Linke Argumente in der Migrationsdebatte
Nach dem schrecklichen Messerangriff in Solingen, bei dem ein junger Syrer mehrere Menschen getötet hatte und zu dem sich der sogenannte Islamische Staat im Nachhinein bekannt hat, hat die Bundesregierung weitere Verschärfungen des Asylrechts und bei Abschieberegelungen sowie eine Ausweitung der Überwachung diskutiert bzw. bereits beschlossen. Das neue sogenannte „Sicherheitspaket“ wurde zum Teil bereits von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Auch einzelne Landesregierungen haben Gesetze verschärft. CDU/CSU, AfD und BSW gehen die Beschlüsse nicht weit genug – die Union blockiert aktuell noch eine Gesetzesänderung zu den Befugnissen der Polizei und Geheimdienste. Wie sollten sich Linke positionieren?
von Svenja Jeschak, Dortmund, und Tom Hoffmann, Berlin
Nach dem Solingen-Anschlag wurde von Politiker*innen aller Parteien (mit Ausnahme der Linken) eine Debatte über Migration und Terrorbekämpfung angeheizt, deren Tenor nicht neu ist: Um Terroranschläge in Zukunft zu verhindern, brauche es angeblich mehr und schnellere Abschiebungen; weniger Migrant*innen dürften nach Deutschland kommen; die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten zur Überwachung müssten ausgeweitet werden…
Diese Debatte vermischen Medien und bürgerliche Politiker*innen mit anderen Themen (wie Kriminalität, angeblich zu großen Sozialausgaben und vermeintlicher „Überforderung“ des Landes usw.) und fachen so die vorhandenen Sorgen in der Bevölkerung vor den sozialen Folgen der Zuwanderung noch weiter an.
Das soll vor allem eines erreichen: Sand in die Augen der arbeitenden Bevölkerung streuen. Es soll von den wirklichen Ursachen von Terrorismus ablenken, indem Geflüchtete unter Generalverdacht gestellt werden. Es soll Sündenböcke für die sozialen Missstände präsentieren und die Grundlagen für mehr Möglichkeiten zur staatlichen Überwachung und Repression schaffen, die in Zukunft auch gegen Linke und Oppositionelle eingesetzt werden können.
Nach Terroranschlägen, wie 2016 am Berliner Breitscheidplatz, gab es immer wieder Asylrechtsverschärfungen, Einschränkungen demokratischer Rechte und Maßnahmen zum Ausbau des Überwachungsstaats. Das konnte nicht verhindern, dass es zu weiteren Anschlägen kam. Darum ging es auch nicht, sondern nur solche schrecklichen Taten und die Opfer für die Einschränkungen demokratischer Rechte und des Asylrechts zu instrumentalisieren.
Alle einfachen, arbeitenden Menschen, die sich mehr Sicherheit wünschen, sollten sich als Erstes die Frage stellen, warum Politiker*innen der Ampel, der Union und der AfD bei anderen sehr relevanten Fragen nicht in derselben Intensität wie nach Terroranschlägen darüber diskutieren, wie man die Gesellschaft „sicherer“ machen kann und Maßnahmen ergriffen werden. Ein Beispiel: Es ist viel wahrscheinlicher, einer von 15.000 bis 40.000 Menschen zu sein, die in Deutschland jährlich an multiresistenten Krankenhauskeimen sterben, als bei einem islamistischen Terroranschlag. Darüber wird aber nicht diskutiert. Wie wir unmittelbar nach Solingen geschrieben haben:
„Es wird mit zweierlei Maß gemessen, was die Berichterstattung und politische Empörung angeht. Laut einer Chronik der Tagesschau sind seit 2006 20 Menschen durch islamistisch motivierte Anschläge in Deutschland getötet worden. Allein seit 2014 hat die Polizei in Deutschland 116 Menschen erschossen. Nazis haben seit 1990 mindestens 219 Menschen umgebracht. Zwischen 2018 und 2020 gab es über 19.000 hitzebedingte Tote, insbesondere von Älteren. Wieso gibt es da nicht die gleiche Empörung und Forderungen, dass ‚sich jetzt endlich was ändern muss‘?“
Es ist sehr verständlich, dass nach solchen Taten (der Anschlag in Solingen war ja auch nicht der einzige) die Angst vor weiteren Terrorakten in der Bevölkerung um sich greift und es ist keine Frage, dass es Maßnahmen gegen Terrorismus braucht, wie wir weiter unten ausführen. Was die pro-kapitalistischen Parteien machen, schafft aber nicht mehr Sicherheit.
