Der Ausbruch von Massenprotesten in Nepal

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Was ist der Weg nach vorn?

Nepal hat sich nun der langen Liste von Entwicklungsländern angeschlossen, die gegen eine verrottete und korrupte herrschende Elite aufbegehren. Der unmittelbare Auslöser war die Entscheidung der Regierung, am Donnerstag, dem 4. September, 26 Social-Media-Plattformen zu verbieten. Am Montag, dem 8. September, hatten sich bereits Protestierende vor dem Parlamentsgebäude versammelt. Als Reaktion darauf eröffnete schwer bewaffnete Polizei das Feuer auf die Menge, tötete Dutzende und verletzte Tausende. Berichten zufolge wurden an diesem Tag und in den folgenden Tagen 72 Demonstrierende kaltblütig ermordet.

Von TU Senan, Internationales Sekretariat des CWI

Dieser brutale Versuch, die Bewegung zu zerschlagen, verstärkte sie nur noch. Am nächsten Tag, dem 9. September, strömten Zehntausende junger Demonstrierender, von den Medien als „Generation Z” bezeichnet, auf die Straßen der Hauptstadt Kathmandu, obwohl nicht ausschließlich diese Altersgruppe vertreten war.

In einer wütenden Gegenreaktion stürmten die Protestierenden das Parlamentsgebäude, setzten es in Brand und zündeten Luxusautos an. Sie durchbrachen Polizeibarrikaden und drangen in Regierungsbüros, die luxuriösen Residenzen von Minister*innen, die Häuser aller drei führenden Parteivorsitzenden – darunter auch die Residenz des Premierministers – und das Hauptquartier der Regierungskoalition vor. Viele Politiker*innen und Parlamentarier*innen tauchten unter, während der Premierminister selbst aus Sicherheitsgründen in eine Kaserne floh. Eines der wichtigsten rechten Medienhäuser, Kantipur Media House, wurde ebenfalls in Brand gesetzt.

Mit den zahlreichen Rücktritten und dem Zusammenbruch der Regierung entstand ein Machtvakuum. Während die Demonstrierenden ihren Sieg auf den Straßen feierten, schaltete sich die Armee als Vermittlerin ein. Am 11. September beriefen die Militärführer Gespräche im Hauptquartier der Armee ein, an denen Vertreter*innen der Protestbewegung und Überbleibsel des alten Regimes teilnahmen, um eine Übergangsregelung auszuarbeiten. Einige Tage später wurde die ehemalige Oberste Richterin Sushila Karki zur Interim-Premierministerin ernannt. Sie begann daraufhin mit der Ernennung von Minister*innen für die Bildung einer Übergangsregierung.

Grund für die Massenwut

Die Wutausbrüche waren das Ergebnis jahrzehntelanger Plünderungen und offener Korruption durch die herrschende Elite und ihre Kapitalist*innen-Verbündeten, während unzählige Arbeiter*innen und Jugendliche unter immer schlechteren wirtschaftlichen Bedingungen leiden mussten. Wie immer versuchten die bürgerlichen Medien und ihre „Think Tanks“, die Krise herunterzuspielen, indem sie sie auf das Missmanagement einiger weniger Machthaber*innen zurückführten und die Proteste als Ungeduld der Generation Z darstellten, die über ein Verbot sozialer Medien verärgert war.

Die eigentliche Ursache liegt bei der herrschenden Elite und ihren Kollaborateur*innen, die direkt für die sich verschlechternden Bedingungen verantwortlich sind, die die Wut der Massen angeheizt haben. Geopolitische Verschiebungen und die globale Wirtschaftskrise hatten bereits einige ausländische Investitionen versiegen lassen, was die Abhängigkeit von Überweisungen weiter erhöhte. Die meisten Jugendlichen suchen ihre Zukunft und Arbeitsplätze außerhalb des Landes, da keine nennenswerten Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen getätigt werden. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 20 Prozent. Der wirtschaftliche Abschwung hatte auch Auswirkungen auf den Dienstleistungssektor und die Agrarindustrie, von denen die nepalesische Wirtschaft stark abhängig ist. Naturkatastrophen im Zusammenhang mit der globalen Klimakrise führten zu weiteren Verwüstungen.

