Frankreich: Coronavirus Covid 19 zeigt die Krise des Kapitalismus

Foto: Remi Jouan / CC BY (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)

Stellungnahme der Gauche Révolutionnaire (Schwesterorganisation der Sol in Frankreich)

“Wir sind im Krieg!” erklärte Präsident Emmanuel Macron in seiner Rede an die Nation am Montagabend, dem 16. März. Das war ein Tag nachdem nur ein Drittel der Wähler*innen seiner Partei En Marche ihre Stimme bei den Kommunalwahlen gaben.

Macron kündigte ein Rettungspaket von 45 Milliarden Euro an, dessen Einzelheiten am nächsten Tag von Finanzminister Bruno Le Maire erläutert wurden. Der Präsident verhängte außerdem starke Bewegungseinschränkungen, die von Soldaten auf den Straßen kontrolliert werden und sagte “weiterer Maßnahmen” zu, mit bis zu 300 Milliarden Euro an Bankkrediten für seine Geschäftsfreunde sowie Rettungsaktionen oder sogar die Verstaatlichung der betroffenen Industrien.

Wir veröffentlichen hier die Stellungnahme unserer französischen Schwesterorganisation Gauche Révolutionnaire vom 17. März:

Die “Covid-19”-Pandemie, die Anfang Dezember 2019 in der Stadt Wuhan in Zentralchina begann, hat Regierungen, Finanzmärkte und den gesamten Kapitalismus in eine riesige Panik versetzt.

Heute am 17.03. sind weltweit 167.000 Menschen infiziert, und mehr als 6.500 Menschen sind gestorben. In Frankreich gibt es mehr als 6600 nachgewiesene Fälle, darunter 300 schwere Fälle auf Intensivstationen, und 148 Todesfälle. Nach vielen medizinischen und wissenschaftlichen Quellen werden diese Zahlen weitgehend unterschätzt, da nicht genügend Tests flächendeckend durchgeführt werden. Herausstechend ist die sehr schnelle Ausbreitung der Krankheit. Das fehlende Screening hindert uns daran, vorausschauend zu handeln, und zwingt uns, auf mathematische Modelle zurückzugreifen, die gezwungen sind, die schlimmsten Szenarien zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die Infektion der Hälfte der Bevölkerung in Frankreich.

Beunruhigend ist nicht so sehr das Virus, sondern das Chaos, das es verursacht. Bei diesem Virus handelt es sich sicherlich nicht um eine einfache Grippe, aber es ist ein kaum tödlicher Virus. Während des SARS-Ausbruchs im Jahr 2003 starben zehn Prozent der Infizierten. Bei diesem neuen Coronavirus liegt die klinische Schätzung bei ein bis zwei Prozent. Wenn eine Epidemie ernsthaft angegangen werden soll, muss es möglich sein, sie ebenfalls mit Ruhe anzugehen, ohne Panik und Chaos zu erzeugen, wie es einige Medien in der Vergangenheit getan haben (was die Situation verschlimmern kann). Die Unfähigkeit der Staaten, eine solche Epidemie ruhig und effektiv zu bewältigen, erinnert an Hitzewellen oder Naturkatastrophen. Im Gegensatz zu einem Taifun oder Tsunami war die Covid-Epidemie19 jedoch vorhersehbar. Nach der SARS-Epidemie hatte die Wissenschaft auf die Notwendigkeit hingewiesen, mehr über diese Viren zu wissen, um künftige Epidemien vorhersehen zu können. Doch die meisten öffentlichen Grundlagenforschungsprojekte zu diesen Themen verloren ihre Finanzierung … weil sie nicht sofort profitabel waren.

Es ist nicht nur eine Krise des Gesundheitssystems, sondern eine Krise eines politischen und wirtschaftlichen Systems, bei der wir sehen, dass die kapitalistische Organisation der Gesellschaft es unmöglich macht, kohärent vorherzusehen und zu reagieren.

Schlechte Planung?

