Nein zu jeder Regierung des Sozialabbaus: Kämpfe vorbereiten, Alternative aufbauen
Schwarzrotpink/grün ist keine Alternative, auch wenn Angst vor blauschwarz berechtigt ist
Für ein sozialistisches Programm, eine kämpferische Politik und eine neue Arbeiter*innenpartei!
Stellungnahme der Sozialistischen Offensive, Schwesterorganisation der Sol in Österreich
Die Nationalratswahl ist vorbei und das Ergebnis ist eigentlich keine große Überraschung. Es ist ein neuer Höhepunkt in einer langen politischen Entwicklung seit Jörg Haider, der Entfremdung von den etablierten Parteien und Ausdruck der zunehmenden Polarisierung. Platz 1 für die FPÖ war lange in Umfragen sichtbar. Trotzdem haben viele bis zum Schluss gehofft, dass es doch anders kommen würde. Aus gutem Grund, das Ergebnis ist nicht nur eine Bedrohung, sondern stellt auch für die herrschende Klasse ein echtes Problem dar: Es kann dauern, bis eine aus ihrer Sicht verlässliche Regierung zustande kommt und stabil wird sie auch nicht sein. Es ist falsch, das Ergebnis einfach als “Rechtsruck” zu bezeichnen, viel eher ist es eine Fortführung der Polarisierung und Ausdruck der zunehmenden Ablehnung des Establishments, „denen da oben” etc.
Insbesondere die Erklärung für das starke Abschneiden der FPÖ liefert die Grundlage für das Verständnis, was jetzt zu tun ist. Zuerst einmal das nicht ganz so Offensichtliche: Die FPÖ liegt zwar auf Platz 1. In absoluten Zahlen hat sie rund 100.000 Stimmen im Vergleich zu 2017 bzw. 1999 dazu gewonnen. Ein Großteil des Zuwachses im Vergleich zu 2019 kommt von ehemaligen Kurz-Stimmen bzw. von FPÖ-Wählenden, die 2019 nach dem sogenannten Ibiza-Skandal zuhause geblieben sind. Doch tatsächlich wurde sie von weit weniger Menschen gewählt, als es auf den ersten Blick scheint. Rund ein Fünftel der in Österreich lebenden Menschen darf nicht wählen (wohl aber Steuern zahlen), weil ihnen die Staatsbürgerschaft fehlt – das ist ein neuer Rekordwert an Menschen, denen demokratische Grundrechte verweigert werden. Dazu kommen dann rund 22 Prozent der Wahlberechtigten, die nicht gewählt haben, sowie die ungültigen Stimmen: Tatsächlich haben also nicht 29,2 Prozent die FPÖ gewählt, sondern weit weniger als 20 Prozent der Menschen, die hier leben. Immer noch bedrohlich viele und natürlich hätte es auch unter jenen, die nicht gewählt haben, Stimmen für die FPÖ gegeben – aber tatsächlich hat die überwiegende Mehrheit NICHT für die FPÖ gestimmt.
Im Gegensatz zu früher, wo die FPÖ eine klare Protestpartei war, hat sie in den letzten Jahren eine Stammwähler*innenschicht aufgebaut. Doch genau unter ihnen ist die Ablehnung des Establishments bzw. was sie dafür halten ein zentrales Wahlmotiv. Es ist der FPÖ nicht gelungen, eine “Bewegung” aufzubauen, sie mobilisiert heute auch weniger auf der Straße als früher (hat dieses Feld allerdings durchaus arbeitsteilig noch weiter rechts stehenden, gefährlichen Gruppen wie den Identitären überlassen). Die FPÖ selbst wird vor allem als Möglichkeit wahrgenommen, eine Stimme gegen die anderen abzugeben. Sie ist Protest nicht auf der Straße, im Betrieb oder im persönlichen Umfeld, sondern in der Wahlzelle. All das ist zu berücksichtigen, wenn wir das Wahlergebnis betrachten und uns die Frage stellen: “Was nun?” Letztlich zeigt das Wahlergebnis, wenn auch in verzerrter Form, die Suche nach Alternativen. Die Lösung ist daher auch nicht, die FPÖ-Wähler*innen als “ungebildet”, “uninformiert”, “dumm” oder einfach alle als “rechts” abzuschreiben, sondern die Frage muss vielmehr sein: Wie können insbesondere FPÖ-Wähler*innen aus der Arbeiter*innenklasse von dieser Partei der Reichen wieder zurück gewonnen werden für eine echte Arbeiter*innenpartei.
