Unabhängige und klassenkämpferische Haltung von Gewerkschaften und Linke nötig
Das Ende der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP kam am Abend des 6. November nicht wirklich überraschend. Die Krise der Regierung hatte sich in den letzten Wochen und Monaten beständig vertieft und die Koalitionsparteien zeigten sich immer mehr unfähig, nicht nur eine gemeinsame Politik zu formulieren, sondern selbst gemeinsame Gipfeltreffen zur Wirtschaftskrise durchzuführen. Der Ausgang der ostdeutschen Landtagswahlen im September, die fortgesetzte Wirtschaftskrise und die immer lauter werdenden Forderungen der Kapitalist*innen nach einer „Wirtschaftswende“ hatten den Druck auf die Koalition erhöht.
von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher
Die Konflikte in der nun zerbrochenen Koalition drücken unterschiedliche Vorstellungen unterschiedlicher Vertreter*innen des Kapitalismus darüber aus, wie ihr System am besten aufrechterhalten werden kann. Kein Teil dieser Regierung vertritt die Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung. Es gibt Einigkeit über viele Fragen: die Profitbedingungen für Banken und Konzerne verbessern, Unterstützung der ukrainischen Kriegsführung und des Kriegs Israels gegen die Palästinenser*innen, Aufrüstung der Bundeswehr und Militarisierung der Gesellschaft, Migration einschränken und Geflüchtete abschieben. Uneinigkeit gibt es über den besten Weg, um diese Ziele zu erreichen.
Dabei prallen, vereinfacht ausgedrückt, zwei Strategien aufeinander: Frontalangriff auf die Arbeiter*innenklasse oder versuchen, die Gewerkschaftsführungen einzubinden und Angriffe etwas weniger scharf bzw. scheibchenweise durchzuführen. Der Konflikt um die Schuldenbremse drückt das in verzerrter Form aus – verzerrt, weil auch Teile des Kapitals eine Reform der Schuldenbremse befürworten, um mehr Spielraum für staatliche Investitionen zu erlangen, die ihren Profitinteressen dienen (nicht um gesellschaftlich sinnvolle und nötige Investitionen in Bildung, Gesundheit, Umwelt, Soziales etc. zu ermöglichen).
„Wirtschaftswende“
Hintergrund des vor allem von der FDP provozierten Bruchs der Koalition sind auch die täglich lauter werdenden Forderungen von Kapitalvertreter*innen für eine so genannte „Wirtschaftswende“. Damit meinen sie drastische Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung, Steuererleichterungen für die Kapitalist*innen etc. – etwas wovor, wir seit Monaten warnen und weshalb Sol-Mitglieder die Kampagne „Wir schlagen Alarm“ gemeinsam mit anderen kämpferischen Gewerkschafter*innen ins Leben gerufen haben. Das Papier von FDP-Chef Lindner stellt ein Programm für diese von den Kapitalist*innen geforderte „Wirtschaftswende“ dar. Es war gleichzeitig, wie in bürgerlichen Medien genannt, ein „Scheidungspapier“ und eine Provokation gegenüber SPD und Grünen, die diese nicht unbeantwortet lassen konnten, ohne das Gesicht zu verlieren.
SPD wird links blinken
Die SPD wird im Wahlkampf einerseits links blinken, indem CDU/CSU und FDP als unsozial und arbeiter*innenfeindlich (zurecht) angegriffen werden und wahrscheinlich einige linke Forderungen wie nach einem erhöhten Mindestlohn, einem Tariftreuegesetz etc. aufgestellt werden und gleichzeitig die Politik der Aufrüstung und Unterstützung des kapitalistischen und nationalistischen Selenskyi-Regimes in der Ukraine als „Sicherheitspolitik“ verteidigen.
Was kommt?