Während die Wirtschaft zusammenbrach, intensivierten die Eliten ihre Plünderungen und politischen Manöver, um ihre Macht zu sichern. Die sozialen Medien wurden zu einem Schlachtfeld, auf dem sich Geschichten über Korruption wie ein Lauffeuer verbreiteten – am berüchtigsten war der „Besuchervisum-Skandal”, in dem Regierungsbeamt*innen beschuldigt wurden, gefälschte Dokumente und Visa an westliche Länder gegen Bestechungsgelder verkauft zu haben. Selbst als durchgesickerte Audioaufnahmen in Umlauf kamen, versuchten die Koalitionsführer*innen, ernsthafte Ermittlungen zu verzögern oder zu vertuschen.

Die öffentliche Empörung wurde auch durch das Spektakel der „Nepo-Babys“ angeheizt – die Kinder und Verwandten von Spitzenpolitiker*innen, die ihren verschwenderischen Lebensstil und ihren außergewöhnlichen Reichtum online zur Schau stellten. Dies trug ebenfalls dazu bei, Protestwellen in Indonesien auszulösen. Das gleiche Phänomen gibt es in China unter den Nachkommen hochrangiger Beamt*innen, was weiterhin Wut unter jungen Menschen hervorruft, die ums Überleben kämpfen. Die gleiche Wut kommt nun auch auf den Straßen der Philippinen zum Ausdruck.

Aufrufe zu Massenprotesten gegen die Plünderung von Reichtum und natürlichen Ressourcen verbreiteten sich bereits in den sozialen Medien, als die Regierung ein umfassendes Verbot für 26 große Social-Media-Plattformen verhängte. Doch der Versuch, abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen und die Verbreitung der Wut der Jugend einzudämmen, schlug fehl. Entschlossene junge Menschen wechselten einfach zu alternativen Methoden, um auf Social-Media-Plattformen zuzugreifen, und mobilisierten sich in noch größerem Umfang.

Politische Manöver und die Geschichte des Verrats durch alle Parteien

Die nun noch weiter in Ungnade gefallene rechte Nepali Congress (NC) hat eine lange Geschichte des Verrats und der Korruption. Ihre Führer*innen unterhielten seit jeher Beziehungen zur Monarchie und zur korrupten Elite des Landes. Als 2006 eine revolutionäre Welle Nepal erfasste, verließen sich viele ihrer Führer*innen auf den Schutz der indischen Regierung.

Die Kommunistische Partei Nepals (Vereinigte Marxisten-Leninisten), allgemein bekannt als UML, ist eine ehemalige stalinistische Partei, die oft zwischen der Rechten und der Mitte schwankte (wie ihre Pendants in der Kommunistischen Partei Indiens (CPI) und der CPI(M)). Die UML hat auch eine lange Geschichte der Zusammenarbeit mit der NC bei deren Manövern um Macht und Korruption.

Die Massenbewegung und der Generalstreik von 2010 entzogen sowohl der NC als auch der UML vorübergehend die Macht. Zu dieser Zeit wurde die Bewegung von den Maoist*innen angeführt, allen voran von der Kommunistischen Partei Nepals (Maoist*innen). Mit den Massen auf ihrer Seite hatten die Maoist*innen das Potenzial, weitreichende sozialistische Politik umzusetzen. Aufgrund ihrer unzureichenden Führungsqualitäten gerieten sie jedoch in die Falle endloser Verhandlungen mit diskreditierten Vertreter*innen der Bourgeoisie. Unter Verwendung der falschen Methode der „Etappentheorie” luden die Maoist*innen die gestürzte NC und UML zu Machtteilungsabkommen ein – vermittelt durch die indische Regierung unter Beteiligung der CPI und CPI(M) in Indien.

Verschiedene Fraktionen der maoistischen Bewegung in Indien feierten die CPN(M) damals als die revolutionäre Führung der Welt. Die Maoist*innen selbst behaupteten, sie würden einen einzigartigen „nepalesischen Weg zum Marxismus” umsetzen – bekannt als Prachanda-Weg, benannt nach ihrem Führer Pushpa Kamal Dahal (Prachanda). (Siehe eine Kritik des CWI hier: Der Generalstreik und die permanente Revolution, engl. Artikel unter https://www.socialistworld.net/2010/06/29/nepal-the-great-general-strike-the-permanent-revolution/).