„Alle gegen Kickl“ stärkt die FPÖ weiter
Am Wahlabend und auch in vielen Stellungnahmen gilt nun die Devise „Alles tun, um Kickl zu verhindern”. Das ist insofern verlogen, weil in den diversen Gemeinden und Landesregierungen Zusammenarbeit und Koalitionen mit der FPÖ seit langem üblich sind. Dieser Wunsch, die FPÖ “draußen zu halten”, ist eine verständliche Reaktion angesichts der Bedrohung, die von der FPÖ ausgeht. Die angebotene “Lösung” für dieses Ziel ist eine 3er Koalition zwischen ÖVP und SPÖ plus Neos oder Grüne. Eine solche Koalition ist gefährlich, weil sie aufgrund der wirtschaftlichen Situation gezwungen wäre, die Wunschliste von Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und Forderung der EU-Kommission nach Sparpaketen abzuarbeiten. Genau damit stärken sie die FPÖ weiter. Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ ist ebenfalls gefährlich, denn selbst wenn sie wieder an diversen Skandalen zerbrechen würde, hätte sie bis dahin bereits eine Reihe von Angriffen durchgeführt. Trotz mancher Versprechen von SPÖ und Grüne sind kaum Verschlechterungen aus den vorangegangenen FPÖ-Regierungsbeteiligungen zurückgenommen worden. Ganz im Gegenteil, dieser radikale Sozialabbau hat zum Beispiel im Gesundheits- oder Bildungssystem tiefe Kerben geschlagen und viele heutige Probleme verschärft. Alle Optionen sind also aus Sicht von Arbeiter*innen, von allen die nicht viel Geld haben, von Frauen, Migrant*innen und queeren Personen gefährlich.
„Staatstragende“ Koalition?
Aktuell sieht es nach einer weitgehenden Verständigung aus den Parteispitzen auf eine “staatstragende” Koalition gegen die FPÖ aus. Dabei hatte Babler aus gutem Grund eine Koalition mit der ÖVP wieder einmal auf dem Rücken der Beschäftigten vor der Wahl ausgeschlossen. Nun gilt es für sie, sich auf ein Regierungsprogramm zu einigen. Ein solches aber kann nur ein fauler Kompromiss sein. Der rechte Flügel in der SPÖ frohlockt bereits, dass die Situation Babler dazu zwingt, endlich “vernünftig” zu sein und auf “überzogene” Forderungen zu verzichten. Überhaupt haben die Medien, die ja nicht unabhängig sind, sondern großen Konzernen gehören und damit auch in deren Interesse Meinung machen, während des gesamten Wahlkampfes Babler und sein Programm als “unrealistisch” diffamiert. Ganz anders wurde das neoliberale Konzept der Neos abgefeiert und Meinl-Reisinger dafür gelobt, dass sie “sagt, dass Kürzungen nötig sind”. Und hier liegt der Kern des Ganzen: Politik auf dem Rücken aller jener, die nicht reich sind, wird als Naturgesetz präsentiert.
Babler und die SPÖ
Je länger die Regierungsverhandlungen dauern, desto größer kann der Druck in Richtung blau-schwarz werden. Aber auch wenn eine 3er Koalition scheitert und – nach personellen Veränderungen in der ÖVP – doch eine FPÖ-ÖVP-Koalition kommt, wird die SPÖ weiterhin versuchen, sich dem Kapital als bessere und stabilere Option anzudienen. Damit wird sie noch die letzten Wähler*innen aus der Arbeiter*innenklasse vergraulen. In jedem Fall wird der Druck auf Babler, sich von seinem Programm zu verabschieden – oder selbst zu gehen – steigen. Gibt er dem nach, was wahrscheinlich ist, ist das Projekt Babler endgültig krachend gescheitert. Ein Nichtnachgeben gegenüber dem Druck der rechten SPÖ-Teile und des SPÖ-Apparats geht eigentlich nur mit einem Bruch mit diesen. Das wäre nötig – aber Babler hat vom ersten Tag „der Einheit wegen“ darauf verzichtet.
