Nachruf: Lynn Walsh

Wir trauern um einen großen Marxisten

Lynn Walsh starb am 15. November im Alter von 79 Jahren. Geboren und aufgewachsen im Süden Englands, begann er 1965 sein Studium an der Sussex University. Lynn schloss sich bald unserer kleinen, aber wachsenden Gruppe revolutionärer Marxist*innen an – innerhalb der Brighton Labour Party, in ihrer Jugendabteilung und im Socialist Club der Universität. Unsere Zeitung, Militant, war im Oktober des Vorjahres ins Leben gerufen worden, kurz bevor eine Labour-Regierung unter Harold Wilson gewählt wurde.

von Clare Doyle

Lynn zeigte große Begeisterung für unsere Ideen und die der großen Lehrer – Marx, Engels, Lenin und Trotzki. Er hatte großes Talent im Schreiben, Sprechen und Debattieren. Dies zeigte sich schon früh, als er über die Sussex University in die nationale Führung der Revolutionary Socialist Student Federation gewählt wurde – einer Organisation, die unter dem Einfluss der revolutionären Ereignisse im Mai 1968 in Frankreich schnell angewachsen war. Die Existenz der Revolutionary Socialist Student Federation war nur von kurzer Dauer, aber sie war anfangs eine beträchtliche Gruppierung, und wie Bob Labi sich erinnert, spielte Lynn eine herausragende Rolle, indem er für unsere Ansichten eintrat und sich in manchmal heftigen politischen Debatten seine politischen Sporen verdiente.

Nachdem er Sussex verlassen hatte, verbrachte Lynn einige Zeit in London, wo er die Arbeit unserer wachsenden Organisation weiterentwickelte. Anfang der 1970er Jahre zog er nach Manchester, um als einer der ersten regionalen Hauptamtlichen für Militant zu arbeiten. Neben der Berichterstattung über lokale Streiks und Arbeitskämpfe verfasste Lynn wichtige Artikel für unsere theoretische Zeitschrift zu nationalen, internationalen und historischen Themen.

Als 1974 in Portugal die Revolution ausbrach, wurde Lynn von unserer neu gegründeten Organisation – dem Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale – entsandt, um dort eine Basis für unsere Ideen zu schaffen (fast ohne Kenntnisse der Landessprache!).

Zurück in London wurde Lynn ein unschätzbarer Autor und Redakteur der Militant-Publikationen. Er war auch an wichtigen Rechtsstreitigkeiten beteiligt und arbeitete eng mit seinem Freund und Anwalt Mike Fisher zusammen. Dazu gehörte die Labour Campaign for the Defence of Brixton, die als Reaktion auf die „Unruhen“ von 1981 ins Leben gerufen wurde, und später mehrere andere, wie der siegreiche Kampf gegen den Versuchsn der damaligen rechtsgerichteten Führung der Gewerkschaft Unison, eine Hexenjagd auf vier Mitglieder der Socialist Party (CWI England & Wales) zu veranstalten. Lynn lebte mit seiner Partnerin Vivien Seal und seinem Sohn Daniel am oberen Ende des Brixton Hill in einem Haus, das oft für Treffen lokaler Militant-Genoss*innen genutzt wurde.

Zusammen mit den anderen vier von uns in der Redaktion von Militant – Peter Taaffe, Keith Dickinson, Ted Grant und ich – wurde Lynn vom Labour-Vorsitzenden Neil Kinnock und dem Nationalen Exekutivkomitee der Partei „vor Gericht gestellt“. Auf dem Labour-Parteitag 1983 (in Brighton, wie es der Zufall will) wurden wir aus der Labour Party ausgeschlossen. (Im folgenden Jahr, 1984, wurde Lynns siebenjähriger Sohn Daniel von Neil Kinnock für eine Zeichnung, die er über das Gesundheitswesen angefertigt hatte, mit einem Preis ausgezeichnet. Daniel fragte ihn prompt, warum er seinen Vater aus der Partei ausgeschlossen habe!)

In den 1980er Jahren war unsere Organisation in Großbritannien auf über 8000 Mitglieder angewachsen und wir veranstalteten eine große Kundgebung im Alexandra Palace. Zu dieser Zeit leistete Lynn einen wichtigen Beitrag zu den großen Debatten, die wir national und international führten. Lynn gab unseren studentischen Genoss*innen auch wichtige Ratschläge und eine marxistische theoretische Grundlage, da Militant in den 80er Jahren auf nationaler Ebene in diesem Tätigkeitsbereich an Stärke gewann. Er bezog während der Spaltung des CWI in den frühen 1990er Jahren klar Stellung und war der Hauptredakteur unserer theoretischen Zeitschrift – Militant International Review – und dann ihres Nachfolgers Socialism Today.

Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale

Lynn war zunehmend in die Aktivitäten des CWI eingebunden und besuchte in dessen Auftrag eine Reihe von Ländern, darunter Südafrika zusammen mit Tony Saunois sowie Indien, Sri Lanka, Pakistan und viele Male die USA. Er sprach bei zahlreichen Debatten und Treffen im Namen des CWI. Ich erinnere mich besonders an seinen Besuch in der UdSSR in ihren turbulenten letzten Tagen. Er hielt eine Rede bei einer Versammlung in der Hauptstadt Moskau und anschließend bei einer Versammlung von fünfzig Personen in Leningrad, im Haus derselben Ballerina, das die Bolschewisten im April 1917 genutzt hatten.

Die neue Periode, die sich durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und anderer stalinistischer Staaten eröffnete, führte zu weitreichenden Debatten unter Marxist*innen, an denen Lynn prominent teilnahm – über globale Beziehungen, die Wirtschaft, den Klassencharakter Chinas, die Europäische Union, die Rolle einer revolutionären Partei und über Taktiken zum Aufbau der Arbeiter*innenbewegung. Lynn betreute in dieser Zeit auch die Arbeit der Socialist Party in Südengland.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wandelte sich Lynns Leben nur allzu schnell von der reinen Freude an seiner Partnerschaft mit Lorraine Dardis, die aus den USA nach London gezogen war, in die Tragödie, die sich aus ihrer unheilbaren Krankheit und ihrem frühen Tod ergab. Lynn litt zunehmend unter ernsten gesundheitlichen Problemen, darunter nachlassendes Sehvermögen, und wurde immer abhängiger von der uneingeschränkten Hilfe seiner Freund*innen, insbesondere von der seiner Genoss*innen und Nachbar*innen Roger und Elizabeth Keyse.

In den letzten Jahren, als Lynn wieder in Brighton lebte, wo Daniel wohnte, war er nicht mehr in der Lage, sich politisch zu engagieren. Er bekam Besuch von seiner Familie und engen Freund*innen, wie Nick Chaffey aus Southampton, und bei einer letzten Gelegenheit im Jahr 2023 von Jagadish Chandra aus Bangalore, Indien.

Diejenigen von uns, die Lynn über viele Jahrzehnte hinweg gut kannten – die mit ihm zusammengearbeitet haben, mit ihm ins Theater und zu Konzerten gegangen sind und (sehr selten) mit ihm gestritten haben – werden Lynn und seinen Beitrag zum Aufbau der Kräfte des Marxismus und des Trotzkismus auf nationaler und internationaler Ebene nie vergessen. Viele neuere Mitglieder unserer Partei und des CWI, die Lynn nie kennengelernt haben, profitieren enorm von seinem schriftlichen Material.

Hier eine Auswahl von Artikeln und Videos von Lynn Walsh:

Zur Ermordung Leo Trotzkis:
Trotzkis Ermordung | Sozialistische Organisation Solidarität

What future for Socialism? Lynn Walsh Eröffnung der ersten Ausgabe des marxistischen Theorie-Magazins Socialism Today über die Bedeutung des Sozialismus und der Rolle der Arbeiter*innenklasse aus dem Jahr 1995 als reihenweise Aktivist*innen und selbsterklärte Revolutionär*innen angesichts der Umbrüche der 90er den Marxismus aufgaben:
https://socialismtoday.org/archive/aims.html

Über die extreme Rechte:
Socialism Today – The character of the far-right threat

Zum Nahost-Konflikt:
Socialism Today – Is there a way out of the Israeli-Palestinian conflict?

Imperialism and the Gulf War 1990-1991, marxistische Analyse des Golfkriegs:
https://web.archive.org/…/publica…/gulfcrisis/index.html

Über die Kriege im ehemaligen Jugoslawien:
Socialism Today – the road to war
Socialism Today – Kosova and the KLA

World Economic Turmoil, eine Analyse der krisenhaften Wirtschaftsentwicklungen Ende der 90er und ein theoretischer Austausch zu den Ursachen der Krise:
https://socialismtoday.org/archive/32/worldecon32.html
https://socialismtoday.org/archive/40/worldecon40.html

The Causes of the Capitalist Crisis, ein Beitrag zusammen mit Peter Taaffe zur Frage der Ursachen der Weltwirtschaftskrise 2007-09:
Teil 1: Die Ursachen der kapitalistischen Krise – sozialismus.info
Teil 2: Die Ursachen der kapitalistischen Krise – sozialismus.info

Zur Frage der Inflation:
Feature: Price inflation – the sickness of capitalism – Socialist Party

Zwei Beiträge zur Debatte um den Charakter des chinesischen Staates:
https://socialismtoday.org/archive/122/china.html
https://socialismtoday.org/archive/132/china.html

Zur Frage des kapitalistischen Staats:
The State: A Marxist Programme and Transitional Demands – Socialist Party
The Police – Socialist Party

Und zwei Vorträge aus der Zeit der Militant-Ära:

  • Eine Debatte mit dem damaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Großbritanniens über die Lehren Volksfrontregierung in Chile:
  • Ein Vortrag über die Volksfrontregierung in Frankreich 1936: