Israelischer Staat eskaliert Elend in Gaza

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Seit Beginn des Krieges gegen den Gazastreifen schien es schon mehrfach als könnte die Lage im Gazastreifen nicht mehr viel schlimmer werden. Doch seit die israelische Regierung Anfang März die Bombardierungen und die Blockade von Lebensmitteln, Wasser, Medikamenten und anderen lebensnotwendigen Gütern wieder aufgenommen hat, wurde ein neues Ausmaß an Trauma und Leid erreicht.

Zusätzlich zu den von Seiten des Economist geschätzten mindestens 77.000 direkten Todesopfern der Angriffe, verschärfen Massenhunger und -obdachlosigkeit das Leiden der Bevölkerung. Indem die Bevölkerung des Gazastreifens in riesigen Zeltlagern im Süden des Streifens zusammengedrängt wird, während die Zahl der Todesopfer weiter steigt und die Lebensbedingungen unerträglich werden, zielt das israelischen Kabinett darauf ab, dass so viele Palästinenser*innen wie möglich aus dem Streifen vertrieben werden.

Nach den öffentlichen Äußerungen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu soll diese grausame Kollektivstrafe die Isolierung und Vernichtung der verbliebenen Hamas-Kämpfer ermöglichen und die Freilassung der restlichen israelischen Gefangenen bewirken. Diese Ziele werden von den meisten Menschen weltweit – einschließlich der Mehrheit der Israelis – zu Recht als Täuschungsmanöver angesehen. Die Geiseln werden durch weitere Bombardierungen nicht freigelassen und die extreme Brutalität kann die Hamas nicht vollständig zerstören, die ohnehin auch außerhalb des Gazastreifens existiert. Derselbe Netanjahu, der heute erklärt, dass die Hamas ausgelöscht werden muss, hat zuvor Katar ermutigt, 30 Millionen Dollar pro Monat an eben diese Hamas zu schicken – ein Beispiel für die Manöver, die er unternommen hat, um seine Interessen zu verfolgen.

Netanjahus eigentlicher Plan entspricht den Wünschen der israelischen Rechten, die sich danach sehnt alle palästinensischen Gebiete in Israel aufzunehmen. Praktisch die gesamte israelische herrschende Klasse und ihre politischen Vertreter*innen sind entschlossen jegliche Bedingungen abzuwehren, die zur Gründung eines echten benachbarten palästinensischen Staates führen könnten. Außerdem wird Netanjahu von dem Motiv angetrieben, seine Regierungskoalition zusammenzuhalten, indem er die Forderungen der rechtsextremen Parteien innerhalb der Koalition erfüllt.

Der Plan für den Gazastreifen geht mit einer weiteren israelischen Annexion des Westjordanlandes einher. Unter der Leitung des rechtsextremen Ministers Bezalel Smotrich wurden messianische jüdische Siedler*innen ermutigt, ihre bewaffneten Gruppierungen zu vergrößern, die Gewalt gegen Palästinenser*innen zu verstärken und neue Siedlungen zu bauen. Dies ging Hand in Hand mit dem Einmarsch des israelischen Militärs in die palästinensischen Flüchtlingslager in Dschenin und Tulkarm, der Zerstörung palästinensischer Häuser, der Zwangsumsiedlung von schätzungsweise 40.000 Palästinenser*innen aus dem Westjordanland und der wirtschaftlichen Strangulierung der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Weltweite Reaktionen

Die weltweite Reaktion spiegelt die Klassenunterschiede in den Gesellschaften überall wider. Auf der einen Seite wütende und schockierte normale Menschen, auf der anderen Seite Regierungen, die kapitalistische Interessen vertreten und sich weigern, sinnvolle Maßnahmen gegen den Krieg zu ergreifen.

Diese Woche schloss US-Präsident Trump während einer Reise durch mehrere arabische Länder mit arabischen Eliten Geschäfte im Wert von Hunderten Milliarden Dollar ab. Zu den massiven Beträgen, mit denen geprahlt wird, gehört ein mögliches „Geschenk“ eines 400 Millionen Dollar teuren Luxus-Jumbojets an Trump durch den autokratischen Herrscher von Katar. Gleichzeitig hat Trumps Regierung zugestimmt, sich an Netanjahus unverschämten Versuch zu beteiligen, die Bevölkerung des Gazastreifens auszuhungern, zu dezimieren und zu vertreiben, wobei die Beteiligung der USA als humanitäre Operation ausgegeben wird, die Mahlzeiten im Wert von 1,3 Millionen Dollar als Palliativmittel bereitstellen wird.

Die Flaute der internationalen Antikriegsbewegungen ist nicht auf mangelnde Empörung über den Krieg zurückzuführen, sondern spiegelt vielmehr die Frustration darüber wider, dass es der Massenopposition bisher nicht gelungen ist, den Krieg zu stoppen. Das bedeutet nicht, dass es in den kommenden Wochen keine neue Protestwelle geben wird oder dass sie nicht wirksam den notwendigen Druck verstärken kann. Die kapitalistischen Regierungen weltweit, ob sie dem Netanjahu-Regime freundlich gesinnt sind oder es kritisieren, wägen ständig ab, wie viel Untätigkeit sie in Bezug auf Gaza vor ihrem heimischen Publikum durchgehen lassen können.