Schwierige wirtschaftliche Lage
Jede neue Regierung wird sich einer wirtschaftlich schwierigen Situation gegenüber sehen. Im Schatten der deutschen und internationalen Krise steuert die heimische Wirtschaft auf die nächste Krise zu. Die Prognosen für die nächsten Jahre lauten weitere Jahre der “Rezession”. Die Forderungen der Wirtschaftsvertretungen an jede neue Regierung sind klar: Abbau von Arbeitskosten, Abbau von Unternehmenssteuern, staatliche Zuschüsse für Unternehmen. Bezahlt werden soll das alles durch erhöhten Arbeitsdruck, längere Arbeitszeiten, Anhebung des Pensionsalters, sinkende Löhne/Gehälter/Pensionen/Sozialleistungen und Kürzungen beim Sozialstaat.
Was will das Kapital?
Das Kapital hat darum auch kein Problem mit dem Programm der FPÖ, sondern nur mit ihrer Unberechenbarkeit. Aus Kapitalseite ist es ein Abwägen der Vorteile (die FPÖ steht für besonders rasche und brutale Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse) und der Nachteile (eine Regierung mit der FPÖ ist tendenziell instabil und könnte gerade dann zusammenbrechen, wenn das Kapital eine stabile Regierung besonders nötig hat). Auch die plumpe Anti-Migrant*innen-Rhetorik der FPÖ ist zumindest für jene Teile des Kapitals ein Problem, die auf die – oft auch billigen – migrantischen Arbeitskräfte angewiesen sind. Dass die FPÖ hier bereits im Wahlkampf versucht hat, sich “differenzierter” zu präsentieren und sogar damit geworben hat, dass “gut integrierte” Migrant*innen für die FPÖ stimmen, zeigt, dass die Praxis einer FPÖ-Regierung sich vor allem gegen Asylbewerber*innen und unqualifizierte Migrant*innen richten würde. Sie müsste dann noch radikaler gegen eine Gruppe losgehen, um vermeintlich ihre Wahlversprechen einzulösen, und gleichzeitig eine andere Schicht von Migrant*innen als Arbeitskräfte erhalten, um den Bedürfnissen der Wirtschaft zu entsprechen.
Umverteilung von unten nach oben
Jede künftige Regierung, die im Rahmen der kapitalistischen Logik agiert, wird also eine Umverteilung von unten nach oben durchführen. Damit wird die Wut über die “die da oben”, “das System”, “das Establishment” berechtigter Weise zunehmen. Jede Untersuchung über die Wahlmotive zeigt, dass soziale Themen und vor allem die Teuerung kombiniert mit dem Gefühl, dass die Herrschenden keine Lösungen auf reale Probleme anbieten, zentral waren. Egal ob Teuerungskrise, soziale Krise, Krise in Gesundheits- und Bildungswesen, Klimakrise oder Kriegsgefahr: Die Herrschenden haben keine Antworten! Eine vermeintliche “Ausgrenzung” der FPÖ bei gleichzeitiger Fortführung von Angriffen auf die Rechte und den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse plus der Übernahme der rassistischen Forderungen der FPÖ ist die beste Wahlhilfe für die FPÖ bei kommenden Wahlen. Eine Koalition der etablierten Parteien “gegen die FPÖ” bereitet also den Boden für noch größere FPÖ-Erfolge.
- Als Sozialist*innen fordern wir: Wenn Babler es ernst meint, dann braucht es eine offensive Kampagne für seine Forderungen, einen Bruch mit dem rechten Parteiapparat und er darf nicht in prokapitalistische Koalitionen gehen, die in der einen oder anderen Form immer für Sozialabbau stehen!
