
Interview mit Manuel „Stubi“ von Stubenrauch zur BVG-Tarifrunde und zur Solidarität zwischen Streikenden verschiedener Berliner Betriebe
Aktuell läuft für etwa 16.000 Beschäftigte die ver.di-Lohntarifrunde bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) und der Tochterfirma Berlin Transport (BT). Solidaritaet.info sprach mit Manuel „Stubi“ von Stubenrauch, Straßenbahnfahrer, ver.di-Vertrauensmann und Tarifkommissionsmitglied.
Seit dem 15. Januar verhandelt die Gewerkschaft ver.di mit dem kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) euren Lohntarifvertrag. Was sind eure Forderungen? Wie läuft die Tarifrunde bisher?
Auf Grundlage einer Befragung unter 3.500 Beschäftigten haben wir die Durchschnittsforderung von 750 Euro aufgestellt. Das hört sich erst mal sehr viel an, aber das ist genauso bewusst gewählt. Wir sind im Bundesländervergleich auf dem letzten Platz, was den Lohn betrifft. Das heißt, wir verdienen am schlechtesten in Deutschland und der größte Abstand sind 763 Euro zu Thüringen. Die Schichtzulage von aktuell 100 Euro soll auf 300 Euro erhöht werden, damit der belastende Schichtdienst gewürdigt wird. Die Weihnachtszuwendung soll als volles 13. Gehalt ausgezahlt werden.
Wir haben das neue System der Hofverantwortlichen eingeführt. Das heißt, nach jeder Verhandlungsrunde werden 300 Beschäftigte in den Betrieb geschickt und befragen wiederum so viele Beschäftigte, wie sie können. Die Frage ist dabei immer: „Angebot annehmen, oder weiter streiken?“ Bei der letzten Rückkopplung haben wir über 10.000 Beschäftigte innerhalb von fünf Tagen befragt und 99 Prozent haben sich für den Streik ausgesprochen!
Du hattest es bereits erwähnt: Eure Löhne sind im Vergleich zu den restlichen Bundesländern am schlechtesten. Dabei ist Berlin eine Metropole und viele Menschen müssen täglich mit den Öffis zur Arbeit. Es gibt viel Tourismus, deswegen ist der öffentliche Nahverkehr so lebenswichtig für die Menschen und die Stadt. Wie passt das zusammen?
Ja, gar nicht! Das erleben wir immer wieder. Ich bin seit zehn Jahren bei der BVG. Ich sehe sehr viele Menschen kommen und gehen, und das ist einfach schade. Auch die Fahrgäste leiden darunter. Wenn man nur 2.800 Euro brutto als Einstiegslohn bekommt, bewirbt sich kaum jemand. Der Vorstand sagt natürlich immer gerne, wir haben 30.000 Bewerbungen und 2.600 Neueinstellungen. Stimmt alles, aber nicht im Fahrdienst. Und wir kriegen die Ausbildungskapazitäten nicht voll bei den Fahrer*innen, und da muss einiges passieren. Die älteren Kolleg*innen gehen nach und nach in Rente, in den Werkstätten fehlt es an Nachwuchs, da werden wir bis 2029 vor Riesenproblemen stehen. Die Arbeitsbedingungen müssen sich unheimlich verbessern!
Was gibt es bisher für Rückmeldungen aus der Bevölkerung und aus den ver.di-Strukturen? Bekommt ihr Solidaritätsbekundungen und ist die Stimmung euch gegenüber eher wohlgesonnen oder ablehnend?
Ich glaube, die Berliner*innen stehen hinter uns. Wir haben es oft erklärt, warum, wieso, weshalb das alles passiert und die verstehen das. Die leiden ja auch unter der Inflation und wir wollen auch nicht gegen die streiken. Sie verstehen, wenn ich hier mit einem Bus oder mit der Bahn zur Arbeit will, dann braucht es dafür Menschen und wenn die Menschen nicht mehr diesen Job machen, dann muss mehr passieren.
Gewerkschaftlich haben wir auch viel Unterstützung. Das sieht man an den Streikposten, die Krankenhäuser, die Berliner Stadtreinigung (BSR), das Charité Facility Management (CFM) stehen alle hinter uns. Ich war heute zum Beispiel bei den Krankenhäusern (Am Donnerstag, 06. März fand dort ein Warnstreik in Berlin statt. Anm. der Redaktion) und da gibt es eine riesige Unterstützung gegenseitig. Seit letztem Sommer haben wir ein großes Netzwerk „Berlin steht zusammen”. Ich mache einen Podcast mit einem BSR-Kollegen. Also mir ist jetzt noch nicht viel Negatives zu Ohren gekommen: vielleicht, wenn wir unbefristet streiken.
