Das erwartete Beben und seine Folgen

((c) Michael Panse, https://www.flickr.com/photos/michael-panse-mdl/3950818204)

Zum Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen

Die Frage war nicht, ob die Landtagswahlen vom Sonntag die verhasste Ampel-Regierung schwächen oder die Parteienlandschaft weiter verändern würden. Die Frage war, wie stark das politische Beben sein würde, welches von diesen Wahlen ausgeht, und ob die Ampel ausgehend davon stürzen würde. Die Antwort auf die zweite Frage kann noch nicht abschließend gegeben werden – auch weil trotz der massiven Verluste der Super-GAU für SPD und Grüne ausgeblieben ist. Doch von Stabilität oder Verschnaufpause für die bürgerlichen Parteien kann keine Rede sein. Die Wahlen sind Ausdruck qualitativer politischer Veränderungen und des Niedergang der kapitalistischen Demokratie, welche vor über 30 Jahren in den Ost-Ländern eingeführt wurde, und seiner etablierten Parteien. Was sind die Ursachen, was sind die Gefahren für die arbeitende Bevölkerung und welche Lehren müssen Linke und Gewerkschafter*innen ziehen?

von Tom Hoffmann, Sol Bundesleitung

„Eine verhasste und sich zerfleischende Bundesregierung“, „eine deutsche Wirtschaft zwischen Stagnation und Rezession“, „Krieg zwischen Russland und der Ukraine und in Gaza“, „rassistisch aufgeladeneMigrationsdebatte und der Anschlag von Solingen“, „kaputt gesparte, nicht vorhandene und/oder überlastete soziale und öffentliche Infrastruktur“, „nach über 30 Jahren Wiedervereinigung im Osten weiter abgehängt und benachteiligt zu sein“ und natürlich „das seit Jahren anhaltende Gefühl, dass diese Welt aus den Fugen gerät“ – das sind ein paar Gedankenstriche, mit denen man den Hintergrund dieser Wahlen beschreiben muss, um sie zu verstehen.

Seit Wochen, wenn nicht Monaten, schauderte es bürgerlichen Medien und Parteien vor diesen Wahlen. Die Erwartungen an die Performance der Ampel-Parteien hätten tiefer nicht sein können. Und natürlich sind diese Wahlen ein Tiefschlag für SPD, Grüne und FDP. Doch das hatauch niemanden mehrüberrascht und einige Worst-Case-Szenarien sind ausgeblieben. Die SPD schafft es entgegen mancher Umfragen doch in beide Landtage, die Grünen in einen. Das führt unter anderem zu grotesken Fernsehbildern bei der ARD, die nach dem aufbrandenden Applaus von der SPD-Wahlparty den Generalsekretär Kevin Kühnert einblendet, der sagt, dass dies kein Abend zum Jubeln sei und man bei der SPD auch keinen finden werde, der jubelt…

Es sind wieder die historisch schlechtestenErgebnisse für die SPD. Die Grünen kommen nur haarscharf ins sächsische Parlament. Absolut haben beide Parteien erneut viele zehntausende Stimmen verloren. Die FDP ist völlig ausgeknockt worden. In Thüringen hat das erst vor acht Monaten gegründete BSW allein mehr Stimmen als die Ampel-Parteien.

Wendepunkt

Diese Wahlen sind ein Wendepunkt. Die Veränderung der Parteienlandschaft und der historische Niedergang aller etablierten, bürgerlichen Parteien setzt sich fort – einschließlich der CDU, die zwar beansprucht die letzte „Volkspartei“ zu sein und in Sachsen mit Ach und Krach vor der AfD landet, aber von der Unzufriedenheit mit der Ampel kaum profitiert und auch weit hinter historische Marken von 40 bis 50 Prozent fällt. Sie dürfte als potenziell größte Kraft in besonderem Maße von Anti-AfD-Stimmen profitiert haben – Enthusiasmus für ihr Programm gibt es nicht. Das von Friedrich Merz ausgegebene Ziel „AfD halbieren“ (indem man sich politisch deren Positionen annähert und Spaltung und Hetze vorantreibt) wurde völlig gerissen.