Echte Demokratie statt Hoffen auf Van der Bellen
Ein weiteres Wahlmotiv von FPÖ-Wähler*innen war “Corona”. Dahinter steckt auch ein Gefühl des Verlustes der letzten Reste von Selbstbestimmung, die auf ein – in Wirklichkeit nebensächliches Thema – abgelenkt wird. Das Problem unter Corona war nicht die Frage der Impfung, sondern die Tatsache, dass der Großteil der Menschen auf allen Ebenen entmündigt wird. Arbeitszeit, -bedingungen und -ort und Bezahlung sind fremdbestimmt, der Vermieter entscheidet über Mieterhöhungen, die man sich nicht leisten kann. In der Politik darf man alle paar Jahre ein Kreuz machen und weiß im selben Augenblick, dass die Parteien nach der Wahl den “Wähler*innenwillen” ignoriert. Zwei Drittel meinen, dass das Parlament die Meinungen und Interessen der Menschen in Österreich nicht gut abbildet. Ebenfalls zwei Drittel meinen, dass die Parteien nur die Stimmen der Wähler*innen wollen, ihre Anliegen sie aber nicht interessieren. Der Wert ist bei FPÖ-Wähler*innen zwar am höchsten, liegt aber bei den Wähler*innen aller Parteien über 50 Prozent.
Undemokratische Maßnahmen im Namen der „Demokratie“?
Das zentrale Problem ist, dass unsere “Demokratie” von vielen als nicht demokratisch empfunden wird, sondern vor allem als Instrument von oben nach unten. Die FPÖ hat das Thema im Wahlkampf zentral aufgegriffen, steht aber für eine Politik, die real weniger demokratische Mitbestimmung bedeutet. Die Antwort darauf kann aber nicht eine “Blockade” von Van der Bellen sein, nach der einige bereits rufen in der Hoffnung, so das Problem zu lösen. Die Praxis zeigt auch, dass immer wenn Bürgerliche nach Maßnahmen gegen “Radikalismus” schreien, diese dann vor allem gegen linke, sozialistische, anti-kapitalistische bzw. Politik im Interesse der Arbeiter*innenklasse eingesetzt wird. In Frankreich war für die Bürgerlichen der Wahlsieg der Linken und des (vermeintlich) radikalen Mélenchon schlimmer, als der Erfolg der extremen Rechten unter Le Pen. Das Programm des Linksbündnisses mit der Erhöhung der Mindestlöhne, der Indexierung der Löhne an die Inflation, der Einführung einer Steuer auf Supergewinne und der Rücknahme der Pensionsreform war ein Grauen für das französische (und europäische) Kapital. Also entschied der Präsident, die Regierung an einen rechten Neoliberalen zu vergeben. Zu hoffen, eine anti-demokratische Partei durch halb-diktatorische Maßnahmen in Schach zu halten, ist eine gefährliche Illusion.
- Als Sozialist*innen stehen wir für echte Demokratie. Das bedeutet, dass Menschen in ihrem Lebensumfeld, am Arbeitsplatz, am Ausbildungsplatz wirklich mitentscheiden. Volle Demokratie ist in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht möglich. Ein erster Schritt wäre, dass Politiker*innen rechenschaftspflichtig sind für ihre Handlungen, jederzeit wieder abgewählt werden können und nicht mehr verdienen als die Menschen, die sie vertreten sollen.
FPÖ stoppen – wie es (nicht) funktioniert
Im Jahr 2000 gab es eine riesige Widerstandsbewegung gegen die erste ÖVP-FPÖ-Koalition. Es war eine der größten und längsten Protestbewegungen der 2. Republik. Und sie war erfolglos. Daraus lassen sich wichtige Lehren für die kommende Zeit ziehen. Was die damalige Regierung tatsächlich in die Enge getrieben hat, waren 2003 die großen Streiks gegen die Pensionsreform und bei den Eisenbahnen. Die Regierung hing damals am seidenen Faden, die Unterstützung für die Streiks war – auch unter FPÖ-Wähler*innen – groß. Gescheitert sind die Streiks an einer Gewerkschaftsführung, die im entscheidenden Moment den Kampf beendet hat, anstatt ihn auszuweiten. Die Anti-FPÖ-Demonstrationen 2017 waren schon nur mehr ein lauwarmer Abklatsch und wesentlich kleiner als 2000. Auch hier war es erst die Bewegung gegen den 12-Stundentag, die die Regierung in Bedrängnis gebracht hat. Und wieder wurde der Kampf gegen den 12-Stundentag durch die ÖGB-Führung gebremst und letztlich verloren.
