„Ich bin Kapitalistin“

Foto: Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of America - CC BY-SA 2.0

Warum Kamala Harris weiter Politik für Kapitalist*innen und nicht für Arbeiter*innen macht

Bidens Kampagne war nach seiner Debatte mit Trump auf dem besten Weg zu scheitern. Und das, obwohl führende Demokraten – darunter sogenannte progressive oder „linke“ Demokraten wie Sanders und AOC (Alexandria Ocasio-Cortez) – Biden bis zuletzt unterstützten. Pressekonferenzen und ein hochkarätiges Fernsehinterview eine Woche nach der Debatte konnten ihn nicht retten. Bidens Interviewauftritt verstärkte den Eindruck, dass er nicht nur den Verstand verlor, sondern auch die Wahl verlieren würde. Diese Ereignisse führten zu einer abrupten Einstellung der Großspenden von Unternehmensvorständen und anderen Kapitalist*innen an die Biden/Harris-Kampagne und die sie unterstützenden Political Action Committees (PACs).

von Jeff Booth, Independent Socialist Group

Geld regiert die Welt, insbesondere in der Republikanischen und Demokratischen Partei. Das Democratic National Committee (DNC) handelte schnell, um Biden zu stürzen, die Unternehmensgelder wieder fließen zu lassen, und das bereits eingezahlte Geld der Biden/Harris-Kampagne auf legale Weise zu verwenden. Das DNC setzte Harris durch. Sie galt als bekannte Größe, die jahrelang als „Top-Cop“ als Bezirksstaatsanwältin von San Francisco, dann als Generalstaatsanwältin von Kalifornien, Senatorin und Vizepräsidentin auf Herz und Nieren geprüft worden war. Harris ist für die Kapitalist*innen, die die Demokratische Partei unterstützen, politisch und finanziell eine sichere Wahl.

Kamala Harris: „Ich bin Kapitalistin“
Während ihrer Kandidatur für die Nominierung der Demokratischen Partei in den Jahren 2019 bis 2020 erklärte „Frau Harris vor Wirtschaftsvertretern oft: ‚Ich bin Kapitalistin‘. Fast das ganze Jahrzehnt über unternahm sie regelmäßig Fundraising-Reisen nach New York und in andere Finanzzentren – und das schon vor ihrem Senatswahlkampf 2016 in Kalifornien … Im März [2024] verbrachte sie ein zweistündiges Mittagessen mit Jamie Dimon, dem Vorstandsvorsitzenden von JPMorgan Chase, … Wirtschaftsführer sagten größtenteils, dass sie erwarten, dass sich die Wirtschaftspolitik von Frau Harris kaum von der von Präsident Biden unterscheiden wird.“ [„Harris Works to Build Bridges to the Business World“, New York Times, 24.07.2024]
Die neue Harris-Kampagne hat sich durch das Einsammeln von Wahlkampfspenden in Rekordhöhe hervorgetan, die hauptsächlich von Unternehmen stammen. „Mehr als 100 Risikokapitalgeber … haben versprochen, im November für Vizepräsidentin Kamala Harris zu stimmen, und hatten Spenden für ihre Präsidentschaftskampagne gesammelt … Zu der Gruppe gehören Reid Hoffman, einer der Gründer von LinkedIn, Vinod Khosla von Khosla Ventures, Mark Cuban, der ehemalige Haupteigentümer der Dallas Mavericks, … Netflix-Mitbegründer Reed Hastings … und der Milliardär Chris Sacca.“ [„More Than 100 Silicon Valley Investors Support Kamala Harris,” New York Times“, New York Times, 1.7.2024]

Harris’ engste Berater und ihre unternehmensfreundliche Agenda
Harris’ Team aus gut überprüften Kapitalist*innen und unternehmensfreundlichen Berater*innen spiegelt ihr wahres Wesen als kapitalistische Politikerin wider. Zu ihnen gehören: Tony West, Harris’ Schwager, ein hochbezahlter Senior Vice President und Chief Legal Officer bei Uber; Laphonza Butler, ein Tech-Lobbyist, ehemaliger SEIU-Gewerkschaftsfunktionär und jetzt Verräter der Arbeiter*innenbewegung. West und Butler waren maßgeblich daran beteiligt, dass Uber Versuche von Fahrer*innen bei Uber, Lyft und DoorDash vereitelt hat, Gewerkschaften beizutreten oder zu gründen. Der demokratische Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, belohnte Butler für ihren Verrat an den Arbeiter*innen, indem er sie auf den Senatssitz berief, der zuvor von Diane Feinstein besetzt war.
Zu Harris’ weiteren Wirtschaftsberatern gehören Mike Pyle und Brian Deese aus der Blackrock-Unternehmenshierarchie sowie Deane Millison, ein Lobbyist für Ford. Deese war auch Direktor des Office of Management and Budget, als Obama nach der „Großen Rezession“ von 2008 die großen Unternehmen rettete. Er leitete die staatliche Rettung der Autoindustrie.

