Frankreich nach den Wahlen: „Partei für Arbeiter*innen nötig“

Interview mit zwei Sozialist*innen 

Nach Erfolgen der rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) bei der Europawahl in Frankreich wurde bei den vorgezogenen Parlamentswahlen das neue linke Bündnis Nouveau Front Populaire, NFP (Neue Volksfront) stärkste Kraft. Ein Gespräch mit Yohann Bis, Vorstandsmitglied der Gauche Revolutionaire (GR), Mitglied im CGT-Fachbereichsvorstand für die Normandie und Elémiah Beuriot, Altenpflegerin und Sekretärin der GR in Rouen.

Wie erklärt ihr den Umschwung zugunsten der Linken?


Elémiah: Die Möglichkeit einer Parlamentsmehrheit der RN wurde von großen
Teilen der Bevölkerung als Gefahr erkannt. Viele haben sich deshalb, genau wie wir, an der Kampagne für die NFP beteiligt. Ich glaube trotzdem, dass das Bündnis aus La France insoumise (LFI, das widerständige Frankreich, die Partei Mélenchons) und der Sozialistischen Partei (PS) keine gute Sache ist.


Wieso?


Yohann:
Die NFP besteht aus vier Parteien: LFI, PS, der Kommunistischen Partei und den Grünen. Die Politik wird in Verhandlungen der Parteiführungen festgelegt. Es gibt keine lokalen Strukturen.
Die Kommunistische Partei ist wegen ihrer angepassten Politik im Niedergang. Die PS steht für eine bürgerliche Politik und stellt sich gegen viele Punkte der LFI. Die Grünen versuchen zu vermitteln. So wird das Programm der LFI verwässert. Die LFI redet in letzter Zeit nur davon, dass das Volk gegen die Eliten stehen muss. Von Arbeiter*innenklasse ist keine Rede mehr.


Was ist das Programm der NFP?


Elémiah:
Sie hat nur ein 100-Tage-Programm: Es geht um Renten, das Anheben des Mindestlohns und die Rücknahme der rassistischen Ausländergesetze.
Yohann: Beim Thema Gaza hat sich die LFI durchgesetzt. Ein Ende des Krieges und eine Blauhelmmission werden gefordert. Bei der Ukraine hat die NFP die Position der PS übernommen und ist für Waffenlieferungen. Im Parlament will die LFI dagegen stimmen. Das zeigt die Widersprüche der Formation.


Die Linke hat keine Mehrheit. Was kann sie tun?


Elémiah:
Sie darf nicht mit der Partei von Macron koalieren und sollte für Proteste mobilisieren, da die Angriffe auf Arbeits- und Lebensbedingungen weitergehen.
Yohann: Macron hat den französischen Kapitalist*innen versprochen, keine sozialen Reformen durchzuführen. Das macht eine Einigung mit der NFP für ihn quasi unmöglich. Er kann aber versuchen, mit PS und Grünen ein Bündnis zu bilden.
Elémiah: Die Masse der Bevölkerung hat für die sozialen Forderungen der NFP gestimmt
und will, dass die Rentenkürzung zurückgenommen wird. Es ist nötig, eine richtige Partei für die Interessen der Arbeiter*innen zu gründen. Viele Leute wollen diskutieren, teilhaben, sich organisieren. Dafür wäre eine solche Partei ein Instrument.



Was machen die Gewerkschaften?


Yohann:
Die Gewerkschaften machen gerade nichts. Das erste Mal in der Geschichte gab es ein Jahr lang keine landesweiten Streiks. Jetzt ist es nötig, für den Herbst Streiks zu organisieren. Wir brauchen eine Kampfstrategie. Wenn die Forderungen nach einem Streiktag nicht erfüllt werden, braucht es einen zweitägigen Streik usw. Ein Problem ist, dass in den letzten Jahren viele Kämpfe verloren gegangen sind. Lohnabschlüsse waren fast alle unter der Inflationsrate. 

Wie kann die Rechte geschlagen werden?


Elémiah:
Die Arbeiter*innenklasse muss stärker und organisierter werden. Die Rechte profitiert davon, dass sich die Lebensbedingungen verschlechtern. Sie macht dafür die Migration verantwortlich und lenkt so von den wirklichen Ursachen ab, die im Kapitalismus liegen. Wir brauchen eine starke Kraft, die deutlich macht, dass eine sozialistische Gesellschaft möglich ist.
Yohann: Wir brauchen im September einen Streik für mehr Sozialleistungen, bessere Löhne und eine gleitende Lohnskala, die die Auswirkungen der Inflation bekämpft, niedrigere Energiepreise sowie die Verstaatlichung der Energiekonzerne unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung. Ein starker Streik würde zeigen, wo die Rechten bei sozialen Fragen stehen und dass sie der wirkliche Feind sind.

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