Die Gewerkschaften verändern – mit links!

Warum die Gewerkschaften einen starken linken Flügel brauchen

Das schlechte Verhandlungsergebnis nach der Schlichtung bei der Tarifrunde in Bund und Kommunen demonstriert die Bereitschaft der Gewerkschaftsführung, Verschlechterungen hinzunehmen, wenn die Kassenlage vorgeblich schlecht ist. Ebenso war der von der IG Metallführung als „Weihnachtswunder“ titulierte Abschluss bei VW eine Niederlage für die Beschäftigten, weil er sich nach den Konzerninteressen der kapitalistischen Standortverteidigung ausrichtete anstatt Arbeitsplätze und Löhne nachhaltig zu sichern. Ändern kann man diesen Kurs nur, indem linke und sozialistische Kräfte innerhalb der Gewerkschaften organisiert dem verhängnisvollen Kurs der Führung ein kämpferisches und demokratisches Angebot entgegensetzen. 

Von Steve Hollasky, GEW-Mitglied aus Dresden

Gewerkschaft heißt Solidarität. Sozialist*innen und Linke wissen nicht nur um diesen Grundsatz, sie wenden sich entschieden gegen die Spaltung der Arbeiter*innenklasse entlang von Linien wie Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Ausbildungsstand oder Religion. Je stärker also eine in den Gewerkschaften organisierte Linke, desto undurchdringlicher die Phalanx in der Auseinandersetzung um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, desto entschlossener der Kampf.

Gewerkschaftlicher Kampf darf sich dabei nicht auf die Frage von Löhnen und Arbeitsbedingungen beschränken, wie schon Marx und Engels betonten. Er darf nicht an der Mauer (vermeintlicher) kapitalistischer Sachzwänge Halt machen. Wenn man ein System als Grundlage des menschlichen Zusammenlebens hinnimmt, in dem es wünschenswert ist, möglichst großen Profit aus der Arbeit anderer herauszuschlagen, muss man Forderungen nach mehr Lohn und mehr Freizeit zumindest immer dann begrenzen, wenn Kapitalist*innen dicke Tränen über zu magere Gewinnen weinen. Das führt zu miesen Tarifabschlüssen oder auch dazu, dass bei Androhung einer Betriebsschließung nicht konsequent für den Erhalt aller Arbeitsplätze ohne Lohnverzicht gekämpft wird. Nötig ist es, sich nicht an vermeintlichen kapitalistischen Zwängen zu orientieren. Das Austarieren von Interessen, die nicht austariert werden können, führt letztlich innerhalb des Kapitalismus immer zu Verlusten und Niederlagen für die Arbeiter*innenklasse. Dies ist eine Erkenntnis, zu denen Sozialist*innen bereits vor über hundertfünfzig Jahren gelangt sind.

Rolle von Sozialist*innen

Sozialist*innen kämpfen für ihre Klasse. Sie bringen sich ein, um konsequent gegen jede Verschlechterung und für jede mögliche Verbesserung für die Beschäftigten zu kämpfen. Ihnen geht es gleichzeitig um die Stärkung der Gewerkschaften, die Verbesserung der Kampfbedingungen, das Sammeln von Erfahrungen und die Formierung der Klasse, darum aus Gewerkschaften „Schulen des Klassenkampfes“ (Marx), letztlich auch für die Überwindung des Kapitalismus, werden zu lassen.

Genau dieses Bewusstsein hilft über die zahlreichen Herausforderungen hinweg, durch die Tiefs und Ebenen des täglichen Kleinkleins; durch Niederlagen und Misserfolge. Zwischen die Stärke der Gewerkschaftslinken und der Stärke der Gewerkschaften kann man getrost ein Gleichheitszeichen setzen. Sozialist*innen stechen in der Geschichte der Gewerkschaften und bis heute als konsequente Klassenkämpfer*innen heraus. 

Als 1889 im Ruhrgebiet Bergarbeiter gegen miese Bezahlung, Betrug bei der Lohnabrechnung, für kürzere Arbeitszeit und mehr Urlaub in den Ausstand traten, schwoll der Streik schnell auf 100.000 Beteiligte an. Selbst Kaiser Wilhelm II. musste eine Abordnung der Arbeiter*innen empfangen. Mit dabei war Augst Siegel. Der Sozialist, dessen Partei – die Sozialistische Arbeiterpartei – damals in die Illegalität gedrängt worden war, hatte den Ausstand mit organisiert. Er ist einer der vergessenen Held*innen der Arbeiter*innenbewegung, der nie Teil des Apparates wurde. Es war der unermüdliche Einsatz von ihm und anderen nach den Schichten, der den Arbeitskampf und damit den eigentlichen Beginn der Gewerkschaftsbewegung in den Zechen des Ruhrgebiets möglich gemacht hatte. 