Die gestiegene Wahlbeteiligung von jeweils rund 74 Prozent ist nicht Ausdruck eines „Festtags der Demokratie“ wie der scheidende Linke-Ministerpräsident in Thüringen Bodo Ramelow es ausdrückte. Es ist Ausdruck von Polarisierung, von Ängsten und vor allem Unzufriedenheit mit den sozialen und politischen Verhältnissen bei der Mehrheit der Bevölkerung. Die meisten ehemaligen Nicht-Wähler*innen gaben aus jeweils unterschiedlichen Gründen AfD, BSW und CDU ihre Stimme. Trotzdem darf die gestiegene Wahlbeteiligung nicht darüber hinwegtäuschen, dass in beiden Ländern die Nicht-Wähler*innen die größte „Partei“ ausmachen und damit auch die bestehenden Protestangebote von AfD und BSW nicht wahrgenommen haben.

Der Absturz der Linken

Der Absturz der Linken in ihren einstigen Stammländern setzt sich in Riesenschritten fort: Auch das ist keine Überraschung, aber trotzdem heftig. In Sachsen halbiert die Partei ihre Zweitstimmen, rutscht deutlich unter die 5-Prozent-Hürde und ist nur im Landtag wegen zweier Direktmandate in Leipzig. In Thüringen wurden die Zweitstimmen mehr als halbiert und hat man die einstige Stärke verloren. 2019 noch wurde Bodo Ramelow bejubelt und setzten nicht wenige auch in der Partei ihre Hoffnung in die von der CDU gestützte rot-rot-grüne Minderheitsregierung, um die AfD wieder kleinzukriegen. Das Ergebnis ist, dass sie die Linke kleingekriegt hat. Die Thüringer Landesregierung ist vor allem damit aufgefallen, dass sie nicht aufgefallen ist – dass sie wie zu erwarten genau dieselbe pro-kapitalistische Politik betrieben hat und in keinster Weise ein Orientierungspunkt für Klassenkampf oder einen Politikwechsel im Sinne der Lohnabhängigen wurde. Das Gegenteil ist leider oft der Fall.

Ein Beispiel, das im Brennglas die Probleme verdeutlicht: Im thüringischen Schleiz soll die örtliche, einst privatisierte, Sternbach-Klinik geschlossen werden. Die thüringische Gesundheitsministerin Heike Werner von der Linken macht das in einer Pressemitteilung „persönlich betroffen“. Sie erklärt aber letztlich, dass man „zur Kenntnis nehmen müsse“, dass man eben keinen neuen Träger gefunden habe. Der stellvertretende Kreisvorsitzende der Linken im Saale-Orla-Kreis, Ralf Kalich, nimmt die Schließung in einer Pressemitteilung ebenfalls widerstandslos hin. Unterdessen organisiert die AfD eine Kundgebung gegen die Schließung, an der über 800 Menschen teilnehmen. Wen kann es wundern, dass die Linke an Unterstützung verliert und die AfD sich fälschlicherweise als Alternative für die kleinen Leute präsentieren kann.

Es ist im Gegenteil schwierig, sich eine Person vorzustellen, die staatsmännischer auftritt als Bodo Ramelow. Erhat sich zudem entgegen des Parteiprogramms beständig für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Die Linke ist im Osten mittlerweile zu einem großen Teil Establishment bzw. wird so wahrgenommen. Also suchen viele ehemalige Linke-Wähler*innen ihr Heil beim BSW oder wechseln zur CDU – wenn das auch keinen großen Unterschied macht, verhindert man so vielleicht die AfD als stärkste Kraft…

Denn dem Niedergang der Linken und der etablierten Parteien steht die gestärkte AfD und der rasante Aufstieg des neuen „linkskonservativen“ BSW von Sahra Wagenknecht gegenüber. Es ist nicht zu unterschätzen, welche qualitativen Veränderungen in der Parteienlandschaft stattfinden.

