
Diese Regierung ist darauf ausgerichtet, ihren kapitalistischen Herren zu dienen. Das war eine klare Botschaft der Frühjahrs-Erklärung der Labour-Partei. Die zweite ist, dass die Arbeiter*innenklasse sich organisieren muss, um der Erwartung zu widersprechen, dass sie dies einfach hinnehmen wird – einschließlich grausamer Kürzungen bei der Unterstützung, die Menschen mit Behinderung benötigen.
Von der Redaktion der Wochenzeitung ‘The Socialist’, Socialist Party England & Wales (Schwesterorganisation der Sol)
Finanzministerin Rachel Reeves kündigte Kürzungen bei den Sozialleistungen in Höhe von 4,8 Milliarden Pfund an. Zum Beispiel soll das Geld, das neuen Antragsteller*innen des Erwerbsunfähigkeitszuschlags im Rahmen von Universal Credit gezahlt wird, nicht nur halbiert, sondern auch bis 2030 auf dem aktuellen Stand eingefroren werden. Diese Nachricht, zusammen mit den Preiserhöhungen im sogenannten ‚Grausamen April‘, bedeutet für viele nichts als Elend.
Die britische Regierung plant außerdem, die Anspruchsvoraussetzungen für die Persönliche Unabhängigkeitszahlung (Personal Independence Payment, PIP) zu verschärfen – unter anderem soll das Alter, in dem junge Menschen von der Behindertenunterstützung zur PIP wechseln, von 16 auf 18 Jahre angehoben werden. Wie Menschen, denen die Mittel zur ‚Unabhängigkeit‘ verweigert werden, Arbeit finden sollen, erklärte sie nicht.
Das Ergebnis ist, dass mindestens weitere 250.000 Menschen in die Armut gestürzt werden. Anstatt die Zahl der in Armut lebenden Kinder von 4,5 Millionen zu senken, werden diese Maßnahmen voraussichtlich bedeuten, dass 50.000 weitere Kinder im sechstreichsten Land der Erde von Hunger, Obdachlosigkeit und Kälte heimgesucht werden.
Den Ministerien drohen massive Kürzungen – Einzelheiten sollen in den kommenden Monaten bekannt gegeben werden. Aber die geplanten Einsparungen von ganzen 15 Prozent im öffentlichen Dienst geben bereits einen Vorgeschmack darauf, was zu erwarten ist.
182 Milliarden Pfund Gesamtvermögen
Zum Vergleich: Im Jahr 2024 stieg das Vermögen der britischen Milliardär*innen um 35 Millionen Pfund pro Tag und erreichte damit laut Oxfam insgesamt 182 Milliarden Pfund. Die größten Unternehmen des FTSE (Financial Times Stock Exchange Index, der wichtigste britische Aktienindex, Anm. d. Übers.) 100 schütten jährlich etwa 80 Milliarden Pfund in Form von Dividenden an die Aktionär*innen aus
Doch anstatt diese Einnahmequelle für die Finanzierung öffentlicher Dienste und der Sozialfürsorge zu erschließen, versuchte Rachel Reeves, das unerschütterliche Bekenntnis der Labour-Partei zur kapitalistischen Wirtschaftsorthodoxie zu demonstrieren – mit anderen Worten, sie versuchte, den privaten Profit zu verteidigen, indem sie die Arbeiter*innenklasse auspresste.
Die beiden fiskalischen Regeln, die sie im Oktoberhaushalt vorstellte, waren eine „Stabilitätsregel“ und eine „Investitionsregel“. Doch selbst Befürworter*innen solcher kapitalistischen Prinzipien warnten, dass Reeves’ Pläne den britischen Kapitalismus nicht schützen können. Sein geschwächter Zustand macht ihn besonders anfällig.
