Aber kein Ende der Polarisierung
Die immigrant*innenfeindliche, islamophobe und rechtsextreme Partei von Geert Wilders, die Partei für die Freiheit (PVV), erlitt bei den niederländischen Parlamentswahlen am 29. Oktober einen schweren Rückschlag und fiel von 37 auf 26 Sitze zurück. Die linken Parteien versäumten es völlig, eine kämpferische Alternative zur kapitalistischen Politik zu bieten.
Von Ton Hesp, Eris Walma und Egbert Schellenberg, CWI Niederlande
Die sogenannten „progressiven Liberalen“ der Demokraten 66 (D66) erholten sich von 9 auf rekordverdächtige 26 Sitze und erhielten damit etwas mehr Stimmen als Wilders. Die D66 warb mit einem „Yes we can“-ähnlichen Positivismus, rückte aber in Fragen wie Patriotismus und Migration ebenfalls nach rechts.
Die Ergebnisse bedeuten keine Rückkehr zu politischer und sozialer Stabilität. Im Gegenteil: Welche Koalition auch immer gebildet wird, sie wird die Anti-Migrationspolitik fortsetzen, die Polarisierung weiter vorantreiben und Kürzungen zur Finanzierung der Militarisierung durchführen.
Koalition mit der extremen Rechten zerbrach
Neuwahlen wurden notwendig, als Wilders mit der rechten Koalition brach, die er 2024 nach seinem großen Wahlsieg 2023 mitbegründet hatte. Diese Koalition mit der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), dem Neuling New Social Contract (NSC) und der aus der Landwirtschaft hervorgegangenen Protestpartei BoerBurgerBeweging (BBB) oder Bauernbewegung, erreichte aufgrund von Chaos und internen Machtkämpfen, die von Wilders selbst angeheizt wurden, nie viel und war für ihre Inkompetenz bekannt. Der Grund, warum Wilders jedoch den Stecker zog und noch repressivere Anti-Migrationsmaßnahmen forderte, obwohl sein eigener Minister dafür verantwortlich war, war, dass er hoffte, seine sinkenden Umfragewerte wieder zu verbessern. Dies schien zunächst zu funktionieren, schlug jedoch in den letzten Wochen des Wahlkampfs und am Wahltag fehl.
Die extreme Rechte vergiftet ihre Partner*innen
Die VVD, seit Jahren die wichtigste kapitalistische Partei und verantwortlich dafür, dass Wilders nach seinem Ausschluss im Jahr 2012 wieder in die Koalition aufgenommen wurde, musste zum ersten Mal seit Jahren die zweite Geige hinter Wilders spielen. Sie und die neu gegründete „Partei der anständigen Regierung” NSC sowie die BBB unterstützten Wilders’ fanatische und oft verfassungswidrige Anti-Migrationsforderungen. Nachdem die Koalition zerbrochen war, entging die VVD knapp der von den Umfragen vorhergesagten Katastrophe und verlor nur zwei Sitze (von 24 auf 22). Die BBB hingegen fiel von sieben auf vier Sitze zurück. Am spektakulärsten war jedoch, dass sich die NSC als Eintagsfliege erwies und vollständig verschwand, indem sie alle ihre 20 Sitze auf einen Schlag verlor.
Diese Entwicklungen zeigen die inhärente Instabilität politischer Formationen, die sich auf ein kapitalistisches System in der Krise stützen. Sie zeigen aber auch, dass es für weniger radikale Parteien gefährlich ist, mit der extremen Rechten zu kooperieren.
Die „Linke“ bietet keine Alternative
Die (Mitte-)Links Parteien erzielten mit insgesamt 30 Sitzen ein Rekordtief, was zeigt, dass die meisten Arbeiter*innen und Jugendlichen zu Recht nicht das Gefühl haben, dass eine dieser Parteien für ihre Interessen kämpft. Zu diesen 30 Sitzen gehören auch die mageren 20 Sitze der fusionierten Grünen Linken (GroenLinks) und der Arbeiter*innenpartei (PvdA), die 5 Sitze verloren haben – ein Ergebnis, das ihren Vorsitzenden zum Rücktritt veranlasste. Ihr Programm enthielt nur sehr wenige konkrete Forderungen, mit denen sich die Arbeiter*innenklasse identifizieren konnte, und versprach im Grunde genommen, dass ein besser funktionierender Kapitalismus unter einer Koalition der politischen „Mitte“ zu einer gerechteren Gesellschaft führen würde. Es ist kein Zufall, dass die D66, die etwas weiter rechts steht als GL-PvdA, aber einen jüngeren und dynamischeren Vorsitzenden hat und mehr oder weniger dasselbe verspricht, 20 Prozent ihres Ergebnisses von ehemaligen GL-PvdA-Wähler*innen erhielt.