Die Gewerkschaftsführungen sollten generell Kämpfe stärker gemeinsam koordinieren, das ist eigentlich ihre Aufgabe. Teilweise wird und wurde das gemacht (obwohl die Post leider außen vor blieb). Wie ist die Zusammenarbeit und das gemeinsame Streiken, Kämpfen und Unterstützen? Was sind da die Diskussionen, die ihr führt?
Wir hatten einen großen Streiktag mit den fünf großen Betrieben von Berlin, das kam super an! Jeden, den du ansprichst, egal welcher Betrieb, die wollen alle miteinander streiken. Wir sehen alle, wie die Welt sich aktuell entwickelt, wir wollen alle mehr Geld und allen wird nur gesagt: „Geld ist nicht da”. Obwohl es davon genug gibt, aber nur für Waffen, nicht für Menschen – Stichwort Sondervermögen für Aufrüstung. Daran scheitert es immer, aber das darf nicht sein! Seit über einem halben Jahr sitzen wir immer zusammen, monatlich, wöchentlich und vernetzen uns und unterstützen uns an den Streikposten ständig und das sehen die Beschäftigten. Wir wollen mit den anderen zusammen streiken. Leider ist es oft so, weil es dann doch unterschiedliche Tarifkommissionen sind, dass die Streiktage nicht zusammenpassen.
Angesichts der Sparpläne des Berliner Senats wird es wahrscheinlich noch eine harte Tarifauseinandersetzung werden. Dabei wird viel von Erzwingungsstreik gesprochen, was sicherlich nötig sein wird. Die Kolleg*innen bei den Streiks treten sehr kämpferisch auf. Wie schätzt du die Situation ein?
Wir machen die Rückkopplung und wenn die Beschäftigten den Erzwingungsstreik wollen, dann machen wir das. Ich bin absolut entschlossen und glaube, ich bin nicht der Einzige. Ich glaube, jeder möchte vor dem Arbeitgeber und der Politik mal wirklich die Faust auf den Tisch hauen! So kann es einfach nicht weitergehen, so lassen wir uns nicht mehr abspeisen und da muss einiges passieren!
Was viele durch diese Runde mitgenommen haben, sie können mitentscheiden und das macht eine ganz andere Dynamik. So eine Stimmung und Solidarität untereinander wie jetzt gab es die letzten zehn Jahre nicht oder noch nie. Wir sind entschlossen, wir werden das durchsetzen!
Was erwartest du vom neuen Verhandlungstermin am 12. März, der mit Streikandrohungen erzwungen wurde?
Ich erwarte, ehrlich gesagt, nicht so viel. Aber man hat gesehen, wir haben es selbst in der Hand. Wir können den Arbeitgeber unter Druck setzen, sodass wir sofort einen neuen Termin bekommen. Das ist unsere Stärke, das haben wir in den letzten Wochen bewiesen. Ich glaube aber, vor dem 21. März (Auslaufen des 40-Tage-Ultimatums) wird nicht viel passieren. Der Vorstand sagt eigentlich seit der ersten Runde, sie haben kein Geld und packen trotzdem immer wieder was drauf. Immer das gleiche Spiel.
In der Urabstimmung bräuchten wir über 75 Prozent der ver.di-Mitglieder, die für einen Erzwingungsstreik stimmen. Aber allein nach der letzten Rückkopplung mache ich mir dabei keine Sorgen, dass wir das nicht erreichen.
Wie empfindest du die Haltung der Arbeitgeberseite?
Ich fand es schwach und respektlos, dass bei der Streikversprechen-Übergabe, wo über 8.500 gesagt haben, „das sind unsere Forderungen“ der Vorstand nicht rausgekommen ist. Wir sind die BVG und wir verdienen Respekt und Wertschätzung!
Wie können euch Leser*innen beim Kampf für die Durchsetzung eurer Forderungen unterstützen?
Kommt weiterhin zu unseren Streikposten und werdet mit Soli-Botschaften in der Gesellschaft und Öffentlichkeit sichtbar. Das hilft uns sehr!
Danke Stubi für das Interview – wir sehen uns in Lichtenberg vor dem BVG-Betriebstor!
Das Interview führte Magdalene Majeed.