
Vor der „general election“ (engl. Parlamentswahlen) 2024 in Großbritannien hat die Labour-Partei vor ihrem Amtsantritt deutlich gemacht, dass sie Investitionen – insbesondere in die „Infrastruktur“ wie den Wohnungsbau – ankurbeln und gleichzeitig die laufenden öffentlichen Ausgaben einschränken will. Das “Manifest” betonte das Risiko von privaten Investitionen zu senken, um dem Großkapital Gewinne zu sichern, wobei öffentliche Gelder zur Subventionierung institutioneller Anleger verwendet werden. Das langfristig niedrige Investitionsniveau in Großbritannien wurde darauf zurückgeführt, dass die Regierung den Unternehmen nicht genug geholfen hat. Der Wohnungsbau sollte so stark zunehmen wie seit den 1970er Jahren nicht mehr, aber anders als damals nicht durch staatliche Investitionen in sichere Sozialwohnungen zu niedrigen Mieten.
Von Paul Kershaw, Socialist Party England & Wales
Aus Sicht der Labour-Führung war der „investment summit“ (engl. Investitionsgipfel) im Oktober ein Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Initiativen seit der Wahl. Zudem war es ein „Triumph“, Larry Fink, den Chef des Finanzriesen BlackRock, des größten „Vermögensverwalters“ der Welt, dazu zu gewinnen. Das Ereignis wurde in dem weit verbreiteten Bild der stellvertretenden Premierministerin Angela Rayner, die Larry Finks Arm umklammert, lächelt und ihm ins Ohr flüstert, positiv dargestellt. Arbeiter*innen und Mieter*innen haben weniger Grund zur Freude.
Seit dem großen Finanzcrash sind Unternehmen wie BlackRock dazu übergegangen, in den Wohnungsbau als eine weitere international handelnde Anlageklasse zu investieren. Zusammen mit anderen Unternehmen haben sie erfolgreich Druck auf Regierungen in der ganzen Welt ausgeübt, um eine Politik zu verabschieden, die ihnen hilft.
Diese riesigen Finanzkonzerne haben massive Beteiligungen bei Vermieter*innen in der ganzen Welt aufgebaut, häufig an ehemaligen Organisationen des sozialen Wohnungsbaus oder an Anbietern von bezahlbarem Wohnraum. Die historischen institutionellen Strukturen und Eigentumsverhältnisse weichen weltweit voneinander ab, aber es gibt eindeutige Gemeinsamkeiten: dieselben Finanzunternehmen, ähnliche Beschwerden über mangelhafte Reparaturen, steigende Mieten und so weiter.
Ein Großteil des Drucks auf die Regierungen findet hinter verschlossenen Türen statt, aber nicht immer. Im Juni hielt Fink auf dem G7-Treffen der Staats- und Regierungschefs eine Rede, in der er sie über die Bedeutung des Wachstums sprach. Die Botschaft war, dass die Staatsverschuldung zu hoch ist, aber Billionen von Vermögensverwaltern zur Verfügung stehen (allein BlackRock verwaltet über elf Billionen Dollar). Um diese Mittel „freizusetzen“, muss das Risiko für die Investitionen gesenkt werden, und die öffentliche Infrastruktur muss als handelbare Anlage verfügbar sein. Das ist eine Aufforderung an den Staat, Risiken zu tragen, während Gewinne leicht gemacht werden.
Der Labour-Bürgermeister von London, Sadiq Khan, hat von einem neuen goldenen Zeitalter des sozialen Wohnungsbaus gesprochen, aber von der neuen Regierung gibt es dafür keinerlei Anzeichen. Das Manifest der Labour-Partei sieht vor, in dieser Legislaturperiode insgesamt anderthalb Millionen neue Wohnungen zu schaffen. Im Haushalt wurden 500 Millionen Pfund zusätzlich für das Programm für erschwingliche Wohnungen bereitgestellt, was 5.000 zusätzlichen Wohnungen entspricht. Das ist weniger als die weithin erwartete Summe von einer Mrd. Pfund und deutlich weniger als die drei Mrd. Pfund, die im Haushalt für zusätzliche Garantien für kleine Bauträger und Bauträger für Mietwohnungen vorgesehen sind. Neben den Lockerungen der Planungsbeschränkungen zielt die Strategie im Wesentlichen auf die Steigerung der Gewinne ab.
