Über den Charakter der Trump-Regierung und Perspektiven für Explosionen im Klassenkampf
„Es ist an der Zeit, Caligula zu studieren. Dieser berüchtigtste aller römischen Kaiser tötete, was von der Republik übrig geblieben war, und zentralisierte die Autorität in seiner Person. Donald Trump braucht sein Pferd nicht zum Senator zu machen; es wird genügen, weiterhin Scharlatane in Amerikas große Staatsämter zu berufen. Rom wurde nicht von Außenstehenden zerstört. Seine Zerstörung war das Werk von Barbaren aus dem Inneren… Nach dem zu urteilen, was Trump innerhalb von zwei Wochen nach seinem Sieg über die Präsidentschaft getan hat, ist sein Weg von Zerstörung gepflastert“.
Editorial von „Socialism Today“, Theoriemagazin der Socialist Party England und Wales
So lautete die düstere Prognose des US-Redakteurs der Financial Times, Edward Luce, in einem Artikel vom 19. November 2024. Andere, darunter Donald Trumps eigener ehemaliger Stabschef John Kelly, Marinegeneral im Ruhestand, haben Trump als Faschisten bezeichnet. Große Teile der Kapitalist*innenklasse fürchten sich offensichtlich vor den Folgen einer zweiten Amtszeit Trumps im Weißen Haus. Millionen von amerikanischen Arbeiter*innen empfinden das Gleiche, aber die Gründe für ihre Befürchtungen sind sehr unterschiedlich.
Die kapitalistischen Gegner*innen von Trump haben Angst, dass er die derzeitige internationale Ordnung – und die staatlichen Institutionen der USA -, durch die die US-Kapitalist*innenklasse regiert, beschädigen oder sogar zerstören könnte. Indem sie sich gegen Trump stellen, geben Marxist*innen der bestehenden „Weltordnung“ oder der Regierung der Demokratischen Partei, die diese im Namen des US-Imperialismus in den letzten vier Jahren aufrechterhalten hat, nicht die geringste Unterstützung.
Weltweit hat der demokratische Präsident Joe Biden die Interessen des US-Kapitalismus rücksichtslos verteidigt, unter anderem durch die Bewaffnung des mörderischen Angriffs der israelischen Regierung auf die Palästinenser*innen und die libanesische Bevölkerung. In den USA ging es den unteren zwei Dritteln der Einkommensgruppen am Ende von Bidens Amtszeit schlechter als zu Beginn. Obwohl Biden ein falsches gewerkschaftsfreundliches Image pflegte, führte er heftige gewerkschaftsfeindliche Maßnahmen durch, darunter das Verbot eines landesweiten Eisenbahner*innenstreiks und die Durchsetzung eines faulen Kompromiss. Die Gewinne der Öl- und Gasindustrie verdreifachten sich während Bidens Amtszeit, während die Abschiebungen höher waren als in Trumps erster Amtszeit.
Viele pro-demokratische kapitalistische Kommentator*innen sind verzweifelt über den angeblichen Rassismus, Frauenfeindlichkeit oder “Dummheit” der Wähler*innen aus der Arbeiter*innenklasse, die für Trump gestimmt haben. Aber ihre eigenen Erwartungen sind das, was man höflich als „dumm“ bezeichnen könnte: Sie erwarteten von den Wähler*innen, dass sie Kamala Harris unterstützen, obwohl sie mehr vom Gleichen anbot, und fordern sie auf, „Freude“ darüber zu empfinden. „It’s the economy, stupid“ war ein Satz, der ursprünglich von einem Berater des demokratischen Präsidenten Bill Clinton während der Präsidentschaftswahlen 1992 geprägt wurde. Diese Wahl fand in einer Zeit des Abschwungs statt. Obwohl die Wirtschaft jetzt zwar wächst, fühlt es sich für die amerikanische Arbeiter*innenschaft wie eine Rezession an. Umfragen zufolge haben mehr als 80 Prozent derjenigen, die die Wirtschaft für das wichtigste Thema bei dieser Wahl hielten, für Trump gestimmt.