Anstatt die Revolution voranzutreiben, verstrickten sich die Maoist*innen in einen langwierigen Machtkampf um eine verfassungsgebende Versammlung, die Ausarbeitung einer Verfassung und endlose Kompromissrunden – Prozesse, die von der NC und der UML genutzt wurden, um ihre Machtbasis wiederherzustellen. Maoistische Guerillakämpfer*innen, die ihr Leben riskiert hatten, um die Monarchie zu beenden und für ein sozialistisches Nepal zu kämpfen, wurden angewiesen, sich in genau die Armee und Polizei zu integrieren, gegen die sie gekämpft hatten. Unterdessen räumte die maoistische Führung der Machtteilung mit rechten Parteien Vorrang ein und gab nach und nach eine Politik nach der anderen auf.

Dieser Verrat führte zu Spaltungen, Unzufriedenheit und Desillusionierung. Aus diesen Spaltungen ging die heutige Kommunistische Partei Nepals – Maoistisches Zentrum (CPN-MC) unter der Führung von Prachanda hervor. Tausende ehemalige maoistische Kämpfer*innen schlossen sich entweder den staatlichen Sicherheitskräften an oder kehrten in ihre Dörfer zurück, wo sie zu einem Leben in Armut verdammt waren. Heute ist das Maoistische Zentrum nicht mehr von der UML oder sogar der NC zu unterscheiden.

Nach Jahren des Stillstands erreichten die herrschenden Klassen ihr Ziel: eine bürgerliche Verfassung, die ihre Macht im Parlament festigte. Von den ersten Parlamentswahlen unter der neuen Verfassung im Jahr 2017 bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2022 konnte keine Partei eine Mehrheit erringen. Die Unterstützung für das Maoistische Zentrum nahm weiter ab.

Aus dieser schwachen Position heraus schlossen die Maoist*innen vor den Wahlen (2022) ein Bündnis mit der NC, das sie jedoch nach den Wahlergebnissen wieder auflösten und sich stattdessen mit der UML verbündeten, wodurch Prachanda Premierminister werden konnte. Dann, im Jahr 2024, verließ Prachanda die UML und kehrte zur NC zurück, um im Amt zu bleiben. Mitte 2024 schlossen die UML und die NC jedoch ein Abkommen gegen ihn, was dazu führte, dass Prachanda eine Vertrauensabstimmung verlor – und K.P. Sharma Oli, der Vorsitzende der UML, erneut Premierminister wurde.

In dieser Zeit kam es häufig zu Parteiaustritten, Umbesetzungen und opportunistischen Bündnissen, ohne Rücksicht auf Prinzipien. Auch die Maoist*innen erlebten wiederholte interne Spaltungen. Während dieser Jahre der Instabilität bereicherten sich alle politischen Führer durch Korruption und Plünderungen. Von kleinen regionalen Gruppierungen bis hin zu den drei großen Parteien waren sich alle einig darin, das Volk zu verraten, das sie angeblich vertreten wollten.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass wütende Demonstranten im Jahr 2025 nicht nur Regierungsgebäude angriffen, sondern auch alle Parteien ins Visier nahmen, einschließlich des Hauptquartiers der Maoistischen Partei, und öffentlich die rote Fahne auf den Straßen verbrannten.