Rolle der Gewerkschaftsführung
Zentral wird die Frage sein, wie sich die Gewerkschaftsführung gegenüber einer künftigen Regierung zeigt. Es ist zu befürchten, dass wie in der Vergangenheit bei einer SPÖ-Beteiligung die ÖGB-Führung vor allem bremsend auftritt, anstatt den berechtigten Widerstand gegen Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse zu organisieren. Die Gewerkschaftsführung sieht ihre zentrale Aufgabe in Stabilisierung und sich selbst als staatstragend. Doch das steht im Widerspruch zu den Bedürfnissen der Arbeiter*innenklasse, die einen entschlossenen Kampf gegen jede Verschlechterung braucht.
Weltlage
Wir befinden uns heute in einer weit zugespitzteren Situation als Anfang des Jahrtausends bei der ersten schwarz-blauen Regierung. Die weltpolitische Situation ist mit Ukraine-Krieg, dem sich ausweitenden Krieg im Nahen Osten, der Klima-Krise und der Folgen der Inflation und dem bedrohlichen Zustand der Weltwirtschaft mehr als kompliziert. All das destabilisiert die politische Lage und führt dazu, dass viele nach Alternativen suchen. Dieser Wunsch ist heute weit ausgeprägter als 2000. Was heute wie damals fehlt, ist eine echte Arbeiter*innenpartei, die sich an den Bedürfnissen der Arbeiter*innen und nicht den “Sachzwängen” des Kapitalismus orientiert. Dass sich die FPÖ nach den Regierungsbeteiligungen und Skandalen immer wieder erholt, zeigt, dass Rechtspopulismus nicht einfach verschwindet, solange die Basis, die ihn stark macht – kapitalistische Krise, Klassengegensätze, soziale Probleme und Unzufriedenheit – weiter besteht und es keine sozialistische Alternative zum Kapitalismus gibt.
- Als Sozialist*innen stehen wir für den Aufbau einer echten Arbeiter*innenpartei! Damit diese wirklich erfolgreich sein kann, braucht sie ein sozialistisches Programm. Wir treten für ein solches ein, machen es aber nicht zur Bedingung, uns daran zu beteiligen.
Nur ein sozialistisches Programm, Klassenkampf und eine neue Arbeiter*innenpartei können FPÖ & Co. stoppen!
Der Kapitalismus steckt tief in einer Krise und schafft auf allen Ebenen laufend Probleme. Wir stehen am Beginn einer Wirtschaftskrise, die Folgen der Teuerung sind noch überall spürbar und Armut ist schon jetzt ein Problem. Dazu kommen Kriege und Umweltkatastrophen. Doch warum sind Babler und sein relativ linkes Programm gerade bei Arbeiter*innen und den ärmeren Schichten nicht angekommen? Sowohl Babler, als auch die KPÖ, haben einige Forderungen im Wahlkampf aufgestellt, die in diese Richtung gehen. Doch ganz offenbar wurde ihnen nicht geglaubt, dass sie diese Forderungen tatsächlich umsetzen können. Die SPÖ konnte zwar im Vergleich zu 2019 Stimmen gewinnen, doch kaum von den Nichtwähler*innen, sondern vor allem von den Grünen. Babler war kein wirklicher Bruch mit der verbürgerlichten Politik der SPÖ. Er hat ihren Charakter als bürgerliche Partei letztlich nicht in Frage gestellt. Für das alte Dogma von der “Einheit der Partei um jeden Preis” hat Babler den Parteiapparat an der Macht gelassen und damit eine echte Veränderung der SPÖ verhindert. Der Versuch von Babler, einen Kompromiss zwischen seinem Kurs und dem pragmatischen Parteiapparat zu schaffen, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
KPÖ-Ergebnis
Die KPÖ hat mit über 150.000 Stimmen ihr Ergebnis im Vergleich zu 2019 fast vervierfacht – das ist eine beachtliche Steigerung, liegt aber weit hinter den Erwartungen. Auch in den KPÖ-Hochburgen, wo bei Regionalwahlen Erfolge eingefahren wurden wie in Graz, Salzburg oder Innsbruck, liegt sie bei den Nationalratswahlen weit dahinter. Auch die KPÖ erhielt den meisten Zulauf von ehemaligen Grünwähler*innen. Beide haben vor allem in einem kleinbürgerlichen Milieu gepunktet und weniger unter Beschäftigten oder Arbeitslosen.