Als 2004 Opel das Werk in Bochum schließen wollte, kämpften die Kolleg*innen für eine Zukunft des Standortes mit einem „wilden“ Streik. Sie veranstalteten eine einwöchige Personalversammlung und hielten die Bänder an. Ohne die Gruppe „Gewerkschafter ohne Grenzen“, unter ihnen sozialistische Kolleg*innen, die jahrelang im Werk tätig war, wäre dieser Streik in dieser Form kaum möglich gewesen. 

Die Kämpfe für Entlastung in der Pflege hatten ihren Ausgangspunkt in der Berliner Charité. Der Kampf begann, weil Sozialist*innen (die sich im Verlauf der Kämpfe der Vorgängerorganisation der Sol anschlossen) im Betrieb jahrelange Vorarbeit geleistet hatten und gemeinsam mit anderen Aktiven die erste Kampagne für einen Entlastungstarifvertrag innerhalb der Gewerkschaft ver.di durchsetzten.

Bürokratie 

Demgegenüber verfolgen die Spitzenfunktionär*innen der DGB-Gewerkschaften eine sozialpartnerschaftliche Ausrichtung. Sie zweifeln den Bestand der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht an. Ihre Gehälter, die weit oberhalb der Einkünfte ihrer Mitglieder liegen, führen zu einer Abgehobenheit von der Lebensrealität der Kolleg*innen. Häufig haben sie das SPD-Parteibuch in der Tasche und zeigen nicht zuletzt schon deshalb eine mangelnde Bereitschaft, mit einer Bundesregierung unter Einschluss dieser Partei die Auseinandersetzung zu suchen. Da aber die SPD längst keine Arbeiter*innenpartei mehr ist, sondern Politik für die Chefetagen der großen Unternehmen macht, fesselt die Durchsetzung des Gewerkschaftsapparats mit Mitgliedern der Sozialdemokratie die Kampfkraft der Gewerkschaften. 

Zudem kann die Führung der Gewerkschaften sich eher selten für die Ideen begeistern, die über den Kapitalismus hinausweisen, einem System, in dem sich die obere Gewerkschaftsbürokratie gut eingerichtet hat. Letzten Endes erkennen sie damit Prinzipien wie das Privateigentum an Produktionsmitteln oder das Streben nach Profit als gegebenen Handlungsraum an. Im Zweifelsfall hindert das die Gewerkschaftsführung daran, in Kämpfen den entscheidenden Schritt zu gehen: Wer Profitstreben als Recht des Kapitalbesitzers betrachtet, wer das Privateigentum an Produktionsmitteln als unumstößlich ansieht, wird handeln wie die IG Metall in Görlitz. Statt die Verstaatlichung des Waggonbaus und Weiterführung der Produktion unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung zu fordern, begrüßte die Gewerkschaftsführung dort die Produktionsumstellung von Personenwagen auf Radpanzer. 

Alternative zum System

Die Welt wird von Krisen und Konflikten geschüttelt, die Millionen Menschen hart treffen. Und es wird schlimmer. Kriege und Handelskriege, Flucht und Leid, Rassismus und Unterdrückung, Lohnverlust und sinkender Lebensstandard, Umwelt- und Klimakatastrophen… all das beschreibt die heutige Realität im Kapitalismus. 

Standortlogik und Standortnationalismus werden nicht helfen diesen Wahnsinn zu stoppen. Gerade jetzt sind grenzüberschreitende sozialistische Perspektiven und damit eine Vorstellung vom solidarischen Kampf aller Arbeiter*innen weltweit gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise von größter Bedeutung. Wenn Firmen abwandern wollen, muss die Gewerkschaft nicht verbesserte Bedingungen für die privaten Konzerne, sondern Verstaatlichung unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung fordern; wenn – wie in Sachsen – 75 Prozent der Kliniken rote Zahlen schreiben, also ihr Konkurs droht, muss ver.di nicht nur deren Übernahme in die Hand der Kommunen verlangen, sondern auch einen konsequenten gemeinsamen Kampf mit Beschäftigten und Anwohner*innen organisieren. Gerade jetzt müssten Gewerkschaften bereit sein, die Logik von Profit und Privateigentum an Produktionsmitteln aufzuheben und somit die Frage nach einer Alternative zum kapitalistischen System zu präsentieren.