Charakter der Bewegung – Richtungslos, Kopflos und die Zukunft

Obwohl mehrere NGOs, wie beispielsweise Hami Nepal (Wir sind Nepal), zu Massenaktionen aufgerufen hatten, war keine Organisation an der Initiierung oder Organisation der Proteste beteiligt. Als sich die aufgestaute Wut auf den Straßen entlud, versammelten sich spontan Zehntausende. Das Verbot sozialer Medien konnte die Verbreitung von Nachrichten nicht verhindern, da viele Jugendliche bereits begonnen hatten, verschiedene Gateways zu nutzen, um auf verschiedene Online-Plattformen zuzugreifen. Die Wut auf alle politischen Parteien und ihre Führer*innen sowie die Entschlossenheit der Jugendlichen, etwas dagegen zu unternehmen, waren von Anfang an offensichtlich. Es gibt jedoch keine Anzeichen dafür, dass versucht wurde, die Forderungen über den Slogan der Korruptionsbekämpfung hinaus zu koordinieren oder auszuweiten. Die Bewegung hielt auch nicht lange genug an, um eine Koordinierung zu ermöglichen, da die Regierung innerhalb weniger Tage zusammenbrach und das Militär die Formalität der „Einbeziehung der Bewegung” durchführte, indem es einige bekannte Persönlichkeiten zu Verhandlungen und zur Auswahl des Interimspremierministers einlud.

Die Auswahl von Sushila Karki wurde offenbar auf Discord, einer Gaming-Plattform, diskutiert und debattiert, die von einigen als „Gen Z-Parlament” bezeichnet wird. Die sogenannte „Discord-Premierministerin” nahm sich dann die Freiheit, Minister*innen zu ernennen. Bereits jetzt beschweren sich mehrere Jugendgruppen – darunter Hami Nepal – darüber, dass sie nicht konsultiert wurden, und versuchten sogar, einen Protest gegen Sushila Karki zu organisieren. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keinen kohärenten Ansatz oder Vorschlag, wie es weitergehen soll, wohin die Bewegung von hier aus gehen soll oder welche Rolle die Übergangsregierung spielen soll. Ein Teil von ihnen fördert Balendra Shah (bekannt als Balen), einen ehemaligen Rapper und Bürgermeister von Kathmandu, der als einziger unabhängiger Kandidat des Landes gewählt wurde und keine Verbindungen zu anderen politischen Parteien hatte. Andere sogenannte „Fachleute“ oder populäre Persönlichkeiten wie Balen haben keine klare Vorstellung davon, wie es weitergehen soll. Abgesehen von der Rhetorik der „Reformen” hat keiner von ihnen einen Plan vorgelegt, wie sie mit der sich verschlechternden Wirtschaftslage und den katastrophalen Bedingungen im ganzen Land umgehen wollen. Als Bürgermeister war Balen unter anderem dafür bekannt, im Rahmen seiner Politik der „Säuberung der Stadt” brutale Polizeigewalt gegen kleine Straßenverkäufer*innen einzusetzen.

Während frühere revolutionäre Aufstände als Teil der maoistischen bewaffneten Rebellion gegen die monarchistische Herrschaft aus den ländlichen Gebieten kamen, konzentrierte sich dieser Aufstand hauptsächlich auf die Hauptstadt und wurde von jungen Arbeiter*innen und kleinbürgerlichen Schichten angeführt. Obwohl mehrere Gewerkschaften ihre Unterstützung für den Protest bekundeten, blieben sie weitgehend außen vor. Viele stehen immer noch in Verbindung mit den regierenden politischen Parteien. Die Bewegung griff die früheren Kämpfe und Forderungen der Gewerkschaften nach Arbeitsplatzsicherheit, Lohnerhöhungen und besseren Bedingungen nicht auf. Es wurde kein Versuch unternommen, sich mit organisierten Arbeiter*innen zu verbünden. Obwohl es eine weit verbreitete Ablehnung gegenüber den Reichen und der Ausbeutung durch die Kapitalist*innen gibt, wurde kein Zusammenhang zu den Ursachen der Korruption hergestellt. Wie in vielen anderen klassenübergreifenden Bewegungen wurde die „Säuberung der Regierung“ und deren Ersetzung durch vermeintlich „gute Personen“ als Lösung präsentiert.