Bewegungen und Kämpfe statt reine Orientierung auf die Wahlebene
Eine weitere Schwäche von Babler und KPÖ war die Orientierung auf die Wahlebene und die Illusion, dass Veränderung über das Parlament erreicht wird. Anstatt Teil von Bewegungen für höhere Löhne, für Arbeitszeitverkürzung, gegen Rassismus und Sexismus zu sein, haben sie auf Sozialarbeit und Stellvertretungspolitik gesetzt. Die Beschränkung der KPÖ auf das Thema Wohnen im Wahlkampf ist einerseits die Fortsetzung der Sozialarbeit-Methode und andererseits Ausdruck einer fehlenden Alternative zu Kapitalismus und seiner Logik. Auch die KPÖ war bemüht, sich “respektabel” zu präsentieren, nicht zu radikal. Beide haben sich damit letztlich an der Form von Politik orientiert, die bürgerliche “Expert*innen” propagieren und beide haben damit einen Schritt in Richtung etablierte Normalität gemacht und damit das Feld für eine (vermeintliche) Anti-Establishment-Politik wieder der FPÖ überlassen. Dass die Mehrheit der Arbeiter*innen und der Menschen ohne höhere Bildung die FPÖ gewählt haben, bedeutet nicht, dass sie alle Rassist*innen sind oder einfach dumm, sondern dass sie sich von den etablierten Parteien nichts mehr erhoffen und es der FPÖ gelungen ist, sich ein Anti-Establishment-Mäntelchen umzuhängen.
Bewusstsein
All das ist Ausdruck eines Bewusstseins, das in weiten Teilen den Schritt vom Wählen zum Organisieren noch nicht gemacht hat und ist Ergebnis einer Taktik, die auf Wahlorientierung und “Wählbarkeit” setzt. Der Umkehrschluss “Radikales Programm und Auftreten bringt den Einzug ins Parlament”, wäre genauso falsch. Es ist gut möglich, dass mit einem offensiveren Programm für die Arbeiter*innenklasse und einer deutlichen Orientierung auf Bewegung und Organisierung statt aufs Parlament das reine Stimmenergebnis niedriger gewesen wäre. Aber ein solcher Wahlkampf wäre die Grundlage für den Aufbau einer echten Aktivist*innenbasis gewesen. Mit dieser hätte dann eine kämpferische Kampagne für die aufgestellten Forderungen und gegen die Angriffe der künftigen Regierung geführt werden können. Und damit hätte ein entscheidender Fortschritt im Aufbau einer echten kämpferischen Partei für Arbeiter*innen und Jugendlichen gemacht werden können.
Herbstlohnrunde
Jetzt stehen wir am Beginn der Herbstlohnrunde. Wir brauchen dringend Lohnerhöhungen, die die Verluste der letzten Jahre wettmachen. Wir brauchen mehr Personal, um den Arbeitsdruck zu reduzieren. Wir brauchen leistbare Wohnungen und mehr Ressourcen für Bildungs- und Gesundheitswesen.
- Als Sozialist*innen fordern wir eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn/Gehalt und ausreichend zusätzliches Personal, um den Arbeitsdruck merkbar zu senken.
- Wir brauchen mehr Ressourcen für Soziales, Gesundheit und Bildung statt für Aufrüstung und Repression. Das schafft echte Sicherheit.
- Wir brauchen ein öffentliches Investitionsprogramm in Wohnbau, Öffis und Umweltschutz, finanziert aus den Gewinnen der Konzerne und den Vermögen der Superreichen.
- Wir brauchen kämpferische Gewerkschaften, um all diese Forderungen umzusetzen. Das bedeutet dass sich Gewerkschaftsaktivist*innen in den Gewerkschaften organisieren müssen, um Druck auf die Gewerkschaftsführung auszuüben, Kämpfe zu organisieren. Das gilt umso mehr, wenn die SPÖ in der Regierung ist und womöglich versucht, Kämpfe gegen eine Regierung mit SPÖ-Beteiligung zu unterbinden.
