Eine neue Vorstellung von Arbeit und Familie

Image by Michal Jarmoluk from Pixabay

Buchbesprechung: „After Work: A History of the Home and the Fight for Free Time“

Christine Thomas rezensiert ein faszinierendes Buch, das die Entwicklung der Hausarbeit in der Klassengesellschaft nachzeichnet und einen Ausblick darauf gibt, was Sozialismus bedeuten könnte.

„After Work: A History of the Home and the Fight for Free Time“ (dt: Nach der Arbeit: Eine Geschichte des Zuhauses und des Kampfes um die Freizeit) Von Helen Hester und Nick Srnicek
Erschienen bei Verso, 2023, £16,99

Helen Hester und Nick Srnicek wollen eine Welt, in der wir alle weniger arbeiten und mehr freie Zeit haben. Nicht viele Berufstätige dürften mit diesem Ziel ein Problem haben. After Work befasst sich jedoch nicht mit bezahlter Arbeit – dem „Tausch“ der Arbeitskraft eine*r Arbeiter*in gegen Lohn -, sondern mit unbezahlter „sozialer Reproduktionsarbeit“: Hausarbeit, Kinderbetreuung, Haushaltsführung usw., Arbeit in der Familie, die selbst in den fortgeschritteneren kapitalistischen Ländern des „Westens“ immer noch überwiegend von Frauen geleistet wird – und auf die sich dieses Buch konzentriert. Könnte die Gesellschaft anders organisiert werden, um diese Arbeit so weit wie möglich zu reduzieren? Könnte die verbleibende Arbeit gerechter verteilt werden? Diese Fragen werden in der Einleitung zu diesem interessanten und zum Nachdenken anregenden Buch gestellt.

Im Vereinigten Königreich wurden im Jahr 2014 8,1 Milliarden Stunden mit unbezahlter Pflegearbeit verbracht. Insgesamt werden in den meisten Ländern 45-55 Prozent dessen, was die Autor*innen als „Gesamtarbeitszeit“ bezeichnen, für unbezahlte Reproduktionsarbeit aufgewendet. Und dies ist in hohem Maße geschlechtsspezifisch. Frauen verbringen im Durchschnitt 3,2 mal so viel Zeit mit unbezahlter Arbeit wie Männer. Im Vereinigten Königreich verrichten sie 60 Prozent mehr unbezahlte Arbeit und haben im Durchschnitt fünf Stunden weniger Freizeit pro Woche.

Und den Autor*innen zufolge hat sich das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in den letzten 15 Jahren sogar noch verstärkt. Selbst dort, wo Männer mehr Betreuungsarbeit leisten, sind es eher „angenehme“ und weniger sich wiederholende, monotone Arbeiten. Denn, wie sie schreiben, ist nicht jede unbezahlte Arbeit im Haushalt eine Plackerei; mit den Kindern zu spielen, kann Spaß machen, das Bad zu putzen, die Wäsche zu bügeln und aufzuräumen dagegen weniger.

Marxist*innen haben in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, dass die von Frauen traditionell in der Familie geleistete Haus- und Betreuungsarbeit zur allgemeinen Ungleichheit und Unterdrückung in der Gesellschaft beigetragen hat. Sie schränkt ihre Möglichkeiten ein, außerhalb des Hauses zu arbeiten; sie beschränkt die Stunden und die Art der bezahlten Arbeit, die sie verrichten können; und sie verstärkt uralte Geschlechterstereotypen, die Sexismus und Missbrauch zugrunde liegen. Und wenn, wie heute, vor allem Frauen aus der Arbeiter*innenklasse sowohl Beruf als auch Familie unter einen Hut bringen müssen, kann dies enorm belastend sein, vor allem, wenn sie alleinerziehend sind. Eine kürzlich durchgeführte Yougov-Umfrage im Vereinigten Königreich ergab, dass sich 61 Prozent der Eltern aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten, mangelnder Kinderbetreuung und anderer Probleme Sorgen um ihre psychische Gesundheit machen.