Messerverbote
Messerverbote im öffentlichen Raum werden ausgeweitet. Zukünftig soll zum Beispiel das Mitführen jeglicher Messer in Bus und Bahn, sowie bei Straßenfesten verboten sein, aber auch an sogenannten „kriminalitätsbelasteten Orten“. Die Polizei soll die Möglichkeit bekommen, in Verbotszonen jederzeit Kontrollen durchzuführen.
Ob mehr Kontrollen zu signifikant weniger Messerangriffen führen, ist fraglich. Es ist aber mit Sicherheit falsch anzunehmen, man könne durch solche Verbote geplante Messerattacken und Terroranschläge im öffentlichen Raum verhindern. Schusswaffen- und Sprengstoffverbote führen auch nicht dazu, dass keine Attentate mit ihnen mehr verübt werden. Menschen, die einen Terroranschlag geplant haben, werden den auch trotz Verboten durchführen.
Nicht fraglich ist, dass die Möglichkeit von ständigen Messerkontrollen an von der Polizei definierten Orten zu mehr rassistisch begründeten Kontrollen von Migrant*innen aufgrund ihres Aussehens führen wird. Eine Studie der Polizeiakademie Niedersachsen hat jüngst selbst nochmal belegt, dass viele Polizei-Routinen Diskriminierung und sogenanntes Racial Profiling begünstigen1. Das wird also die Lebensverhältnisse vieler migrantischer Menschen weiter verschlechtern.
Sozialkürzungen bei ausreisepflichtigen Asylbewerber*innen
Im Fall von Solingen wird argumentiert, dass der junge Mann bereits vor einem Jahr hätte ausreisen sollen, da er in einem anderen EU-Land während der Flucht registriert wurde und dieses EU-Land zuständig gewesen wäre. In solchen Fällen will die Bundesregierung nun „härter durchgreifen“ und wollte ursprünglich unter anderem Sozialleistungen komplett streichen, wenn die Person der Ausreisepflicht nicht nachkommt. Nach einer Abschwächung gilt das nur noch wenn die Ausreise der Person, „rechtlich und tatsächlich möglich ist.“
Doch auch das verhindert keine Anschläge. Was hätte den Attentäter daran gehindert, dann in Ungarn einen Terroranschlag zu begehen oder wieder einzureisen? Wäre es besser gewesen, wenn mehr Menschen einer anderen Nationalität bedroht gewesen wären oder sind? Das impliziert diese Logik, die auf dem Dublin-Verfahren basiert, nach welchem der zuerst betretene EU-Staat für das Asylgesuch eines Geflüchteten verantwortlich ist. Davon profitieren besonders deutsche Politiker*innen, die ihre Verantwortung „nach außen“ delegieren. Zusammen mit dem System der „sicheren Drittstaaten“ und „sicheren Herkunftsländer“ ist das Dublin-Verfahren ein Ausdruck davon, dass das individuelle Recht auf Asyl schon längst massiv eingeschränkt wurde.
Die Bundesregierung nutzt die Angst der Menschen vor Anschlägen aus, um unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung das Asylrecht weiter zu beschneiden.
