
Auf die Straße gegen Polizeigewalt und Rassismus
Zehntausende sind inzwischen deutschlandweit auf die Straße gegangen, nachdem am Morgen des Ostersonntag der schwarze Jugendliche Lorenz in Oldenburg von der Polizei erschossen wurde. Drei Schüsse trafen den 21-Jährigen von hinten in Hüfte, Oberkörper und Kopf. Gemeinsam fordern die Demonstrierenden Gerechtigkeit für Lorenz und stellen sich gegen Polizeigewalt und Rassismus. Um zu verhindern, dass sich die Schuldigen wie so oft einer gerechten Strafe entziehen, müssen wir diskutieren, welches Programm nötig ist und wie wir es mit diesem System aufnehmen können.
von Jens Jaschik, Sol Dortmund
Wäre alles so gelaufen, wie es sich die Polizei gewünscht hätte, hätte es nach den tödlichen Schüssen keine massenhaften Proteste gegeben. Schließlich lautete die ursprüngliche Erklärung der Polizei, dass Lorenz nach einer Auseinandersetzung vor einer Diskothek auf der Flucht die Polizei mit einem Messer und Pfefferspray attackiert habe. Die tödlichen Schüsse folgten angeblich aus reiner Notwehr. Doch der Bericht der Gerichtsmedizin bereitete dieser Erzählung ein schnelles Ende. Alle drei Schüsse trafen Lorenz von hinten. Zwar führte er ein Messer bei sich, doch während des Tathergangs hatte er es nicht griffbereit.
Familie und Freund*innen in Schock über den Tod von Lorenz zeigten schnell Mut und Initiative. Sie organisierten nicht nur Trauerkundgebungen, sondern Protest und Widerstand. Allein bei der ersten Demonstration in Oldenburg – nur zwei Tage nach Lorenz Tod – gingen mehr als Zehntausend auf die Straße. Am selben Tag wurde das Obduktionsergebnis veröffentlicht. Parallel dazu versendete die Polizei Infoschreiben an alle weiterführenden Schulen, die Proteste nicht aus “bloßer Neugier” zu besuchen. Deutlich zeigt sich die Angst der Polizei vor den Informationen und Forderungen einer Gegenöffentlichkeit, die man nicht in den etablierten Medien lesen kann. Auch der Oldenburger Oberbürgermeister mahnte zur Besonnenheit, sprach der Polizei sein Vertrauen aus, und erklärte, dass diejenigen, die von Rassismus sprechen vom “extremen politischen Rand” kommen und Teilnehmer*innen “sich nicht instrumentalisieren lassen sollen”. Ein Schlag ins Gesicht der Familie und Freunde*innen und auch aller, die bei Polizeigewalt und Rassismus nicht wegsehen.
Inzwischen kam es bundesweit zu Protesten und Demonstrationen. Wir müssen unsere Wut weiter auf die Straße tragen. Doch traurigerweise müssen wir im Kopf behalten, Lorenz ist kein Einzelfall. Sein Tod reiht sich ein in eine ganze Kette ähnlicher Fälle. Meist sind es Menschen mit schwarzer Hautfarbe oder Migrationshintergrund, die von der Polizei getötet werden. Danach folgen Vertuschungsversuche seitens der Polizei und Ermittlungen starten erst nach dem es öffentlichen Widerspruch gibt. Und trotz des Drucks der Öffentlichkeit werden die Ermittlungen in die Länge gezogen und schlussendlich eingestellt.