In seinem neuen Buch „Against Landlords“ (engl. Gegen Vermieter) vertritt der Anwalt für Wohnungswesen Nick Bano zwar Elemente einer marxistischen Analyse des Vermieterwesens, argumentiert aber, dass Großbritannien die Auswirkungen der Finanzialisierung des Mietwesens vermieden hat, und stellt kleine Vermieter*innen als das Hauptproblem dar und nicht die Wohnkonzerne.
Dies geht einher mit sehr begrenzten Forderungen in Bezug auf rechtliche Änderungen des Status von Mieter*innen. In einem Beitrag auf Novara Media hebt er die fast drei Millionen Vermieter*innen als mächtige Interessengruppe hervor und begrüßt die steuerlichen Änderungen im Haushalt, die sich nachteilig auf kleine Vermieter*innen auswirken, sowie die sehr begrenzten Änderungen, die für die bevorstehende Gesetzgebung zu den Rechten von Mieter*innen vorgeschlagen werden. Die Regierung würde die Vermieter*innen nun als die „verwöhnten Kinder“ behandeln, die sie sind.
Viele Mieter*innen werden jeden Schritt begrüßen, der Vermietung anprangert, aber Bano liegt völlig falsch, wenn er das Wachstum von Großvermietern im Vereinigten Königreich herunterspielt. Die Wohnungspolitik wird von den Interessen des Kapitals und der internationalen Finanzinstitutionen bestimmt, nicht nur von einer kleinen Vermieter*innenlobby, auch wenn diese noch so bedeutend ist.
Wie Bano anerkennt, sind große private Vermieter*innen in Großbritannien auf dem Vormarsch und werden durch den Haushalt der Labour-Partei gestärkt werden. Grainger zum Beispiel verwaltet heute über 9.100 Mietobjekte im Vereinigten Königreich. Und BlackRock ist einer der größten Aktionäre von Grainger.
Die Behauptung, in Großbritannien fehle es an unternehmerischen Vermieter*innen, ist nur dann stichhaltig, wenn man die Wohnungsbaugesellschaften, oder „Private Registered Providers“ (engl. registrierte privat Vermieter*innen), wie sie in der Gesetzgebung genannt werden, außer Acht lässt. Laut S&P wird die Gesamtverschuldung der Wohnungsbaugesellschaften bis 2026 voraussichtlich auf 120 Milliarden Pfund ansteigen. Das wäre ein Anstieg um 40 Prozent gegenüber 2019. Sie verwalten den Großteil der Sozialwohnungen im Vereinigten Königreich und entwickeln aktiv Wohnungen durch verschiedene Partnerschaften mit dem Staat. Rund sechs Millionen Menschen leben in einer Wohnung einer Wohnungsbaugesellschaft. Sie beschäftigen auch eine große Zahl von Angestellten. Die „Sanctuary Housing Association“ (Wohnbaugesellschaft) zum Beispiel beschäftigt 14.000 Mitarbeiter*innen. Aus den Konferenzräumen der Finanzkonzerne betrachtet, stellt das eine Anlage dar, zu der sie Zugang haben und von der sie profitieren können.
Es stimmt, dass der Wohnungsbau im Kapitalismus schon immer eine Finanzanlage war. Marx hat gezeigt, dass Wohnungsgewinne nicht durch die Produktion neuer Wohnungen erzielt werden, sondern durch die Schaffung von Bedingungen, unter denen die Mietrenditen steigen, wie Nick Bano sagt. Aber es ist falsch zu glauben, dass sich seit Marx Zeiten nichts geändert hat. Die Rolle des Finanzsystems hat sich massiv verändert, und das hat sich auch in der Zeit nach dem großen Finanzcrash nicht geändert. In den letzten vier Jahrzehnten hat der Finanzsektor ein enormes Wachstum erfahren. Die Banken handeln auf offenen Märkten in einer Weise, wie es früher nicht der Fall war, und riesige internationale Finanzströme werden durch Deregulierung und speziell von Staaten geschaffene Märkte erleichtert.
