Zur Krise im Gesundheitswesen

Foto: SnaPsi Сталкер, https://www.flickr.com/photos/snapsi42/4722533108 (CC BY-NC-ND 2.0)

Lauterbach-Reform, Medikamentenmangel und Beitragserhöhung

Seit Monaten verspricht Gesundheitsminister Lauterbach mit der sogenannten Krankenhausreform ein Ende des ökonomischen Drucks in den Kliniken, ein Anstieg an Versorgungsqualität und eine Sicherung der flächendeckenden Versorgung. Er spricht von einer „Revolution“, doch eher ist das Gegenteil zu erwarten. Die Reform würde zur Folge haben, dass ein erheblicher Teil an Kliniken schließen wird und die Versorgungssicherheit für die Bevölkerung sich weiter dramatisch verschlechtert. Ohnehin befindet sich das Gesundheitssystem in einem verheerenden Zustand.

von Anne Pötzsch, Pflegekraft und Medizinstudentin (Sol Dresden)

Am 17. Oktober 2024 hat der Bundestag das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) von Karl Lauterbach verabschiedet. Die Krankenhausreform istein Gesetz, welchem der Bundesrat vor Verabschiedung nicht zustimmen muss. Jedoch kann der Bundesrat bei einer Mehrheitsabstimmung einen Vermittlungsausschuss kontaktieren und das Gesetz muss noch einmal in diesem Ausschuss überarbeitet werden.Der Bundestag müsste bei weiterem Widerspruch, die Länderkammer mit einer absoluten Mehrheit überstimmen. Da die Regierung aber keine Mehrheit mehr und die Union eine Blockade angekündigt hat, ist offen, ob die Reform noch in diesem Jahr und in dieser Form überhaupt beschlossen wird.

Was würde sich durch die Reform ändern?

Lauterbach erklärte selbst im Oktober, dass die Reform nicht grundsätzlich verhindern soll und wird, dass Krankenhäuser schließen. Er spricht von „ein paar hundert Krankenhäuser weniger“ in den nächsten zehn Jahren, für die es aber auch keinen „medizinischen Bedarf“ gäbe. Er tut so, als ob die Reform alternativlos wäre, denn ohne sie würden angeblich schon im nächsten Jahr mehrere hundert Krankenhäuser schließen müssen. Um eine bedarfsgerechte Finanzierung (und den Erhalt aller Kliniken) geht es Lauterbach nicht, auch wenn er das gerne versucht anders darzustellen.

Lauterbach wirbt bei seiner Reform vor allem mit dem sogenannten „Vorhaltebudget“. Die Kliniken sollen für das Vorhalten von Versorgungsstrukturen (also Personal, Räumlichkeiten, Geräte) bereits entlohnt werden. So soll angeblich gesichert werden, dass zu jedem Zeitpunkt Menschen versorgt werden können, ohne dass die Kliniken dabei in Vorkasse gehen müssen. Die Vorhaltepauschale stellt einfach einen Teil der Fallpauschale darstellt, das dahinterstehende Ökonomisierungsprinzip wird nicht in Frage gestellt.1 Die Fallpauschale wird zu 60 Prozent im Vorhinein als Vorhaltepauschale bezahlt und nach einer Behandlung folgen dann die restlichen 40 Prozent. Somit steigt aber nicht das Finanzvolumen für die Kliniken insgesamt. Ganz im Gegenteil ist es vorgesehen, bei den Kliniken zukünftig noch weiter zu sparen. Auch erhält eine Klinik nur ein Vorhaltebudget, wenn sie im Vorjahr eine bestimmte Anzahl an Fällen behandelt und die Berechtigung zur Behandlung einer Krankheit vom Land erteilt bekommen hat, wie es die Reform neu vorsieht.

Die Zuteilung durch die Länder erfolgt anhand von Leistungsgruppen, die eine Art Behandlungskategorie (Allgemeine Chirurgie, Geburtshilfe, Orthopädie, usw.) darstellen. Die Leistungsgruppen werden nur an jene Krankenhäuser verteilt, die sowohl die geforderten Fallzahlen als auch bestimmte „Qualitätsvorgaben“ erbringen. Welche Qualitätsvorgaben das sind, sieht das Gesetz momentan nicht vor. Diese sollen erst in den nächsten Monaten bestimmt werden. Die Erklärungen der von der Regierung eingesetzten Reformkommission geben aber Hinweise, wohin die Reise geht.