Ungleichheit und Unterdrückung

Wladimir Lenin schrieb und sprach über „häusliche Sklaverei“, die „unbedeutende Hausarbeit“, die Frauen „erdrückt, erwürgt, verdummt und erniedrigt“. Er bezog sich hauptsächlich auf das schreckliche Los der Bäuerinnen in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aber wie die russische Revolutionärin Alexandra Kollontai in Bezug auf die Arbeiterinnen schrieb, „hat der Kapitalismus der Frau eine Last auferlegt, die sie erdrückt: Er hat sie zur Lohnarbeiterin gemacht, ohne ihr die Sorgen als Haushälterin und Mutter abgenommen zu haben.“ „Ich wünschte, die Menschen würden nicht in Häusern leben und nicht kochen, backen, waschen und putzen“, hat Eleanor Marx einmal gerufen. „Wer ist der Unhold, der die Hausarbeit erfunden hat? Ich hoffe, seine Erfindung möge ihn in einer anderen Welt plagen.“.
In Die Entstehung der Familie, des Privateigentums und des Staates erklärte Friedrich Engels, dass „die erste Bedingung für die Befreiung der Frau darin besteht, das ganze weibliche Geschlecht in die öffentliche Industrie zurückzubringen“. Wenn man die Frauen aus der Enge des Hauses befreite, würde das ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von den Männern verringern, ihren Horizont erweitern und ihr Selbstvertrauen und ihr Verständnis für die Notwendigkeit stärken, gemeinsam mit den Männern der Arbeiter*innenklasse für den Sturz des Kapitalismus und die Beendigung von Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen. Aber allein die Arbeit außerhalb des Hauses würde noch nicht die Befreiung bringen, wie die Frauen heute eindeutig beweisen können. Sie müsste auch von der „Abschaffung des Attributs der monogamen Familie als wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft“ begleitet werden.

Die Autor*innen stellen zu Recht fest, dass die Kernfamilie „keine natürliche oder unveränderliche Formation ist, sondern zum Teil eine adaptive Reaktion auf das Wirtschaftssystem, in dem sie sich befindet“. In Bezug auf die Reproduktionsarbeit ist die Familie „weitgehend ineffizient“, „isolierend, ausgrenzend, arbeitsintensiv, zeitraubend und zutiefst ungerecht“. „Und doch“, so fügen sie hinzu, „hat sie sich einen beeindruckenden Einfluss auf unsere kulturelle Vorstellungskraft bewahrt“.

Familie im Kapitalismus

Das vierte Kapitel von After Work zeichnet die Entwicklung der Familie nach der kapitalistischen Industrialisierung im neunzehnten Jahrhundert nach. Zuvor waren zwar Ungleichheit und Unterdrückung zwischen den Geschlechtern in den familiären Beziehungen verankert, aber es gab keine klare Abgrenzung zwischen der reproduktiven und der produktiven Arbeit von Frauen; beide fanden im und um das Haus herum statt und wurden oft in Gemeinschaft erledigt, wobei andere Familienmitglieder mit anpackten. Mit der Industrialisierung fand die Produktion jedoch zunehmend außerhalb des Hauses statt, zunächst in Mühlen und Fabriken.
Da die Kapitalisten in den Anfängen der industriellen Produktion neben Kindern vor allem Frauen als billige Arbeitskräfte schätzten, die sie zur Produktion von Mehrwert und Profiten ausbeuten konnten, wurde die Art und Weise, in der die Familie zuvor als wirtschaftliche und reproduktive Einheit funktioniert hatte, völlig durcheinander gebracht. Wie konnten Frauen gleichzeitig lange, anstrengende Stunden in den Fabriken arbeiten und sich angemessen um Kinder und Haushalt kümmern? In den meisten Fällen konnten sie es nicht. Und, wie die Autor*innen schreiben, „diese konkurrierenden Anforderungen führten zu einer Krise der sozialen Reproduktion unter den städtischen Arbeiterklassen“.

Engels wies darauf hin, dass „die Ehe nach der bürgerlichen Auffassung ein Vertrag, ein Rechtsgeschäft“ sei. Für die entstehende Kapitalistenklasse ging es bei dieser Transaktion in erster Linie um die Festigung und Ausweitung von Reichtum und Eigentum, wie es zuvor bei Sklavenhaltern und Feudalherren der Fall gewesen war.

Die bürgerliche Familie mit einem männlichen „Ernährer“ und einer wirtschaftlich abhängigen Ehefrau, die den Haushalt führt und sich um die Bedürfnisse ihres Mannes kümmert, wurde mit dem wachsenden kapitalistischen Wohlstand assoziiert – und schließlich zur Norm, nach der alle Klassen strebten. Die Arbeiter*innenfamilie, die keinen Reichtum zu verteidigen, zu vermehren oder zu vererben hatte, brach nicht unter der Last der kapitalistischen Industrialisierung zusammen, wie viele Kommentatoren damals erwarteten. Mit der Ausweitung der wirtschaftlichen Produktion brauchte die Kapitalistenklasse gesunde und produktive Arbeiter, deren persönliche Bedürfnisse täglich befriedigt werden konnten. Sie wollten, dass Kinder aufgezogen werden, damit sie zu künftigen ausbeutbaren Arbeitskräften werden konnten. „Die endgültige Lösung“, schreiben die Autor*innen, „bestand darin, dass die Haushalte ihre verheirateten weiblichen Mitglieder aus der Erwerbstätigkeit zurückzogen“.
Es wurde für die Kapitalistenklasse wirtschaftlich vorteilhaft, dass die Frauen der Arbeiter*innenklasse unbezahlte Reproduktionsarbeit in der Familie leisteten, um die gewünschten Arbeitskräfte zu bekommen. Auf diese Weise kam der Familie und insbesondere den Frauen innerhalb der Familie eine andere wirtschaftliche Rolle zu. Sie produzierten nicht direkt, wie in der bäuerlichen Wirtschaft, und sie produzierten keinen Mehrwert für die Kapitalistenklasse, wie in den Mühlen und Fabriken, sondern sie arbeiteten unbezahlt an einem Ort der Reproduktion und ermöglichten so indirekt die Schaffung dieses Mehrwerts.