Seit mehr als einem Jahr kämpft das Krankenhauspersonal um mehr Ressourcen, Einstellungen, ein Ende der Leistungskürzungen usw. Die Rettungsdienste haben gesagt, dass mit dem jetzigen Zustand des Gesundheitssystems eine Katastrophe nicht zu bewältigen ist, da die Notaufnahmen oft schon voll sind. Die französischen Krankenhäuser haben in sechs Jahren fast 18.000 Betten bzw. 5,3 Prozent abgebaut. Wenn der Höhepunkt erreicht ist, wird es nicht mehr genügend Betten geben (dies ist derzeit in Italien der Fall, und in Frankreich gibt es nur 5000 Intensivbetten). Selbst wenn die Isolation der Bevölkerung jetzt die einzige Methode zur Verlangsamung des Virus ist, so ist sie doch eine unzureichende Reaktion.

Wir sind mit all den Absurditäten des Kapitalismus konfrontiert: Die Produktionsmittel sind außergewöhnlich entwickelt, aber da nur der Profit zählt, fehlt es an Masken, Medikamenten und natürlich an Krankenhauspersonal.

Krise der öffentlichen Dienste und die Folgen

Macron hat die Politik früherer Regierungen noch verstärkt. Die ersten Empfehlungen spiegelten hauptsächlich den Mangel an personellen und technischen Ressourcen in den Städten wider. In Ermangelung von Medikamenten bestand die wichtigste Maßnahme darin, den Kontakt zwischen den Menschen einzuschränken und in großem Umfang drastische Hygienemaßnahmen zu ergreifen. Mit dieser Krise begannen die Desinfektionen auf den Straßen, in den Bussen, U-Bahn-Linien, Bahnhöfen, Stadien… aber die Mittel der lokalen Behörden waren so gering, dass es sich schnell als unmöglich erwies, sie langfristig zu erhalten. Und sie weigerten sich von Anfang an, sanitäre Maßnahmen zu ergreifen, die den desolaten Zustand des öffentlichen Dienstes aufgezeigt hätten.

Die Verzögerung war auch auf die Angst vor den Auswirkungen auf das Wachstum und den Gewinn der für Macron so wichtigen Kapitalisten zurückzuführen, wenn die Wirtschaft gestoppt würde. Und wie immer haben sie durch die Rücknahme von Entscheidungen eine noch ernstere Krise herbeigeführt. Das CAC 40 (französischer Aktienindex wie der DAX) verlor in nur wenigen Wochen mehr als dreißig Prozent. Vielleicht stehen wir bereits am Rande einer großen Börsen- und Wirtschaftskrise, und die Kapitalisten haben keine Mittel mehr dagegen zu steuern, da die Zentralbanken bereits sehr niedrige Zinssätze vergeben, sogar negative für die Europäische Zentralbank.

In seiner Rede vom 16. März versicherte Macron erneut “nationale Solidarität” und dass niemand zurückbleiben würde… aber fügte hinzu, dass “der Staat dafür bezahlen wird”. Mit anderen Worten: es werden immer noch die Arbeiterinnen und Arbeiter sein, die durch ihre Steuern und Beiträge zahlen werden, denn natürlich wird kein multinationales Unternehmen gezwungen sein, in die Tasche zu greifen, obwohl sie jedes Jahr zig Milliarden Euro Gewinn machen (weitere achtzig Milliarden Euro im Jahr 2019). Im Gegenteil, Macron hat am Montag angekündigt, dass sie von weiteren Senkungen der Sozialversicherungsbeiträge profitieren werden!

Wir haben kein Vertrauen in die Politik von Macron in dieser Krise. Sie kündigen an, dass sie “Reformen” (Renten, Arbeitslosenversicherung usw.) aussetzen, aber nicht zurückziehen. Sie führen Fernkurse im Bildungs- und Hochschulbereich ein. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Art von Maßnahmen, die den Abbau vieler Lehrerstellen ermöglichen, fortgesetzt werden.

Die Krise des Kapitalismus

Bereits jetzt haben Hunderte von Unternehmen, die angesichts der Krise fast in Konkurs gegangen sind, die Regierungen um die Freigabe von Mitteln gebeten, um sie in diesen “schwierigen Zeiten” zu unterstützen. Es sollten die Kapitalisten, Aktionäre und Bänker für ihre Wirtschafts- und Gesundheitskrise zahlen!

