
Vor 30 Jahren setzte die inspirierende Bewegung der südafrikanischen Massen dem schrecklichen Apartheidregime ein Ende. Der Prozess wurde mit den Wahlen im April 1994 abgeschlossen. Die Schwarze Mehrheit konnte endlich wählen und der Afrikanische Nationalkongress (ANC) wurde in die Regierung gewählt.
Von Deji Olayinka, Socialist Party Black and Asian Group
Formal wurde Apartheid 1948 eingeführt. Sie kodifizierte die bereits seit 300 Jahren bestehende Segregation und Ausbeutung, die zunächst durch den niederländischen und später den britischen Kolonialismus und Imperialismus verübt wurde. Dieser Prozess begann, als die Kolonialist*innen die einheimische Bevölkerung mit Gewalt von ihrem Land vertrieben. Im Rahmen des kolonialen „Reservatsystems“ wurden mindestens 87 Prozent des Landes an weiße Eigentümer vergeben, während die eigentlichen Einwohner in Reservaten leben mussten und zu brutaler Ausbeutungsarbeit auf dem von den Kolonialist*innen gestohlenen Land gezwungen wurden.
Vor allem ab den 1880er Jahren erwirtschaftete die herrschende Klasse in Südafrika ihren Reichtum durch die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte zur Gewinnung von Gold und Mineralien, die das Kapital einbrachten, das später für die Schaffung der Industrie verwendet wurde. Das System der Wanderarbeit war für den Reichtum der südafrikanischen Kapitalist*innen von grundlegender Bedeutung. Die Reservate boten einen Vorrat an billigen, prekären und befristeten Arbeitskräften, die für die Arbeit in den Minen und städtischen Zentren herangezogen wurden.
Die Trennung der Arbeiter*innen von ihren Familien, die in den Reservaten festsaßen, bedeutete, dass die Kapitalist*innen weniger Druck hatten, Wohnraum und öffentliche Einrichtungen oder Annehmlichkeiten zu gewähren und für Kranke, Arbeitslose und alte Menschen zu sorgen. Ein südafrikanischer Marxist beschrieb die Reservate als „riesige ländliche Slums, die als Zufluchtsort dienten“.
Kapitalistische Spaltung
Die Kapitalist*innenklasse in Südafrika war immer zu schwach, um ihre Herrschaft allein aufrechtzuerhalten. Als sich der Kapitalismus entwickelte, schuf er eine extrem polarisierte Gesellschaft mit einer winzigen und unbedeutenden Mittelschicht, die zu klein und zu schwach war, als dass die Kapitalist*innenklasse sich auf eine soziale Basis hätte stützen können, wie es in anderen älteren kapitalistischen Ländern Europas der Fall war. Stattdessen musste sie die rassischen Spaltungen bewusst verstärken und weißen Arbeiter*innen Privilegien zugestehen, um eine weiße Arbeiter*innenaristokratie zu schaffen, die eine soziale und politische Basis für ihr System bilden konnte.
Um dieses System aufrechtzuerhalten und die Organisierung der Arbeiter*innenklasse zu verhindern, wurde ein breites Spektrum von Maßnahmen ergriffen. Ein internes Ausweissystem, die so genannten Passgesetze, die von den Gesetzen zur Kontrolle der Zuwanderung abgelöst wurden, schränkten die Bewegungsfreiheit von Afrikaner*innen ein. Dadurch wurden die Arbeiter*innen in den Reservaten gehalten, aber auch die Anstrengungen zur Organisierung unterdrückt. Tausende von Streikenden und Arbeiterführer*innen wurden aus den Städten verbannt und in die Reservate zwangsdeportiert.
Trotz vieler großer Hürden gelang es den südafrikanischen Massen eine revolutionäre Bewegung aufzubauen. Sie hatte das Ziel, die doppelte Unterdrückung zu überwinden, die sie ertragen mussten – sowohl die nationale Unterdrückung durch das Regime der weißen Minderheit, als auch die rücksichtslose kapitalistische Ausbeutung.
Die afrikanischen Massen wehrten sich von Anfang an vehement gegen die koloniale Eroberung. Beispielsweise haben die Völker der Xhosa und Zulu eine heldenhafte Geschichte des Kampfes. Es gab keine Periode ohne Rebellion, doch sie wurde brutal unterdrückt. Im Jahr 1960 gab es Kämpfe gegen das Passgesetz, die brutal niedergeschlagen wurden. Während des Sharpeville-Massakers wurden 69 Menschen von der Polizei ermordet, den meisten von ihnen wurde auf der Flucht in den Rücken geschossen.