Von den Frauen der Arbeiter*innenklasse wurde erwartet, dass sie sich unentgeltlich um alle „unproduktiven“ Familienmitglieder – Arbeitslose, Behinderte, Kranke und ältere Menschen – kümmerten, obwohl die Arbeiter*innenklasse sich industriell und politisch organisierte, um dafür zu kämpfen, dass der Staat einen Teil des Stresses und der Last, die die Familie zu tragen hatte, durch die Bereitstellung von Sozialleistungen und öffentliche Dienste abmilderte, was die Autor*innen in ihrer Geschichte nicht wirklich darstellen.

Aufgrund des enormen Drucks, der durch die Doppelbelastung der Frauen auf den Familien der Arbeiter*innenklasse lastete, traf das bürgerliche Familienmodell auch auf gewisse Bedürfnisse der Arbeiter*innenklasse und insbesondere der Arbeiterinnen. Die Gewerkschaften begannen, sich für einen „Familienlohn“ einzusetzen, der es verheirateten Arbeiterinnen ermöglichen würde, von der überausbeuterischen Lohnarbeit außerhalb des Hauses befreit zu werden. Und die Kapitalistenklasse förderte durch ihre Kontrolle über den Staat die bürgerliche Familie als ideale Form der Haushaltsorganisation.

Obwohl die Autor*innen dies nicht erwähnen, wurde die Familie, die aus ihren Wurzeln in früheren Klassengesellschaften übernommen und geformt wurde, zu einem nützlichen ideologischen Werkzeug für die Kapitalistenklasse – eine Einheit, in der „angemessene“ Geschlechterrollen geformt werden konnten, die als Hemmschuh für streikende Arbeiter*innen dienen und zum Sündenbock für soziale Probleme wie Armut und Kriminalität werden konnte.

Natürlich hatten viele verheiratete Frauen aus der Arbeiter*innenklasse aufgrund der wirtschaftlichen Verzweiflung keine andere Wahl, als weiterhin einer bezahlten Arbeit nachzugehen – oft einer gesundheitsschädlichen Plackerei für einen Hungerlohn, die zu Hause verrichtet werden konnte, kombiniert mit Hausarbeit und Kinderbetreuung.

Nie geleistete Arbeit

Die Industrialisierung und die Entwicklung der kapitalistischen Produktion wirkten sich auch auf eine andere Weise auf die Familie aus. Einige der Aufgaben, die Bäuerinnen und Arbeiterinnen traditionell im Haushalt verrichtet hatten, wie die Herstellung von Kleidung und die Nahrungsmittelproduktion, wurden „vermarktet“. Mit der Entwicklung von Massenproduktionstechniken, Kühlschränken, Fertiggerichten, Versandhauskatalogen, Kaufhäusern usw. wurden viele lebensnotwendige Güter nun außerhalb der „privatisierten“ Familieneinheit angeboten. Zunächst waren diese Produkte nur für die wohlhabenderen Haushalte verfügbar, doch allmählich wandelte sich auch die Arbeiter*innenfamilie von einem Ort der Produktion zu einem Ort des Konsums. Die Autor*innen sehen das frühe zwanzigste Jahrhundert als einen Wendepunkt in Bezug auf die Hausarbeit der Frauen im Haushalt. Die wichtigsten Veränderungen waren ihrer Meinung nach infrastruktureller Art.

Fließendes Wasser, Kanalisation, Gas und Elektrizität veränderten oder ersetzten viele der körperlich anstrengenden und zeitraubenden Arbeiten, die Frauen in Arbeiter*innenfamilien (und weibliche Bedienstete in reicheren Haushalten) verrichteten, wie das Holen von Wasser und Brennstoff, das Leeren von Nachttöpfen usw. Auch die Haushaltsgeräte hatten einen Einfluss, waren aber hauptsächlich dazu gedacht, die Arbeit der einzelnen Dienstbot*innen zu ersetzen.
Die Autor*innen erläutern, wie kommerzielle Wäschereien in den 1920er Jahren populär und selbst für einige ärmere Haushalte zugänglich waren, aber bald darauf durch individuelle Haushaltswaschmaschinen ersetzt wurden. Die Sozialdemokratie hatte sich lange Zeit für öffentlich zugängliche Gemeinschaftswäschereien eingesetzt, aber, wie die Autor*innen betonen, sahen „die Hersteller dieser Geräte […] in der Massenproduktion ein größeres Gewinnpotenzial als in der Produktion für die kollektive Nutzung“.

