Der Linke-Bundesparteitag leitet keinen politischen Neuanfang ein
Der Linke-Bundesparteitag, der vom 18. bis 20. Oktober in Halle stattfand, war wieder einmal professionell inszeniert, was leider immer auf Kosten lebendiger und tatsächlicher Debatte geht. Die Parteitags-Regie wollte Geschlossenheit präsentieren. Nach der Abspaltung durch Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützer*innen sei die Zeit für einen “gemeinsamen Aufbruch” gekommen. Ergebnis ist, dass es keine Aufarbeitung der Ursachen der Krise der Partei und keine wirkliche politische Neuausrichtung gibt.
von Caspar Loettgers, Sol-Bundesleitung und Beobachter beim Parteitag
Dass der Parteitag von Formelkomprimissen geprägt sein würde, deutete sich bereits mit dem Leitantrag an, der zu Recht von Parteilinken als unbrauchbar kritisiert wurde, da er keinerlei Klassenanalyse und kein Programm für den Klassenkampf enthielt. Es war aussichtslos ihn durch Änderungsanträge brauchbar zu machen. Statt die drängenden Fragen von Frieden, Arbeitsplatzabbau, Klimakrise und Nahost konkret zu behandeln, verblieb der Antrag bei allgemeinen Beschreibungen. Die Wahlniederlagen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen wurden mit keinem Wort erwähnt. Zu Recht forderte ein Antrag der Ökologischen Plattform, der auch von vielen Parteilinken unterstützt wurde, daher die Nichtbehandlung und stattdessen die Verlängerung der Generaldebatte. Leider wurde dies durch eine Mehrheit der Delegierten abgelehnt.
Nahost
Zum Krieg im Nahen Osten gab es eine Reihe an Anträgen. Um das Thema ohne größere Aufregung über die Bühne zu bringen, verhandelte die Parteiführung schon im Vorfeld einen Kompromissantrag aus.
Der beschlossene Antrag spricht sich gegen die Besatzung der Palästinenser*innengebiete durch Israel, gegen Siedlungsbau und Vertreibung aus und nennt dies auch als einen Grund für den Konflikt, der als „asymmetrisch“ bezeichnet wird. Er fordert ein Ende der Waffenlieferungen an Israel und übt Kritik an der staatlichen Repression gegen Palästina-Solidarität in der Bundesrepublik. Das sind Positionen, mit denen die Partei die Bewegung gegen Israels Krieg gegen Gaza (und mittlerweile auch den Libanon) unterstützen kann und worauf sich die Parteilinke beziehen kann.
Gleichzeitig enthält der Text keine klare Analyse des Konflikts als Teil der imperialistischen und neokolonialen Verhältnisse im Nahen Osten und zeigt keinen Ausweg auf. Mit dem Bekenntnis zum Recht auf Selbstverteidigung für die Palästinenser*innen und Israel und gleichwertigen Appellen in Richtung des Staates Israels und der Hamas, wird der Eindruck erweckt, als ob nicht Israel die Verantwortung für den seit einem Jahr von ihr brutal geführten genozidalen Krieg gegen Gaza trägt. Es wurde versucht, es allen Recht zu machen, was misslang. Bereits am Tag nach dem Parteitag trat die sachsen-anhaltinische Landtagsabgeordnete Henriette Quade aus der Partei aus. Ihren Austritt begründete sie damit, dass der Nahost-Konflikt seitens der Partei ausschließlich auf die “Besatzung und Siedlungsbau” zurückgeführt wird. Zwei Tage später folgten Klaus Lederer, Elke Breitenbach und einige andere prominente Vertreter*innen der Berliner Regierungs-Linken. Diesen sollte nicht hinterher getrauert werden, ist ihre Politik in den Berliner Landesregierungen von 2001 bis 2011 und von 2016 bis 2023 doch mitverantwortlich für die tiefe Krise der Partei.
Rechter Flügel ruhig, aber nicht weg
Auffällig oft wurde in Reden von der “Arbeiter*innenklasse” und der Notwendigkeit eines “Klassenstandpunktes” gesprochen. Die neugewählte Parteivorsitzende Ines Schwerdtner erklärte, sie sei als Sozialistin in eine sozialistische Partei eingetreten. Die neue “Klassen”- Rhetorik mag wie eine Linksverschiebung der Partei wirken, bleibt aber oberflächlich. Im neuen Parteivorstand bleiben die alten Mehrheiten im allgemeinen erhalten. Im geschäftsführenden Parteivorstand gibt es eine leichte Rechtsverschiebung, im erweiterten Parteivorstand eine leichte Linksverschiebung. Erfreulicherweise wurden Kandidat*innen der Bremer Regierungslinken, die Waffenlieferungen an die Ukraine unterstützen und gerade eine Kürzungspolitik im Stadtstaat umsetzen, nicht in den Vorstand gewählt. Die Antikapitalistische Linke (AKL) ist mit Thies Gleiss und Nina Eumann stärker vertreten, als im letzten Vorstand. Hinzu kommen mit Lorenz Gösta Beutin, Margit Glasow, Ulrike Eifler, Vertreter*innen der Sozialistischen Linken (SL) und anderen Aktive des linken Parteiflügels, die die Möglichkeit haben, den Parteivorstand von links unter Druck zu setzen und auch nach links zu bewegen, wenn sie gemeinsam und zielgerichtet agieren.