Dennoch haben viele für Harris gestimmt, trotz ihrer Wut auf die Demokraten in Bezug auf die Wirtschaft und andere Themen, weil sie Trump stoppen wollten, verängstigt durch seine grobe, rassistische, spaltende Rhetorik. Es ist klar, dass Trumps Sieg rechtsextremen und rassistischen Kräften mehr Selbstvertrauen geben wird. Es ist auch klar, dass die Trump-Regierung versuchen könnte, eine brutale Anti-Migrant*innen-Politik zu betreiben. Gegen beides wird eine Massenmobilisierung der Arbeiter*innenklasse erforderlich sein.
Grenzen der Reaktion
Es wäre jedoch falsch, daraus zu schließen, dass das Votum für Trump in erster Linie eine Unterstützung für seine reaktionäre Rhetorik darstellt. So zeigten beispielsweise im Juni dieses Jahres nationale Meinungsumfragen, dass 70 Prozent der US-Amerikaner*innen der Meinung sind, dass Abtreibung in allen oder den meisten Fällen legal sein sollte. Die Abstimmungen über die gesetzliche Verankerung von Abtreibungsrechten in den Bundesstaaten, die am selben Tag wie die Präsidentschaftswahlen stattgefunden haben, bestätigten diese Umfrageergebnisse. In acht der zehn Bundesstaaten, die über das Thema abstimmten, sprach sich eine Mehrheit für das Abtreibungsrecht aus. Von diesen acht Staaten unterstützte eine Mehrheit der Menschen in fünf von ihnen auch Trump.
In den USA, wo es nie eine sozialdemokratische oder kommunistische Massenpartei gab, existiert das „Duopol“ schon länger als das allgemeine Wahlrecht. Historisch gesehen war das Fehlen einer solchen Partei, die Druck auf die kapitalistische Klasse ausübte, ein wichtiger Faktor für den weitaus begrenzteren Wohlfahrtsstaat, den die US-Arbeiter*innenklasse im Vergleich zu Großbritannien und anderen westeuropäischen Ländern errungen hat. Dies ermöglichte auch, dass das äußerst dysfunktionale Wahl- und Rechtssystem der USA alle möglichen grotesken Auswüchse entwickeln konnte. In Europa hingegen bedeutete die Umwandlung der sozialdemokratischen und der meisten kommunistischen Arbeiter*innenparteien mit pro-kapitalistischer Führung in rein kapitalistische Parteien – verkörpert durch Blairs Umwandlung von Labour in New Labour -, dass die Politik „amerikanisiert“ wurde.
Dies geschah nicht vor dem Hintergrund eines wachsenden Wohlstands für die Mehrheit der Bevölkerung. Im Gegenteil: In den USA sind die Reallöhne von sieben von zehn Arbeiter*innen seit den 1970er Jahren ein halbes Jahrhundert lang stagniert. Wäre die Verteilung des Wohlstands in den USA während des letzten halben Jahrhunderts auf dem Niveau des Nachkriegsaufschwungs geblieben, hätten die unteren 90 Prozent 50 Billionen Dollar mehr in der Tasche! Der gleiche Prozess hat in den europäischen Ländern stattgefunden, verbunden mit einer unerbittlichen Aushöhlung des „Soziallohns“ – öffentliche Dienste, Sozialleistungen usw. -, den die Arbeiter*innenklasse in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erkämpft hat. Hinzu kommen wiederholte Schocks: die Große Rezession 2007-08, die Pandemie und der Inflationsschub, die den Lebensstandard weiter gesenkt haben.
Die daraus zwangsläufig resultierende Wut gegen die Eliten hat zur Aushöhlung und sogar zum Zusammenbruch traditioneller kapitalistischer Parteien geführt. In Ermangelung unabhängiger Parteien der Arbeiter*innenklasse wurde die Wut der Mehrheit mit den verfügbaren Mitteln zum Ausdruck gebracht. Dort, wo, wenn auch nur kurz, lebensfähige linke Alternativen entstanden sind, haben sie beträchtliche Unterstützung erhalten – einschließlich der Unterstützung für Jeremy Corbyn in Großbritannien und Bernie Sanders in den USA. In Ermangelung solcher Alternativen waren die Rechtspopulist*innen das wichtigste verfügbare Mittel.
Ist Trump ein Faschist?