Angesichts des Chaos, das unter den Jugendlichen in den Diskussionen in den sozialen Medien herrscht, ist es zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich, dass aus der Bewegung eine kohärente Organisationsstruktur hervorgeht. Nur die Gebäude wurden niedergebrannt, aber der Staatsapparat bleibt intakt und wird nun vom Militär geschützt. Mehr als eine halbe Million Regierungsangestellte sollen Teil der etablierten Parteien sein. Alle drei etablierten Parteien haben auch eine Basis, die nicht vollständig erschüttert wurde. Verschiedene regionale korrupte Parteien behalten ihre Unterstützung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit und regionaler Spaltungen. Während sich die Bewegung von den Straßen zurück in die Häuser zurückzieht, beginnen diese Parteien wieder aufzutauchen. Sie werden auf ihre Chance warten. Die sogenannten „alten Hasen” unter den Führer*innen der NC oder UML haben dies in der Vergangenheit getan und werden bereit sein, es wieder zu tun. Es gibt bereits Forderungen nach der Wiedereinsetzung des aufgelösten Parlaments. Sie sprechen auch über Entschädigungen für beschädigtes Eigentum, was Millionen an Steuergeldern kosten wird.

Prachanda, der ehemalige maoistische Rebellenführer, der nun in Ungnade gefallen ist, kündigte an, dass sie anstelle des niedergebrannten Hauptquartiers ein noch größeres bauen werden. Während die Familien der von der Polizei getöteten Menschen nur 7.000 Dollar erhalten – offenbar das gesetzlich zulässige Maximum –, werden neue Gesetze vorbereitet, um die Kapitalist*innen für verlorene Eigentumsrechte zu entschädigen. Die neue Übergangsregierung erklärte, ihre Priorität sei es, Recht und Ordnung herzustellen und dann im März nächsten Jahres Wahlen abzuhalten. Alle Parteien werden diese Zeit nutzen, um sich wieder an die Macht zu manövrieren. Was wird das Ergebnis der sogenannten demokratischen Wahlen im März nächsten Jahres sein? Eine weitere Koalitionsregierung, eine langwierige Debatte im Parlament – vielleicht jetzt darüber, wie man die Korruption am besten eindämmen kann? Wer wird bei diesen Wahlen die Bewegung, die Jugend, die Arbeiter*innen und alle unterdrückten Schichten des Landes vertreten?

Die Proteste der Jugend haben jedoch allen etablierten Parteien Angst eingejagt. Keine noch so umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen, einschließlich Massakern, konnten die überwältigende Welle der Wut aufhalten. Dies mag aus Angst vor weiteren Ausbrüchen zu bestimmten Kompromissen zwingen, stellt aber immer noch keine existenzielle Bedrohung für das Establishment dar. Solange keine Strategie entwickelt wird, um alle Kämpfenden auf der Grundlage eines klaren Programms zu vereinen und auf dieser Basis Organisationszellen im ganzen Land aufzubauen, kann keine echte Herausforderung für das verfaulte System entstehen. Wenn wir die Korruption und alle Übel, die im kapitalistischen System verwurzelt sind, beenden und eine Politik umsetzen wollen, die die gewinnorientierte Wirtschaft umkehrt und beginnt, die Ressourcen zum Wohle aller zu nutzen, muss die Bewegung ein revolutionäres sozialistisches Programm verabschieden und für eine Regierung unter Führung der Arbeiter*innenklasse kämpfen, die alle Jugendlichen, Armen und Unterdrückten zusammenbringt und ein solches Programm umsetzt.

Ist der Volksaufstand auch ein Zeichen für das Ende der sogenannten Linken in Nepal?

Noch vor einem Jahrzehnt herrschte in Nepal eine revolutionäre Situation, die nicht nur das Ende der Monarchie und der Ausbeutung, sondern auch das Ende der Macht der Kapitalist*innen bedeutete. Natürlich stand ein Land, das zwischen zwei großen Regionalmächten, China und Indien, eingeklemmt war und nur über eine begrenzte industrielle Entwicklung verfügte, vor enormen Herausforderungen, um voranzukommen. Es waren jedoch nicht nur diese Komplikationen, die die Bewegung damals zurückhielten, sondern auch die ideologische Schwäche ihrer Führung. Im Wesentlichen führte ihre Unfähigkeit, sich von der Etappentheorie zu lösen und vollständig mit dem Kapitalismus zu brechen, zum Beginn des Verrats am Maoismus.