Kleine Kliniken, die man vor allem im ländlichen Raum findet, werden unter den neuen Vorgaben kaum fortbestehen können. Für sie ist ein Überleben nur als Level 1i Kliniken noch möglich, wenn es in ihrem Umkreis keine weitere Klinik gibt. Bei Level 1i Kliniken wird es zukünftig keine zentrale Notaufnahme geben, eine stationäre Aufnahme wird nur in einzelnen Häusern möglich sein und die Grundversorgung soll durch die neu implementierten Praxen stattfinden. Gleichzeitig sollen die Level 1i Kliniken die Versorgung im ländlichen Bereich sicherstellen.

Ein weiterer wesentlicher Punkt der neuen Reform ist die Zentralisierung der Krankenhauslandschaft. Einerseits sollen große Fachkliniken entstehen und kleine Krankenhäuser abgebaut werden. Begründet wird dies damit, dass kleine Krankenhäuserangeblichzu wenige Behandlungen in einem Jahr durchführen, um eine hohe Qualität ausüben zu können. Andererseits sollen die Krankenhäuser einen großen Teil der ambulanten Versorgung zukünftig stemmen.

Der dritte zentrale Punkt der Reform ist die „Ambulantisierung“ des Versorgungsangebot in den Krankenhäusern. Viele Behandlungen sollen zukünftig nur noch ambulant erfolgen und eine stationäre Behandlung verhindert werden. Einen Großteil sollen die Krankenhäuser selbst anbieten, aber auch die Praxen sollen nach dem Reformgesetz Behandlungen, die bislang in Kliniken stattfanden, künftig bei sich durchführen.

Geht die Reform auf?

Seit dem ersten Papier der Regierungskommision zur Erarbeitung der Krankenhausreform wird Kritik laut. Vor allem Initiativen, wie „Krankenhaus statt Fabrik“ oder das Dresdner Pflegebündnis, warnen seit nun bereits Jahren vor der Reform.

Mit der Reform wird zukünftig nicht mehr Geld in die Kliniken fließen. Das jährliche Gesamtvolumen für die Krankenhausfinanzierung wird auf dem Niveau der letzten Jahren bleiben, wenn nicht sogar sinken, da durch die Ambulantisierung ein Teil der stationären Versorgung wegfällt. Gleichzeitig wird der Konkurrenzdruck zwischen den Kliniken steigen, da nur durch die Zuteilung einer Leistungsgruppe durch die Länder eine Klinik das Vorhaltebudget erhält und damit einen wesentlichen Teil der Vergütung. Die Zuteilung ist jedoch an bestimmte Fallzahlkorridore gebunden. Somit werden die Kliniken sich vor allem um die lukrativen Leistungsgruppe stark bemühen und versuchen, Patient*innengruppen zu sich in die Kliniken zu locken, um die Fallzahlen zu erfüllen – etwas, was wir jetzt bereits mit den DRGs/Fallpauschalen erleben. Damit wird ein ökonomischer Druck weiter im Fokus der Klinikorganisation bleiben – statt der bestmöglichen Patient*innenversorgung.

Durch die Zentralisierung wird eine persönliche Bindung zwischen behandelnder Praxis und Patient*in verloren gehen. Die Patient*innen werden in den Krankenhäuser wie in einer Fabrik durchgeschleust. Dies wird sich negativ auf die Genesung und Behandlungserfolge auswirken. Vor allem bei chronisch kranken Menschen ist eine persönliche Bindung und ein enger Kontakt im ambulanten Bereich essenziell. Die Patient*innen profitieren davon, wenn die (hausärtzlichen) Praxen die Patient*innen bereits über Jahre versorgen. Große Einrichtungen werden dies nicht mehr garantieren können, da der Durchlauf an Patient*innen riesig sein wird und auch die Personalkontinuität nicht gewährleistet werden kann. Auch wird die Zentralisierung dazu führen, dass die Wege in Krankenhäuser mit entsprechenden Abteilungen weiter werden. Dies ist hinsichtlich des katastrophalen Zustandes im Rettungsdienst eine Gefahr für die Gesundheit aller. Standortnahe Versorgung wird es zukünftig in ländlichen Gegenden nur noch durch Level 1i Klinken geben, die nur ambulante Angebote machen dürfen und keine Notaufnahmen betreiben dürfen. Durch die Verlängerung von Anfahrtswegen in die Fachzentren wird wichtige Zeit verloren gehen, um Notfälle rechtzeitig zu behandeln.