Potential und Verantwortung
Babler und die KPÖ haben in den letzten Monaten aufgezeigt, dass es ein großes Potential für sozialistische Politik gibt. Bei ihnen liegt eine enorme Verantwortung. Wenn Babler jetzt kurzsichtig, um die FPÖ zu verhindern, mit ÖVP und Grünen oder Neos in eine Koalition geht, dann ist das Projekt Babler gestorben. Er müsste dann in einer solchen Koalition Politik umsetzen, die den progressiven Forderungen Bablers wie der 30-Stunden-Woche entgegensteht. Die KPÖ wird mit 115.000 Stimmen im Rücken (und dem Geld aus der Wahlkampfkostenrückerstattung) in der kommenden Periode eine dominierende Rolle in der Linken einnehmen. Wenn die KPÖ die Schlussfolgerung zieht, respektabler zu werden, dann wird sie angepasster. Die Konzentration auf Sozialarbeit mag auf der kommunalen Ebene für eine gewisse Zeit funktionieren, auf der Bundesebene braucht es weitergehende Antworten. Unabhängig davon, was die SPÖ als ganzes bzw. Babler als Person macht, wird es für die Unterstützer*innen seines Programmes nötig sein, sich in kommende Bewegungen einzubringen. Auch Wähler*innen und Unterstützer*innen der KPÖ und Aktivist*innen aus den Gewerkschaften und aus sozialen Bewegungen müssen sich die Frage stellen, was sie nun, nach der Wahl und angesichts einer künftigen Regierung des Sozialabbaus machen.
- All diese Aktivist*innen müssen sich rund um eine zentrale Forderungen zusammenschließen und eine kämpferische Kampagne für diese Forderungen lostreten. Daraus kann eine Bewegung entstehen, die echte Schritte in Richtung einer neuen Arbeiter*innenpartei geht und die wirklich in der Lage ist, die FPÖ auszubremsen.
Achtung Ablenkungsversuche
Der Themenbereich Migration wird als zentrales Wahlmotiv präsentiert – doch bei näherem Hinsehen wird hier auch einiges aufgebauscht. Seit Jahren wird rauf und runter gebetet, dass Migration das zentrale Problem und die Ursache diverser Probleme ist. Diese Darstellung zieht sich durch die Erklärung der etablierten Parteien und der bürgerlichen Medien und dient auch dazu, von den wahren Verantwortlichen für wachsende Armut, Krieg und Sozialabbau abzulenken. Dazu kommt noch, dass die etablierten Parteien seit Jahrzehnten versuchen, der FPÖ den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem man selbst gegen Migration/Asylbewerber*innen hetzt und vorgeht. Damit wird nicht nur die FPÖ-Darstellung unterstützt, sondern auch rassistische Erklärungen legitimiert. Wenn also das gesamte Establishment seit Jahrzehnten behauptet, Migration wäre das Problem Nr.1, dann ist es nicht verwunderlich, wenn in Umfragen Migration als Wahlmotiv vorne liegt. Und trotzdem war das Thema, über das Menschen im Wahlkampf am meisten gesprochen haben, die Frage der Teuerung.
Mangelverwaltung führt zu Ängsten
Wichtig ist auch eine deutliche Unterscheidung zwischen dem ideologischen Rassismus der extremen Rechten, die von “rassischen” oder ähnlichen Unterschieden fantasiert einerseits und der Angst und Skepsis gegenüber Migration aus der Arbeiter*innenklasse andererseits, die aus der Frage erwächst, wie der existierende Mangel verteilt werden soll. Das bedeutet nicht, dass die Arbeiter*innenklasse immun gegen Rassismus, Sexismus oder Homo/Transphobie wäre. Diskriminierendes Verhalten ist ein weitverbreitetes Problem, aber eines, das in gemeinsamen Kämpfen überwunden werden kann, weil es eben – im Gegensatz zum ideologischen Rassismus der extremen Rechten – nicht tief verwurzelt ist.
