
Merz (im ersten Wahlgang) nicht zum Kanzler gewählt
In einem historisch einmaligen Vorgang wurde der Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz heute unerwartet nicht zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. 18 Abgeordnete aus CDU/CSU und SPD stimmten nicht für ihn. Diese Ohrfeige hat der arbeiter*innen-, frauen- und migrant*innenfeindliche Kapitalistenknecht mehr als verdient und wir können uns ein Grinsen nicht verkneifen.
Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher
Natürlich gibt sich keine*r der Abweichler*innen zu erkennen und es kann nur spekuliert werden, ob die Verweigerung der Stimmabgabe von karrieregeilen Unionspolitiker*innen kommt, die sich einen Posten am Kabinettstisch erhofft hatten und von Merz nicht berücksichtigt wurden, ob es Protest aus der Union gegen die Aufweichung der Schuldenbremse oder doch Protest von SPD-Abgeordneten mit einem Rest sozialdemokratischen Gewissens war.
Das ist letztlich auch zweitrangig. Der Fakt zählt. Der heutige Tag macht Friedrich Merz zum schwächsten Kanzler in der Geschichte der Republik und die Koalition aus CDU/CSU und SPD zu einer Regierung, die schon in der Krise steckt bevor sie überhaupt ins Amt gekommen ist. Schließlich gehen auch die Umfragewerte für die beiden Regierungsparte9ien in spe seit der Bundestagswahl im Februar stetig nach unten.
Diejenigen, die sich jetzt um Regierungsfähigkeit und Stabilität sorgen, wie Die Grünen, sorgen sich um eine Stabilität der fortgesetzten Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse, der fortschreitenden Kriegspolitik und Militarisierung, der rassistischen Migrationspolitik. Lohnabhängige, Linke und Gewerkschafter*innen sollten sich freuen: es dauert noch ein paar Tage, bis Geflüchtete an den Grenzen rechtswidrig abgeschoben werden, der Kriegsverbrecher Netanjahu trotz internationalem Haftbefehl nach Deutschland eingeladen wird und die geplanten Angriffe auf den Acht-Stunden-Tag und das Bürger*innengeld umgesetzt werden können. Aber diese Angriffe werden kommen, egal wann und mit welcher Mehrheit Merz Kanzler wird – es sei denn Gewerkschaften und Die Linke verstehen den heutigen Tag als Weckruf gegen die Noch-Nicht-Regierung in die Offensive zu gehen.
Sie sollten unmittelbar eine Kampagne starten und zu Protesten aufrufen, die deutlich macht, dass nicht nur Merz weg muss, sondern die Politik für die er und der Koalitionsvertrag stehen.
Manche werden sagen, dass Neuwahlen die AfD stärken würden. Das mag sein, aber erstens würde auch Die Linke weiter gestärkt und zweitens wird die AfD nach ein, zwei, drei, vier Jahren Merz-Klingbeil-Koalition erst recht gestärkt. Es geht darum jetzt den maximalen Druck auszuüben, damit die künftige Regierung, wer auch immer ihr vorstehen wird, möglichst wenig Spielraum für Maßnahmen gegen die Interessen der Arbeiter*innenklasse hat. Deshalb dürfen sich Gewerkschaften und Linke nicht an der Debatte um die Sorge vor der Instabilität beteiligen, sondern sollten deutlich machen, dass die Stabilität von der die bürgerlichen Parteien und Medien sprechen, die Stabilität der kapitalistischen Klassenherrschaft ist. Es ist die Aufgabe von Gewerkschaften und der Linken für eine andere Stabilität zu sorgen: für eine stabile Gegenwehr aus der Arbeiter*innenklasse gegen Merz, diese designierte Regierung und ihre geplante Politik und für eine Politik im Interesse der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten, für höhere Löhne und niedrigere Mieten, gegen Militarisierung und Kriegspolitik, für höhere Steuern auf Gewinne und Vermögen, gegen Rassismus und jede Form von Diskriminierung.
Wenn die Arbeiter*innenklasse um solche Forderungen herum durch die Gewerkschaften und Die Linke mobilisiert würde, dann wäre das die beste Voraussetzung, um nicht nur Merz und seine geplante Koalition zu schwächen, sondern auch der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Dieser Artikel wurde vor der Entscheidung zum zweiten Wahlgang verfasst, in dem Friedrich Merz zum Bundeskanzler gewählt wurde.