Nur eine verschwindend geringe Minderheit von Geflüchteten verübt Terroranschläge. Millionen Menschen werden pauschal in die Nähe von Terrorist*innen gerückt, obwohl die meisten von ihnen gerade vor Terror und Krieg fliehen oder schon hierher geflohen sind und ein friedliches Leben führen (wollen). Welche Maßnahmen müssten nach dieser Logik gegen katholische Priester, pro-kapitalistische Politiker*innen und Unternehmer*innen ergriffen werden?
Doch bei den Forderungen nach Asylrechtseinschränkungen wird auch der Eindruck erweckt, als ob völlig unkontrollierte Zustände im Land herrschten, immer mehr Geflüchtete kommen würden und es eine riesige Zahl von eigentlich Ausreisepflichtigen gäbe, die nur hier sind, um auf Staatskosten ein tolles Leben zu führen.
Das ist faktisch falsch: Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind im ersten Halbjahr 2024 rund 21 Prozent weniger Asylanträge als im gleichen Zeitraum 2023 gestellt worden (ohne dabei sogar ukrainische Geflüchtete einzurechnen) und unter diesen waren rund 9 Prozent Erstanträge von in Deutschland geborenen Kinder von Geflüchteten.
In Deutschland leben zum Stichtag 30.06.2024 226.882 sogenannte „ausreisepflichtige“ Personen, darunter Geflüchtete mit abgelehnten Asylanträgen, ausländische Studierende oder Touristen mit abgelaufenem Visum. Etwa 80 Prozent von ihnen haben eine sogenannte „Duldung“, sie können aus verschiedenen Gründen nicht ausreisen (Drohende Verfolgung, schwerwiegende Erkrankung, mangelnde Reisedokumente, familiäre Bindungen zu anderen Geduldeten usw). Inwiefern diese Menschen nun auch um ihre Sozialleistungen, die ohnehin mickrig sind und unter den Bürgergeldsätzen liegen, bangen müssen, ist unklar. Für Alleinstehende (die höchste Bedarfsstufe 1) gilt seit Anfang des Jahres ein Gesamtsatz von 460 Euro pro Monat. Die Menschen ohne Anspruch auf Sozialleistungen sollen in Zukunft nur noch mit Naturalien und einem Schlafplatz versorgt werden. Dieses System ist menschenunwürdig.
Schnellere Asylverfahren an den Landesgrenzen
Die Bundesregierung plant außerdem, dass an den Außengrenzen die Bundespolizei bei schnelleren Asylverfahren helfen soll. Es soll geprüft werden, ob Menschen bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden. In der Zwischenzeit sollen diese Asylbewerber*innen in Abschiebehaft oder anderen Unterkünften untergebracht werden. Schon im Frühjahr, als Regierungsvertreter*innen sich über die AfD-Pläne zur „Remigration“ empörten, wurde beschlossen, die maximale Dauer von Abschiebehaft von drei auf sechs Monate zu verlängern. Seitdem darf sie auch immer im laufenden Verfahren angeordnet werden.
Die Länder sollen prüfen, ob an den Außengrenzen ausreichend Platz in Hafteinrichtungen freigehalten werden können. Bisher waren diese Verfahren Ländersache. Nun soll die Bundespolizei befugt werden bei positiver Prüfung die Menschen zurück in das EU-Land, wo sie ihren ersten Asylantrag gestellt haben, abzuschieben. Der Bundespolizei werden somit mehr Befugnisse zugesprochen.
Es wird so getan, als ob das eine Reaktion auf eine riesige Zunahme „unerlaubter Einreisen“ wäre. Zu bedenken ist, dass vor allem Menschen, die vor Krieg fliehen oder die arm sind, keine Möglichkeit haben, legal einzureisen, da es nicht die Möglichkeit gibt, Visa zu erhalten oder aber auch der Flugverkehr eingestellt ist. Wie im vorherigen Abschnitt schon geschildert, sind die Möglichkeiten einer „legalen“ Einreise durch Dublin-Verfahren extrem eingeschränkt.