Kein Vertrauen in die Polizei
Viele Menschen bezweifeln mit Recht, dass die Ermittlungen der Polizei zu Gerechtigkeit führen werden. Gründe dafür gibt es viele: Aus sogenannten “Neutralitätsgründen” ermittelt jetzt die Polizei Delmenhorst. Die Unabhängigkeit dieser Ermittlungen darf angezweifelt werden. Nicht nur gehören am Ende beide Polizeistellen zur selben Polizeidirektion, 2021 ermittelte die Polizei Oldenburg zum Tod des 19-jährigen Qosay Khalifa. Dieser wurde wegen dem Konsum von Marihuana erwischt, festgenommen und starb unter ungeklärten Umständen im Polizeigewahrsam in Delmenhorst. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Doch selbst wenn die Ermittlungen bis zu einem Gerichtsverfahren führen, ist dies kein Garant dafür, dass es zu einem angemessenen Urteil kommt. So lautete das Urteil in dem Verfahren um die Tötung des suizid-gefährdeten 16-jährigen Geflüchteten Mouhamed Dramé durch die Schüsse aus der Maschinenpistole eines Polizisten Freispruch. Das Dortmunder Gericht erklärte, einerseits „lehnt das Gericht […] eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit der handelnden Beamt*innen ab. Andererseits stellt es verhängnisvolle polizeiliche Fehleinschätzungen fest und kommt zu dem Ergebnis, dass der Einsatz aus strafrechtlicher Sicht mindestens in Teilen rechtswidrig war.“ Kurz darauf wurde der Todesschütze zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. Wir berichteten über das Skandal-Urteil.
Deswegen dürfen wir kein Vertrauen in Polizei und Justiz setzen, sondern müssen uns dafür einsetzen, dass es unabhängige Untersuchungen und Ermittlungen gibt. Die Bildung eines unabhängigen Untersuchungsausschusses aus demokratisch gewählten Vertreter*innen aus der Initiative Gerechtigkeit für Lorenz, der Stadt, Anwohner*innen und Gewerkschaften ist nötig. Eine solche unabhängige Kommission könnte konkret den Tathergang analysieren und nicht nur die Schuld individueller Polizist*innen feststellen, sondern das allgemeine Vorgehen der Polizei unter die Lupe nehmen und bewerten. Sie müssten Einblick in Personalakten nehmen und Expert*innen einberufen können. Ein solcher Untersuchungsausschuss könnte beispielhaft die Notwendigkeit für ein dauerhaftes Kontrollgremium aufzeigen, um polizeiliche Übergriffe zu ahnden und deren Zahl dadurch zu reduzieren. Dieses Kontrollgremium müsste demokratisch gewählt und jederzeit abwählbar sein, Einsicht in alle Akten und Dienstpläne bekommen, sowie das Recht haben, gegebenenfalls Polizist*innen zu suspendieren oder aus dem Dienst zu entfernen. Damit kann eine demokratische, öffentliche Kontrolle der Polizei geschaffen werden.
Politisches Programm
Gleichzeitig müssen wir dies mit einem politischen Programm gegen Rassismus und Diskriminierung verbinden. Der Kapitalismus nutzt Rassismus, um uns zu spalten und Unten zu halten. Insbesondere die Polizei, deren grundsätzliche Aufgabe in der Aufrechterhaltung der bestehenden Macht- und Eigentumsverhältnisse besteht, ist von Rassismus durchsetzt. Es reicht nicht einzelne Polizist*innen aus dem Dienst zu entfernen oder die Polizei diverser zu machen und für Awareness zu sorgen. Das dahinter liegende System muss bekämpft werden. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die Polizei gleichzeitig für die Mehrheit der Bevölkerung erste Anlaufstelle bei Kriminalität und Gefahren ist. Deshalb ist die zuvor genannte Forderung der demokratischen Kontrolle in den Mittelpunkt zu stellen. Diese sollte mit sozialen Forderungen gegen die Ursachen von Kriminalität und Gewalt verbunden werden, die eine breite Schicht der Gesellschaft erreichen können – Forderungen für bezahlbaren und guten Wohnraum, Arbeit und kostenlose Bildung für alle. Es braucht Investitionen in soziale Projekte. Mit einem solchen Programm können wir mehr Menschen für den Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt gewinnen. In einer sozialistischen Gesellschaft, welche die Bedürfnisse aller statt der Profite einiger weniger in den Mittelpunkt stellt, würden die Wurzeln von Gewalt und Kriminalität verschwinden und die Polizei umfassend demokratisch organisiert und kontrolliert werden. Um das zu erreichen, ist es notwendig, dass wir uns gemeinsam organisieren.
Mehr über den Kampf gegen Rassismus in Marxismus und der Kampf gegen Rassismus.