“Klassen”-Rhetorik
Die “Klassen”-Rhetorik folgt keiner Klassenanalyse. Das spiegelt sich auch in den beschlossenen Anträgen wieder. Ein Antrag aus dem Ortsverband Bad Cannstatt zur Krise in der Autoindustrie wurde vom Parteivorstand per Ersetzungsantrag abgeschmettert. Anstatt die Überproduktionskrise und den Kapitalismus zu kritisieren, nennt dieser als Ursache “die Fehlplanungen und die falsche Produktstrategie der Manager”. Der beschlossene Antrag läuft darauf hinaus, die deutsche Autoindustrie auch mit staatlichen Subventionen durch einen gemeinsamen Zukunftsplan von Bundesregierung, Belegschaften, Gewerkschaften, Wissenschaft, Umwelt- und Sozialverbänden wieder konkurrenzfähig zu machen und teilweise auf die Produktion für Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs auszurichten. Staatliche Gelder sollen an Bedingungen wie Jobgarantien gebunden werden. Das ist völlig unrealistisch, weil die Autokonzerne solange sie die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel haben, diese Macht einsetzen für ihre Profitinteressen und gegen die Beschäftigten und die Umwelt.
Die geänderte Rhetorik auf dem Parteitag wird auch nicht die reale Politik der Partei ändern. Noch am Freitag stimmte Simone Oldenburg Mitglied des Bundesrats für die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern für das Sicherheitspaket der Bundesregierung. Und auch wenn Bodo Ramelow in seiner Rede auf dem Parteitag betont, “dass nicht jeder Spinner im Namen der Partei redet. Ich habe keine Lust mehr, für jeden Depp, der auf X unterwegs ist, den Kopf hinzuhalten”, werden es wahrscheinlich weiterhin die Parteilinken sein, die sich an den Kopf fassen, wenn sie wieder einmal lesen müssen, wie er gegen Parteibeschlüsse verstößt und sich beispielsweise für Waffenlieferungen an die Ukraine ausspricht
Grundlegende Konflikte werden nicht angegangen
Weiterhin werden die tieferen Gründe für den Niedergang der Partei nicht analysiert, offen debattiert und gelöst, weil das zu der Erkenntnis führen müsste, dass eine langfristige Koexistenz der in der Partei vorhandenen Positionen – vereinfacht gesagt: Anpassung an SPD und Grüne, Orientierung auf Regierungsbeteiligungen mit prokapitalistischen Parteien einerseits und Orientierung auf Klassenkampf, soziale Bewegungen und Opposition zum Kapitalismus statt Mitgestaltung andererseits – diesen Niedergang fortsetzen wird. Entweder die Partei geht die Fragen von Waffenlieferungen, Regierungsbeteiligungen etc. offensiv in demokratischen Debatten an oder die Mandatsträger*innen und die Parteiprominenz werden ihre persönliche Meinung in der Presse vertreten und so die Entscheidung der Basis abnehmen. Der Parteitag schien sich wiederholt für letzteres zu entscheiden. So wurde vom alten Parteivorstand mit keinem Wort die Wahlkatastrophe im Osten im Zusammenhang mit den dortigen Regierungsbeteiligungen gestellt oder die Tatsache, dass Carola Rackete, die noch vor einem Jahr unter Beifall auf den dritten Listenplatz der Partei für die Europawahl gewählt wurde, im EU-Parlament für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine stimmte. Übrigens war es nur Özlem Demirel, die sich gegen den Antrag im EU-Parlament wandte. Martin Schirdewan enthielt sich in der Abstimmung. Darauf aufmerksam machten erst linke Delegierte, die sich in den Debatten einbrachten.
AfD-Verbot und BGE
Auf dem Parteitag gab es auch Anträge zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) und einem AfD-Verbot. Ersteres sollte nach einem positiven Mitgliederentscheid ins Parteiprogramm aufgenommen werden. Der Antrag fand jedoch unter den Delegierten keine Mehrheit. Zu Recht argumentierten viele Delegierte, dass eine klassenkämpferische Partei sich für höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzung und eine Mindestsicherung einsetzen muss, statt die Utopie zu schüren, dass mit einem BGE die Probleme gelöst werden könnten. Befürworter*innen des BGE beharrten zwar auf dem Ergebnis des Mitgliederentscheids, an dem sich aber nur eine Minderheit der Mitglieder beteiligt hatte und an dem neu eingetretene Mitglieder nicht abstimmen konnten. Letzteres ist insbesondere mit Blick auf die Mitgliederentwicklung nicht zu vernachlässigen – immerhin gewann die Partei im letzten Jahr über 8000 neue Mitglieder und damit zum ersten mal seit langem mehr neue Mitglieder, als ausgetreten sind.