Obwohl im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts immer mehr individuelle „arbeitssparende“ Geräte erfunden wurden, führten sie paradoxerweise nicht zu einer drastischen Verringerung der für unbezahlte Hausarbeit aufgewendeten Stunden. In einem Artikel von Joann Vanek aus dem Jahr 1974 wird berichtet, dass Vollzeit-Hausfrauen 1924 52 Stunden pro Woche mit Hausarbeit verbrachten, in den 1960er Jahren waren es 55 Stunden. Weitere Untersuchungen von Ruth Schwartz Cowan ergaben, dass der Zeitaufwand für Hausarbeit zwischen den 1870er und den 1970er Jahren nicht abnahm. Ein Grund dafür war, dass die „industrielle Revolution des Haushalts“ mit höheren Standards für Sauberkeit und Hygiene zusammenfiel, „und all diese Standards werden tendenziell durch staatliche Vertreter, Werbung und das Gewicht der gesellschaftlichen Erwartungen durchgesetzt“.

Die Autor*innen schreiben, dass „ab den 1920er Jahren dieses Streben nach höheren Standards von Unternehmen weiter vorangetrieben wurde, die eine ganze Reihe von Konsumgütern an einen wachsenden Massenmarkt verkaufen wollten“. Wenn Sauberkeit gleichbedeutend mit Gottesfurcht war, ließen sich damit sicherlich auch Gewinne erzielen. Ein nicht ganz sauberes Haus galt als Zeichen einer schlechten Hausfrau und Mutter, die die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Kinder gefährdete: „Schuldgefühle wurden zu einem Mittel, um Waren zu verkaufen, und die Identität der Frauen wurde zunehmend auch mit dieser Arbeit verknüpft“.

Obwohl die gesellschaftlichen Erwartungen an die Standards leicht gesunken sein mögen, da die kapitalistischen Bedürfnisse in den letzten Jahrzehnten mehr Frauen in die Arbeitswelt gezogen haben, argumentiert After Work, dass das „historische Versprechen der Technologie, die Lasten der sozial reproduktiven Arbeit zu verringern“, „weitgehend nicht eingelöst wurde“. Die Individualisierung hat einen großen Einfluss auf die Gestaltung der Haushaltstechnologien gehabt. Die einzige bedeutende Erfindung seit den 1950er Jahren ist die Mikrowelle, der Rest waren lediglich Modifikationen bestehender Technologien. Und, so vermuten die Autor*innen, die Technologie hinter dem viel gepriesenen „Smart Home“ – der Vernetzung von Geräten im Haushalt – ist eher auf Bequemlichkeit als auf Arbeitsersparnis ausgerichtet: „Das Bestreben, alle Aufgaben im Haushalt ‘intelligent’ zu machen, ist weniger eine Reaktion auf den Bedarf als vielmehr eine Widerspiegelung der wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten, Daten zu sammeln und Computerchips zu produzieren“. „Technologie allein“, so die Schlussfolgerung, „reicht nicht aus, um die Arbeit zu reduzieren; die einzelnen Geräte existieren in einem breiteren soziotechnischen System, und ihre Auswirkungen werden durch diesen Kontext vermittelt“.

Familienpolitik

Die Realität ist, dass nicht nur die Entwicklung der Haustechnik von der traditionellen, in einem einzigen Haushalt organisierten Kernfamilie geprägt wurde, sondern dass dieses Familienmodell auch im Mittelpunkt der staatlichen Wohlfahrtspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg steht. Und, wie die Autor*innen schreiben: „Obwohl es eine beträchtliche gelebte Vielfalt in Bezug darauf gibt, wie die Menschen ihr häusliches Leben tatsächlich organisieren, wird diese paradigmatische Form in den westlichen Ländern nach wie vor weithin als kulturelles Ideal gefeiert, das durch eine breite Palette von Maßnahmen gestärkt wird“. Die staatliche Politik in Bezug auf Wohnen, Sozialleistungen, öffentliche Dienstleistungen usw. hat nicht mit den sich verändernden Familienformen Schritt gehalten, seien es nun Haushalte von Alleinerziehenden oder Frauen mit kleinen Kindern, die in zunehmender Zahl außer Haus arbeiten. Die Familie ist nach wie vor, wie die Autor*innen es treffend nennen, „die letzte Instanz bei der Betreuung“ – und die Frauen die „Stoßdämpfer“ in ihr.