Nächster Erfolg der AfD

Zum ersten Mal seit dem Faschismus ist mit der AfD in Thüringen eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft bei einer Landtagswahl geworden. In Sachsen ist sie knapp hinter der Union zweitstärkste Kraft geworden. Auch absolut hat die Partei mehrere hunderttausend Stimmen mehr für sich gewinnen können, u.a. die von vielen Nicht-Wähler*innen. Das ist auch ein Ergebnis der rassistisch aufgeladenen Migrationsdebatte nach dem Anschlag von Solingen und Ausdruck davon, dass die Themen „Migration“ und „Innere Sicherheit“ eine große Rolle bei den Wahlen gespielt haben. SPD, FDP und Grüne haben mit Unterstützung der CDU nach der Messerattacke im Rekordtempo Maßnahmen beschlossen bzw. auf den Weg gebracht, die so in jedem AfD-Programm hätten stehen können: Verschärfungen von Polizeibefugnissen, schnellere Abschiebungen, Leistungskürzungen für Geflüchtete. Nichts davon wird mehr Sicherheit bringen. Aber viele dürften den Schluss gezogen haben, man müsse nun diejenigen unterstützen, die das von Anfang an gefordert haben.

Verfestigung der AfD-Unterstützung

Die AfD wird mittlerweile nicht mehr nur als „Protestpartei“ gewählt. Der Anteil derjenigen, welche in der Nachwahlbefragung angaben die Partei „aus Überzeugung“ zu wählen, ist gestiegen und lag bei 52 bzw. 50 Prozent. In einer Reihe von Politikfeldern werden ihr nun auch die meisten Kompetenzen zugeteilt, in Thüringen zum Beispiel bei „Asylpolitik“ „soziale Gerechtigkeit“, „Kriminalität“, „ostdeutsche Interessen“, „Ukraine/Russland“. Für viele besonders erschreckend ist der hohe Anteil junger Menschen, die für die AfD gestimmt haben. Das hat natürlich weiterhin vor allem mit den miesen Alternativen und dem Versagen der Linken (siehe Schleiz) zu tun, aber es ist ein Warnsignal für Linke und Gewerkschafter*innen, weil es Ausdruck der Verfestigung von Vorurteilen, Rassismus und falschen Ideen ist.Die Aufgabe, dass man einen Teil dieser Menschen „zurückgewinnen“ muss, wird dadurch schwerer. Aber sie bleibt bestehen und wird auch nicht unmöglich. Tatsächlich wird sie dringlicher.

Die AfD nährt sich von etwas, was der Kapitalismus tagtäglich produziert: Angst. Angst vor Kriminalität, Gewalt, „Zurückbleiben“ und „Abgehängt sein“, Armut, Repression, fehlender Gesundheitsversorgung, Wohnraum, Fachkräften oder Schulen… all das hat soziale Ursachen im Profitsystem und der Macht einer kleinen kapitalistischen Elite, für die Politik gemacht wird. Die AfD macht Migrant*innen oder Minderheiten zu Sündenböcken. Statt die wahren Verursacher*innen und das kapitalistische System anzugreifen, spaltet sie die arbeitende Bevölkerung. Sie ist keine Partei für Arbeiter*innen, sondern von und für Kapitalist*innen, Aristokrat*innen, Professor*innen und Gewerbetreibende. Aber sie wird von Arbeiter*innen gewählt, auch wenn sie keine Politik in deren Interesse macht. Kein Wunder, dass laut YouGov-Umfrage 42 Prozent der AfD-Wähler*innen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zum Beispiel gegen eine Einfrierung des Mindestlohns ist, was die AfD fordert. Das Gegengift gegen die AfD muss darin bestehen, auf diese Widersprüche hinzuweisen, die AfD zu entlarven und den Kampf gegen rassistische Spaltung mit einem Programm gegen den Kapitalismus zu führen. Das geht nur gegen und nicht mit den etablierten bürgerlichen Parteien.Der gemeinsame Kampf unabhängig von Nationalität und Herkunft gegen die sozialen Missstände und für Verbesserungen ist entscheidend, um Vorurteile und Rassismus zurückzudrängen und die AfD-Unterstützung effektiv zu untergraben.

