„Wir brauchen kürzere Arbeitszeiten und ein deutliches Lohnplus“

Interview mit Sebastian Förster, ver.di-Vertrauensmann in Kassel, zur Forderungsdiskussion für die Tarifrunde Öffentlicher Dienst

Am 9. Oktober beschließt die ver.di-Bundestarifkommission die Forderungen für die nächste Tarifrunde bei Bund und Kommunen. In den Bezirken wurde teilweise schon über Empfehlungen abgestimmt: im Bezirk Westfalen wird ein Mindest-Festgeldbetrag von 450 Euro bzw. 8,9 Prozent, in Nordhessen 500 Euro bzw. 10,5 Prozent gefordert. Bezüglich der Arbeitszeit wurden in Westfalen und Nordhessen Wahlmodelle gefordert, nach denen Kolleg*innen zwischen der Lohnerhöhung und einer Arbeitszeitreduzierung auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich wählen können. In Südhessen wurde die 35-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich zusätzlich zur Lohnforderung von 450 Euro Festgeld pro Monat beschlossen. 

Ihr hattet zunächst auch in eurer Betriebsgruppe über die Forderungen diskutiert. Wie haben die Kolleg*innen sich geäußert?

Wir haben bei mehreren Treffen darüber diskutiert. Es wurde festgehalten, dass wir beides brauchen: Entlastung durch kürzere Arbeitszeit und gleichzeitig ein deutliches Lohnplus. Den höchsten Nachholbedarf gibt es vor allem in den unteren Entgeltgruppen und -stufen, weswegen wir uns auf einen Festgeldbetrag von 500 Euro geeinigt haben.

Viele Kolleg*innen im Öffentlichen Dienst fühlen sich ausgebrannt und erschöpft. Klar ist, dass es nur schlimmer wird, wenn wir nicht selbstbewusst für Verbesserungen eintreten. In der Betriebsgruppe haben wir deshalb neben dem Festgeldbetrag von 500 Euro die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich als Vorschlag für die Tarifrunde beschlossen.

Eine Arbeitszeitverkürzung darf nicht mit Arbeitsverdichtung einhergehen. Deswegen haben wir uns für tarifvertragliche Regelungen ausgesprochen, mit denen die Arbeitgeber*innen verpflichtet werden, die durch Arbeitszeitverkürzung reduzierte Arbeitszeit durch Stellen zu kompensieren.

Es ist oft zu hören, angesichts leerer öffentlicher Kassen kann man nicht so hohe Forderungen stellen. Außerdem sei die Inflation nicht mehr so hoch.

Das sehen wir anders. Unterm Strich hatte das letzte Tarifergebnis einen Reallohnverlust zur Folge – dieser wird mit der im nächsten Jahr zu erwartenden Inflation im Schnitt 200 bis 300 Euro betragen.

Was es braucht, um den öffentlichen Dienst attraktiver zu machen und das Absinken unseres Lebensstandards zu stoppen, ist Einkommenszuwachs anstatt Reallohnverlust. Anstatt Milliarden für Rüstung und Militär auszugeben, sollte massiv in die öffentliche Daseinsvorsorge investiert werden. Es muss Schluss sein mit den Kürzungen in den Kommunen! Stattdessen sollte die Vermögenssteuer wieder erhoben werden und privatisierte Bereiche sollten rekommunalisiert werden.

Wie ist die Stimmung bei euch im Bezirk?

Wir haben unsere Vorschläge in die ver.di-Vertrauensleute-Vollversammlung Nordhessen, bei der etwa siebzig Kolleg*innen anwesend waren, eingebracht. An der Frage der Lohnerhöhung konnten sich die Kolleg*innen durchsetzen, die für eine deutliche Anhebung waren. Zudem wird vorgeschlagen, die Wiedereinführung der Altersteilzeit zu fordern. Das fanden wir beides sehr positiv. Bei der Frage der Arbeitszeit wurde ein Wahlmodell beschlossen, also dass die Entgeltsteigerung gegen eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit bis hin zu einer 35-Stunden-Woche eingetauscht werden kann. Wir haben dagegen gestimmt, denn es bedeutet letztlich Lohnverzicht – und das können sich viele nicht leisten! 

Die Kolleg*innen der südhessischen Vertrauensleute-Vollversammlung haben sowohl eine Festgeldforderung als auch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich beschlossen. Das wäre aus unserer Sicht die richtige Forderung.

Das Interview wurde im September geführt, bevor die von der ver.di-Bundestarifkommission beschlossenen Forderungen bekannt waren.