Dies wurde während der Covid-Pandemie dramatisch deutlich, als vor allem Frauen ihre Arbeit unterbrechen und sogar ihren Arbeitsplatz aufgeben mussten, um zusätzliche Betreuungsaufgaben zu übernehmen. Jahre der unerbittlichen Sparpolitik haben die „Stoßdämpfer“ – also die Fürsorgearbeiterinnen – an ihre Grenzen gebracht. Die Pflege älterer, behinderter und chronisch kranker Familienmitglieder, die Betreuung von Kleinkindern, „das Fehlen ausreichender außerfamiliärer Ressourcen – sei es durch erschwingliche marktbasierte Pflege, öffentliche Angebote oder freiwillige Bemühungen – bedeutet, dass die Familie die Hauptlast dieser Arbeit übernimmt“. Trends in der Gesundheitsfürsorge, wie zum Beispiel die Entwicklung hin zu „virtuellen Stationen“, in denen kranke Menschen dank der Technologie zu Hause und nicht im Krankenhaus behandelt werden können, werden diese Situation nur noch verschärfen.

After Work räumt ein, dass in den letzten Jahrzehnten die staatliche Unterstützung für die Kinderbetreuung ausgeweitet wurde, was auf den Wunsch der Kapitalist*innen zurückzuführen ist, mehr Frauen mit kleinen Kindern in den Beruf zu bringen, aber diese Unterstützung reicht bei weitem nicht aus. Gleichzeitig sind die gesellschaftlichen Erwartungen an „Mutterschaft“ und Kindererziehung gestiegen. Zwischen 1965 und 2012 hat die Zeit, die Mütter für die Kinderbetreuung aufwenden, sogar zugenommen. „Für den Moment“, schreiben die Autor*innen, „können wir sagen, dass es tiefgreifende Spannungen im gegenwärtigen Reproduktionssystem gibt, wobei der Geist des Ernährer-/Hausfrauenmodells weiterhin gegen neuere Annahmen stößt, dass jeder, der für Geld arbeiten kann, auch für Geld arbeiten wird“.

Die Autor*innen stellen jedoch nicht ausdrücklich die Verbindung zwischen unzureichenden Ressourcen und den zugrunde liegenden wirtschaftlichen Widersprüchen innerhalb des kapitalistischen Systems her, die zu einer Krise führen und die Bereitschaft der Kapitalist*innenklassei einschränken, auf einen Teil ihrer Gewinne zu verzichten – indem sie entweder die Steuern zahlen, die zur Finanzierung von Dienstleistungen durch den Staat erforderlich wären, oder die höheren Löhne, die es den Arbeiter*innen ermöglichen würden, diese über den Markt zu erwerben.

Ein „privatisiertes Versorgungssystem, das mit den an es gestellten Anforderungen überfordert ist“, wie die Autor*innen die Kernfamilie treffend charakterisieren, ist eindeutig untauglich. Doch was ist die Alternative? Die Autor*innen schreiben, dass „es schwer ist, einen Weg aus der gegenwärtigen Reproduktionskrise zu sehen, der nicht zu einem grundlegenden Überdenken des familiären Reproduktionssystems führt“.

Veränderung der Familienformen

Marxist*innen wurde vorgeworfen, die Familie per Gesetz abschaffen zu wollen, was völliger Unsinn ist. Wir machen einen klaren Unterschied zwischen der Familie als wirtschaftlicher und ideologischer Einheit, die auf kapitalistische Interessen ausgerichtet ist, und der Wahrnehmung der meisten Menschen von Familie als Fürsorgebeziehung: Sie spielt eine doppelte Rolle und das erklärt ihre anhaltende Attraktivität. Ein kürzlich erschienener Bericht des britischen Kinderbeauftragten, Family And Its Protective Effect1, stellt zwar fest, dass sich das moderne Familienleben dynamisch entwickelt hat – immer mehr gemeinsame Kindererziehung, mehr Mütter als je zuvor sind berufstätig, Patchwork-Familien, Kinder, die in mehr als einem Haushalt leben, gleichgeschlechtliche Eltern, Alleinerziehende usw. -, aber die Begriffe, die die Menschen mit Familie verbinden, sind gleich geblieben: „Liebevolle und starke Beziehungen“, „praktische und emotionale Unterstützung“, „gemeinsame Erfahrungen“. Mit anderen Worten: Die Qualität der Beziehungen ist wichtig, nicht die Struktur oder Zusammensetzung der Familie.