Ein neues „Modell Kamala“ oder demokratische Politik wie immer?
„Ich möchte unbedingt mit den Erfolgen werben, die Joe und ich gemeinsam erreicht haben.“ Harris und die Demokratische Partei versuchen nun, ihre Kampagne als etwas darzustellen, das sich von der Politik der Biden/Harris-Regierung unterscheidet. Bei einigen wichtigen Themen ist es nicht schwer zu erkennen, dass Harris Bidens Versprechen an wohlhabende Unternehmensspender bei einer Spendenaktion im Jahr 2020 befolgen wird, dass es trotz der wachsenden Ungleichheit in den USA ‚keine grundlegenden Veränderungen geben wird‘.

Gaza
Harris wird von den Demokraten als in der Gaza-Frage irgendwie „besser“ als Biden vermarktet. Harris, eine führende Politikerin der Demokratischen Partei, ist eindeutig gegen ein Waffenembargo oder Kürzungen der rekordverdächtigen Militärhilfe der USA für Israel. Bei den jüngsten Protesten in den USA Mitte August gegen den Krieg im Gazastreifen wurde „Not one more bomb“ gefordert: ein Waffenembargo gegen Israel. Harris’ Antwort durch ihren „Nationalen Sicherheitsberater“: „Sie unterstützt kein Waffenembargo.“
Harris veröffentlichte ein Statement, in dem sie pro-palästinensische, kriegsgegnerische Demonstrant*innen anging und behauptete, sie unterstützten den Terrorismus der Hamas, und dass „… wir verabscheuungswürdige Handlungen von unpatriotischen Demonstranten und gefährliche, von Hass getriebene Rhetorik gesehen haben“. Harris gibt vor, einen „Waffenstillstand“ zu unterstützen, ohne Einzelheiten zu nennen. Biden und die Führung der Demokratischen Partei sprechen ebenfalls von einem Waffenstillstand, doch am 13. August kündigte die Biden/Harris-Regierung weitere 23,5 Milliarden Dollar für das israelische Militär an. Bei einer Wahlkampfveranstaltung riefen die Demonstranten: „Kamala, Kamala, du kannst dich nicht verstecken! Wir werden nicht für Völkermord stimmen.“ Harris’ Antwort: „Ich spreche jetzt … ‚Weißt du was? Wenn du willst, dass Donald Trump gewinnt, dann sag das. Ansonsten spreche ich.‘ Das klingt sehr nach: “Halt den Mund, die Leute könnten dich hören!“
Harris kann sich nicht vor einer großen Zahl von Wähler*innen verstecken, die sich daran erinnern werden, dass sie aktiv daran beteiligt war, als die Demokratische Partei dem israelischen Staat die Invasion und Besetzung des Gazastreifens und die Verfolgung einer völkermörderischen Politik gegen das palästinensische Volk ermöglicht hat. Harris benutzte die abgedroschene Rhetorik des „kleineren Übels“, um jegliche Kritik an der imperialistischen Politik gegen das palästinensische Volk buchstäblich niederzubrüllen, obwohl es zwischen der Republikanischen und Demokratischen Partei keinen nennenswerten Unterschied bei der Unterstützung des israelischen Staates gibt, auch die Invasion und Besetzung des Gazastreifens betreffend.