Der Ausnahmezustand wurde ausgerufen und der ANC, das wichtigste politische Organ im Kampf gegen die Apartheid, wurde verboten. Die Freiheitscharta (Freedom Charter) schrieb die wichtigsten Grundsätzen des ANC fest. Obwohl es sich dabei nicht um ein sozialistisches Programm handelte, enthielt sie die Forderung, dass „die Bodenschätze, die Banken und die Monopolindustrie in das Eigentum des gesamten Volkes überführt werden“ und dass das Land „unter denen, die es bearbeiten, neu aufgeteilt wird“.
Angesichts der brutalen Unterdrückung war es die Stärke der Bewegung der südafrikanischen Arbeiter*innenklasse, die den Ausschlag für den Sturz des Regimes gab.
Die 1960er Jahre waren eine Zeit des weltweiten Wirtschaftsbooms, aber auch der revolutionären Bewegungen der Arbeiter*innenklasse, die wiederum andere Arbeiter*innen international inspirierten.
Gewerkschaften
Massengewerkschaften hatten schon früher versucht, sich in Südafrika zu etablieren, wurden aber immer wieder zerschlagen: die Industrial and Commercial Workers’ Union in den 1920er Jahren, die Confederation of Non-European Trade Unions in den 1940er Jahren, der South African Congress of Trade Unions in den 1950er Jahren. Doch nach den Kämpfen und der Unterdrückung in den 1960er Jahren erlebte die unabhängige Gewerkschaftsbewegung einen neuen Aufschwung von zuvor nie dagewesenem Ausmaß.
Der Hafenstreik in Durban 1969 war ein wichtiger Schritt, um das Selbstvertrauen der Arbeiter*innen zu stärken, was zu landesweiten Streiks führte, die in 1973 mit den Streiks in Natal ihren Höhepunkt erreichten. Eine Reihe von Aktivist*innen, die noch im gleichen Jahrzehnt die Marxist Workers’ Tendency (MWT) gründeten (die Schwesterorganisation der Sol in Südafrika), spielten in diesem Kampf eine wichtige Rolle. Diese Erfahrung zeigte die Macht der organisierten Arbeiter*innenschaft und in den Jahren 1974-75 verdoppelte und verdreifachte sich die Zahl der Schwarzen Gewerkschaftsmitglieder.
1976 überschätzte das Apartheidregime seine Macht und ordnete an, dass allen Kindern Afrikaans – eine Sprache, die mit der Apartheid und dem niederländischen Kolonialismus in Verbindung gebracht wurde – beigebracht werden musste. Die Jugendlichen der weiterführenden Schule in Soweto wehrten sich mutig mit Streiks und Protesten gegen diese Politik und die Apartheid. Da etwa die Hälfte der Schwarzen Bevölkerung Südafrikas jünger als 16 Jahre alt war, handelte es sich hier um einen Schlüsselmoment. In Reaktion auf die Appelle ihrer Kinder traten die Arbeiter*innen in Soweto und der gesamten Region wiederholt in den Streik – den ersten politischen Streik seit dem Verbot des ANC. Diese wurden brutal niedergeschlagen. 1976 wurden über 1000 Arbeiter*innen und Jugendliche getötet.
Es gab eine kurze Flaute, bevor sich die Arbeiter*innenklasse und ihre Organisationen – vor allem die Gewerkschaften – wieder zum Massenkampf formierten. Das Apartheidregime versuchte, Zugeständnisse zu machen, um die Ambitionen der Gewerkschaftsbewegung zu begrenzen. Im Jahr 1979 akzeptierte es das Recht der Afrikaner*innen, Gewerkschaften zu gründen. Nicht-Weiße, indische und afrikanische Arbeiter*innen schlossen sich zu gemeinsamen Aktionen zusammen. Wichtig ist, dass sich unter den neuen Gewerkschaftsmitgliedern zum ersten Mal seit den 1940er Jahren eine kleine Zahl weißer Arbeiter*innen befand, die erkannt hatten, dass ihre Klasseninteressen mit denen der Massen und nicht mit denen der weißen Bosse übereinstimmten. Zwischen 1979 und 1983 war die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder von 70.000 auf 300.000 angestiegen. Die Bewegung kam in Fahrt: in den Jahren 1979, 1980 und 1981 gab es jeweils 101, 207 und 342 Streiktage.
Im Anschluss an die Aufstände in Soweto wurde der Congress of South African Students gegründet. Besonders bedeutsam war, dass sich die Jugendlichen und die Arbeiter*innen im Kampf vereinigten. 1982 hatten sie das Thema „student-worker-action“ übernommen. Die Jugend führte Kampagnen mit einem revolutionären Ziel zu allgemeinen sozialen Fragen wie hohen Mieten und Transportkosten usw. und erklärte, dass diese Kämpfe nur dann dauerhaft gewonnen werden können, wenn sie mit dem politischen Kampf für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft verbunden werden. Sie hatten instinktiv Trotzkis Übergangsmethode angewandt.