Natürlich, wie Hester und Srnicek schreiben, wird „die Familie oft als sicherer Raum, als Hafen in einer feindlichen Welt idealisiert – aber für Millionen von Menschen ist sie weit davon entfernt“. Die Familie kann auch ein Ort der Gewalt und des Missbrauchs sein. Dies wird durch eine Ideologie untermauert, die aus den aufstrebenden Klassengesellschaften vor Tausenden von Jahren stammt, als die Familieneinheit zum ersten Mal die organisatorische Grundlage der Gesellschaft bildete, in der Frauen und Kinder effektiv zum Privateigentum von Vätern und Ehemännern wurden und deren Autorität und Kontrolle unterlagen – auch durch die gesellschaftlich akzeptierte und sanktionierte Anwendung von Gewalt.

Die Lösung für die „soziale Reproduktionskrise“ besteht nicht in der „Abschaffung“ der Familie, sondern, wie Engels argumentierte, in der Beendigung ihrer wirtschaftlichen und ideologischen Funktion. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren „utopische Sozialist*innen“ an Experimenten mit gemeinschaftlichem Wohnen innerhalb des entstehenden industrialisierten kapitalistischen Systems beteiligt, die in den meisten Fällen scheiterten und die historische geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bei der gesellschaftlichen Reproduktionsarbeit in keiner Weise in Frage stellten.

Im Laufe des Jahrhunderts begannen Sozialist*innen und Marxist*innen, sich für die „Vergesellschaftung“ dieser Arbeit einzusetzen, für die Bereitstellung öffentlich finanzierter, gemeinschaftlicher Einrichtungen – für „kollektive Haushaltsführung“, wie Kollontai es formulierte. Warum, so argumentierte sie, sollten Restaurants und Reinigungskräfte nur für die Reichen da sein?

Revolutionäre Experimente

Die von den Bolschewiki angeführte Revolution von 1917 in Russland, die den Feudalismus und den Kapitalismus stürzte, bot die Gelegenheit, diese kollektiven Maßnahmen in die Praxis umzusetzen und, um die Autor*innen zu zitieren, „die Organisation der sozialen Reproduktion in ihrer Gesamtheit zu verändern“. Der Arbeiter*innenstaat machte sich sofort daran, die rechtliche und formale Gleichstellung der Frauen zu dekretieren – mit Rechten, die den wirtschaftlich entwickelteren kapitalistischen Ländern zu jener Zeit voraus waren, wie dem Wahlrecht, dem Recht auf gleichen Lohn, der Zivilehe und dem Recht auf Scheidung auf Verlangen. Sie gewährte auch das Recht auf kostenlose, legale Abtreibung auf Verlangen, machte häusliche Gewalt zu einer Straftat und einem „konterrevolutionären Vergehen“, entkriminalisierte Homosexualität, schaffte den Rechtsbegriff der Unehelichkeit ab und führte wichtige Schutzmaßnahmen und Reformen für schwangere und stillende Frauen ein. Im Programm der Kommunistischen Partei von 1919 heißt es jedoch: „Über die formale Gleichstellung der Frauen hinaus strebt die Partei danach, sie von der materiellen Last der veralteten Hausarbeit zu befreien, indem sie diese durch Gemeinschaftshäuser, öffentliche Speiselokale, zentrale Wäschereien, Kindergärten usw. ersetzt“.

Leo Trotzki skizzierte „zwei Wege, die zur Umgestaltung des Alltagslebens führen: von unten und von oben“. Von oben würden der Staat oder die lokalen Sowjets betriebliche und öffentliche Speiseräume, Kinderbetreuungseinrichtungen, Kinderkrippen und Kindergärten, kommunale Wäschereien und Reparaturwerkstätten einrichten, vor allem in den wichtigsten städtischen Gebieten. Von unten her wurden die Familien ermutigt, Ressourcen – Küchen, Wäschereien usw. – in „kollektiven Haushaltseinheiten“ zusammenzulegen. Das eine sollte das andere ergänzen, wobei man sich bemühte, die Frauen so weit wie möglich in die demokratische Organisation der kollektiven Dienste sowie in die allgemeine Führung und Verwaltung des Staates einzubeziehen.

Kollontai warb für die Vorteile einer solchen kollektiven Organisation für die Frauen, den Staat und die Umwelt: „Lebensmittel und Brennstoffe werden von den lokalen Sowjets bereitgestellt, was für die Regierung unmittelbare Einsparungen bedeutet. Anstelle von zweihundert Öfen, Brennstoff für einen zentralen Ofen. Statt zweihundert hungrige Kinder aus zweihundert einzelnen Töpfen zu füttern, ein gemeinsamer Topf. Und was für eine enorme Zeit- und Energieersparnis wird das für die Mütter bedeuten.