Die noch unbekannten Qualitätsvorgaben stellen momentan eine Blackbox für alle Beteiligten da. Kliniken wissen auch zwei Monate vor in Krafttreten der Reform nicht, was sie zukünftig erfüllen müssen und wie bestimmte Qualitätsvorgaben künftig zu finanzieren sind. Auch ist unklar, inwieweit es dann Vorgaben für das Personal gibt, welche eine Unterbesetzung verhindern, und ob es sich bei eventuellen Personalvorgaben nur um medizinisches Personal handeln wird. Denn eine gute Personalbesetzung bei Pflegekräften, Therapeut*innen und Ärzt*innen ist unerlässlich, jedoch muss auch die Prekarisierung in Bereichen wie Reinigung oder Speiseversorgung beendet werden. Es ist eben nicht nur das medizinische Personal, welches wesentlich für den Krankenhausbetrieb ist.

Lauterbach und Befürworter*innen der Reform meinen, mit der Reform die Versorgungsqualität in den Kliniken zu steigern. Sie sehen das Problem in der Gesamtanzahl an Krankenhäuser. Da jedes Krankenhaus jede Behandlung anbieten dürfe, würde es oft an Expertise fehlen. Durch die Implementierung von Fachzentren möchte man Fachwissen bündeln und dadurch eine Steigerung der Behandlungsqualität erreichen. Diesmag aus medizinischer Sicht und isoliert betrachtet nachvollziehbar sein,jedoch werden bedeutende Faktoren vergessen.

Die grundlegenden Ursachen der sich verschlechterenden medizinischen Versorgung ist die kapitalistisch getriebenene Ökonomisierungs- und Sparlogik, welche u.a. von Lauterbach und der rot-grünen Bundesregierung Anfang der 2000er vorangetrieben wurde. Seitdem wurden u.a. über 350 Kliniken und 82.000 Krankenhausbetten abgebaut, wurde viel zu wenig investiert, Personal ausgebildet und eingestellt und haben sich die Arbeitsbedingungen massiv verschlechtert. Eine Personalunterbesetzung, eine damit einhergehende unzureichende Ausbildung von jungen Ärzt*innen und angehenden Pflegekräften, eine ständige Überarbeitung des Personals und die nicht zu schaffende Arbeit sind die wesentlichen Faktoren für eine oft unzureichende Behandlung. Der finanzielle Druck durch die Fallpauschalen führte zudem sehr oft zu einer schnelleren Entlassung und damit zu einer zu kurzen Liegedauer. Der sogenannte Drehtüreffekt (Patient*in kommt kurz nach der Entlassung wieder ins Krankenhaus) ist ein Phänomen der unzureichenden Behandlung im Krankenhaus durch zu kurze Liegedauer.

Die Ambulantisierung wird künftig die Praxen weiterhin belasten. Patient*innen werden noch schlechter Termine bei Fachärzt*innen bekommen, da die Praxen noch mehr leisten müssen. Dem ambulanten Bereich mehr Aufgaben zu geben, ohne durch öffentliche Investitionen und Ausbildungsoffensiven die Voraussetzungen zu schaffen, ist aber ein Himmelfahrtskommando.Wir brauchen dringend mehr medizinische Fachangestellte und Therapeut*innen wie Physiotherapeut*innen, die zukünftig unter wesentlich besserer Bezahlung und Arbeitsbedingungen arbeiten können. An den Universitäten hätte es bereits vor 15 Jahren mehr Studienplätze geben müssen, um das Praxissterben zu verhindern. Es fehlt eklatant an ärztlichen Nachwuchs in Praxen außerhalb der Städte. Das zeigt die Notwendigkeit, eines staatlichen Plans zur Sicherstellung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung – doch dieser muss sich an den Bedürfnissen der Beschäftigten und Patient*innen ausrichten, durch demokratisch gewählte Vertreter*innen ausgearbeitet und in der Einhaltung kontrolliert und er muss entsprechend bedarfsgerecht finanziert werden.

Beitragserhöhung

Doch im aktuellen System werden die steigenden Kosten auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt.Die Umstrukturierungskosten der Krankenhauslandschaft von 50 Milliarden Euro sollen zu 50 Prozent von den Ländern als Infrastrukturinvestitionen und zu 50 Prozent von den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) aus dem Gesundheitsfonds gestemmt werden.Die privaten Krankenkassen müssen sich nicht an den Kosten beteiligen und auch der Bund wird keine Mittel stellen, da Christian Lindner (als er noch Finanzminister war)kein Geld dafür zur Verfügung stellen wollte.