Wird „Yes we can“ eine Koalition bilden?
Die 26 Sitze der D66 sind nicht wesentlich mehr als die 24 Sitze, die sie bei den Wahlen 1994 und 2021 gewonnen haben. Neu ist jedoch ihr Vorsprung unter den Parteien, der es ihrem Vorsitzenden Rob Jetten ermöglicht, als Erster zu versuchen, eine Koalition zu bilden. Für eine Mehrheit benötigt er mindestens vier Parteien. Da Wilders vorerst von den großen Parteien ausgeschlossen wurde, benötigt Jetten für die Bildung einer offen rechtsgerichteten Koalition die Unterstützung von mindestens vier weiteren Parteien. Diese letzte Option ist nicht ausgeschlossen, würde die D66 jedoch zu einem Gefangenen ihrer eher rechtsgerichteten Partner machen. Zweitens, und was noch wichtiger ist, wäre ihre Mehrheit immer noch gering, was die Koalition anfällig für ihre rechtesten, aber kleinsten Mitglieder machen würde.
Stabile Regierung?
Der Arbeitgeber*innenverband VNO NCW beklagte nach dem Sturz der letzten Regierung, dass man zwar mit den Grundzügen ihrer Politik einverstanden gewesen sei, aber die Instabilität gestört habe. Die Arbeitgeber*innen wollen eine stabile Regierung. Das ist auch der Wunsch der wichtigsten sogenannten Zentrumsparteien D66, CDA, GL-PvdA und VVD. Obwohl die Letzteren behaupteten, sie verabscheuten die Idee einer Partnerschaft mit GL-PvdA, wird Jetten zunächst versuchen, eine Koalition dieser vier Parteien zu bilden, die wahrscheinlich eine Mehrheit haben würde.
Regierung der Kürzungen und Krisen erwartet
Welche Koalition auch immer gebildet wird, sie wird alles andere als stabil sein. Keine Partei war so ungeschickt, mit den geplanten Kürzungen Wahlkampf zu machen, aber die Zahlen hinter ihrem Programm lassen ernsthafte Sparmaßnahmen erwarten. Es wird Kürzungen im öffentlichen Sektor, im Gesundheitswesen, bei der Arbeitslosen- und Invaliditätsversicherung sowie im Bildungswesen geben. Alle Kürzungen erfolgen vor dem Hintergrund einer weiterhin wachsenden Wirtschaft, eines geringen Haushaltsdefizits und einer relativ geringen Staatsverschuldung. Das Geld wird jedoch für die Militarisierung benötigt, die Dutzende Milliarden Euro kosten wird. Wenn, oder besser gesagt, sobald eine Rezession einsetzt, werden die Sparmaßnahmen noch viel dramatischer ausfallen.
Die niederländischen Arbeiter*innen werden die bevorstehenden Angriffe nicht einfach hinnehmen. In der letzten Zeit gab es erfolgreiche Streiks für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, sowohl in traditionellen Branchen wie Eisenbahn, Hafen und Flughafen als auch in neuen Branchen wie Apotheken. Weitere Streiks werden folgen. Die Gewerkschaften im Hochschulbereich haben bereits für den 9. Dezember einen eintägigen Streik gegen Kürzungen angekündigt.
Zunehmende Polarisierung
Außerdem wird sich die nächste Koalition mit der Feindseligkeit gegenüber Migrant*innen auseinandersetzen müssen. Nachdem sie sich darauf eingelassen haben, Migrant*innen zum Sündenbock für die Missstände des kapitalistischen Systems zu machen, stellen diese Parteien nun fest, dass es einfacher ist, auf den Tiger des Rassismus zu steigen, als wieder abzusteigen. Obwohl die Verluste der PVV von Wilders in der Presse als Sieg für Positivismus und vernünftige Politik gefeiert werden, bedeuten sie nicht, dass der Trend zur weiteren Polarisierung gestoppt wurde. Im Gegenteil.