BSW

Viele werden ihre Hoffnungen in das BSW setzen. Zum ersten Mal zieht mit dem BSW eine Partei acht Monate nach ihrer Gründung zweistellig in zwei Landtage ein und hat die Möglichkeit in Regierungen einzutreten. Auch das ist nicht völlig überraschend, aber dennoch historisch. Doch muss man sich diesen Erfolg genauer anschauen. Das BSW hat vor allem von der Linken gewonnen: In Thüringen über 80.000 Stimmen, während von der AfD nur 11.000 und von ehemaligen Nicht-Wähler*innen nur 27.000 kamen. In Sachsen ist das Verhältnis etwas anders aber vergleichbar. Das zeigt erstens: Dass das BSW von der Enttäuschung mit der Linken profitiert, aber kaum von der AfD Wähler*innen gewinnt und auch nicht so viele ehemalige Nicht-Wähler*innen mobilisiert, wie man das hätte erwarten können. In Sachsen sind es 16 Prozent und in Thüringen 14 Prozent ihrer Wähler*innenschaft, die 2019 keine Stimme abgaben.

Wir haben an anderer Stelle daraufhin gewiesen, dass das BSW letztlich keine Alternative für Arbeiter*innen ist, weil sie nicht den Kapitalismus in Frage stellt, nicht auf Klassenkampf und Selbstorganisation von Beschäftigten setzt und zudem dazu beiträgt, die Spaltung der Arbeiter*innenklasse durch migrationsfeindliche Positionen zu verschärfen. Das BSW hat in den letzten Wochen vor allem auf drei Themen fokussiert: 1. Gegen Krieg und Waffenexporte. 2. Mehr Abschiebungen und Abschottung. 3. Mehr „Sozialpolitik“, vor allem Investitionen bei Bildung und Gesundheit. Sahra Wagenknecht hatte es zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung gemacht, dass sich solche Landesregierungen gegen weitere Waffenhilfen an die Ukraine und die Stationierung von US-Langstreckenraketen positionieren müssten. Nach dem Anschlag von Solingen blies sie ins selbe Horn wie AfD-, CDU- und Ampel-Politiker*innen und forderte mehr Abschiebungen und Abschottung, was wir an anderer Stelle kritisiert haben.

Die Wahlen zeigen, dass Wagenknechts ohnehin politisch falsche Rechnung, mit der Übernahme von AfD-Rhetorik und Einschränkung von Asylrechten die AfD zu schwächen, nicht aufgeht. Für BSW-Wählende war das Thema „Zuwanderung“ weit unterdurchschnittlich wichtig für die Wahlentscheidung; das Kriegsthema war viel wichtiger. Für AfD-Wähler*innen war es umgekehrt. Weiterhin gilt, dass bei dem Thema in der Regel das Original anstatt der Kopie gewählt wird.

BSW bereit zu Koalitionen

Doch es gibt noch eine andere Illusion, die Wagenknecht verkauft: Dass im Bündnis mit CDU oder SPD ein Politikwechsel für die arbeitende Bevölkerung grundsätzlich möglich wäre. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich nicht von der Führung der Linken, sondern wiederholt deren Fehler bzw. setzt ihre eigene falsche Linie fort, da sie auch in der Linken Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen nie grundsätzlich ablehnte. Sie hat zwar die Latte für eine Regierungsbildung hoch gelegt – aus Sorge zu schnell bei ihren Wähler*innen in Ungnade zu fallen. Aber trotz dieser Auflagen formuliert sie die grundlegende Bereitschaft mit pro-kapitalistischen Parteien zu regieren. Das wundert auch nicht, da sie selbst längst zu einer Verfechterin der „sozialen Marktwirtschaft“ geworden ist. Doch mit diesen Parteien und im Rahmen dieses Systems kann man sich nicht mit der Macht der Banken, Konzerne und Super-Reichen anlegen, deren Reichtum ja gerade der Grund für die sozialen Missstände auf der anderen Seite ist. Und die Machtquelle des Kapitals liegt in den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen.

Perspektiven

Nach den Wahlen ist völlig unklar, wie es weiter geht. Das einzige was feststeht ist, dass die Regierungsbildungen kompliziert bis unmöglich werden – angesichts der polarisierten politischen Kräfteverhältnisse und der Schwäche der Etablierten. Minderheitsregierungen, Tolerierungen, wechselnde Mehrheiten und Neuwahlen werden ebenfalls Teil der möglichen Optionen sein.

Das BSW ist direkt zum „Machtfaktor“ geworden – ohne Wagenknechts Partei ist keine Mehrheit möglich, wenn die AfD in der Opposition bleiben soll. Alle haben im Vorfeld ausgeschlossen mit der AfD zu koalieren. Die CDU hat außerdem einen „Unvereinbarkeitsbeschluss“ mit der Linken, der auch mit dieser jegliche Zusammenarbeit ausschließt. In Sachsen wäre eine Mehrheit aus CDU, SPD und BSW rechnerisch möglich. In Thüringen brauchte es dazu nocheine weitere Stimme.