Im ersten Halbjahr 2024 waren rund 12 Prozent weniger „unerlaubte Einreisen“ zu vermerken als im Vorjahreszeitraum – 49.400 Menschen sind unerlaubt in die Bundesrepublik eingereist. Davon wurden 21.700 Personen an den Grenzen zurückgewiesen. Auch hier wird also maßlos übertrieben und ein falscher Eindruck erweckt.
Ist „Deutschland überfordert“?
In Deutschland leben insgesamt 84,67 Millionen Menschen. Davon sind zum Stichtag 30. Juni 2024 etwa 3,3 Millionen Menschen Schutzsuchende.2 Das macht 3,9 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die Bevölkerung in Deutschland ist seit 2020 um etwa 1,5 Millionen Menschen gewachsen.
Diese Zunahme hat natürlich auch Auswirkungen auf dem Wohnungsmarkt, in Kitas und Schulen und der sozialen Infrastruktur, die von mehr Menschen beansprucht wird. Das ist von Ort zu Ort sehr unterschiedlich, aber führt auch zu mehr Konflikten um eh schon zu knappe Angebote. Allerdings ist Migration nicht die Ursache für diese sozialen Probleme und würde es für alle schon länger hier lebenden Menschen der Arbeiter*innenklasse nicht grundlegend „besser“ aussehen, wenn weniger Menschen herkommen oder hergekommen wären. Die Verantwortlichen für den grassierenden Personalmangel in vielen Bereichen, den großen Niedriglohnsektor, Knappheit von bezahlbarem Wohnraum, die miese Situation im Gesundheitswesen oder den Pflegenotstand sitzen nicht in Flüchtlingsbooten, sondern auf Regierungsposten und im Bundestag und in den Chefetagen der Banken und Konzerne, für die Politik gemacht wird.
Diese pro-kapitalistische Politik und nicht Geflüchtete sind dafür verantwortlich, dass sich seit 2006 die Zahl der Sozialwohnungen um etwa eine Million halbiert hat3; dass sich die Zahl der Krankenhausbetten zwischen 1991 und 2022 um rund ein Viertel verringert hat4; dass zwischen 300.000 und über 400.000 Kita-Plätze laut verschiedenen Studien aktuell fehlen5 – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Die sozialen Probleme sind Ergebnis von Privatisierungen, Kürzungspolitik und fehlenden öffentlichen Investitionen, kurz Kapitalismus. Dass in den letzten Jahren die Realeinkommen massenhaft gesunken sind, hat auch nichts mit Migration sondern mit der kapitalistischen Krise zu tun.
Die soziale Ungleichheit ist gigantisch. Fünf Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzen fast so viel wie der ganze Rest, das sind über 7,5 Billionen Euro. Ein Journalist der ZEIT brachte es in einem Artikel treffend auf den Punkt: „Vielleicht muss man sich Deutschland als Wirtshaus vorstellen. Dort sähe es so aus: Zehn der insgesamt 20 Gäste sitzen vor leeren Tellern. Ab und zu bestellt jemand eine Apfelschorle. Neun weitere Gäste haben immerhin eine Suppe vor sich und ein kleines Bier. Und dann ist da dieser eine Gast. Er hat nicht nur einen eigenen Tisch, sondern den ganzen Nebenraum für sich. Eine Köstlichkeit nach der nächsten tragen die Kellner hinein. Spargelsuppe und Trüffelhuhn zur Vorspeise, dann Kaviar auf Kalbstatar, dazu flaschenweise Champagner.“6 Noch treffender wäre es zu sagen, dass diesem Gast nicht nur der Nebenraum, sondern der ganze Laden gehört. Und dass der Kellner beständig den anderen Gäste damit Angst macht, dass die zwei Leute, die vor der Tür auf Einlass warten, Schuld daran wären, dass die Mehrheit so wenig oder nichts zu Essen hat bzw. ihnen noch was wegnehmen wollen.