Doch während die SPD mit Merz‘ CDU und Söders CSU auf den Regierungsbänken Platz nimmt, kritisierte Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall, zwar mild die migrant*innenfeindlichen Maßnahmen als „Ergebnis der destruktiven Migrationsdebatten der letzten Monate“, wie auch die Vorhaben zum Bürger*innengeld, aber insgesamt freut sich die Führung der Metallgewerkschaft über im Koalitionsvertrag enthaltene „wichtige Forderungen“. Die unbegrenzten Ausgaben für Rüstung werden nicht in Frage gestellt, allenfalls angemerkt, darüber nicht das Soziale zu vergessen. 

Die Linke

Die Aufgabe der Partei Die Linke wäre es, die Gewerkschaften aus der Umklammerung der SPD zu befreien. Dafür reicht es nicht, hin und wieder mit den Spitzen der DGB-Gewerkschaften zu diskutieren. Die Linke hat zehntausende neue Mitglieder und könnte die Chance nutzen, über ihre gewerkschaftlich organisierten Mitglieder zu helfen, eine Opposition und damit einen vernehmbaren Gegenentwurf zum angepassten Kurs der Gewerkschaften anzubieten. Die Konferenz „Gegenmacht im Gegenwind“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung wäre eine hervorragende Gelegenheit, um eine kritische Debatte über Abschlüsse wie bei VW oder im öffentlichen Dienst zu führen und darüber, wie stattdessen eine konsequente Gegenwehr aussehen könnte.  Die Konferenzen erfreuen sich großer Teilnahme, denn das Interesse an einem Austausch zu „konfliktorischer Gewerkschaftspolitik“ ist sehr groß. Doch wird dies nicht in einen Zusammenhang mit einer deutlichen Kritik an der sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung der Gewerkschaftsführungen verbunden. Dies ist aber dringend nötig, wenn man verhindern will, dass immer mehr Mitglieder den Gewerkschaften wieder aus Enttäuschung den Rücken zukehren. Lohnverzicht, Arbeitsplatzverlust gekoppelt mit dem Verzicht auf den Versuch, sich mit gemeinsamen Kämpfen dagegen zu wehren – all das wird genau das befördern, was es zu verhindern gilt: den weiteren Zulauf zu AfD und Co., welche diesen Frust aufgreifen und vorgaukeln, sie würden die Interessen der Beschäftigten vertreten. Dass das nicht der Fall ist, wissen sogar die meisten, doch ihnen muss eine Perspektive von links und zum Kämpfen aufgezeigt werden. 

Innergewerkschaftliche Demokratie

Natürlich hat sich über Jahrzehnte der sozialpartnerschaftliche Ansatz auch in den meisten ehrenamtlichen Gremien verfestigt. Das aufzubrechen, bedarf ein systematisches und organisiertes Herangehen auf Grundlage eines kämpferischen und sozialistischen Programms. Der Unmut vieler Kolleg*innen, auch von Aktiven, wächst angesichts der Resultate der jetzigen Ausrichtung, die zu immer schlechteren Ergebnissen führt. Deshalb sollten gerade linke Kräfte in die Offensive gehen, um kämpferische Strategien in die Debatte zu bringen. 

 Auch Forderungen nach Streikdemokratie und der Ausweitung innergewerkschaftlicher Demokratie sollten dabei aufgeworfen werden. Der demokratischen Kontrolle ihrer hauptamtlichen Funktionär*innen, der Möglichkeit der Abwahl gar, hat die Gewerkschaftsbürokratie ein kunstvolles System von Riegeln vorgeschoben. Einfach abwählen lässt sich dieser Apparat nicht. Auch während eines Streiks ist die Möglichkeit der Einflussnahme für die Mitglieder gering. Eine Diskussion über Erzwingungsstreik für ein besseres Ergebnis bei Bund und Kommunen könnten ver.di-Mitglieder beispielsweise nur mit einer überwältigenden Mehrheit von 75 Prozent sicher erreichen. Das alles braucht Veränderung.

Konflikte sind dabei vorprogrammiert, was eine Vernetzung von kämpferischen Aktiven umso wichtiger macht. Mit dem Aufbau des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di, wie auch durch die Mitarbeit in der „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ (VKG) und Initiativen bei der Bahn, der Post und in anderen Bereichen versuchen Genoss*innen der Sol einen Schritt hin zu dieser Vernetzung zu machen.