In den USA bedeutete dies, dass Trump wiedergewählt wurde, dieses Mal mit etwa 2,5 Millionen Stimmen mehr als sein Gegner, aber mit über vier Millionen Stimmen weniger als Biden 2020 erhielt. In vielerlei Hinsicht hat die Demokratische Partei die Wahl eher verloren als dass es ein „Erdrutschsieg“ von Trump war, wie behauptet. Beim zweiten Mal ist die Republikanische Partei noch weiter ausgehöhlt worden und wird nun weit mehr von Trumps MAGA-Bewegung dominiert. Schon seine Hardliner-Ernennungen, die scheinbar nur auf der Grundlage ihrer persönlichen Loyalität zu ihm getroffen wurden, scheinen auf seine Entschlossenheit hinzuweisen, sich von den Fesseln zu befreien, die ihn in seiner ersten Amtszeit eingeengt haben.
All dies bedeutet jedoch nicht, dass es zutreffend ist, Trump als Faschisten zu bezeichnen. Die faschistischen Kräfte der 1920er und 1930er Jahre mobilisierten Massenbewegungen, die sich aus großen Teilen des ruinierten Kleinbürgertums und Teilen der Arbeitslosen und verelendeten Schichten zusammensetzten, und die von den Kapitalist*innen als Rammböcke benutzt wurden, um die Organisationen der Arbeiter*innenklasse physisch zu zerschlagen. Als sie an die Macht kamen, installierten sie totalitäre Regime, die die Organisationen der Arbeiter*innenklasse und alle Elemente der Demokratie auslöschten. Der Faschismus siegte auf der Grundlage der Niederschlagung mehrerer Wellen von Revolutionen der Arbeite*innen, die das Ergebnis falscher Führung und insbesondere der falschen Politik des Stalinismus waren.
Heute befinden wir uns in einer völlig anderen Situation. Auf der einen Seite hat die Arbeiter*innenklasse zwar begonnen, wieder die Bühne der Geschichte zu betreten, aber sie beginnt noch nicht einmal, die Macht nur herauszufordern. Auf der anderen Seite ist Trumps Unterstützung, wie auch die anderer Rechtspopulist*innen, überwiegend ein Wahlphänomen, mit bisher sehr begrenzter Fähigkeit zur Mobilisierung auf der Straße, ganz zu schweigen von einem organisierten bewaffneten Flügel. Zwar rief Trump im Januar 2020 zum „Marsch auf Washington“ auf, um zu versuchen, das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen von 2019 zu kippen, aber die Zahl derer, die an dem Angriff auf das Capitol Building teilnahmen, ging eher in die Tausende als in die Zehn- oder Hunderttausende. Die Zahl derer, die gegen Trump und seine Politik demonstrierten, als er noch im Amt war, war ein Hundertfaches davon. Auch wurde Trumps „Putschversuch“ von keinem nennenswerten Teil des Staatsapparats unterstützt.
Trump und andere seinesgleichen auf der ganzen Welt stellen zweifellos eine Bedrohung dar, gegen die die Arbeiter*innenklasse mobilisieren muss. Keiner von ihnen war jedoch in der Lage – oder hat auch nur versucht -, die Organisationen der Arbeiter*innenklasse zu zerschlagen. Früher oder später sahen sie sich einer wachsenden Massenopposition der Arbeiter*innenklasse gegenüber, wie Jair Bolsonaro in Brasilien und Javier Milei in Argentinien. Das Gleiche wird sicherlich für Trump in seiner zweiten Amtszeit weit mehr gelten als beim letzten Mal. Die Befürchtung, dass Trumps Rücksichtslosigkeit Massenbewegungen gegen ihn auslösen und Millionen von Amerikaner*innen radikalisieren wird, ist ein zentraler Grund, warum ernsthafte Vertreter*innen des Kapitalismus Angst vor seiner Präsidentschaft haben.
Die kapitalistische Klasse und der Staat
Aber wie weit wird Trump in innenpolitischen und internationalen Fragen wirklich außerhalb der Kontrolle des US-Kapitalismus stehen? Marx und Engels erläuterten, wie der Staat – einschließlich der Regierungen, aber auch des Polizei-, Armee-, Justiz- und Rechtsapparats – aus den unversöhnlichen Klassengegensätzen in der Gesellschaft entstand und sich scheinbar als „neutrale“ Kraft zur Aufrechterhaltung der Ordnung über die Gesellschaft erhob, in Wirklichkeit aber im Interesse der herrschenden Klasse handelte.