Nach derzeitigem Stand der Meinungsumfragen wäre klar, dass der nächste Kanzler Friedrich Merz heißt und vieles spricht dafür, dass es zu einer früher mal „Große Koalition“ genannten Regierung aus CDU/CSU und SPD kommen wird. Es ist davon auszugehen, dass die SPD – wie schon so oft – staatstragend nach den Ministersesseln greifen wird und sich auch mit einem Kanzler Merz arrangieren kann. Gleichzeitig bewegen sich Grüne und CDU/CSU wieder aufeinander zu und kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es erstmals auf Bundesebene zu einer schwarz-grünen Koalitiopn kommt, auch wenn die Hürden dafür deutlich höher sind.
FDP und Die Linke werden um ihren Einzug in den nächsten Bundestag bangen müssen, aber auch das BSW sollte sich nicht zu sicher sein, lagen seine letzten Umfragewerte bundesweit doch bei nur sechs Prozent. Aber die Umfragen von heute sind nicht das Ergebnis der Neuwahlen und in den verbleibenden Wochen kann viel passieren. Eine Gefahr ist zweifellos, dass die AfD von diesen Entwicklungen profitieren kann.
Gewerkschaften
Für Gewerkschaften und Die Linke ist die neue Situation eine Herausforderung. Die sozialdemokratisch ausgerichtete Gewerkschaftsbürokratie wird Scholz für den Rauswurf des neoliberalen FDP-Manns Lindner loben und mehr oder weniger offen Wahlkampf für die SPD machen. Das sollten Gewerkschaftsaktive an der Basis nicht mitmachen und kritisieren. Vor allem muss von den Gewerkschaften jetzt der Kampf für den Erhalt der in vielen Unternehmen bedrohten Arbeitsplätze geführt werden und müssen sie Widerstand vorbereiten, gegen die von der nächsten Bundesregierung zu erwartenden Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse. Das bedeutet, in den Wahlkampf mit klaren Forderungen einzugreifen und die Politisierung zur Organisierung von Kolleginnen und Kollegen zu nutzen.
Wo es schon jetzt zu Kürzungen auf Kosten der Arbeiter*innenklasse kommt, sollten die Gewerkschaften und Gewerkschaftsaktive sowie Betroffene und linke und soziale Organisationen die Initiative zu Widerstand ergreifen und Protestbündnisse bilden, wie es zum Beispiel aktuell unter Beteiligung von Sol-Mitgliedern in Dresden passiert.
Die Linke
Gewerkschafter*innen sollten sich für eine Wahl der Partei Die Linke bei den anstehenden Wahlen aussprechen, denn sie ist – trotz aller Beschränktheiten, Fehler und Anpassung in Richtung SPD und Grüne – die einzige Stimme einer linken Opposition, die den Einzug in den Bundestag schaffen kann. Ein Bundestag ohne Die Linke würde die politischen Kräfteverhältnisse in der Bundesrepublik zuungunsten der Arbeiter*innenklasse verschieben. Deshalb wird auch die Sol zur Wahl der Linken aufrufen und dafür werben.
Die unter dem Motto „Alle reden, wir hören zu“ begonnene Kampagne für Haustürgespräche muss nun zum Wahlkampf gemacht werden – und statt nur zuzuhören sollte der Geist sein: „Wir haben Antworten auf die Krise des Kapitalismus!“
Es darf keinen Anti-Merz-Wahlkampf geben, der den Eindruck erweckt, es gebe ein linkes Lager gemeinsam mit SPD und Grünen. Das zu erwartende „linke Blinken“ dieser Parteien muss als solches benannt werden. Es ist nötig, einen klaren Oppositionswahlkampf zu führen.