In einem aktuellen Flugblatt schreibt die Sol außerdem:
„Mit dem Geld [der Super-Reichen] könnten Freibäder, Kitas und Krankenhäuser erhalten und neu gebaut sowie ÖPNV-Taktungen ausgebaut werden. Es könnten aber auch Maßnahmen getroffen werden, um Sprachförderung für Geflüchtete auszubauen und ihren Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, was den Arbeitskräftemangel in manchen Bereichen senken und die Gesellschaft insgesamt reicher machen könnte, wenn diese nicht nach kapitalistischen Prinzipien funktionieren würde. Das wären Maßnahmen, die Arbeiter*innen und Jugendlichen wirklich etwas bringen würden, statt Milliarden in Prestigeprojekte zu stecken und Gewerbesteuern für große Unternehmen zu senken.“
Es stimmt auch nicht, dass der Staat nur weniger für Geflüchtete ausgeben müsste und dann wäre das nötige Geld für soziale Politik da. Die Gesamtausgaben für Flucht/Migration von Bund, Ländern und Kommunen beliefen sich 2023 auf etwa 48 Milliarden Euro (und das beinhaltet neben Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten auch zu einem großen Teil die Bekämpfung von Migration). Das sind gerade mal 2,5 Prozent der Gesamtausgaben aller öffentlichen Haushalte von fast 2 Billionen Euro. Damit wäre noch nicht mal der nötige öffentliche Wohnungsbau finanziert.
Entscheidend ist aber, dass die nötigen Investitionen und die Sicherstellung eines guten Lebens für alle Menschen inklusive einer menschenwürdigen Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten möglich ist, wenn nicht länger nach den Interessen der Banken und Konzerne regiert wird, sondern ein Bruch mit dem Kapitalismus vollzogen wird.
Wachsende Kriminalität
In der Migrationsdebatte wird zudem häufig ein genereller Anstieg von sogenannter Ausländerkriminalität herangeführt und ein kausaler Zusammenhang zwischen Zuwanderung und wachsender Kriminalität hergestellt. Dabei wird auf die vom Bundeskriminalamt veröffentlichte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) hingewiesen. Diese spiegelt nur die Ermittlungen der Polizei und nicht real verübte Straftaten.
Die Kriminologin Gina Wollinger weist daraufhin, dass „Studien gezeigt [haben], dass Personen, die als ‚fremd‘ wahrgenommen werden, häufiger angezeigt werden als Personen, die als ‚deutsch‘ wahrgenommen werden. Ein Beispiel in Bezug auf jugendliche Gewaltdelikte: Sind Opfer und Täter deutsch, wird in 10,5 Prozent der Fälle angezeigt, ist das Opfer deutsch und der Täter nichtdeutsch, wird in 17,4 Prozent die Polizei informiert.“ Und: „Es gibt bestimmte Kontexte, in denen bei Streitigkeiten eher die Polizei gerufen wird. Ein Beispiel sind Flüchtlingsunterkünfte: Menschen leben hier unter erschwerten Bedingungen auf sehr engem Raum. Nicht nur macht das Streit wahrscheinlicher – sondern es wird auch eher die Polizei gerufen als im privaten Kontext.“7
Zudem gibt es Straftatbestände, u.a. die im Aufenthaltsrecht, die nur von Nicht-Deutschen erfüllt werden können.
Es ist richtig, dass laut PKS der Anteil von Tatverdächtigen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit bei angezeigten Gewaltdelikten zugenommen hat. Allerdings muss man dabei differenzieren. Im Jahr 2023 wurden 37 Prozent an Straftaten von nicht deutschen Staatsbürger*innen vollzogen. Unter diesen werden auch solche erfasst, die ihren Wohnsitz nicht in Deutschland haben oder sogar nur gezielt nach Deutschland einreisen, um Straftaten zu begehen. Es handelt sich also nicht bei allen Tatverdächtigen, um Menschen die hier in Deutschland leben. Das verzerrt die Statistik.