Für die etablierten Parteien, und insbesondere akut die CDU, ist ein großes Dilemma entstanden. Kein Wunder, dass die Debatte über den Umgang mit dem BSW, der Linken und auch der AfD in der Partei in vollem Gange ist. Friedrich Merz hatte den CDU-Landesverbänden freigestellt, mit dem BSW zu verhandeln. Wie diese mit den außenpolitischen BSW-Forderungen umgehen, wird sich zeigen. Insbesondere Wagenknecht und die Thüringer Spitzenkandidatin des BSW Katja Wolf sandten nach der Wahl positive Signale in Richtung der CDU. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob sie sich auf gemeinsame Regierungen oder Tolerierungen verständigen können.

Es ist nicht auszuschließen, dass man sich auf Bundesratsinitiativen für mehr Diplomatie in der Ukraine einigt oder auf begrenzte Investitionsvorhaben in einzelnen sozialen Bereichen. Doch solche Regierungen werden nicht die vielen sozialen Probleme lösen, die für die Arbeiter*innenklasse bestehen. Im Gegenteil: im Rahmen des Kapitalismus und mit der CDU wird eine solche Regierung früher oder später Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse und die sozial Benachteiligten durchführen.

2019 hat die Antikapitalistische Linke (AKL) Berlin beschrieben, wie das unter anderem aussehen müsste: „Einführung eines kostenlosen ÖPNV und massiver Ausbau des Schienenverkehrs in Stadt und Land; Beschlagnahmung von spekulativem leerstehendem Wohnraum, Enteignung von Immobilienkonzernen unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung, Mietsenkung und Deckelung der Mieten auf Kostenmiete, Bau von kommunalen Wohnungen; Einführung der 35-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich im öffentlichen Dienst als Einstieg in weitere Arbeitszeitverkürzung; Rekommunalisierung und massiver Stellenaufbau in Krankenhäusern, Verkehrsbetrieben sowie allen Bereichen der Daseinsvorsorge unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch demokratisch gewählte Räte von Beschäftigten, Nutzer*innen, Gewerkschaften und Landesvertreter*innen; Unternehmen, die mit Entlassungen oder Kürzungen drohen, in Landeseigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung zu überführen; das Nutzen aller Möglichkeiten von Besteuerung der Reichen und Gewinne durch das Land und die Kommunen; massive Investitionen in Infrastruktur und Soziales; Abschaffung aller Gebühren und Kosten im Bildungswesen, Aufsetzen eines Programms zur vollständigen Deckung offener Stellen in den Schulen, Auflösung des Landesamtes für Verfassungsschutz und Einsetzung eines unabhängigen NSU-Untersuchungsausschusses unter Beteiligung von antirassistischen Organisationen, Migrant*innenverbänden und Gewerkschaften.“ Weder BSW und SPD und schon gar nicht die CDU werden so ein Programm verfolgen. Im Gegenteil drohen weitere Angriffe – und zwar nicht nur auf die Rechte von Geflüchteten.

Sozialistische Opposition nötig

Insbesondere in Thüringen wird die Linke unter großen Druck geraten, einem solchen Bündnis beizutreten oder es zumindest zu ermöglichen. Ein bzw. eine einzige Abgeordnete*r, der oder die übertritt würde zudem reichen, um solch einem Bündnis eine Mehrheit zu bescheren. Leider ist weder das noch die Unterstützung einer CDU-geführten Regierung durch die Thüringer Linke insgesamt unwahrscheinlich. Das würde aber den Weg des Abstiegs, den man als linker Teil des Establishments schon beschritten hat, weiter besiegeln.