Bewegungen von unten, die sich entwickeln könnten, um Regierungsinteressen anzugreifen, sind die größte Bedrohung für sie. Die Financial Times war sich dessen bewusst und warnte am 7. Mai in einem Leitartikel: “Amerikanische und europäische Länder, die Israel als Verbündeten anpreisen, der ihre Werte teilt, haben kaum ein Wort der Verurteilung ausgesprochen. Sie sollten sich für ihr Schweigen schämen und aufhören, Netanjahu ungestraft handeln zu lassen”. Der Bericht kritisiert auch die arabischen Führer dafür, dass sie nichts für den Gazastreifen tun, während sie „Trump bei üppigen Zeremonien mit Versprechungen von milliardenschweren Investitionen und Waffengeschäften feiern“, und schließt: „Diejenigen, die schweigen oder sich nicht trauen, ihre Meinung zu sagen, machen sich mitschuldig“.

Offensichtlich ist es nicht genug seine „Meinung zu sagen“. Die westlichen Mächte müssen gezwungen werden, Maßnahmen gegen den Krieg zu ergreifen – etwa indem Israels sie Militärapparat Waffenimporte verweigern. Solcher Zwang entsteht nur durch den Aufbau von Druck durch Aktionen der Arbeiter*innenklasse mit diesem Ziel.

Auch die arabischen Massen verfügen über ein immenses Machtpotenzial, einschließlich der Fähigkeit, Volkswirtschaften zum Stillstand zu bringen, die für die Erhaltung von globalen Handelsrouten und die Energieversorgung entscheidend sind. An der Schwelle des israelischen Regimes stehen die sieben Millionen Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten und innerhalb Israels, die ebenfalls über ein großes Machtpotenzial verfügen, indem sie kollektive, demokratische Organisierung auf Arbeiter*innenebene gegen Krieg und Besatzung aufbauen.

Israelische Arbeiter*innen

Von zentraler Bedeutung ist auch, dass die israelische Arbeiter*innenklasse ihr organisiertes Gewicht in die Waagschale wirft – gegen den Krieg selbst und die Unterdrückung im Westjordanland, aber auch gegen die militärischen Interventionen des israelischen Regimes in anderen Ländern. Das israelische Regime hat den Südlibanon und den Jemen bombardiert, in Syrien Territorium erobert und versucht, die Spaltung des Landes voranzutreiben, indem es die drusische Bevölkerung und bestimmte andere Minderheiten unter Druck setzt.

Aufgrund der Verweigerungshaltung der Regierung, die notwendigen Voraussetzungen für eine Geiselbefreiung zu schaffen, beteiligten sich im vergangenen September viele israelische Arbeiter*innen – sowohl Jüd*innen als auch Palästinenser*innen – an einem Generalstreik. Ein gut vorbereitetes Programm eskalierender Aktionen der israelischen Arbeiter*innenbewegung wäre in der Lage, einen israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen zu erzwingen und die Regierung Netanjahus aus dem Amt zu entfernen. Bezeichnenderweise brach letzte Woche in Israel ein Lehrer*innenstreik aus, der sich gegen die Lohnkürzungen für die Beschäftigten des öffentlichen Sektors richtete. Auch andere „kriegswirtschaftliche“ Sparmaßnahmen wirken sich auf die Arbeiter*innen aus, wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1 Prozent.

„Es ist ein giftiges Gebräu: Die Regierung verlangt von ihren Bürger*innen große Opfer, während diese an ihrer Regierung verzweifeln“, schrieb der Economist am 26. März. Die Unzufriedenheit betrifft auch die Reserveeinheiten der Armee: In einigen Militäreinheiten ist nur die Hälfte der Einberufenen zum Dienst erschienen.

Die Kluft zwischen den Klassen tritt in Israel also immer deutlicher zutage – eine begrüßenswerte Entwicklung, die von der Gründung einer eigenen, von kapitalistischen Interessen unabhängigen Massenpartei durch die Arbeiter*innen begleitet werden muss. Durch eine solche Partei, die sozialistische Ideen aufgreift, und ähnliche Entwicklungen in den palästinensischen Gebieten und in den umliegenden arabischen Ländern, wird ein Weg nach vorn eröffnet, der die Zyklen des Krieges beenden kann, und alle Völker der Region befähigt, vorteilhafte Lösungen für all die albtraumhaften Zustände zu finden, die im Kapitalismus unlösbar sind.

Wir fordern:

  • Die Beendigung der Besatzung des Gazastreifens, der Besatzung aller palästinensischen Gebiete und den dauerhaften Abzug des israelischen Militärs aus diesen Gebieten.
  • Die Freilassung der Tausenden palästinensischen politischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen und der israelischen Gefangenen in Gaza.
  • Ein Massenbefreiungskampf der Palästinenser*innen unter eigener demokratischen Kontrolle.
  • Den Aufbau unabhängiger Arbeiter*innenparteien in Palästina und Israel und Verbindungen zwischen ihnen.
  • Einen unabhängigen, sozialistischen palästinensischen Staat, neben einem sozialistischen Israel, mit garantierten demokratischen Rechten für alle Minderheiten, als Teil des Kampfes für eine sozialistische Föderation im Nahen Osten.
  • Kein Vertrauen in kapitalistische Politiker*innen auf internationaler Ebene, sondern Kämpfe für den Aufbau von Arbeiter*innenparteien, die für Sozialismus und Internationalismus stehen.

Leitartikel aus der Wochenzeitung “The Socialist” unserer Schwesterorganisation in England & Wales, der Socialist Party , https://www.socialistworld.net/2025/05/16/israeli-state-escalates-gaza-suffering/