Die Linke sollte einen kämpferischen Wahlkampf mit einem Fokus auf einige zentrale Themen führen. Diese sollten sein:
- Die Rettung der Arbeitsplätze bei VW und anderen Industrieunternehmen durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und einen sozialistischen Plan zur Umstellung der Produktion auf sinnvolle und nachhaltige Produkte
- Die Instandsetzung des maroden Gesundheitswesens und des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs – finanziert aus den Gewinnen der Banken und Konzerne und den Vermögen der Superreichen
- Schaffung von bezahlbarem Wohnraum durch Enteignung der Immobilienkonzerne, Einführung einer Kostenmiete und Bau öffentlicher Wohnungen
- Maßnahmen gegen die weiterhin viel zu hohen Preise und zu niedrigen Löhne
- Opposition gegen die kapitalistischen Kriege und Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel und gegen Aufrüstung und Militarisierung
- Rettung des Klimas durch von den Reichen, Banken und Konzernen finanzierte Maßnahmen statt die Masse der bevölkerung dafür zahlen zu lassen
Forderungen und Maßnahmen zur Lösung dieser Missstände müssen an die Grundfesten des kapitalistischen Systems gehen, sonst werden sie unwirksam sein: demokratisches öffentliches Eigentum statt Privateigentum an Konzernen und Banken und massive Besteuerung des unverschämt hohen angehäuften privaten Reichtums. Die Linke sollte einen wirklich linken Wahlkampf führen und sich damit profilieren, dass sie die Partei gegen kapitalisische Kriege und obszöne Reichtumskonzentration ist, die bereit ist, sich wirklich mit den Reichen und Mächtigen anzulegen.
Integraler Bestandteil des Wahlkampfs muss eine Botschaft der Solidarität mit allen diskriminierten Minderheiten – Migrant*innen, Geflüchtete, LGBTQI*-Personen, Behinderte -, mit ebenso von Diskriminierung betroffenen Frauen, mit allen für ihre legitimen Rechte kämpfenden Gruppen sein. Das Thema Migration sollte nicht gemieden werden, wie es die KPÖ in Österreich praktiziert, sondern offensiv und selbstbewusst eine antirassistische Position vertreten werden, die Solidarität mit Geflüchteten propagiert und erklärt, dass der Kampf gegen Fluchtursachen der Kampf gegen den Kapitalismus ist.
Die 5-Prozent-Hürde packen!
Wenn Die Linke einen solchen Wahlkampf überzeugend angeht, wenn ihre Kandidat*innen dem Beispiel der neuen Vorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken folgen und erklären, dass sie von den überhöhten Diäten nur annehmen, was einem durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn entspricht und den Rest spenden werden, wenn sich die Bundespartei endlich von kapitalismusfreundlicher Regierungspolitik in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen distanziert, dann könnte unter den Mitgliedern und Unterstützer*innen der Partei eine Mobilisierung erreicht werden, die die Partei über die Fünf-Prozent-Hürde bei den Bundestagswahlen trägt.
Das wäre zusammen mit konsequenten Kämpfen der Gewerkschaften für die Interessen der abhängig Beschäftigten und gegen Kürzungen auf allen Ebenen auch das beste Mittel, um die AfD im Zaum zu halten.
Neue sozialistische Arbeiter*innenpartei
Damit wäre die Krise der Partei noch nicht überwunden, aber der Niedergang erst einmal unterbrochen und dann könnte eine notwendige Debatte stattfinden, welchen Beitrag Die Linke – zusammen mit anderen Kräften aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen! – zur Schaffung einer Massenpartei von Arbeiter*innen und Jugendlichen mit einem sozialistischen Programm leisten kann, die so dringend nötig ist, um die Interessen der Arbeiter*innenklasse zu vertreten und die Gesellschaft zu verändern. Den Anspruch, dass Die Linke sich allein zu einer solchen Partei entwickeln wird, sollte sie aufgeben und sich wieder stärker der Zusammenarbeit mit anderen linken und gewerkschaftlichen Kräften, auch bei Wahlantritten, öffnen – um in der Zukunft eine wirkliche Massenpartei zu schaffen.
Die Sol will dazu einen Beitrag leisten. Wir sind überzeugt davon, dass eine solche Partei auf dem Weg zur sozialistischen Veränderung der Gesellschaft nötig ist und dass sie umso erfolgreicher aufgebaut werden kann, je stärker die marxistischen Kräfte darin sind.