Selbst der BKA-Bericht geht davon aus, dass hier Schutzsuchende mehreren besonderen Risikofaktoren für Kriminalität unterliegen, die vor allen Dingen mit der schwierigen Lebenssituationen in Verbindung stehen. Das sind zum Beispiel wirtschaftliche Unsicherheit und Gewalterfahrungen im Herkunftsland, als auch auf der Fluchtroute und die beengte Situation in Erstaufnahmeeinrichtungen.
Das zeigt erneut, dass zur Vermeidung von Kriminalität also vor allem Armut und ein unsicheres Leben für alle Menschen bekämpft werden müssen. Grundsätzlich sollten Linke hierzulande gleiche Rechte für alle fordern, die hier auch ihren Lebensmittelpunkt haben – unabhängig von deren Passeinträgen und Herkunft. Das beinhaltet zum einen, mit rassistischer Sondergesetzgebung Schluss zu machen; zum anderen, dass erwiesene Straftäter auch gleich behandelt und bestraft werden. Die Forderungen nach Ausweisung kann in manchen Fällen bedeuten, dass rechte Islamist*innen, die straffällig geworden sind, ihrer Strafe entgehen, wenn sie zum Beispiel in das von den Taliban regierte Afghanistan abgeschoben und dort begnadigt werden.
Abschieben gegen Rassismus und Sexismus?
In Zukunft soll Geflüchteten der Schutzstatus aberkannt werden, wenn sie Straftaten mit „fremdenfeindlichem oder menschenverachtenden Beweggrund begangen haben. Dazu zählen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit.“8 Damit würden dann Abschiebungen ermöglicht werden.
Dem Kampf gegen Diskriminierung ist damit aber nicht geholfen, indem man Sondergesetze für Geflüchtete einführt statt Menschen gleich zu behandeln, auch wenn sie sich falsch verhalten haben. Was bringt es zum Beispiel Frauen oder Minderheiten in anderen Ländern, wenn Straftäter*innen einfach dahin abgeschoben werden?
Die Bundesregierung, die noch im letzten Jahr 10 Millionen Euro bei der Frauenhäuser-Förderung gestrichen hat, und staatliche Behörden haben mit solchen Regelungen anderes im Sinn als die Rechte von Frauen und Minderheiten. Mit dem Vorwurf des vermeintlichen Antisemitismus werden seit Monaten demokratische Rechte von linken und pro-palästinensischen Aktivist*innen eingeschränkt, die gegen die mörderische Kriegsführung und Unterdrückung des Staates Israel gegen die Palästinenser*innen protestieren. Doch Kritik am israelischen Staat ist kein Antisemitismus. Auf diesen Demonstrationen gibt es zudem immer wieder Berichte von polizeilicher Willkür und Repression, die sich in den meisten Fällen gegen friedliche Demonstrant*innen richtet. Mit der neuen Regel werden die demokratischen Rechte von Geflüchteten durch die Hintertür weiter eingeschränkt, wenn sie in Zukunft noch mehr fürchten müssen, bei solchen und vielleicht anderen Demonstrationen verhaftet zu werden und darüber ihren Schutzstatus zu verlieren.
Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit und Diskriminierung sind Phänomene, die durch eine ungleiche und ungerechte, kapitalistische Gesellschaft tagtäglich befördert und erhalten werden. Nach dem Motto „Teile und Herrsche“ führen sie dazu, dass von den wahren Verursacher*innen für die Probleme unterschiedlicher Teile der arbeitenden und armen Bevölkerung abgelenkt wird. Damit dient diese Spaltung nur den Herrschenden und muss bekämpft werden – am besten durch den Kampf für die gemeinsamen sozialen Interessen von Arbeiter*innen und sozial Benachteiligten unabhängig von Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung. Dadurch können Vorurteile und falsche Einstellungen auf allen Seiten abgebaut werden, wenn deutlich wird dass wir alle nur ein gutes Leben, bezahlbare Wohnungen, höhere Löhne, ordentliche Infrastruktur usw. wollen.
