Nein zur Wehrpflicht

Foto: Tim Rademacher, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-4.0

Warum eine stärkere Bundeswehr nicht mehr Sicherheit schafft

Kaum eine Woche vergeht, ohne neue Forderungen nach mehr Personal und Geld für die Bundeswehr. Die NATO-Staaten wollen in Zukunft mindestens fünf Prozent der Wirtschaftsleistung fürs Militär ausgeben. SPD-Verteidigungsminister Pistorius will 60.000 zusätzliche aktive Soldat*innen. Bundeswehr-Generalinspekteur Breuer träumt von insgesamt einer halben Million Soldat*innen (inklusive Reserve) und die Bundesregierung bereitet die Rückkehr zur Wehrpflicht vor. Wie sollten sich Linke und Gewerkschaften dazu verhalten?

von Tom Hoffmann, Sol-Bundesleitung

Die aktuelle Aufrüstungsspirale ist Ergebnis der neuen historischen Periode. Die Welt ist multipolar geworden. Die USA sind nicht mehr unangefochtene imperialistische Hegemonialmacht. Internationale Kräfteverhältnisse verschieben sich und bestehende Allianzen zwischen kapitalistischen Staaten sind im Fluss. Gleichzeitig gibt es eine strukturelle ökonomische Krise und ein verstärktes Hauen und Stechen um Einflusssphären, Ressourcen und Profite. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für alle kapitalistischen Nationen, sich auf mehr Konflikte und Kriege militärisch vorzubereiten und aufzurüsten, um die eigenen Interessen durchsetzen zu können.

Bundeswehr

Merz, Klingbeil und Co. wollen eine deutlich größere und besser ausgestattete Armee, um in diesem mörderischen Wettlauf den Führungsanspruch des deutschen Kapitalismus in Europa militärisch zu untermauern. Nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Ostblock-Staaten bestand der Fokus der Bundeswehr darin, eine vergleichsweise kleinere und flexibel einsetzbare Interventionsarmee zu sein. Oft im Schlepptau der USA sollten westlich-kapitalistische Interessen in der Welt „polizeilich“ gesichert werden (so zum Beispiel in Afghanistan, Mali etc.). Zum anderen sollten nach neoliberaler Logik Staatsausgaben eingespart werden.

Neue Qualität der Aufrüstung

Diese Entwicklung wollen die Herrschenden umkehren. Seit 2014 steigt der Militärhaushalt wieder. Mit dem 100-Milliarden-Euro-Programm der Ampel-Regierung und nun der Ausnahme der Schuldenbremse für Militärausgaben hat die jetzige Aufrüstung eine neue Qualität. Eine besondere Rolle spielt dabei der Ukraine-Krieg und das sich verändernde Verhältnis zu den USA, die sich aus Europa militärisch zurückziehen wollen, um sich China zu widmen.

Um die Lücke zu füllen, braucht es aus Sicht der Herrschenden in Europa massive militärische Aufrüstung – und auch mehr potenzielles Kanonenfutter für die Kriege der Zukunft. Die Bundesregierung will einen neuen „Wehrdienst“ einführen, der eine verpflichtende Musterung vorsieht, aber zunächst auf „freiwillige“ Dienstleistende setzt. Im Gesetzesentwurf hat Verteidigungsminister Pistorius aber laut Berichten einen Mechanismus für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht verankert, wenn die Freiwilligen nicht „ausreichen“. So würde der Wehrdienst zur Vorbereitung der Wehrpflicht dienen.

Die militärischen Fähigkeiten, die die Bundeswehr damit zusätzlich bekommen soll, sind jene, mit denen auch größere Kriegseinsätze im Ausland unternommen werden können. Pistorius und Co. fordern „Kriegstüchtigkeit“. Sie betonen zwar, dass es ihnen nur um Landes- und Bündnisverteidigung ginge (denn imperialistisch sind immer nur die anderen). Aber wie man das in Zukunft interpretiert, ist eine andere Sache. Zuletzt gab es zum Beispiel Unterstützung der Bundesregierung für die sogenannten „Präventivschläge“ Israels sowie der USA gegen den Iran.

Ein angeblich baldiger Angriff Russlands auf die NATO in Europa dient zudem als Drohkulisse für noch mehr Aufrüstung. Ohne Putins imperialistische Ziele in Frage zu stellen, sollte man diese Behauptungen aber mit Skepsis betrachten. Auch ohne die USA ist die NATO Russland militärisch überlegen. Angesichts der Schwierigkeiten, die Russland in der Ukraine weiterhin hat, scheint es nicht plausibel, dass Putin in zwei, drei Jahren eine neue Front eröffnen kann.

Wehrpflicht ablehnen

Denjenigen, die Krankenhäuser schließen und den Acht-Stunden-Tag abschaffen wollen, geht es nicht um die Sicherheit der arbeitenden Bevölkerung. Linke und Gewerkschaften müssen die Militarisierung ablehnen und erklären, dass jeder Euro, der in die Bundeswehr fließt, für Krankenhäuser, Schulen, bezahlbare Wohnungen und Klimaschutz fehlt. Sie müssen den Kampf gegen Sozialabbau, Aufrüstung sowie alle Auslandseinsätze der Bundeswehr und für dringend nötige Investitionen im Sinne der Lohnabhängigen führen. Sie sollten in diesem Zusammenhang auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht ablehnen.

Marxist*innen haben traditionell argumentiert, dass eine kapitalistische Wehrpflichtigenarmee immer noch besser als eine kapitalistische Berufsarmee ist. Dem ging unter anderem die richtige Annahme voraus, dass eine Berufsarmee von der breiten, lohnabhängigen Bevölkerung isolierter und deshalb leichter vom Kapital für imperialistische Abenteuer oder gegen eine soziale Massenbewegung im Inland einzusetzen wäre. Um das zu erschweren, fordern Marxist*innen auch die Auflösung von (oft von Rechtsextremen durchsetzten) Spezialeinheiten und demokratische Rechte für Soldat*innen.

Doch in der aktuellen Situation würde eine Wehrpflicht der Arbeiter*innenbewegung mehr schaden als nützen. Sie würde es Merz und Co. ermöglichen, eine stärkere Armee aufzubauen, um deren kapitalistische Interessen besser zu verfolgen. Sie würde die Militarisierung der Gesellschaft vorantreiben, der auch Arbeiter*innenrechte zum Opfer fallen sollen. Sie würde zudem zehntausende Menschen einer Gesellschaft entziehen, die händeringend Pflegekräfte, Erzieher*innen oder Lokführer*innen ausbilden muss. Was wir brauchen ist nicht Aufrüstung, Wehrpflicht und Sozialabbau, sondern Abrüstung, sinnvolle Investitionen, Besteuerung der Super-Reichen und eine Wirtschaft nach gesellschaftlichem Bedarf statt Profit. Deshalb braucht es eine sozialistische Veränderung – hier und international!