreue”. Teil dieser war auch die Überprüfung seiner Person durch den bayerischen Verfassungsschutz auf Anfrage der Personalabteilung. Zwei Monate später forderten die Personalabteilung und Verfassungsschutzbeamt*innen Benjamin Ruß dann zu einer Stellungnahme auf. Ihm wurden, wie bereits benannt, Systemkritik, Antikapitalismus und Marxismus zum Vorwurf gemacht. Grundlage der Vorwürfe waren Zitate aus von ihm veröffentlichten Texten sowie Beobachtungen seiner Person bei politischen Veranstaltungen, bei denen er mit Gewaltbereitschaft aufgefallen sei. Vonseiten des Verfassungsschutzes wurden ihm daraufhin sogar strafrechtliche Vorwürfe gemacht. Nachdem seine Anwältin, die ehemalige Bundesjustizministerin und Rechtsprofessorin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Akteneinsicht erhielt, zeigte sich, dass die Vorwürfe des Verfassungsschutzes frei erfunden waren und keinerlei Grundlage hatten. Im Gegenteil ging sogar daraus hervor, dass Benjamin Ruß von Polizeibeamten bei einer Demonstration zu Boden gestoßen wurde und diese ihn nicht nur beleidigten, sondern sogar Morddrohungen ihm gegenüber aussprachen.
Gegen die Nicht-Einstellung, diese Schikanen und Unwahrheiten organisierte sich der bei ver.di aktive Kollege mit Unterstützung durch gewerkschaftlichen Rechtsschutz und klagte gegen das Vorgehen vor dem Münchner Arbeitsgericht. In seiner Stellungnahme an die Personalabteilung konnte er die haltlosen bzw. frei erfundenen Vorwürfe widerlegen. Die Universitätsleitung versuchte jedoch, mit weiteren falschen Anschuldigungen Stimmung gegen den linken Wissenschaftler zu machen und ihn negativ darzustellen. In einem Antwortschreiben zitierte der Kanzler der TUM Benjamin Ruß’ Stellungnahme falsch und stellte falsche Behauptungen auf, ohne diese zu belegen. Zudem übernahm die Universitätsleitung einfach die Argumentation des Verfassungsschutzes, indem die kritische Auseinandersetzung mit Kapitalismus, Rassismus oder Polizeigewalt vom Kanzler als Verfassungsfeindlichkeit dargestellt wird.
Besonders absurd ist diese Situation zudem mit Blick darauf, dass sogar das Bundesverfassungsgericht 2022 entschieden hat, dass das bayerische Verfassungsschutzgesetz in Teilen verfassungswidrig ist, da Persönlichkeitsrechte durch gängige Überwachungsmethoden beschnitten wurden. Dies gibt einen Hinweis darauf, dass fragwürdige Methoden dieser Institution wahrscheinlich nicht nur im Fall von Benjamin Ruß zum Einsatz kamen. Zugleich stärkt der Verfassungsschutz aktiv wie passiv rechte Strukturen, wie das Beispiel des NSU zeigt, anstatt sie effektiv zu bekämpfen. Dies wird auch deutlich mit Blick auf den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten, Hans-Georg Maaßen, der für seine rassistischen und arbeiter*innenfeindlichen Politik bekannt ist. Ebenso zeigt sich bei dem “Extremismus-Fragebogen” die Gleichstellung von sozialistischer und faschistischer Weltanschauung, die sogenannte Hufeisentheorie.1 Der Verfassungsschutz sollte also keine Grundlage für die Beurteilung der Ansichten einer Person sein. Solche Gesinnungsprüfungen und -untersuchungen werden immer wieder gegen Linke und Sozialist*innen eingesetzt und führen zu Schikanen, Nicht-Einstellung und Berufsverboten. Rechte hingegen bleiben in vielen Fällen verschont.
Freiheit der Wissenschaft?