Beim Thema AfD-Verbot gab es nur eine kurze Debatte. Ursel Beck, Sol-Mitglied und Delegierte für die AKL, stellte sich in einer Rede richtigerweise gegen den Antrag. Sie argumentierte, Aufgabe von Sozialist*innen sei es die AfD von links zu schlagen und sie als unsoziale und prokapitalistische Partei zu entlarven. Ein Verbot würde die Wähler*innen der AfD nur noch weiter in ihre Arme treiben, schließlich könnte sich die Partei dann als Opfer staatlicher Willkür inszenieren. Völlig ausgeblendet wurde seitens der Antragssteller*innen auch, dass auch gegen die KPD 1956 ein Parteienverbot verhängt wurde. Linke sollten nicht auch noch solche staatlichen Verbote unterstützen, deren Argumentation irgendwann gegen sie genutzt werden kann, sollten sie dem Kapitalismus gefährlich werden.
Mandatsträger*innenabgaben und Arbeiter*innenlohn
Kurz nach ihrer Wahl kündigten die beiden neuen Vorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken an, ihren Lohn auf 2850 Euro netto zu begrenzen. Der Rest soll in einen Solidaritätsfonds wandern, um Menschen in sozialer Not zu helfen. Das ist sicherlich rühmlich und Jan van Aken erklärte zu Recht, dass “abgehobene Gehälter zu abgehobener Politik führen”. Gleichzeitig stellt sich die Frage, was mit den Gehältern anderer Linke-Abgeordneten und -Hauptamtlichen passiert. Auf dem Parteitag selber wurden mehrere Anträge gestellt, die eine Begrenzung der Diäten und Gehälter forderten. Alle wurden aber an den Bundesausschuss oder den Parteivorstand verwiesen. Anscheinend besteht auch hier die Sorge, manchen vor den Kopf zu stoßen und wird die Debatte lieber seitens des neuen Parteivorstandes umschifft.
Die Sol fordert schon lange die Begrenzung von Abgeordneten-Diäten und Hauptamtlichen- Gehältern auf einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn. Das Beispiel der neuen Parteivorsitzenden muss aber zum Prinzip der Partei werden. Das Geld sollte auch nicht in erster Linine für karitative Zwecke genutzt werden. Die Linke erklärt schließlich zu Recht, dass Armut ein fester Bestandteil des Kapitalismus ist und nur mit seiner Überwindung abgeschafft werden kann. Vor allem sollte das Geld daher für die Unterstützung von Streiks, Bewegungen und der Parteiarbeit vor Ort verwendet werden. So würde Die Linke nicht nur als “Kümmerer”- Partei gesehen werden, sondern als kämpfende Partei, die Bewegungen und Streiks aktiv unterstützt und voran bringt.
Mit der Überweisung der Anträge besteht auch die Gefahr, dass diese erst nach den Aufstellungsversammlungen zur Bundestagswahl behandelt werden. Dadurch wären Mitglieder, die auf die Listen gewählt werden, nicht an die Beschlüsse gebunden.
Revival?
Mit dem Ende des Parteitags beginnt der Vorwahlkampf für die Bundestagswahl. Als Heilmittel gegen die Krise wurde nun das Ziel aufgestellt, an zehntausende Haustüren zu klingeln und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Es ist absolut richtig, dass die Partei sich aktiv nach Außen wenden muss, ob durch Haustürgespräche, Info-Stände im Stadtteil oder die Beteiligung an gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfen. Das Motto „Alle reden, wir hören zu“ drückt aber nicht das aus, was eine sozialistische Partei tun muss. Natürlich muss sie zuhören und die Stimmungen in der Arbeiter*innenklasse wahrnehmen, aber so zu tun, als ob man nicht wüsste, welche Probleme die Menschen aus der Arbeiter*innenklasse haben, ist im Grunde genommen peinlich und eine Beleidigung der vielen aktiven Parteimitglieder. Entscheidend wird sein, nicht nur zuzuhören, sondern auch Antworten zu geben und vor allem eine Politik zu machen, die Lohnabhängige und sozial Benachteiligte überzeugen und aktivieren können
Um die Krise der Partei zu überwinden, ist eine grundsätzlicher Wandel in der Ausrichtung, Politik und Praxis der Partei notwendig. Die Linke braucht eine kämpferische und sozialistische Ausrichtung, Politik und Praxis, statt den Eindruck zu erwecken, bei jeder Gelegenheit Sitze auf den Regierungsbänken einnehmen zu wollen. Weder der Parteitag noch die neuen Vorsitzenden haben den Eindruck gemacht, dass sie dazu bereit sind. Aber die vielen neuen Mitglieder und der allgemeine Gedanke, dass etwas verändert werden muss, bieten die Gelegenheit diese Fragen in der Partei wieder offensiver zu diskutieren. Dass einige Vertreter*innen der Parteirechten nun die Partei verlassen, kann dabei nur helfen. Ob das ausreichen wird, den entstandenen Schaden in der Wahrnehmung der Partei in der Arbeiter*innenklasse wett zu machen, ist zu bezweifeln. Aber Die Linke kann weiterhin einen Beitrag zur Bildung einer massenhaften sozialistischen Arbeiter*innenpartei spielen, wenn sie die Lehren aus ihrer Krise zu ziehen bereit ist.