Biometrischer Abgleich von öffentlich zugänglichen Daten
Teil des sogenannten „Sicherheitspakets“ ist auch die Ausweitung von Überwachung. BKA und Bundespolizei sollen die Befugnis bekommen, öffentlich zugängliche Daten biometrisch in einer Datenbank zu sammeln und per Künstlicher Intelligenz abzugleichen. Damit bekommen sie so die Möglichkeit Millarden Bilder und x-beliebige Social-Media-Accounts usw. biometrisch abzugleichen. Der Chaos Computer Club schreibt dazu:
„Die Verwendung solcher Technologien setzt voraus, dass Strafverfolgungsbehörden umfangreiche Datensammlungen anfertigen, weiterentwickeln und optimieren oder sich dafür kommerzieller Anbieter bedienen. Betroffen sind nicht nur Straftäter und Menschen im Asylverfahren, sondern wir alle. Es sind unsere Gesichter und Stimmen, die gescannt, biometrisch klassifiziert und gespeichert werden. Biometrische Massenüberwachung ist ein Werkzeug, das sich nicht zielgerichtet auf einzelne Personen richten lässt. Damit ist sie nicht geeignet, Sicherheit herzustellen, sondern schafft die Grundlage für einen ausufernden Überwachungsstaat.“9
Die Union hat das Gesetz im Bundesrat blockiert und fordert sogar weitergehende Befugnisse, darunter die anlasslose Vorratsdatenspeicherung und auch eine Absenkung der Schwelle, ab welchen Straftatbeständen die biometrische Überwachung eingesetzt werden kann. Das zeigt, wie schnell solche Regelungen ausgeweitet werden. Mit solchen Mitteln kann in Zukunft auch gegen Linke oder die Arbeiter*innenbewegung vorgegangen werden.
Terrorismus bekämpfen
Es ist verständlich, dass viele Menschen nach einer so grausamen Tat wie in Solingen nach Antworten suchen, wie man das in Zukunft verhindern kann. Es ist auch verständlich, dass Menschen sich fragen, wie Terrorismus grundsätzlich beendet werden kann. Doch um letzteres geht es den pro-kapitalistischen Parteien gar nicht mehr, denn dazu müsste man über die Ursachen sprechen.
Um Terrorismus zu bekämpfen, müssen die Verhältnisse bekämpft werden, die Terror erzeugen. Das bedeutet ein Ende von Krieg, Nahrungsknappheit, Armut, Diskriminierung und Unterdrückung weltweit. All dies sind Ergebnisse des Kapitalismus.
Indem die Bundesregierung zum Beispiel den Terror des israelischen Staates gegen die Palästinenser*innen unterstützt, beteiligt sie sich an einem Aufbauprogramm für rechte islamistische Gruppen – genau in derselben Weise haben die vom Westen geführten Kriege im Irak und Afghanistan gewirkt. Das Elend der Menschen können rechte, islamistische Gruppierungen nutzen, um falsche Erklärungen für das Leid zu liefern. Sie können einen sehr kleinen Teil der Menschen für ihre Ideen rekrutieren und sie auf die falsche Fährte der vermeintlichen „Erlösung“ als Märtyrer locken. Indem die Regierung Geflüchtete noch mehr kriminalisiert, schafft sie wenn überhaupt bessere Voraussetzungen für islamistische Gruppen, unter ihnen zu rekrutieren. Geht es nach der AfD, der Union oder dem BSW würden diese Maßnahmen noch verschärft.
Die Sol lehnt die Maßnahmen der Bundesregierung ab, weil sie das Grundrecht auf Asyl weiter beschränken und die Grundlage für mehr Racial Profiling und mehr Überwachung liefern, ohne die Sicherheit für die Bevölkerung zu erhöhen. Unmittelbare Maßnahmen für mehr Sicherheit würden darauf abzielen, die sozialen und politischen Ursachen von Kriminalität bis hin zu Terrorismus zu beseitigen, u.a.:
- Gleiche Rechte für alle dauerhaft in der Bundesrepublik lebenden Menschen. Schluss mit rassistischen Sondergesetzen!