„Nicht für Profit“
Es stimmt auch, dass die meisten Wohnungsbaugesellschaften „nicht gewinnorientiert“ sind. Sie schütten daher keine Gewinne an ihre Aktionär*innen aus, aber die Geschäftsführer*innen und Vorstände von Wohnungsbaugesellschaften stehen unter enormem Druck. Die Investoren, die großen Finanzunternehmen, wollen unbedingt Gewinne sehen.
Der Erfolg eines*einer Geschäftsführer*in einer Wohnungsbaugesellschaft wird zu einem großen Teil an seiner*ihrer Fähigkeit gemessen, den*die Kreditgeber*in zufrieden zu stellen. Ein Merkmal der gegenwärtigen Periode des finanzialisierten Kapitalismus ist, dass die Prioritäten und Methoden des Finanzkapitals ihren Weg in Nicht-Finanzorganisationen finden.
Allerdings sind nicht alle Wohnungsbaugesellschaften gemeinnützig, und der direkt gewinnorientierte Teil des Sektors ist der am schnellsten wachsende Teil. Es wird erwartet, dass sich seine Größe bis 2028 auf über 86.000 Wohnungen verdreifachen wird. Heylo Housing ist praktisch eine Tochtergesellschaft von BlackRock, und Sage Housing ist eine Tochtergesellschaft eines anderen US-amerikanischen Finanzunternehmens, Blackstone. Es gibt zahlreiche miteinander verknüpfte Partnerschaftsvereinbarungen mit traditionellen Wohnungsbaugesellschaften. Hyde Housing zum Beispiel, ein traditioneller Verband, hat eine „gewinnorientierte“ Tochtergesellschaft.
In ganz Europa verwalten institutionelle Vermieter Wohnungsportfolios und erwirtschaften sowohl Mieteinnahmen als auch Kapitalgewinne, wenn der Marktwert der Häuser steigt, und das ist der Sinn von Investitionen in britische Wohnungsbaugesellschaften. Sowohl in Großbritannien als auch in der EU steigen die Mieten schneller als die Inflation, und Fusionen werden vorangetrieben. Es gibt keine Beweise dafür, dass dies zu besseren Dienstleistungen für Mietende führt, aber es wird von finanziellen Zwängen angetrieben.
Öffentliche Ausgaben in Verbindung mit privaten Investitionen werden als der einzige Weg zur Lösung der Wohnungskrise dargestellt, aber steigende Mieten und schlechte Wohnungsverwaltung fühlen sich für Arbeiter*innen und Mieter*innen wie Sparmaßnahmen an. Die britische Regierung ist dabei, für die kommenden Jahre Mieterhöhungen für Sozialwohnungen zu garantieren, die über der Inflationsrate liegen, und Angela Rayner hat auf der diesjährigen Jahreskonferenz des sozialen Wohnungsbaus zugesichert, dass sie ihre Kabinettskolleg*innen dazu drängt, die „Mietkonvergenz“ zu unterstützen, bei der niedrigere Sozialmieten erhöht werden, um sie an höhere Sozialmieten anzugleichen.
In Berlin haben Aktivist*innen eine Abstimmung über die Enteignung der Deutschen Wohnen gewonnen, eines großen Vermieterkonzerns, der jetzt in der noch größeren Vonovia aufgegangen ist. In Großbritannien hat Peter Lamb, ein eigenwilliger Abgeordneter der Labour-Partei, die Verstaatlichung von Wohnungsbaugesellschaften gefordert. Eine Forderung, die aus der Sicht der verärgerten Mieter*innen, die von hohen Mieten, schlechten Service und die Erkenntnis, dass sie keine Priorität des*der Vermieter*in sind, Sinn macht.
Jeder kleine Sieg ist wichtig, und Bewohner*innen von Wohnungsbaugesellschaften, die in Großbritannien oft in der Kampagnengruppe Social Housing Action Campaign (SHAC) organisiert sind, haben bedeutende Siege gegen erpresserische Änderungen errungen, indem sie zum Beispiel die Miete einbehalten haben. Um jedoch echte Fortschritte im Wohnungswesen zu erzielen, ist es notwendig, für ein umfassenderes Programm zu kämpfen, das den Finanzsektor verstaatlicht und ihn für soziale Zwecke einsetzt.
Zuerst veröffentlicht im November 2024 auf: https://www.socialistworld.net/2025/02/17/the-financialisation-of-housing/