Im Kommunistischen Manifest erklären Marx und Engels, dass „die Exekutive des modernen Staates nichts anderes ist als ein Ausschuss zur Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten der gesamten Bourgeoisie“. In Wirklichkeit können die Handlungen einer jeden Regierung natürlich nur eine bessere oder schlechtere Annäherung an die Interessen der kapitalistischen Klasse als Ganzes sein. Trotzki, der über das Kommunistische Manifest schrieb, wies darauf hin, dass die Kapitalist*innenklasse eine “Regierung, die ihre Angelegenheiten schlecht regelt, mit dem Stiefel absetzt“. In gewisser Weise ist genau das mit Biden geschehen, der in letzter Minute durch den massiven Druck großer demokratischer Spender*innen gezwungen wurde, sich aus dem Präsidentschaftsrennen zurückzuziehen. In ähnlicher Weise haben in Großbritannien wichtige Teile der herrschenden Klasse zu einem bestimmten Zeitpunkt versucht, sowohl Boris Johnson als auch Liz Truss zu entmachten. In einer anderen Form könnte dies auch das Schicksal des Trumpismus sein, noch vor der nächsten Wahl. Edward Luce zieht, wie eingangs erwähnt, eine verzweifelte Analogie zu dem monströsen römischen Kaiser Caligula, der jedoch nach vier Jahren von einem Teil des Staatsapparats im Rahmen einer Verschwörung von Prätorianischer Garde und Senatoren ermordet wurde.
Natürlich gibt es Zeiten, in denen der Klassenkampf so heftig wird, dass, wie Engels erklärte, der Staat, obwohl er letztlich im Interesse der herrschenden Klasse handelt, dennoch „für den Augenblick ein gewisses Maß an Unabhängigkeit von beiden kämpfenden Klassen erlangt“. Angesichts wachsender Klassenkonflikte infolge der Unfähigkeit des Kapitalismus, die Gesellschaft voranzubringen, werden die Kapitalist*innen eher auf solche „bonapartistischen“, diktatorischen Regime zurückzugreifen, als dass sie die Machtübernahme durch den Faschismus zulassen werden. Die Erfahrung des 20. Jahrhunderts, dass faschistische Massenbewegungen die Macht in Deutschland und Italien festigen konnten, war eine brutale Lehre für die Kapitalist*innen. Die Bedrohung durch die sozialistische Revolution wurde zwar eine Zeit lang brutal niedergeschlagen, aber die kapitalistischen Klassen verloren die Kontrolle über ihren Staat an die bösartigen Spitzen der faschistischen Bewegungen. Das Ergebnis waren Tod und Zerstörung des Zweiten Weltkriegs in noch nie dagewesenem Ausmaß und in der Folge eine Schwächung des Kapitalismus auf internationaler Ebene durch das Erstarken des stalinistischen Blocks, der den halben Globus von der imperialistischen Herrschaft abschnitt. Hinzu kommt, dass in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern die wichtigste soziale Basis für den Faschismus – die Mittelschichten – heute viel kleiner ist als in den 1930er Jahren.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stehen Militär-/Polizei-Diktaturen in den wirtschaftlich entwickelten Ländern jedoch nicht auf der Tagesordnung. Dennoch könnte Trump die „parlamentarischen bonapartistischen“ Maßnahmen erheblich ausweiten, die Macht in seinen Händen konzentrieren und die staatliche Repression verstärken, aber immer noch im Rahmen der kapitalistischen Demokratie. Das Ausmaß, in dem er sich in diese Richtung bewegt, ist jedoch nicht vorherbestimmt, sondern wird sich in den kommenden Kämpfen entscheiden, ebenso wie viele andere Aspekte, wie viel von Trumps Rhetorik Wirklichkeit wird. Dazu gehören Kämpfe zwischen verschiedenen Teilen der Kapitalist*innenklasse, innerhalb derer es insbesondere in den USA – einer Nation von der Größe eines Kontinents – erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber gibt, was ihre „gemeinsamen Angelegenheiten“ ausmacht.
Wen vertritt Trump?