- Wiederherstellung und deutliche Ausweitung des Asylrechts und Bleiberecht für Alle. Keine Abschiebungen. Voller Anspruch auf Sozialleistungen, dezentrale Unterbringung von Geflüchteten in anständigen Wohnungen, kostenlose Sprachkurse und flächendeckende soziale und psychologische Hilfsangebote
- Rücknahme der diversen „Anti-Terror“- und Polizeiaufgaben-Gesetze, sowie des „Sicherheitspakets“. Schluss mit Racial Profiling und Diskriminierung! Demokratische Kontrolle der Polizei durch aus der arbeitenden Bevölkerung und Gewerkschaften gewählte Komitees.
- Gemeinsam kämpfen für günstigen Wohnraum für Alle, für mehr Personal in Krankenhäusern, Kitas und Schulen und gegen Sozialkürzungen
- Schluss mit Armut: Mindestlohn ohne Ausnahmen von 15 Euro pro Stunde. Soziale Mindestsicherung und Mindestrente von 900 Euro plus Warmmiete für jede*n Erwachsenen und 700 Euro pro Kind – ohne Bedürftigkeitsprüfung und Schikanen
- Freier Zugang zur Bildung! Gebührenfreie Kitas, Unis und Volkshochschulen! Gewaltpräventionskurse und massive Investitionen in soziale Angebote für Jugendliche!
- Finanzierung durch drastisch höhere Steuern auf Vermögen der Super-Reichen, Unternehmensprofite und Erbschaften. Für eine einmalige Abgabe von 30 Prozent auf das Geldvermögen von Millionär*innen und Milliardär*innen.
In erster Linie stehen an den Außengrenzen Menschen, die vor Imperialismus, Krieg, Hunger, Umweltkatastrophen und Unterdrückung fliehen müssen und hoffen sich woanders ein besseres Leben aufbauen zu können. Doch sie werden wie Straftäter behandelt, in Gefängnisse gesteckt und von der Bundespolizei abgeführt.
Im Kapitalismus werden Menschen immer fliehen müssen. Die Sol kämpft für eine sozialistische Welt, in der niemand in Armut lebt, vor Krieg fliehen muss und in der genug für alle da ist. Banken und Konzerne müssen dazu in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung überführt werden und die Wirtschaft muss demokratisch nach den Bedürfnissen geplant werden.
Die Arbeiter*innenklasse hat ein gemeinsames Interesse unabhängig von Herkunft und Nationalität, nämlich ein gutes Leben für alle und in Frieden. Die aktuelle Migrationsdebatte spaltet die Arbeiter*innenklasse, lenkt von den wirklichen Ursachen der sozialen Probleme ab und nützt den Herrschenden. Sie können so zum Beispiel leichter Sozialkürzungen durchpeitschen.
Die Sol stellt stattdessen die gemeinsamen Interessen der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten in den Vordergrund. Gemeinsam für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, gute bezahlbare Wohnungen und eine sozialistische Veränderung zu kämpfen, ist das beste Mittel um Rassismus, rechtem Islamismus und Terror den Boden zu entziehen.
1https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/polizei-racial-profiling-100.html
2Alle Zahlen von https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/
3https://de.statista.com/statistik/daten/studie/892789/umfrage/sozialwohnungen-in-deutschland/
4https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157049/umfrage/anzahl-krankenhausbetten-in-deutschland-seit-1998/
6https://www.zeit.de/geld/2024-04/vermoegensverteilung-deutschland-ungleichheit-europa
7https://mediendienst-integration.de/artikel/die-wichtigsten-fragen-zur-auslaenderkriminalitaet.html