Die Aufgabe der Linken ist es sich für die Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten einzusetzen und für Politik in deren Interesse zu kämpfen. Eine CDU-geführte Regierung würde das Gegenteil tun und deren Rechte weiter angreifen – sie an die Macht zu bringen, kann daher nicht Aufgabe der Linken sein. Eine sozialistische Partei müsste in dieser Situation erklären, dass die polarisierten politischen Verhältnisse Ausdruck der massiven Unzufriedenheit in der Bevölkerung sind. Sie dürfte nicht dafür die Verantwortung übernehmen, dass diese weiter anwächst, indem sie eine Regierung „um der Regierung willen“ unterstützt – gerade weil das sonst einer rechtsextremen AfD als einziger Oppositionspartei im Landtag zu Gute käme.

Ein 180-Grad-Kurswechsel der Linken ist bitter nötig, damit die Partei gegenüber der Arbeiter*innenklasse deutlich machen kann, dass sie einen Wert für sie hat. Das würde heißen, als sozialistische Opposition gegen die ganzen sozialen Missstände im Land und die zu erwartenden Angriffe der nächsten Regierung zu kämpfen, sowie den Fokus auf den Aufbau von außerparlamentarischen Widerstand auf den Straßen, in den Betrieben, Schulen und Unis zu legen. Leider scheint es nahezu ausgeschlossen, dass es dazu kommt.

Debatten in der AfD

Eine Einbindung der AfD in eine Regierungscheint zu diesem Zeitpunkt noch äußerst unwahrscheinlich. Die Höcke-AfD ist für das Kapital zu unkontrollierbar und zu groß wäre auch der Aufschrei in der Bevölkerung. Die Sperrminorität der AfD in Thüringen ermöglicht es ihr bestimmte Gesetzesvorhaben, die Wahl von Richter*innen und eine Auflösung des Landtags zu blockieren.

Auch in der AfD wird es neue Debatten über das „Wie weiter“ geben. Der Flügel um Weidel/Gauland will perspektivisch eine Regierung mit der CDU, dem steht aber der rechtsextrem bis faschistische Höcke-Flügel im Wege, der nun nochmals gestärkt wurde und sich anders als andere rechtspopulistische Kräfte wie in Italien oder Frankreich nicht so einfach in das bürgerliche Establishment einhegen will und dann um Unterstützung fürchtet.

Folgen der Wahlen

Es ist kein Zufall, dass diese Entwicklungen in Ostdeutschland stattfinden. Die Gründe dafür sind entgegen vieler westdeutscher und auch einiger ostdeutscher Kommentator*innen nicht in DDR-induzierter Demokratieresistenz oder politischer Dummheit der ostdeutschen Bevölkerung zu suchen. Das politische System des Kapitalismus, welches vor über 30 Jahren hier eingeführt wurde, ist hier einfach besonders morsch. In weiten Teilen Ostdeutschland blüht einem nicht die Landschaft, sondern eine anhaltende Schlechterstellung gegenüber dem Westen, weniger Einkommen und Vermögen, Verfall von Gemeinden, Anbindung und Infrastruktur und eine durch Wegzug alternde Bevölkerung. Die etablierten bürgerlichen Parteien konnten nie dieselben Wurzeln schlagen und das Versagen der Linken ist besonders zu spüren.

Doch diese Wahlen sind kein rein „ostdeutsches“ Phänomen. Die Stärkung von AfD und BSW, die Enttäuschung über Ampel-Parteien und Linke, die Grenzen und Probleme der CDU – all das gibt es auch im Westen. Die Entwicklungen sind daher ein Wetterleuchten für die Zukunft. Denn das „Beben“ in Thüringen und Sachsen von diesem Sonntag wird im Vergleich zu den Entwicklungen, die in den nächsten Jahren kommen werden, dann eher einem „ordentlichen Durchschütteln“ gleichen.

Die Tage der Ampel-Regierung sind gezählt. Die Brandenburg-Wahl am Ende des Monats und insbesondere das SPD-Ergebnis wird sicherlich noch einen wichtigen Impuls dafür geben, ob sie sich bis zu den ordentlichen Neuwahlen im nächsten Jahr durchwurschtelt oder vorher auseinanderfällt. In der FDP wird es ebenfalls weiter rumoren und wird sich die Parteiführung weiter fragen, ob man besser als Teil dieser Ampel oder als Auslöser für ihren Zusammenbruch in den Wahlkampf ziehen will. Auch das Kapital könnte seinen Druck auf Neuwahlen noch erhöhen.

