Rezension: „A Complete Unknown“

Foto: Xavier Badosa, https://www.flickr.com/photos/badosa/9488666868 CC BY 2.0

Dylan goes electric und die Rolle des Stalinismus

A Complete Unknown, das Bob-Dylan-Biopic, hat drei Oscar-Nominierungen für das Schauspiel erhalten. Aber die wohl realistischsten Darstellungen waren jene der Geschäftsleute der Musikindustrie, die zu Recht als Blutsauger dargestellt werden. Dan Fogler – als Albert Grossman – macht als Dylans Manager dessen Nachnamen alle Ehre [„gross“ bedeutet auf Englisch ekelhaft, Anm. der Übersetzung]. Grossman sicherte sich 50 Prozent von Dylans Song-Veröffentlichungsrechten.

von Dave Gorton, Socialist Party (CWI in England and Wales)

1960er waren eine turbulente Zeit in den USA. Der Film erwähnt die Ermordung von Präsident Kennedy und Martin Luther King kurz, aber er beleuchtet die Kämpfe, die aufbrachen, nur im Vorbeigehen: Dylans Auftritt beim Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit zum Beispiel, bei dem King 1963 seine „I have a dream“-Rede hielt. Die kurzen Andeutungen sind aber bei Weitem nicht ausreichend, um die Weite der Proteste zu verstehen. Die Ansichten von Millionen von Amerikaner*innen zu Rassismus, Krieg und Imperialismus spiegelten sich in den Protestsongs und den kulturellen Ereignissen wider. Doch um ihre Bedeutung zu verstehen, brauchen spätere Generationen mehr als nur flüchtige Hinweise auf diese Ereignisse.

Auch das eigentlich zentrale Thema des Films, Dylan „goes electric“, lässt vieles aus. Wir sehen Pete Seeger, der Dylan beim Newport Folk Festival 1965 anfleht, nur akustisch zu spielen, weil das Festival „unseres“ sei.

Wie viele Künstler wurde Dylan von den Kämpfen dieser Zeit beeinflusst und schrieb Lieder gegen Ungleichheit und Tyrannei, aber er hatte nie den Anspruch, die zentrale Figur der Protestmusik zu sein. Mitte der sechziger Jahre war er zunehmend frustriert und fühlte sich in einem Stil gefangen – eher ein Dichter als ein Musiker.

Es ist nur ein kurzer Clip, aber als Dylan eine Bar betritt, in der Bobby Neuwirth und seine Band „The Wild Rover“ spielen und das Publikum begeistert einstimmt, spricht das Bände. Musik sollte Spaß machen, nicht nur eine beiläufige Begleitung zu einer inhaltlichen „Botschaft“ sein.

In Wirklichkeit meinte Seeger mit „unser Festival“ die stalinistische kommunistische Partei und ihre Anhänger*innen. Sie zeichneten für organisierte Kampagnen bei Dylans Tourneen verantwortlich, mit denen sie die „Authentizität“ „ihrer“ Musik schützen wollten.

Dreißig Jahre zuvor hatte der stalinistische Staat in der Sowjetunion Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk” als „Wirrwarr statt Musik“ bezeichnet. Die Sowjetunion wurde nach der Russischen Revolution durch Isolation und Stalins Bürokratisierung so verzerrt, dass die stalinistische Bürokratie, anstatt die Kunst aus den Fesseln des Kapitalismus zu befreien, wie der ursprüngliche Gedanke war, selbst verordnete, was das Volk zu wollen hatte, und den Künstler*innen mit Ächtung oder Schlimmerem drohte.

In den 1950er und 60er Jahren kam es in den USA zu einer gewaltigen Explosion des schwarzen „Free Jazz“, die nicht nur von der Bürgerrechtsbewegung, sondern auch von den kolonialen Revolutionen in Afrika direkt beeinflusst wurde. Diese Radikalisierung erfasste die meisten Größen dieser Bewegung. Allein John Coltrane veröffentlichte Alben mit den Titeln Africa, Dakar und Tanganyika Strut.

Aus Protest gegen den Vietnamkrieg veröffentlichten später bereits etablierte schwarze Soulmusiker*innen hochpolitisches Material, das sich nicht nur gegen den Krieg, sondern auch gegen die Sklaverei und die anhaltende Ungerechtigkeit richtete – The Staple Singers‘ When Will We Be Paid (For The Work We’ve Done) und die Chi-Lites‘ Give More Power To The People.

Es ist völlig falsch, die Rolle der Musik bei dieser Radikalisierung als ausschließlich von weißen Folkmusiker*innen stammend darzustellen, wie die Stalinist*innen die Welt glauben machen wollten, und dabei ironischerweise die schwarze Musik in den Hintergrund zu stellen. Diese Haltung der KP war vielmehr die Verkörperung dessen, was als „sozialistischer Realismus“ bekannt wurde, der künstlerisches Experimentieren praktisch verbot und die Kunst faktisch als nur für die Propaganda nützlich definierte.

Sehen Sie sich den Film an. Was der Film nur andeutet und sonst auslässt, schmälert nicht seinen Unterhaltungswert. Gegen Ende gibt es eine Szene, in der der Studiomusiker Al Kooper, dem gesagt wurde, er könne nicht Gitarre spielen, sich einfach an die Hammondorgel setzt und die elektrisierenden ersten Takte von Like A Rolling Stone produziert. Das war der Beginn der  Befreiung Dylans aus seiner Falle. Die Szene soll erhebend sein. Sie ist es auch. Sie kann Inspiration für eine weitere Erkundung der Musik sein, die aus den Kämpfen dieser Zeit hervorgegangen ist.

Weiterlesen: Bob Dylan und die Kommunistische Partei (Artikel aus Socialism Today, auf Englisch)