Andererseits zeigt sich beim Fall von Benjamin Ruß, wie es um die angebliche Unabhängigkeit der Wissenschaft und der Universitäten im Kapitalismus bestellt ist. Anstatt sich ein ernsthaftes und unabhängiges Bild auf einer faktenbasierten Grundlage zu machen, was einem wissenschaftlichen Umgang entsprechen würde, übernimmt die Unileitung die Hetze des Verfassungsschutzes unkritisch. So hieß es vonseiten der TUM auch, es bestehe die Sorge, dass Ruß seine marxistischen Ansichten in Lehrveranstaltungen verbreiten würde. Dabei verkennt sie, dass der Marxismus eine Wissenschaft ist, die an unabhängigen Universitäten und Bildungseinrichtungen stark unter- und nicht überrepräsentiert ist. Insbesondere im Fach Geographie spielen marxistische Wissenschaftler*innen wie beispielsweise David Harvey oder Bernd Belina eine wichtige Rolle und haben einen besonderen Verdienst zur wissenschaftlichen Analyse von Gentrifizierung, Wohnraum oder Entwicklung und Beziehungen zwischen der neokolonialen Welt und imperialistischen Staaten geleistet. Das Berufsverbot gegen Benjamin Ruß zeigt, dass die Unileitung eigentlich keine neutrale Haltung einnimmt, auch wenn sie vorgibt dies zu tun, sondern die bürgerliche Hetze gegen linke Ideen einfach übernimmt. So wurden dem Wissenschaftler die Worte im Mund umgedreht und Kritik am bestehenden System wird mit dem ominösen Vorwurf der Gewaltbereitschaft bedacht. Was das in diesem Staat bedeuten soll, dessen Grundpfeiler die militärische Gewalt nach außen und die polizeiliche nach innen ist, führen Verfassungsschutz und Unileitung nicht weiter aus. Das ist zugleich nicht überraschend – Universitäten und Bildung im Kapitalismus sind nicht frei, sondern letztlich Mittel der Herrschenden. Nötig wäre eigentlich, dass Ämter wie die einer Unikanzler*in durch Mitarbeiter*innen und Studierende demokratisch gewählt – und auch abgewählt werden können, und zwar mit einer gleichwertigen Stimme pro Person und nicht in einem feudal anmutenden System, in dem auf Professor*innen viel mehr Entscheidungsgewalt pro Kopf entfällt als auf die anderen Beschäftigten und die Studierenden.
Breite Solidarität nötig
Seit dem Beginn der Auseinandersetzungen gab es deutschlandweit breite gewerkschaftliche Solidarität mit Benjamin Ruß. Das ist sehr wichtig, um gegen solche Nicht-Einstellungsverfahren, Schikanen und Berufsverbote vorzugehen und betroffene Kolleg*innen nicht mit dem Zerschellen ihrer Zukunftspläne alleine zu lassen. Schließlich ist der Fall von Benjamin Ruß kein Einzelfall. Auch der angehende Lehrer Luca kämpft gegen ein politisch motiviertes Berufsverbot. Konkret wird dieses mit einem mutmaßlichen Angriff auf einen Polizisten bei einer Demonstration begründet. Dass er einen auf dem Boden liegenden Demonstranten schützen wollte, indem er dem Vorwurf nach einen Rauchtopf von diesem weg in eine andere Richtung warf, wird ihm nun zum strafrechtlichen Vorwurf gemacht. Und auch die Zeitung „junge Welt” wird nach der Abweisung einer Klage immer noch vom Verfassungsschutz beobachtet, was ihr wegen des Wegbrechens von Werbekund*innen und von Partnerschaften mit anderen Zeitungsredaktionen erhebliche finanzielle Einbußen beschert.
Mit der Zuspitzung kapitalistischer Krisen und dem Wachsen linker Kräfte, die eine Alternative zum Elend des bestehenden Systems bieten, können derartige staatliche Repressionen gegen Sozialist*innen, Linke und Gewerkschafter*innen weiter zunehmen. So hat beispielsweise auch das Land Brandenburg einen “Verfassungstreuecheck” verabschiedet und auch andere Landesregierungen planen ähnliche, an den Radikalenerlass erinnernde Maßnahmen. Schon jetzt sollten wir uns dagegen zur Wehr setzen und weiterhin Solidarität mit den betroffenen Kolleg*innen organisieren!
- Die Sol steht solidarisch hinter dem Kollegen Benjamin Ruß!
- Wir stehen für ein Ende aller Repressionen und Berufsverbote ein!
- Die Befragung zur Verfassungstreue an bayerischen Universitäten sowie anderen staatlichen Einrichtungen muss sofort enden!
- Für wirklich demokratische Strukturen an Universitäten und Bildungseinrichtungen! Für eine wirklich unabhängige Wissenschaft und Lehre!
- Wir fordern daher alle auf zur Kundgebung zu Benjamins nächstem Prozesstermin am 26.07. zu gehen und sich solidarisch zu zeigen!
- Mehr dazu u.a. im Artikel “Wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz?” vom 24.01.24 (https://solidaritaet.info/2024/02/wer-schuetzt-uns-vor-dem-verfassungsschutz/) und im Artikel “Staat finanziert rechten Terror. Verfassungsschutz ersatzlos auflösen” vom 14.11.11 (https://archiv.sozialismus.info/maschinenraum/2011/11/14543/) ↩︎