Die 1980er Jahre waren eine Zeit des Massenkampfes, der das Apartheidregime zum Scheitern brachte. Das Regime griff verzweifelt zu Repressionen, um die Bewegung zu stoppen, aber das stärkte nur den Widerstand. Im Mai 1985 wurde erneut der Ausnahmezustand verhängt, doch die Arbeiter*innenbewegung widersetzte sich diesem und gründete den Congress of South African Trade Unions (COSATU).
Sozialismus
1987 hielt der COSATU einen Kongress unter dem Motto „Sozialismus bedeutet Freiheit“ ab und nahm die Freiheitscharta des ANC als politisches Manifest der Gewerkschaftsbewegung an. COSATU vereinigte 2 Millionen Arbeiter*innen, Schwarze und Nicht-Weiße, in den Fabriken und an den Arbeitsplätzen. Mit dieser Stärke konnten die Massen schließlich das Apartheidregime beenden.
Die ANC-Führung verwies auf vier Säulen des Kampfes: die diplomatische Isolation (einschließlich Wirtschafts- und Waffenembargos), der Sport- und Kulturboykott, der bewaffnete Kampf und der Kampf der Massen im Lande. Obwohl alle diese Maßnahmen ihre Wirkung zeigten, war es vor allem die letzte, nämlich die Aktion der Arbeiter*innenklasse, die für die Beendigung der Apartheid entscheidend war. Die ANC-Führung hatte und hat Angst vor der unabhängigen Initiative der Arbeiter*innenklasse als Klasse und verschleierte daher ihre entscheidende Rolle.
Ein Großteil der ANC-Führung verstand den bewaffneten Kampf als ein Mittel, um Druck auf das Regime auszuüben und es an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Paramilitärs des ANC töteten durch ihre Schießereien und Bombenangriffe sogar Schwarze Zivilist*innen.
Die demokratisch organisierte und bewaffnete Selbstverteidigung der Bewegung spielte eindeutig eine Rolle, insbesondere bei Streiks und Demonstrationen zum Schutz vor Staatsterror, Polizeirazzien, Verhaftungen nach dem Passgesetz und Zwangsumsiedlungen usw. Aber es war der Massenkampf selbst, nicht nur der bewaffnete Kampf, der dem Apartheidregime ein Ende bereitete.
Die tapferen Massenkämpfe und Streiks der südafrikanischen Arbeiter*innen fanden Unterstützung in der internationalen Arbeiter*innenbewegung. In Großbritannien rief die Socialist Party (damals Militant) zu Arbeiter*innensanktionen und direkten Verbindungen mit den Gewerkschaften auf, um die Kämpfe der Arbeiter*innen zu unterstützen – Verbindungen von Fabrik zu Fabrik, Austauschbesuche zwischen Arbeitnehmervertreter*innen und die Bildung internationaler Kombinatsausschüsse.
Gewerkschaftsmitglieder, die am Flughafen Heathrow tätig waren, halfen, Literatur nach Südafrika zu schmuggeln. In Betriebsversammlungen einigten sich die Arbeiter*innen auf Methoden zur Unterstützung der Bewegung gegen die Apartheid, in vielen Fällen wurden Arbeiter*innenboykotte organisiert, um den Handel mit südafrikanischen Produkten zu unterbinden. Dies war wichtig, da der südafrikanische Kapitalismus von den imperialistischen Mächten unterstützt wurde.
Im Gegensatz dazu unterstützten viele der internationalen Kapitalist*innenklassen das Apartheidregime, bis sie sich sicher fühlten, dass ihre wirtschaftlichen Interessen von der ANC-Führung geschützt werden würden. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher und US-Präsident Ronald Reagan legten Vetos gegen die Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika durch die UN ein.
Sanktionen
Die kapitalistische Klasse in Großbritannien und den USA war wirtschaftlich am stärksten involviert, und so kam es erst sehr spät in den 1980er Jahren zu Sanktionen. Selbst dann stellten sie sicher, dass die Sanktionen leicht genug waren, um die Investitionen ihrer multinationalen Unternehmen nicht ernsthaft zu beeinträchtigen.
Seit Anfang der 1980er Jahre arbeiteten die Kapitalist*innen angesichts einer wachsenden Massenbewegung, die die Apartheid wahrscheinlich unhaltbar machen würde, daran, die ANC-Führung zu deradikalisieren, um sicherzustellen, dass ihre kapitalistische Ausbeutung weitergehen konnte. Die Führungskräfte wurden in Geheimgespräche verwickelt, um sie von den einfachen Mitgliedern und Aktivist*innen zu isolieren. Nelson Mandelas Frau Winnie war sich sicher, dass er 1982 von Robben Island ins Pollsmoor-Gefängnis verlegt worden war, um ihn vom Rest der Bewegung zu trennen.