Im ersten Halbjahr 2024 sind die Kosten für die GKV stark gestiegen – größter Faktor seienlaut Gesundheitsministeriumhier die Krankenhäuser. Aber auch starke Preisanstiege für Medikamente sind ein nicht zu vernachlässigender Punkt.

Die Mehrkosten sollen ab 2025 auch die lohnabhängig Beschäftigten durch Sozialabgaben über den Zusatzbeitrag tragen. Der GKV-Schätzerkreis empfiehlt eine Erhöhung von durchschnittlich 0,8 Prozent auf 2,5 Prozent. Dieses Geld wird künftig über die GKV in die Taschen von Aktionär*innen und Konzernen fließen. Denn es sind diese, die die Kosten steigen lassen und immer mehr Profit mit Erkrankung machen wollen.

Mal wieder Medikamentenmangel – weil nichts passierte

Die Versorgung wird durch dieses Treiben privater Unternehmen gefährdet.Alle paar Monate, spätestens mit Beginn des Herbstes, lassen die Apotheken, Krankenhäuser und Praxen verlauten, dass es an Medikamenten fehlt. Es fehlen triviale, aber essentielle Medikamente wie Kochsalz-Infusionen oder Schmerzmittel, aber auch Chemotherapeutika oder HIV-Medikamente. Das man für ein Antibiotikum im Winter mehrere Apotheken ablaufen muss, haben vermutlich schon viele Menschen in Deutschland erlebt. Im Frühjahr sah ein Drittel der Mitglieder im Verband der Kinder- und Jugendärzte die Behandlung als gefährdet an.

Jedes Jahr auf Neue wird dann aus der Politik versprochen, dieses Problem anzugehen. Man verspricht zum Beispiel, die Produktion von essenziellen Medikamenten zurück in die EU zu holen, umso Lieferengpässe durch weite Transportwege, geopolitische Ereignisse oder protektionistische Maßnahmen anderer Länder zu verhindern. Die kapitalistische Wirtschaftsweise führt aber zwangsläufig nicht nur zu Spannungen zwischen verschiedenen Staaten, die sich auswirken – sondern auch zu marktgetriebenen Engpässen, weil private Pharmakonzerne mit dem Zurückhalten von Medikamenten die Preise in die Höhe treiben können, um ihre Profite zu steigern. Sie wirtschaften letztlich nicht nach dem Interesse, gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern nach Profitinteressen.

Lauterbach hat mit seinem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz dafür gesorgt, dass bei Engpässen der Einkaufspreis von den gesetzlichen Krankenkassen nach oben gesetzt werden darf. Das einzige Ergebnis wird sein, dass Pharmakonzerne zukünftig weiterhin durch Erzeugung von Engpässen die Verkaufspreise nach oben treiben werden. Dadurch fließt nicht nur noch mehr Geld aus GKV-Beiträgen in die Taschen von Konzernen, sondern das sorgt auch dafür, dass ärmere Länder sich immer weniger Medikamente zu den hochgetriebenen Marktpreisen leisten werden können.

Wie kann eine Alternative aussehen?

Das Gesundheitssystem braucht nicht nur dringend eine Reform, die die Versorgung verbessert, es braucht eine echte Revolution. Es sind nicht nur die Kliniken, die ein neues Finanzierungsmodell brauchen, sondern es ist auch der ambulante Bereich, der dringend ausgebaut und entlastet werden muss.

Wir brauchen im gesamten Gesundheitssystem eine bedarfsgerechte Finanzierung. Das System der Fallpauschalen gehört beendet, ein neues System von Pauschalen gehört verhindert. Private Krankenkassen müssen abgeschafft werden und alle müssen zu gleichen Anteilen in eine gesetzliche Krankenkasse einzahlen – als erster Schritt zu einem steuerfinanzierten öffentlichen Gesundheitswesen, welches für jeden Menschen barrierefrei zugänglich ist.

Profite im Gesundheitswesen zu erwirtschaften, muss unmöglich gemacht werden. Alle privaten Konzerne wie Helios und Sana müssen in öffentliches Eigentum übergehen. Öffentliche Gelder, welche in das Gesundheitssystem fließen, dürfen nicht in Konzerntaschen landen.