Mindestlohn
Biden – und jetzt Harris – hat sich im Wahlkampf für die Anhebung des bundesweiten Mindestlohns eingesetzt. Die Biden/Harris-Regierung hat aber nichts unternommen, um dies zu erreichen, obwohl sie zwei Jahre lang die Kontrolle über das Repräsentantenhaus, den Senat und die Präsidentschaft hatte. Harris versprach kürzlich, dass sie im Falle ihrer Wahl einen höheren Mindestlohn unterstützen würde. Der bundesweite Mindestlohn ist ein garantierter Armutslohn: 7,25 Dollar pro Stunde, und nur 2,13 Dollar pro Stunde für Arbeiter*innen mit Trinkgeld. In zwanzig Bundesstaaten gibt es keinen höheren Mindestlohn. Der Mindestlohn auf Bundesebene ist so niedrig, dass er in den letzten 15 Jahren 30 Prozent seiner Kaufkraft verloren hat. Es ist für Harris/Walz einfach, zu diesem Zeitpunkt mehr zu versprechen, aber sie weigern sich immer noch, sich auf eine genaue Höhe für einen Mindestlohn auf Bundesebene festzulegen. Die Realität ist, dass ein Mindestlohn derzeit mindestens 25 Dollar pro Stunde betragen müsste, um die Inflation auszugleichen. Jobs mit Bezahlung unter dem Mindestlohn, wo die Beschäftigten auf Trinkgelder angewiesen sind, dürfte es nicht geben. Die Harris-Kampagne, die Trump nachahmt, fordert aber, dass Trinkgelder nicht besteuert werden sollen – ein gutes Indiz dafür, dass ein Harris-Regime nicht versuchen würde, den geringeren Mindestlohn für „Trinkgeld-Jobs“ abzuschaffen.


Abtreibungsrechte
Obama und Biden versprachen beide, Bundesgesetze zu verabschieden, die das Recht auf Abtreibung garantieren. Beide hatten zwei aufeinanderfolgende Jahre, in denen die Demokratische Partei den Kongress und die Präsidentschaft kontrollierten und ein Bundesgesetz über Abtreibungsrechte hätten verabschieden können. Das ist nicht geschehen: Sie weigerten sich, ein Gesetz über Abtreibungsrechte zu verabschieden, und sahen zu, wie viele Staaten die reproduktiven Rechte stark einschränkten. Biden/Harris verfolgten tatenlos, wie die Roe-V.-Wade-Grundsatzentscheidung 2022 gekippt wurde. Die Demokratische Partei hat die ausschlaggebende Stimme von Vizepräsidentin Harris im Senat 33 Mal für andere Themen genutzt. Sie haben nicht versucht, Proteste gegen die Aufhebung von Roe v. Wade zu organisieren. Sie befürchten wohl, dass Massenprotestbewegungen sich der Kontrolle der Demokratischen Partei entziehen und eskalieren könnten, um größere Forderungen an die Kapitalist*innenklasse zu stellen.

Wohnen
Im Mai dieses Jahres erreichte der mittlere Verkaufspreis für ein bestehendes Haus einen Rekordwert von 419.300 US-Dollar. Die Obdachlosigkeit stieg im Jahr 2023 um 12 Prozent und erreichte damit die höchste Zahl seit 2007, dem Beginn der Datenerhebung. Die Regierung Biden/Harris ließ die Maßnahmen zur Linderung der Pandemie auslaufen, darunter ein Räumungsmoratorium und eine Notfall-Mietbeihilfe. Die Einstellung dieser Maßnahmen trägt wesentlich zur Rekordzahl an Obdachlosen bei. In den letzten zwei Jahren haben die Mieten „in 44 der 50 größten Metropolen der Vereinigten Staaten das Lohnwachstum bei weitem übertroffen“. Das Fehlen einer Politik für den massenhaften Wohnungsbau unter der Regierung Biden/Harris hat eine chronische Wohnungskrise verschlimmert, unabhängig davon, welche Unternehmenspartei in den letzten 40 Jahren neoliberaler Politik an der Macht war.
Harris hat ein paar Ansätze zum Thema Wohnungsbau begonnen, die eine Fortsetzung von Bidens bisher nie umgesetzten Vorschlägen sind, darunter der Bau von drei Millionen „erschwinglichen“ Häusern in den nächsten vier Jahren. Dies ist bei weitem nicht ausreichend. Seit 2020 wurden in den USA bereits sechs Millionen Häuser gebaut. „Erschwinglich“ ist nicht definiert. Es wird eine Anzahlungshilfe von 25.000 US-Dollar mit Einschränkungen für Erstkäufer*innen erwähnt, die ihre Miete mindestens zwei Jahre lang pünktlich bezahlt haben. Angesichts der Kosten, die derzeit beim Kauf eines Hauses anfallen, ist dieser Vorschlag nicht ausreichend und es fehlen konkrete Angaben – aber es wäre das konkreteste und substanziellste der Minimalversprechen, die Harris macht. Wie viele der Ausgabenvorschläge von Biden/Harris sind auch Harris’ Vorschläge zum Wohnungsbau bestenfalls erste Schritte, zu klein gedacht und konzentrieren sich auf massive Auszahlungen an Privatunternehmen statt auf Gelder für öffentliche Programme.
In den Versprechen von Harris und ihrer Partei zum Wohnungsbau wird nicht erwähnt, dass der massenhafte Bau von öffentlichen Wohnungen, ein landesweiter Mietstopp und Mietkontrollgesetze, die Begrenzung von Hypothekenzinsen, oder die Verhinderung, dass Unternehmen wie Blackstone, FirstKey und American Homes for Rent große Mengen an Einfamilienhäusern kaufen und in teure Mietobjekte umwandeln, notwendig sind.

180-Grad-Wende bei vielen Themen
Die Biden/Harris-Regierung ist in Bezug auf Polizeiarbeit, Einwanderung, Umwelt und viele andere Themen bereits nach rechts gerückt (von bereits konservativen Positionen aus). Harris hat diesen Weg schon vor ihrer Zeit als Vizepräsidentin eingeschlagen, und macht jetzt so weiter. Sie begann als Law-and-Order-Demokratin, bis die Black-Lives-Matter-Bewegung (BLM) sie etwas unter Druck setzte. In dem Moment, in dem die BLM-Bewegung weniger in der Öffentlichkeit stand, ließ sie Ideen zur Polizeireform fallen. Ihre politische Karriere ist voll von falschen Versprechungen. Sie ist nun gegen Medicare For All und den Green New Deal – beide Gesetzesvorhaben hatte sie bisher unterstützt. Dafür spricht sie sich für Fracking und auch die Todesstrafe aus – beides hatte sie bisher abgelehnt.

Die Harris-Kampagne verstärkt ihre liberalen populistischen Versprechen. So versprechen sie beispielsweise, wie Obama und Biden vorher, wichtige Reformen zur gewerkschaftlichen Organisation von Arbeitnehmer*innen zu verabschieden. Obama und Biden behaupteten dasselbe und traten dann die Arbeiter*innenbewegung mit Füßen, indem sie nichts unternahmen, um die versprochenen Gesetze zu verabschieden. Harris wandte diese Taktik kürzlich auf einer Konferenz der American Federation of Teachers an und sagte: „Präsident Joe Biden und ich haben versprochen, das PRO-Gesetz zu unterzeichnen. Ich verspreche Ihnen, ich werde dieses Versprechen halten.“ (Ganz schön viele Versprechen). Das ProAct-Versprechen lag auf dem Tisch, als das Biden/Harris-Regime im Eilverfahren ein Gesetz verabschiedete, das einen möglichen Streik der Eisenbahnarbeiter*innen für ‚illegal‘ erklärte und den Arbeiter*innen einen Vertrag aufzwang, gegen den sie bereits gestimmt hatten.

Die Harris-Kampagne präsentiert sich in der Öffentlichkeit als etwas Neues, bietet aber in Wirklichkeit nur neu verpackte unternehmensfreundliche Maßnahmen an, die als Reformen bezeichnet werden. Harris’ Politik wurzelt in der Kapitalist*innenklasse, der Hierarchie der Demokratischen Partei und der Politik der Biden-Regierung. Auch wenn beide Parteien nicht gleich sind, werden zunehmende Ungleichheit, Wirtschaftskrisen für die arbeitende Bevölkerung und imperialistische Stellvertreterkriege die zentralen Ergebnisse einer von Harris oder Trump geführten Regierung sein. Durch die Unterstützung und Wahl von Politiker*innen der Demokratischen oder Republikanischen Partei gibt es für die Arbeiter*innenklasse oder die Gewerkschaften keinen Weg nach vorne. Die Independent Socialist Group ruft dazu auf, Jill Stein zu wählen. In Staaten, in denen Stein nicht auf dem Wahlzettel für das Präsidentenamt steht, dafür aber Cornel West, rufen wir zur Unterstützung und Wahl von Cornel Wests unabhängiger Kampagne auf. Der Bruch mit dem Unternehmensduopol der Republikanischen und Demokratischen Partei ist ein entscheidender, unmittelbarer Schritt, um die Arbeiter*innenklasse zusammenzubringen und sich für eine unabhängige Massenpartei mit sozialistischer Politik zu organisieren.