Betrachtet man den Hintergrund der Milliardär*innen, die sowohl Harris als auch Trump finanziert haben, so wird einiges klar. Es gab zwei Teile der kapitalistischen Klasse, die Trump mit überwältigender Mehrheit unterstützten: Ölbaron*innen und, weniger bedeutend, Kasinobesitzende! Die eigennützigen Gründe für diese beiden Gruppen sind offensichtlich. Es scheint auch, dass viele texanische Unternehmen aller Art Trump unterstützten. Offensichtlich erwarten diese Teile des Kapitals, dass Trump in ihrem Interesse handelt. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass sie wollen, dass Trump jeden Aspekt seiner Wahlkampfrhetorik in Politik umsetzt. Steuersenkungen für Reiche und Unterstützung für die Ölindustrie sind zum Beispiel eine Sache, aber Massenabschiebungen wären nicht im Interesse der texanischen Bosse, wenn mehr als 20 Prozent der Arbeiter*innen in diesem Bundesstaat im Ausland geboren sind, einer der höchsten Werte in den USA.
Die seriösen Vertreter*innen des US-Kapitalismus erkennen jedoch, dass eine Präsidentschaft von Trump nicht die „beste Vertretung“ ihrer gemeinsamen Interessen ist. Das zeigen die 83 Milliardär*innen, die Harris unterstützten, gegenüber nur 52 für Trump. Zwar waren Finanzbranche und Tech-Industrie, die mächtigsten Akteur*innen der US-Wirtschaft, gespalten, aber eine klare Mehrheit von beiden unterstützte Harris. Nichtsdestotrotz wird die kapitalistische Klasse nun so agieren, dass sie Trumps Präsidentschaft so gut es geht gestalten kann. Schon der Rückzug von Trumps erster Wahl als Generalstaatsanwalt, Mike Gaetz, ist ein Hinweis darauf, dass nicht alles nach seinem Willen geht. Die Ernennung des Hedgefonds-Managers Scott Bessent zum Finanzminister, der Trumps Zolldrohungen als „maximalistische“ Verhandlungsposition bezeichnet hat, die zurückgeschraubt werden könnte, ist ein erstes Anzeichen dafür, dass Trump von der US-Kapitalist*innenklasse gezwungen werden kann, von einer für sie katastrophalen Politik abzurücken. Es ist auch eine offene Frage, wie viel beispielsweise von Bidens Inflation Reduction Act Trump tatsächlich abbauen wird, wenn man bedenkt, dass mehr als 80Prozent der seit Verabschiedung des Gesetzes getätigten Investitionen im verarbeitenden Gewerbe in republikanische Bezirke geflossen sind.
Auch wenn er von seinen rücksichtslosesten Vorhaben die Zölle betreffend abrücken mag, wird er dennoch den protektionistischen Kurs des US-Kapitalismus beschleunigen, den er in seiner ersten Amtszeit forciert hat und der seither von Biden weiter verschärft wurde. Dies ist jedoch unvermeidlich, unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt. In der heutigen multipolaren Welt, in der China immer stärker wird und die USA zwar immer noch die stärkste Weltmacht sind, aber nicht mehr in der Lage, der Welt die Bedingungen zu diktieren, hat der US-Kapitalismus keine andere Wahl, als damit zu beginnen, die Schranken für seine Märkte zu erhöhen, um zu versuchen, die weitere Entwicklung Chinas zu verhindern.
Während Biden jedoch versuchte, diesen Ansatz mit der Aufrechterhaltung der US-Dominanz über den knarrenden bestehenden globalen Rechts- und Wirtschaftsrahmen zu verbinden, der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, will Trump diesen Rahmen umgehen, ignorieren oder sogar angreifen. Das wird unweigerlich den Niedergang der globalen Dominanz der USA beschleunigen. Aber seine Wahl ist letztlich ein Spiegelbild des Zerfalls der von den USA geführten „Weltordnung“. Wer auch immer im Weißen Haus sitzt, bringt nur zunehmende Unordnung, Krieg und Konflikte.
Während der Großen Rezession 2007-08 hat die Bereitschaft des US-Imperialismus, als Weltbanker aufzutreten und Chinas Konjunkturpakete von 2008 zu stützen, dazu beigetragen, die Auswirkungen der Krise teilweise zu mildern. Es besteht keine Aussicht, dass sich dies bei der nächsten Wirtschaftskrise wiederholt. Sicherlich nicht mit Trump, aber im Grunde wäre es auch nicht mit Harris oder Biden möglich gewesen.