Einerseits befürworten nun fast alle Parteien auf die eine oder andere Weise offen eine Anti-Migrationspolitik und schließen sich damit der PVV an, die Migrant*innen für viele, wenn nicht sogar alle sozialen Missstände wie die Wohnungskrise zum Sündenbock macht. Selbst die GL-PvdA und die SP sind sich einig, dass die Migration eingedämmt werden muss.
Andererseits war Wilders’ Verlust der Gewinn der beiden anderen rechtsextremen Parteien JA21 und FvD, sodass diese drei Parteien insgesamt von 41 auf 42 Sitze gekommen sind. Die radikalere dieser beiden Parteien ist die FvD, die von 4 auf 7 Sitze gewachsen ist, 60.000 Mitglieder hat, eine aktive Jugendorganisation mit Sommercamps unterhält und halb-faschistische Tendenzen aufweist.
Gewalttätige Proteste gegen geplante Asylzentren
Während des Wahlkampfs kam es bereits zu einer Zunahme oft gewalttätiger Proteste gegen Pläne zum Bau neuer oder zur Erweiterung bestehender Asylzentren in einer Reihe von Städten, die von rechtsextremen und faschistischen Gruppierungen unterwandert oder angezettelt wurden. Eine Demonstration gegen Migration in Den Haag artete in gewalttätige Ausschreitungen von über tausend Rechtsextremen aus, die „Sieg Heil” riefen, rechte Fahnen schwenkten und unter anderem die Büros der Partei D66 angriffen. Zweifellos führte dies bei einigen Wähler*innen zu Sympathien für die D66. Bemerkenswert und skandalös ist, dass Politiker*innen der rechtsliberalen VVD und anderer „anständiger” rechter Parteien sich weigerten, diese Gewalt als rechtsextrem zu bezeichnen, sondern stattdessen von Rowdytum und Ähnlichem sprachen.
Die Arbeiter*innenklasse ist entrechtet – eine Alternative ist notwendig!
Die traditionelle Massenpartei der Arbeiter*innenklasse, die PvdA, die nun mit der Grünen Linken fusioniert ist, steht seit den 90er Jahren offen auf der Seite des Kapitalismus und beteiligt sich an oder führt Regierungen, die Kürzungen und Privatisierungen vorantreiben. Der ausschließliche Fokus der SP auf Wahlergebnisse und den Beitritt zu kapitalistischen Koalitionen hat zu ihrem anhaltenden Niedergang geführt. Das daraus resultierende massive Vakuum auf der linken Seite hat die Türen für eine immer stärkere Polarisierung geöffnet. Die niederländische Arbeiter*innenklasse wurde politisch entrechtet.
Doch obwohl sie auf der politischen Bühne an den Rand gedrängt wurde, wird die Arbeiter*innenklasse angesichts der Sparpolitik nicht still bleiben – die jüngste Zunahme der Streiks in Umfang und Häufigkeit zeigt, dass die Arbeiter*innen zwar in keiner Partei eine politische Heimat finden, aber bereit sind, für sich selbst zu kämpfen. Auch wenn die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder insgesamt weiterhin leicht rückläufig ist, gab es in den letzten zwei Jahren einen deutlichen Anstieg von 50 Prozent bei den Neumitgliedern unter jüngeren Beschäftigten und Frauen.
Es muss eine neue kämpferische Massenpartei der Arbeiter*innenklasse aufgebaut werden, die den lohnabhängigen Menschen eine echte Alternative bieten kann und auf der breiteren Arbeiter*innebewegung basiert.
In einem kommenden Artikel werden wir das Versagen des niederländischen Kapitalismus und eine genauere Analyse der daraus resultierenden sozioökonomischen Probleme diskutieren. Wir werden uns auch mit der Notwendigkeit kämpferischer Gewerkschaften, einer kämpferischen Massenpartei der Arbeiter*innen und eines sozialistischen Programms befassen.