Statt an ihrem Herd zu stehen, kann sie einmal in der Woche oder sogar alle zwei Wochen ihre Schicht in der Gemeinschaftsküche übernehmen und weiß, dass ihre Kinder gut versorgt sind. Oder sie kann es vorziehen, die Mahlzeiten mit nach Hause zu nehmen, was auch immer für sie bequemer ist“.

Vor allem junge Menschen experimentierten mit neuen Formen der Beziehungsgestaltung und der gemeinsamen Nutzung von Räumen. Der Bürgerkrieg war ein großer Störfaktor, der die einen Menschen auseinanderriss und die anderen kurzzeitig zusammenbrachte. Aber, wie die Autor*innen betonen, konnten die neuen sozialen Arrangements nicht von den materiellen Grenzen der ersten Nachrevolutionszeit getrennt werden.

Nach den Verwüstungen des Weltkrieges, der imperialistischen Invasion und des Bürgerkriegs lag die Wirtschaft in Trümmern. Armut und internationale Isolation setzten dem, was die Arbeiter*innenregierung erreichen konnte, objektive Grenzen, ungeachtet des Willens und der enormen Anstrengungen. Die Wohnverhältnisse waren beengt und überfüllt: „Die Hausgemeinschaften hatten selten den Platz oder die Mittel, um angemessene Gemeinschaftseinrichtungen zu schaffen“. Während die meisten Petrograder*innen in gemeinsamen Speisesälen aßen, war dies anderswo nicht unbedingt der Fall. Trotzki beklagte sich über zerrissene und gestohlene Kleidung, die aus den kommunalen Wäschereien zurückkam. Wenn das Essen in den öffentlichen Kantinen oder die Betreuung in den staatlichen Kindergärten unzureichend war, fielen diejenigen, die dazu in der Lage waren, in die alte Art und Weise zurück, die Dinge durch die individuelle Familieneinheit zu erledigen.

Konterrevolution

Vor dem Hintergrund des extrem niedrigen Niveaus der wirtschaftlichen Produktivität und der Technologie in Russland zu dieser Zeit wurden Wunder vollbracht, aber sie waren, in den Worten Kollontais, „hauptsächlich ein Beweis für unsere Entschlossenheit, den Sozialismus in der Zukunft zu verwirklichen“ – ein Vorgeschmack auf das, was möglich sein könnte, wenn der revolutionäre Sturz des Kapitalismus auf die wirtschaftlich weiter entwickelten kapitalistischen Länder im Westen ausgedehnt werden könnte. Als die Revolutionen, die ausbrachen, in Niederlagen endeten, war die Arbeiter*innenregierung gezwungen, einen teilweisen Rückzug anzutreten – was Lenin eine „Atempause“ zur Verteidigung der Revolution nannte -, indem sie 1921 durch die Neue Ökonomische Politik Elemente kapitalistischer Verhältnisse in die staatliche Wirtschaft einführte. Die Unternehmen schränkten ihre Investitionen in kommunale Dienstleistungen ein und viele wurden zur Schließung gezwungen. Viele Frauen verloren ihre Arbeit.

Armut, Not und internationale Isolation bildeten einen fruchtbaren Boden für das Wachstum der konterrevolutionären stalinistischen Bürokratie, die, wie Trotzki in seinem Buch Die verratene Revolution schrieb, „unendlich viel weiter ging, als es die eiserne wirtschaftliche Notwendigkeit verlangt“, um die Errungenschaften der Revolution in Bezug auf Frauen und Familie zurückzudrehen. Die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und sozialen Rolle der Familie entsprach den Bedürfnissen der Bürokratie, die ihre Privilegien durch wirtschaftliche Expansion und autoritäre Unterdrückung verteidigen und ausbauen wollte.

„Das zwingendste Motiv des gegenwärtigen Familienkults“, so Trotzki weiter, „ist zweifellos das Bedürfnis der Bürokratie nach einer stabilen Hierarchie der Beziehungen und nach der Disziplinierung der Jugend durch vierzig Millionen Stützpunkte für Autorität und Macht“.
Es waren die einzigartigen Faktoren der wirtschaftlichen Armut und der revolutionären Isolation, die schließlich dazu führten, dass in Russland und der Sowjetunion die Hoffnungen auf eine neue Art der Organisation der sozialen Reproduktion, die die Frauen befreien und ihr Leben verändern könnte, zerstört wurden. Heute, inmitten der Armut, der Ungleichheit und der Ungerechtigkeit des globalen kapitalistischen Systems, ist es immer noch möglich, sich vorzustellen, wie sogar die vorhandenen Technologien und Ressourcen eingesetzt werden könnten, um diese Befreiung in einer anders organisierten Gesellschaft herbeizuführen, in der das Privateigentum an den Produktionsmitteln und das Profitstreben abgeschafft sind.