Neben den globalen Ereignissen wird Trump auch mit einer großen Opposition gegen seine Innenpolitik konfrontiert sein. Viele Maßnahmen könnten blockiert werden, kaum dass sie begonnen haben. So droht er derzeit demagogisch damit, die Nationalgarde zu schicken, um Massenabschiebungen durchzuführen. Die Nationalgarde besteht jedoch aus 54 verschiedenen Organisationen, die auf der Ebene der Bundesstaaten kontrolliert werden. Dies spiegelt den stark föderalen Charakter des US-Staates wider. Würden die „blauen Staaten“ zustimmen, dass ihre Nationalgarde zur Durchführung von Massenabschiebungen eingesetzt wird? Selbst wenn sie anfangs versucht wären, dem zuzustimmen, wären sie angesichts des massiven Widerstands ihrer Bevölkerung gezwungen, sich zurückzuziehen.
Als Trump im Jahr 2020 Bundespolizist*innen – die er selbst befehligte – zum Angriff auf die Black-Lives-Matter-Bewegung (BLM) in Portland schickte, hatte die Erz-Establishment-Demokratin Nancy Pelosi keine andere Wahl, als der allgemeinen Empörung Ausdruck zu verleihen und zu twittern: „Trump und seine Sturmtruppen müssen gestoppt werden“. Die Migration ist eines von vielen Themen – darunter die Reaktion auf Protestbewegungen und Streiks, der Zugang zur Abtreibung, die Rechte von LGBTQ+ und die Klimapolitik -, bei denen es wahrscheinlich zu offenen Konflikten zwischen verschiedenen Bundesstaaten und der Bundesregierung kommen wird, da sich die Zentrifugalkräfte in den USA verstärken. Selbst republikanische Bundesstaaten könnten sich gegen die Diktatversuche Trumps auflehnen, wenn sie ihren lokalen Interessen nicht entsprechen.
Vorbedingungen für Revolution
Lenin erklärte, dass Spaltungen an der Spitze eine Vorbedingung für Revolution sind, da die herrschende Klasse sich unfähig sieht, auf die alte Art und Weise zu regieren, und nach anderen Lösungen sucht. Diese Voraussetzung ist in den USA bereits deutlich vorhanden und wird sich in der nächsten Periode weiter entwickeln.
Gleichzeitig haben wir die ersten Anfänge der Arbeiter*innenklasse erlebt, die wieder auf die Bühne der Geschichte zurückkehrt. In den letzten zwei Jahren war die Zahl der Streiks so hoch wie seit den 1980er Jahren nicht mehr. Umfragen zeigen, dass die Gewerkschaften beliebter sind als jemals zuvor in den letzten sechzig Jahren. Zweifellos haben einige, die gestreikt haben, bei den Präsidentschaftswahlen für Trump gestimmt. Sie taten dies in erster Linie, weil er versprach, „die Wirtschaft zu reparieren“. Wenn die Realität seiner brutalen pro-kapitalistischen Politik deutlich wird, werden viele von ihnen an vorderster Front der Bewegung gegen Trump stehen.
Trump wird natürlich versuchen, zu spalten und zu herrschen, indem er die reaktionärsten Vorurteile schürt, um seine Macht zu erhalten. Das kann Auswirkungen haben, aber man sollte sich daran erinnern, dass beim ersten Ausbruch der Black-Lives-Matter-Bewegung 74 Prozent der Amerikaner*innen diese unterstützten. Bei den republikanischen Wähler*innen war die Unterstützung geringer, aber eine große Minderheit – 40 Prozent – sagte, sie stimme den Protesten zu. Später, als die Bewegung abflaute, konnte Trumps rassistische Rhetorik eine größere Wirkung entfalten, aber nichtsdestotrotz zeigte BLM, dass es heute ein größeres Potenzial für einen gemeinsamen Kampf von schwarzen, weißen und lateinamerikanischen Arbeiter*innen gibt als je zuvor. Rassistische Vorurteile unter weißen Arbeiter*innen sind heute weit weniger ausgeprägt als beispielsweise zur Zeit der US-Bürgerrechtsbewegung. Gleichzeitig gehören schwarze und lateinamerikanische Arbeiter*innen nach wie vor zu den am stärksten Unterdrückten, während die Löhne weißer Arbeiter*innen ebenfalls unter Druck geraten sind.