In den Tagen vor der Erklärung wurden die Prognosen für das Wirtschaftswachstum auf ein Prozent halbiert. Eine Woche nach der Erklärung von Reeves wird Trump am so genannten „Befreiungstag“ weitere Zölle ankündigen. Bisher wurden – trotz Starmers Bettelns – keine Ausnahmen für britische Autoexporte angekündigt, die nun mit einem Zollsatz von 25 Prozent belegt sind. Prognostiker*innen warnen, dass ein Anstieg der Zölle auf britische Waren und Dienstleistungen um 20 Prozentpunkte die Größe der britischen Wirtschaft um ein Prozent schrumpfen lassen und Reeves im Herbst zu Steuererhöhungen zwingen würde.
Ein weiterer Faktor sind die steigenden Kosten der Staatsverschuldung. Anfang Januar 2025 stiegen die Zinsen für langfristige Staatsanleihen auf den höchsten Stand dieses Jahrhunderts. Das Office for Budget Responsibility (dt.: Amt für Haushaltsverantwortung, Anm. d. Übers.) erklärte: „Für das Haushaltsjahr 2024–25 erwarten wir Zinsausgaben in Höhe von 104,9 Milliarden Pfund. Das würde 8,2 Prozent der gesamten öffentlichen Ausgaben ausmachen und entspricht mehr als 3,7 Prozent des Nationaleinkommens.” Dies ist letztlich ein Ausdruck des mangelnden Vertrauens in den britischen Kapitalismus. Die Angst vor einem ‚Liz-Truss-Moment‘ verfolgt Downing Street – zum Teil gezielt geschürt, um Reeves davon abzuhalten, die Superreichen stärker zu besteuern.
Unter den 38 OECD-Ländern steht Großbritannien an zweiter Stelle, was die Höhe der privaten Investitionen angeht. Und das durchschnittliche Niveau öffentlicher Investitionen in der OECD liegt fast 50 Prozent über dem britischen Durchschnitt.
Die Wut auf die Starmer-Regierung wächst – selbst bei jenen, die versucht haben, sie zu verteidigen, wie etwa die Zeitung The Guardian und rechtsgerichtete Gewerkschaftsführer*innen.
Der Labour-Abgeordnete Richard Burgon sagte: „Wenn die Regierung diese Politik in Bezug auf die Invaliditätsleistungen nicht überdenkt, wäre das meiner Meinung nach die Mutter aller Rebellionen.“ Er hat inzwischen eine Petition gestartet, in der er eine Vermögenssteuer anstelle von Leistungskürzungen fordert.
Die Socialist Party (Schwesterorganisation der Sol in England und Wales) kämpft dafür, dass die Superreichen bis zum Äußersten besteuert werden. Doch die Verteidigung der Interessen der Arbeiter*innenklasse beinhaltet auch den Kampf für die Vergesellschaftung der großen Banken und Konzerne, die die Wirtschaft dominieren – als zentraler Bestandteil eines Bruchs mit der Herrschaft der Milliardär*innen und Bankster sowie ihrer Sparpolitik.
Dringend notwendig sind Schritte hin zu einer unabhängigen politischen Stimme der Arbeiter*innenklasse – wozu auch die Labour-Abgeordneten gehören könnten, die wegen ihres Widerstands gegen die Sparpolitik suspendiert wurden, sowie unabhängige Abgeordnete und Jeremy Corbyn, die sich gegen Starmers Unterstützung für das völkermörderische Massaker des israelischen Staates an den Palästinenser*innen positioniert haben. Der Schlüssel dazu liegt bei den Gewerkschaften.
Bei den Parlamentswahlen erhielten 200 Abgeordnete Spenden in Höhe von 2 Millionen Pfund von den Gewerkschaften. Wie werden diese Abgeordneten in den nächsten Monaten abstimmen, wenn diese Angriffe vor dem Parlament kommen? Die Gewerkschaften sollten dies nicht einer individuellen Gewissensentscheidung überlassen, sondern die kollektive Verantwortung der über sechs Millionen Mitglieder zählenden Gewerkschaftsbewegung auf sich nehmen. Diese Abgeordneten sollten zu einem Treffen mit den Laienführungsgremien der Gewerkschaften einberufen werden und Anweisungen erhalten, wie sie im Parlament für die Interessen der Arbeiter*innenklasse kämpfen können.