Es ist wichtig zu beachten, dass es nicht nur das Scheitern der nepalesischen Variante – des Prachanda-Pfades – war, sondern der maoistischen Idee im Allgemeinen, wie sich die Revolution entwickeln würde. Maoist*innen aller Varianten in Indien, zusammen mit ihren intellektuellen Verbündeten und internationalen Sympathisant*innen, lobten damals die nepalesischen Maoist*innen, da sie dieselbe ideologische Bankrotterklärung der Zusammenarbeit mit den Kapitalist*innen als vermeintliche erste Stufe zur Errichtung einer demokratischen kapitalistischen Republik auf dem Weg zur sozialistischen Revolution teilten. Dies ermöglichte es den Kapitalist*innen, sich neu zu formieren und Plünderung und Korruption wieder einzuführen. (Siehe: Nepal: Das Rad der Geschichte zurückdrehen, engl. Artikel unter https://www.socialistworld.net/2014/04/01/nepal-turning-back-the-wheel-of-history/).

Die Diskreditierung maoistischer Führer*innen wie Baburam Bhattarai und Pushpa Kamal Dahal (Prachanda) begann damals, zunächst unter ihren eigenen Parteimitgliedern und Kadern. Ihre Zusammenarbeit mit den Kapitalist*innen untergrub die Unterstützung unter den Arbeiter*innen und der heranwachsenden Generation weiter. Diejenigen, die vor oder während der Revolutionsperiode in Nepal geboren wurden und unter der sogenannten „demokratischen Regierung” lebten, erlebten nur langwierige politische Manöver und sich verschlechternde Bedingungen. Die Generation, die sich dem bewaffneten Kampf für ein neues Nepal angeschlossen hatte, sah ihren Geist und ihre revolutionäre Kraft schwinden – ersetzt durch Desillusionierung und Verzweiflung.

Der Verrat und die letztendliche Niederlage der Maoist*innen trugen ebenfalls zu den ideologischen Verwirrungen bei, die sich in den aktuellen Volksaufständen widerspiegeln. Die Bewegung war weder eine entschlossene Offensive gegen Neoliberalismus oder Kapitalismus, noch ein Ausdruck von Illusionen in die Leistungsfähigkeit des Kapitalismus.

In Nepal kam es durch die Erfahrung des Verrats der Maoist*innen zu einer Diskreditierung des Sozialismus, aber ein allgemeiner Zustand der Verwirrung ist nicht einzigartig für die Massenbewegung in Nepal. Keine Massenbewegung ist jemals rein, besonders nicht am Anfang. Vom Sudan bis Sri Lanka gab es ideologische Verwirrungen, einen klassenübergreifenden Charakter, einen Mangel an Führung und die Unfähigkeit, Strategien für die nächste Phase des Kampfes vorzulegen. Gleichzeitig hat sich in all diesen Bewegungen die Erfahrung dessen, was sie als „Volksmacht” bezeichnen, zweifellos als mächtige Kraft für Veränderungen etabliert. Sie hat vielen korrupten Regierungen und herrschenden Klassen in der Region und darüber hinaus Angst eingeflößt. Diesen Bewegungen ist auch die Entschlossenheit eigen, die Regime, gegen die sie sich richten, zu stürzen. Gewalttätige Ausbrüche – obwohl oft „kleinen gewalttätigen Elementen” angelastet – sind in gewisser Weise ein Spiegelbild dieser Entschlossenheit. Oftmals waren die gewalttätigen Ausbrüche Reaktionen auf die konterrevolutionäre Gewalt der Regime.

Diese Stärke hat es bisher ermöglicht, das unmittelbare Ziel der Beendigung der Herrschaft korrupter Eliten zu erreichen. Es handelt sich jedoch um einen vorübergehenden Gewinn, da Strategien und Perspektiven für die Fortsetzung der Massenmacht noch nicht entwickelt wurden. Die vorübergehenden Vereinbarungen, die auf diese Bewegungen folgten, gaben vor, auf die Straße zu hören, höhlten sie jedoch aus und verhinderten eine weitere Eskalation mit Gewalt. Wie die Übergangsregierung in Sri Lanka spricht auch die Übergangsregierung unter Sushila Karki von der Herstellung von Recht und Ordnung und verspricht Gerechtigkeit. Doch sie ist eine Verfechterin der kapitalistischen Wirtschaft, und ihre Ansichten unterscheiden sich nicht von denen der in Ungnade gefallenen Führer*innen. Ihre Handlungen im Namen der Bewegung werden nur dazu beitragen, diese zu spalten und zum Schweigen zu bringen, was der herrschenden Elite ausreichend Zeit gibt, ihre Herrschaft wiederherzustellen, wenn auch mit neuen Mitteln.