Klassenpolitik statt moralischer Zugang
Die FPÖ hat auch erfolgreich mit Kulturkampf, vermeintlicher “Normalität” und der Angst vor teuren Klimaschutzmaßnahmen Stimmen eingesammelt. All das ist nicht nur Ausdruck einer reaktionären Ideologie sondern auch ein Ablenkungsmanöver von der zentralen Ausrichtung der FPÖ, die eine Partei der Reichen und der Kapitalist*innen ist. Gleichzeitig ist die Tatsache dass die FPÖ erfolgreich um diese Fragen Stimmen einsammeln konnte, Ausdruck eines falschen Kurses der kleinbürgerlichen Linken (hauptsächlich der Grünen, aber auch von LINKS in Wien, der Klimabewegung etc.) die nicht Klassenpolitik mit Fragen der Unterdrückung verbinden (im Gegensatz zu zum Beispiel rein moralischem Antirassismus) bzw. in der Klimafrage nicht die Sorgen der Arbeiter*innenklasse zum Beispiel in der Autoindustrie oder in den ländlichen Regionen berücksichtigt. Die Lösung kann aber nicht sein, diesem reaktionären Druck nachzugeben, wie es Wagenknecht und Doskozil tun.
- Statt die Spaltung der Arbeiter*innenklasse nach Geschlecht oder Herkunft zu übernehmen, muss jeder Versuch der Spaltung zurückgewiesen und eine größtmögliche Einheit hergestellt werden.
- Statt Ökosteuern und Individualismus: Sicherung der Arbeitsplätze in umweltschädlichen Industrien durch Umstellung der Produktion und demokratische Planung der Wirtschaft, Ausbau des öffentlichen Verkehrs in ländlichen Regionen etc.
Die größte Unterstützung hat die FPÖ in jener Altersgruppe, die noch mit der Erinnerung an den scheinbar besser funktionierenden Nachkriegskapitalismus aufgewachsen ist, aber selbst ihr ganzes Leben lang eine Krise nach der nächsten, eine Verschlechterung nach der nächsten, einen Angriff nach dem nächsten erlebt hat. Sie sehen sich – zu Recht – als Verlier*innen. Die Lösung ist daher nicht, alle Wähler*innen der FPÖ als Reaktionäre oder Ungebildete abzuschreiben.
- Im Gegenteil ist es notwendig, die berechtigte Unzufriedenheit mit dem existierenden System aufzugreifen und den Kampf um echte soziale Verbesserungen zu organisieren.
Nicht fürchten oder ärgern – jetzt aktiv werden!
Nach dem Schock über das Wahlergebnis ist es notwendig, aktiv zu werden. Und zwar nicht allein, sondern gemeinsam. Denn noch nie war die Notwendigkeit einer neuen Arbeiter*innenpartei und einer Gesellschaft abseits der kapitalistischen Logik so brennend wie heute. Die multiplen Krisen drücken sich in einer politischen Polarisierung und – vor allem in den letzten Jahren – zunehmenden Klassenkämpfen aus. Aktuell hat diese Polarisierung vor allem auf der Rechten einen organisierten Ausdruck. Die Klassenkämpfe haben auch das Phänomen Babler und die Wahlerfolge der KPÖ hervorgebracht. Es wird aber noch viel heftigere Auseinandersetzungen auf Klassenkampfebene brauchen, um die Kampfpartei der Arbeiter*innenklasse zu schmieden, die nötig ist – welche Rolle Babler-Unterstützer*innen, er selbst und die KPÖ dabei spielen, wird sich noch zeigen. Angesichts der wirtschaftlichen Situation und dem finanziellen Druck der auf der Arbeiter*innenklasse lastet einerseits und der zunehmenden Wut andererseits, können Klassenkämpfe weiter zunehmen – und die Basis dafür legen.
- Für eine Aktionskonferenz von Gewerkschafter*innen, Aktivist*innen sozialer Bewegungen, Aktivist*innen von Team Babler und der KPÖ
- Erstellung eines gemeinsamen Programms rund um eine Handvoll zentraler Forderungen
- Organisierung einer bundesweiten Kampagne um diese Forderungen zu erkämpfen: durch das Gewinnen neuer Aktivist*innen, durch das Organisieren von Protesten, durch den Aufbau einer Streikbewegung aus den Betrieben
- Aufbau einer neuen Partei für Arbeiter*innen und Jugendlichen mit sozialistischem Programm
- Bruch mit der kapitalistischen Logik von Sachzwängen: Orientierung an den Bedürfnissen der Vielen statt den Profiten der Wenigen
- Für eine sozialistische Wirtschaft und Gesellschaft, demokratisch organisiert und verwaltet von jenen, die den Reichtum schaffen – der Arbeiter*innenklasse