Noch bevor der ANC 1994 in die Regierung gewählt wurde, wurde die Freiheitscharta zugunsten des verwässerten sozialdemokratischen Programms für Wiederaufbau und Entwicklung (Reconstruction and Development Programme) aufgegeben. Dieses wiederum wurde bereits 1996 aufgegeben und durch ein vollständig neoliberales Regierungsprogramm ersetzt. Die Parteiführung, einschließlich Nelson Mandelas, wollte nichts beschließen, was den kapitalistischen Interessen zuwiderlief. Es war klar, dass der ANC aufgrund dieses populären Programms einen Erdrutschsieg erringen würde. Um den Druck zur Umsetzung des Programms zu verringern, wurden die Wahlergebnisse so manipuliert, dass der ANC eine geringere Mehrheit erhielt.
Das Ende der Apartheid-Ära fand vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Sowjetunion und anderer stalinistischer Staaten statt. Damit begann eine Periode des ideologischen Triumphs der Kapitalisten und ein ideologischer Rückschlag für die internationale Arbeiter*innenklasse. Die stalinistischen Staaten waren nicht sozialistisch, sondern wurden von einer privilegierten totalitären Elite regiert, die nur ihre eigenen Interessen verfolgte. Aber die Regime stützten sich auf verstaatlichte Planwirtschaften, deren Existenz ein Beweis für eine Alternative zur kapitalistischen Wirtschaft war.
Stalinist*innen in der South African Communist Party und andere in der Bewegung forderten einen zweistufigen Ansatz, der die Anti-Apartheid-Bewegung auf den Kampf für demokratische Rechte und Reformen innerhalb des Kapitalismus beschränkte und den sozialistischen Wandel, der in der Arbeiter*innenklasse und der Jugend weithin als notwendig anerkannt wurde, solange ablehnte, bis der südafrikanische Kapitalismus voll entwickelt sei. Die MWT sprach sich gegen diesen Ansatz aus, da sie erkannte, dass der Kapitalismus, der Reichtum und Macht in den Händen der kapitalistischen Elite belässt, den erforderlichen Wandel nicht herbeiführen kann.
In seiner Broschüre „Von der Sklaverei zur Zerschlagung der Apartheid“ von 1994 fragte der damalige politische Sekretär der Socialist Party, Peter Taaffe: “Wie lange wird es dauern, bis eine ANC-Regierung Polizei- und Armeeeinheiten gegen streikende Arbeiter*innen oder rebellische Bewohner*innen der afrikanischen Gemeinden einsetzt?… Die Koalitionsregierung, in der der ANC die Mehrheit hat, wird einem unerbittlichen konträren und gegen die Klasse gerichteten Druck ausgesetzt sein. Mandela und die Rechte des ANC haben bereits das Knie vor dem Kapitalismus gebeugt, sowohl innerhalb des Landes als auch auf internationaler Ebene” (siehe The Negotiated Settlement and the 1994 Elections auf marxistworkersparty.org.za).
Das Massaker von Marikana im Jahr 2012, bei dem 34 streikende Bergarbeiter der Platinmine Lonmin von der Polizei getötet wurden, bestätigte Peters Vorhersage auf grausame Weise. Cyril Ramaphosa, der derzeitige ANC-Präsident Südafrikas, war damals ein Großaktionär von Lonmin. Heute ist klar, dass die Probleme, die unter der Apartheid entstanden sind, im Kapitalismus nicht gelöst werden konnten. Die „offizielle“ Arbeitslosenquote unter Schwarzen Südafrikanern liegt bei 37,6 Prozent, die Schwarzen Massen sind nach wie vor ausgegrenzt, wobei 65,9 Prozent der Spitzenpositionen im Management von Weißen besetzt sind und eine große, aber prekäre Schwarze „Mittelschicht“ existiert.
Im Mai dieses Jahres verlor der ANC zum ersten Mal seine Mehrheit und wurde durch eine Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Unity) ersetzt – ein Versuch, politische Stabilität in ein Land zu bringen, das immer noch von enormer Ungleichheit und brutaler kapitalistischer Ausbeutung geplagt ist.
Es waren die Arbeiter*innenmassen, die der Apartheid ein Ende gesetzt haben und sie werden auch die treibende Kraft sein, um eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft in Südafrika und auf der ganzen Welt zu herbeizuführen.
Zuerst auf englisch erschienen im Dezember 2024 unter: https://www.socialistworld.net/2024/12/17/what-brought-an-end-to-south-african-apartheid/