Polarisierung statt gesellschaftlichem Rechtsruck

Diese Wahlen markieren einen weiteren Rechtsruck auf der parlamentarischen Ebene. Dieser darf nicht unterschätzt werden. Die Stärkung von AfD und CDU, die Vergiftung der öffentlichen Debatten und die Zunahme von Rassismus sind brandgefährlich – auch weil weniger über die wirklichen sozialen Probleme gesprochen wird. Doch es ist falsch, wenn die Noch-Linken-Chefs Martin Schirdewan und Janine Wissler implizieren, die wäre eine Folge von „einer gesellschaftlichen Verschiebung der Kräfteverhältnisse“ und eines „rechten Zeitgeists“. Das verkennt erstens die eigene Verantwortung für das Erstarken rechter und rechtsextremer Kräfte durch die Anpassung an den bürgerlichen Politikbetrieb und zweitens, dass es neben Rechtsentwicklungen auch Linksentwicklungen gibt. Noch im Frühjahr gab es die größten Demonstrationen seit vielen Jahrzehnten in Deutschland gegen die AfD. Diese wurden zwar oft von pro-kapitalistischen Kräften und dem Establishment politisch dominiert, weswegen sie die AfD-Unterstützung nicht großartig bzw. nachhaltig schwächen konnten, aber sie haben trotzdem deutlich gemacht, dass eine Mehrheit weiter gegen die AfD ist.Es gibt einegesellschaftliche Polarisierung, deren linker Pol tragischerweise keinen politischen Ausdruck findet.Allein die Streikwellen der letzten Jahre und die Neueintritte in die Gewerkschaften sind ein Beleg dafür.Gerade bei sozialen Fragen, wenn es um Gesundheit, Bildung, Arbeitsplätze, soziale Ungleichheit usw. geht, gibt es Mehrheiten für linke Positionen.

Alles schreit nach einer linken Massenpartei der Arbeiter*innen und sozial Benachteiligten. Der Aufbau einer solchen Kraft ist letztlich nötig, um nicht nur die AfD kleinzukriegen, sondern auch den Widerstand gegen Angriffe auf den Lebensstandard und die Rechte der Lohnabhängigen mit einer sozialistischen Perspektive zu führen. Die Lehren aus dem Scheitern der Linken müssen Parteilinke und Linke und Gewerkschafter*innen außerhalb der Partei ziehen, wir werden dazu vor dem Parteitag noch einen Beitrag verfassen. Doch selbst wenn es heute keine kämpferische linke Massenpartei gibt, heißt das nicht, dass die AfD unaufhaltsam wäre. Besonders die Gewerkschaften sind gefordert sich viel mehr mit eigenen politischen Kampagnen und Protesten für die Interessen der Lohnabhängigen, gegen die sozialen Missstände und gegen Rassismus einzusetzen. So könnte die Arbeiter*innenklasse die gesellschaftlichen Debatten beeinflussen, sodass die wirklichen Probleme, mit welchen Millionen tagtäglich konfrontiert sind, und deren Ursachen diskutiert und bekämpft werden. Arbeiter*innen brauchen eine eigene politische Kraft und in den Gewerkschaften muss daher auch eine Diskussion begonnen werden, wie diese aufgebaut und die faktische Unterstützung vieler Gewerkschaftsspitzen für die pro-kapitalistische SPD beendet werden kann.

Kommende Klassenkämpfe

Nichts wäre falscher, als angesichts dieser Ergebnisse den Kopf in den Sand zu stecken. Das Potenzial für Widerstand und Klassenkampf ist gegeben. Das Kapital drängt auf weitreichende Angriffe und Kürzungen. Immer deutlicher wird auch, dass es zu mehr Stellenabbau kommt. Ob bei ThyssenKrupp Stahl, bei der Deutschen Bahn oder nun die Ankündigungen bei Volkswagen, in Deutschland mit betriebsbedingten Kündigungen und Werksschließungen zu drohen. Das sind Vorboten von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in einer Dimension, die es lange nicht gegeben hat. Dieser Klassenkampf von oben muss durch Klassenkampf von unten beantwortet werden. Solche sozialen Kämpfe, in denen Arbeiter*innen ihre gemeinsamen Interessen unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe erkennen und dafür einstehen, werden auch das beste Mittel gegen Rassismus sein.

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