Dieses Vakuum wird auch von populistischen Kräften ausgenutzt, die vorgeben, gegen Korruption zu sein, aber entweder eine bonapartistische Rolle spielen – indem sie zwischen der Wut der Massen und dem Schutz kapitalistischer Profite balancieren – oder den Weg für die Rückkehr des alten Regimes ebnen. Reaktionäre Kräfte wie die Rastriya Prajatantra Party, eine hindu-nationalistische und monarchistische Partei, wittern in dieser Zeit ihre Chance. Sie erhalten auch Unterstützung von ihren Pendants in Indien, die sich hinter das Modi-Regime stellen. Auch ein Teil der Superreichen unterstützt ihre Ansichten, obwohl sie nicht direkt beteiligt sind.

Wenn die Bewegung ihre Macht behalten und den Teufelskreis aus Korruption, Plünderung und Ausbeutung durchbrechen will, muss sie entschlossene Schritte unternehmen, um die Macht zu ergreifen. Gewalttätige Ausbrüche schüren Angst unter den Eliten und bringen vorübergehende Erfolge, indem sie diese in die Flucht schlagen, aber sie führen nicht zu dauerhaften Ergebnissen. Stattdessen können sie kontraproduktiv sein, insbesondere ohne die Unterstützung organisierter Kräfte in der Gesellschaft. Solche Gewalt wird oft von Regimes genutzt, um die Unterdrückung zu verstärken, was entweder zum Schweigen der Bewegung oder zu Situationen wie in Myanmar führt, wo die Opposition in einen tödlichen, langwierigen Kampf verwickelt ist.

Daher sollte die Strategie der Vereinigung aller Jugendlichen, Aktivist*innen und Arbeiter*in, die sich an der Bewegung beteiligen, vorangetrieben werden. Die Forderungen nach der Schaffung einer gemeinsamen Kampfplattform, die am Tag der Massenbewegung in Nepal aufkamen, wurden von einigen selbsternannten „Führer*innen” fälschlicherweise abgelehnt. Stattdessen sollten demokratische Koordinierungsgremien der Bewegung an Arbeitsplätzen, in Städten und Regionen eingerichtet werden. Kein Regime und kein*e Vertreter*in des Kapitalismus wird ohne die Unterstützung oder Zustimmung der Arbeiter*innenklasse seine Herrschaft fortsetzen können. Es sollte dazu aufgerufen werden, verschiedene Teile der Gesellschaft zu vereinen – Arbeiter*innen, Bäuer*innen, Jugendliche und alle unterdrückten Schichten. Sie müssen nicht nur mit den verkommenen Parteien brechen, sondern auch mit der kapitalistischen Politik. Um dies zu erreichen, bedarf es jedoch einer revolutionären Kraft, die sowohl über ein klares Programm verfügt als auch in der Lage ist, konkrete Schritte zum Aufbau einer Bewegung vorzuschlagen, die den notwendigen revolutionären Wandel umsetzen kann.

Es gibt keine Lösung auf der Grundlage des Kapitalismus. Wie wir in Sri Lanka und Bangladesch sehen, können kleine Volkswirtschaften Angriffe auf die Lebensbedingungen vorübergehend verzögern und einige populistische Maßnahmen umsetzen, aber die Angriffe werden zurückkehren, da es in dieser Krisenzeit keine Aussicht auf kapitalistisches Wachstum gibt. Die Schaffung demokratischer Institutionen, die auf der Beteiligung der Arbeiter*innen beruhen und es ermöglichen, dass die echte Macht bei denen liegt, die die Gesellschaft produzieren und erhalten, ist unerlässlich. Die Errichtung einer von Arbeiter*innen geführten Regierung ist der gangbarste Weg zu echter Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Gleichheit – um den Teufelskreis aus Krise und Unterdrückung zu beenden und ein Beispiel für Arbeiter*innen und Jugendliche in anderen Ländern zu setzen.