Kurze Wege in Krankenhäuser müssen erhalten bleiben. Geschlossene Kliniken müssen wieder öffnen, wenn sie vor Ort gebraucht werden. Es muss möglich bleiben, überall eine Grund- und Notfallversorgung zu erhalten. Fachkliniken mit hoher Expertise durch gute Ausbildung und ausreichend Personal gehören an den Versorgungsbedarf jeder Region organisiert. Ambulante Gesundheitszentren müssen flächendeckend geschaffen werden. In diesen Gesundheitszentren müsste es dem medizinischen Personal ermöglicht werden, die Patient*innen vollumfassend und kontinuierlich zu betreuen. Sowohl Prävention ab der Geburt bis ins hohe Alter muss finanziert sein als auch die Begleitung chronischer Erkrankungen.

Im Gesundheitswesen müssen sofort in allen Bereichen mehr Stellen finanziert werden – von der Reinigungskraft zum Rettungssanitäter zur Pflegekraft zur Therapeutin. Berufe wie Pflege können nur attraktiv werden für junge Menschen, wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern, die Gesunderhaltung der Arbeiter*innen gewährleistet ist und der Beruf mit einem Leben außerhalb der Klinik zu vereinbaren ist. Es bedarf mindestens 500 Euro mehr Entlohnung für alle Pflege- und Funktionsberufe, statt Teilzeitflucht deutliche Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich und der Einführung einer gesetzlichen Personalbemessung nach Bedarf. 

Das gesamte Gesundheitswesen muss bundesweit und regional durch gewählte Gremien aus Beschäftigten, Gewerkschaften, Patient*innenverbände und Kommunen demokratisch kontrolliert und verwaltet werden. Die Verwaltungs- und Kontrollinstanzen werden beraten durch Mediziner*innen und Wissenschaftler*innen, die nicht in Abhängigkeit irgendwelcher Konzerne sondern im Dienst des staatlichen öffentlichen Gesundheitswesens stehen.

Der Staat muss massive Investitionen in Milliardenhöhe ins Gesundheitswesen vornehmen – anstatt in Rüstung zu investieren. Diese Investitionen können durch die Profite enteigneter Gesundheitskonzerne und einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer ermöglicht werden.

Ver.di muss kämpfen

Anfangs äußerte sich ver.di hinsichtlich der anstehenden Reform leider positiv, begrüßte Lauterbachs Pläne der Entökonomisierung der Kliniken. Mit jedem Positionspapier aus der Regierung und schlussendlich dem Eckpunktepapier distanzierte sich ver.di jedoch zurecht von zentralen Punkten der Reform. ver.di bemängelt die fehlenden Personalvorgaben im Gesetz, die in der Einführung der Vorhaltebudgets verschleierte Fortführung der Fallpauschalen und die fehlende Mitarbeit von Beschäftigten und der Gewerkschaft am Gesetz. Auch die Finanzierung aus Versichertenbeiträgen (der GKV) bemängelt ver.di.

Die Gewerkschaftsführung hat es jedoch über die gesamte Zeit versäumt, den Prozess der Reform konsequent und ausreichend kritisch und öffentlichkeitswirksam zu begleiten und einen Kampf dagegen zu organisieren und sich weitgehend auf Lobbyarbeit zu beschränkt. Die viele Stimmen gegen die Reform von der Basis hätte man hörbar machen müssen. ver.di hätte die Arbeiter*innen im Gesundheitssektor gegen die Reform mobilisieren müssen. Hätte die Gewerkschaftsführung (frühzeitig) Aktivenkonferenzen einberufen, groß angelegte öffentliche Aufklärungskampagnen in Zusammenarbeit mit dem DGB organisiert, Arbeitskämpfe im Gesundheitsbereich mit diesem Kampf verbunden und Proteste gegen die geplante Reform und für ein bedarfsgerechte Finanzierung der Kliniken organisiert, hätte es zu einer Abwendung der Reform kommen können.

Das Ampel-Aus bietet womöglich eine Aufschubszeitfenster – sollte die Reform doch nicht unmittelbar umgesetzt werden. Das sollte als Chance begriffen werden, ohne Anlass zum Aufatmen zu sein. Eine nächste, womöglich CDU-geführte Regierung könnte nicht weniger zimperliche Angriffe auf die Gesundheitsversorgung vornehmen. Schon jetzt liegt es in ver.dis Verantwortung durch Arbeitskämpfe und Mobilisierung der Bevölkerung Klinikschließungen zu verhindern. Auch Die Linke, die zurecht gegen die Reform gestimmt hat und einen Antrag zur Abschaffung des DRG-Systems und eine Selbstkostendeckung eingebracht hat, sollte sich in diese Kämpfe einbringen.

1https://solidaritaet.info/2023/09/krankenhausreform-loest-kein-problem/