Die mächtige Gewerkschaftsbewegung sollte an der Spitze beim Aufbau einer sozialistischen Opposition gegen Starmer stehen. In den kommenden Monaten finden wichtige Gewerkschaftswahlen statt. Zwar ist nichts garantiert, aber die Kampagne für neue linke Führungen oder eine Stärkung der Linken in großen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wie Unison, PCS und NEU läuft bereits. Alle Führungen werden sich in den kommenden Kämpfen auf die Probe gestellt werden.
Hunderte von behinderten Arbeiter*innen und jungen Menschen protestierten vor dem Parlament, während Reeves sprach. Gewerkschaftsführer*innen haben die Angriffe verurteilt. Die Generalsekretärin von Unite, Sharon Graham, sagte: “Wenn die Regierung den Weg einer Sparpolitik 2.0 einschlägt, bei der erneut Arbeiter*innen und Gemeinden den Preis zahlen, wird Unite nicht tatenlos zusehen.” Doch aus Hunderten könnten Tausende werden – wenn die Gewerkschaften führen.
Die Gewerkschaftsbewegung darf nicht nur die Angriffe der Labour-Partei auf die Schwächsten verurteilen, sondern muss darauf aufbauen und die Führung im Kampf gegen alle Sparmaßnahmen übernehmen – und die Arbeiter*innenklasse im gemeinsamen Widerstand vereinen. Die Socialist Party ruft die Gewerkschaften dazu auf, ihre enorme Autorität – die seit der Streikwelle 2022–23 gewachsen ist – zu nutzen, um eine massive Samstagsdemo gegen die Sparmaßnahmen auszurufen. Diese Demo darf kein einmaliger Ausdruck von Wut sein, sondern eine Vorbereitung auf den Kampf gegen die kommenden Angriffe.
Reeves und Starmer haben ihre kapitalistische Orthodoxie auch mit der Verpflichtung zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 2,2 Milliarden Pfund unter Beweis gestellt. Dies ist zugleich ein Versuch, sich bei Trump anzubiedern. Leider sagte auch Sharon Graham: ‚Die Regierung hat recht, in einer unsicheren Weltlage in unsere Verteidigung zu investieren. Aber erhöhte Verteidigungsausgaben dürfen nicht auf Kosten unserer öffentlichen Dienste, der britischen Industrie und der industriellen Infrastruktur erfolgen.‘
Doch das ist ein falscher Ansatz. Wie bei der fossilen Industrie muss die Arbeiter*innenklasse auch hier einen Übergang zu gesellschaftlich notwendiger Produktion fordern – sowie eine klare Ablehnung kapitalistischer Kriege weltweit. Ein solcher Übergang würde die Vergesellschaftung dieser Unternehmen beinhalten, während gleichzeitig die Arbeitsplätze und Einkommen der Arbeitnehmer*innen garantiert werden.
Die Angriffe auf Sozialleistungen und der nationalistische Fokus auf Verteidigung sind Versuche, Spaltung in unserer Klasse zu schüren – ganz im Stil der Tories mit ihrem Gerede über angebliche Sozialbetrüger*innen. Eine YouGov-Umfrage vom November letzten Jahres ergab, dass rund die Hälfte der Brit*innen (48 Prozent) der Meinung ist, dass Menschen mit Behinderungen zu wenig Unterstützung erhalten – während nur sechs bis sieben Prozent glauben, dass solche Gruppen zu viel Unterstützung durch das Sozialsystem erhalten. Ohne eine geeinte sozialistische Antwort der Arbeiter*innenklasse stellen diese Angriffe eine ernsthafte Bedrohung dar. Starmer und Reeves geben Reform UK und ihrem Hass Legitimität. Die organisierte Arbeiter*innenbewegung muss die Initiative ergreifen.
Artikel im englischen Original unter: https://www.socialistworld.net/2025/04/04/british-labour-government-wields-axe-against-welfare-social-security/