Entscheidend für die Einheit der amerikanischen Arbeiter*innenklasse wird jedoch die Frage sein, wie sie sich eine politische Stimme verschaffen kann. Ein Ergebnis dieser Wahl wird sein, dass die Rolle der Demokratischen Partei, die Resultate ihrer Präsidenten, ihre Politik zugunsten des Großkapitals und ihr wiederholtes Versagen bei der Umsetzung von Reformen (bwohl sie mit der Präsidentschaft und der Mehrheit in den beiden Kammern des Kongresses ein „Dreigestirn“ stellten) zunehmend in Frage gestellt werden. Mehr als je zuvor seit Jahrzehnten werden sich in der nächsten Periode die Bedingungen für das Entstehen einer unabhängigen Arbeiter*innenpartei entwickeln. Eine solche Partei müsste für wirtschaftliche, soziale und ökologische Forderungen kämpfen, verbunden mit einem Programm für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft. Sie müsste auch ein Programm mit demokratischen Forderungen aufstellen. Dazu gehören die Infragestellung des undemokratischen Wahlleutekollegiums, des nicht repräsentativen Senats und des Obersten Gerichtshofs sowie die Beseitigung aller Hindernisse, die Kandidat*innen außerhalb des Duopols den Weg auf den Wahlzettel versperren.
Die organisierte Arbeiter*innenklasse wird die wichtigste Kraft im Kampf gegen alle Versuche Trumps sein, die demokratischen Rechte weiter zu beschneiden. Schon 2019, als Trump behauptete, dass er sich weigern würde, nach einer Wahlniederlage die Macht abzugeben, begann die Arbeiter*innenbewegung, die Frage eines Generalstreiks zu diskutieren. So verabschiedeten beispielsweise die Rochester-Genesee Valley Labor Federation im Bundesstaat New York und lokale Gewerkschaftsverbände in West-Massachusetts und Seattle Entschließungen, die zur Vorbereitung eines Generalstreiks aufriefen. Selbst die pro-kapitalistischen Spitzen der US-Gewerkschaftsbewegung diskutierten das Thema. Es wurde eine Entschließung des AFL-CIO-Exekutivrats verabschiedet, in der richtigerweise erklärt wurde, dass „Demokratien letztlich nicht von Richter*innen oder Anwält*innen geschützt werden“, sondern „von der Entschlossenheit der arbeitenden Menschen, sie zu verteidigen“. Es stimmt, dass Michael Podorzer, ein hochrangiger Berater des Präsidenten der AFL-CIO, in einem Interview sagte, dass „ein Generalstreik im Moment ein Slogan und keine Strategie“ sei. Hätte Trumps Umsturzversuch jedoch an Boden gewonnen, hätte es das Potential gegeben, dass ein Generalstreik nicht nur ein Slogan wäre, sondern Realität geworden wäre.
Die Wiederwahl Trumps ist der Beginn eines neuen Kapitels im Weltgeschehen. Sie wird auch den Beginn einer neuen, höheren Stufe des Klassenkampfes in den USA markieren. Selbst wenn die Proteste gegen Trump anfangs nicht so groß sind wie 2017, werden sie, sobald seine Angriffe deutlich werden, viel größer sein und vor allem größere Teile der Arbeiter*innenklasse einbeziehen. Vor mehr als einem halben Jahrhundert, in einer ganz anderen Epoche der Geschichte, waren es die mächtigen Massenbewegungen, die die USA in den 1960er und 1970er Jahren erfassten, die Errungenschaften für Frauen, Schwarze und andere erbrachten. Anders als damals hat der kränkelnde US-Kapitalismus heute jedoch viel weniger Handlungsspielraum; vor allem verbessert er den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse nicht mehr. Die Kämpfe, die die USA in der kommenden Zeit erfassen werden, werden daher wahrscheinlich ein höheres Niveau als in den 1960er Jahren erreichen und Chancen für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft im mächtigsten kapitalistischen Land der Erde schaffen.