Hester und Srnicek stellen sich eine „postkapitalistische Welt“ vor – ein vager Begriff, den sie nie wirklich definieren -, die „die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen voraussetzt“ und die „den Bereich der Freiheit erweitern wird“, etwas, dem Marxist*innen eindeutig zustimmen würden. Was sie nicht erklären, ist, wie eine solche Welt herbeigeführt werden könnte, so dass unklar bleibt, ob ein grundlegender revolutionärer Wandel notwendig ist, wie er 1917 in Russland begonnen wurde, mit der Arbeiter*innenklasse als zentraler Kraft, angeführt von einer revolutionären Partei, oder ob sie glauben, dass dies mit anderen Mitteln erreicht werden könnte.

Sozialistische Möglichkeiten

Einer der wichtigsten Aspekte des Sozialismus wäre die Maximierung der Kontrolle, die die Menschen der Arbeiter*innenklasse über jeden Aspekt ihres Lebens haben, und ihre Beteiligung an den Entscheidungen, die getroffen werden, sei es bei der Planung der Wirtschaft, der Funktionsweise einzelner Arbeitsplätze oder der Organisation von Gemeinschaften vor Ort. Wie die Autor*innen haben auch wir keinen vollständigen Plan, wie eine zukünftige Gesellschaft anders organisiert sein könnte. Als er darüber schrieb, welche Form die Familie und die persönlichen Beziehungen im Sozialismus annehmen würden, sagte Engels zu Recht, dass die Entscheidung darüber künftigen Generationen überlassen werden sollte.

Vor allem aber würde die demokratische Kontrolle und Verwaltung der Gesellschaft durch die Arbeiter*innenklasse echte Wahlmöglichkeiten bieten, die es in einem krisengeschüttelten kapitalistischen System nicht gibt. Die Arbeitszeit könnte verkürzt werden; die Regierungspolitik könnte, wie die Autor*innen vorschlagen, nicht-traditionelle Lebensformen ermöglichen, wenn die Menschen das wollen. In jüngster Zeit wurde in den Medien über das so genannte „Co-Living“ berichtet, bei dem die Menschen ihre eigene Wohnung haben, aber einige Gemeinschaftseinrichtungen teilen. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass diese Form des Wohnens für viele verschiedene Gruppen von Menschen sehr attraktiv sein könnte, sei es aus Gründen des Umweltschutzes oder der Zeitersparnis oder weil sie eine größere soziale Interaktion bevorzugen.

Wir stimmen mit den Autor*innen überein, dass „die Familie nicht der einzige Mechanismus sein kann und sollte, mit dem wir versuchen, die Bedürfnisse unserer Gesellschaft zu erfüllen“. Man stelle sich vor, was angesichts des Eindrucks von den Vorteilen einer anderen Art der Gesellschaftsorganisation, den uns schon die bestehenden kapitalistischen Technologien vermitteln können, möglich wäre, wenn wir die volle demokratische Kontrolle der Produktionsmittel durch die Arbeiter*innenklasse und eine demokratische Planwirtschaft hätten. Unsere Zeit, unsere Beziehungen und die Art und Weise, wie wir unser Leben organisieren, könnten verändert werden: die Zahl der Stunden, die wir für bezahlte und unbezahlte Arbeit aufwenden, könnte drastisch reduziert werden; jede*r könnte über die wirtschaftlichen Mittel verfügen, um ohne Armut und Mangel zu leben; die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Ungleichheit innerhalb der Familie könnte beendet werden; wir alle hätten viel mehr Freiheit, uns zu entspannen, Kontakte zu knüpfen, unsere Talente zu entwickeln, unser maximales Potenzial auszuschöpfen und eine umfassende Rolle beim Aufbau einer gerechteren und kooperativen Gesellschaft zu spielen.

Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache im „Socialism Today“-Magazin der Socialist Party England und Wales im November 2023.

1Dt: Die Familie und ihre Schutzwirkung

iBei Aussagen über die Produktionsmittelbesitzer der frühen Phasen des Kapitalismus wird hier das Wort „Kapitalisten“ benutzt, weil damals fast nur Männer über die Produktionsmittel verfügten, auch wenn bürgerliche Frauen von den Profiten lebten, die ihre Männer einfuhren. Heute ist das anders, weil es mittlerweile Kapitalist*innen aller Geschlechter gibt, die über enorme Vermögen verfügen. Deshalb wird hier bei Schilderungen neuerer Ereignisse das Wort „Kapitalist*innen“ benutzt. (Anmerkung des Übersetzers)

Print Friendly, PDF & Email