Die ersten, die vor der Gefahr gewarnt haben, waren die Arbeitnehmer*innen und ihre Gewerkschaften, die trotz des Drucks der Arbeitgeber von ihrem Recht Gebrauch machten, zu Hause zu bleiben. Kein Arbeiter oder Arbeiterin sollte sich in Gefahr fühlen. Wir trauen Macrons Rhetorik nicht. Als die Hitzewelle 2003 fast 15.000 ältere Menschen umbrachte, war die Regierung in den Sommerferien. Ihre erste Aktion danach bestand darin, einen Feiertag abzuschaffen, um einen Beitrag zur nationalen Solidarität zu leisten.

Diese Krise wirft grundlegende Fragen auf. Wer sollte über die Gesellschaft bestimmen? Nur die Arbeiter*innen und Gewerkschaften können diese Frage ernsthaft beantworten.

Die Gewerkschaften müssen sich um die Krise kümmern, die Arbeiter*innen über ihre Rechte informieren und sie in die Lage versetzen, sich gegenüber den Unternehmer*innen und widersprüchlichen Anweisungen kollektiv zu organisieren. Die Bewältigung dieser Krise darf nicht den Arbeitgeber*innen und Politiker*innen überlassen werden, die auf lange Sicht nur die Interessen der Kapitalistenklasse verteidigen.

Alle Arbeiter*innen müssen in der Lage sein, für ihre Gesundheit und die ihrer Angehörigen zu sorgen und dürfen nicht durch diese Epidemie bestraft werden. Aber über die Eindämmung hinaus müssen wir uns organisieren und darauf vorbereiten, zu mobilisieren, um nicht für eine Politik zu bezahlen, die die öffentlichen Dienstleistungen zerstört und das Gesundheitswesen in einen profitablen Markt für multinationale Unternehmen verwandelt hat.

Es bedarf einer politischen Kraft, einer neuen Kampf- und Massenpartei, die sich gegen Regierungen wie die von Macron stellt und eine Politik verteidigt, die den Arbeiter*innen und der Mehrheit der Bevölkerung dient. Nur eine Gesellschaft, die frei von der Diktatur des Profits ist, eine Gesellschaft, in der die Wirtschaft in öffentlichem Besitz ist, die demokratisch von den Arbeiter*innen und der Bevölkerung kontrolliert und verwaltet wird, wird es ermöglichen, die Ressourcen entsprechend den Bedürfnissen und nicht nach den Profiten einiger weniger zu verteilen. Die Coronavirus-Krise zeigt sehr deutlich die dringende Notwendigkeit, für den Sozialismus zu kämpfen!

  • Volle Kostenübernahme für infizierte Mitarbeiter*innen und Behandlung als Arbeitsunfall, Systematische Reihenuntersuchungen in Betrieben. Hundertprozentige Entschädigung im Falle von Teilarbeitslosigkeit.
  • Kein*e Arbeiter*in, Handwerker*in oder Kleingewerbetreibende*r sollte durch diese Krise den Arbeitsplatz oder Einkommen verlieren. Jedem kleinen oder mittleren Unternehmen in Schwierigkeiten muss geholfen werden, indem man an die Profite der großen Unternehmen geht. Öffnung der Geschäftsbücher, damit die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften kontrollieren können, wo das Geld ist und wohin es geht!
  • Rechnungen (Wasser, Telefon, Energie usw.) und Mieten müssen für alle ausgesetzt werden, nicht nur für Unternehmen.
  • Verstaatlichung des gesamten Gesundheitssektors unter der Kontrolle der Arbeiter*innen und der Bevölkerung für ein öffentliches Gesundheitsmonopol. Verstaatlichung von Pharmaunternehmen, freie Bereitstellung von Medikamenten und Schutzobjekten.
  • Einstellungsplan in Krankenhäusern, Unterstützung für öffentliche medizinische Einrichtungen und andere Strukturen für Gesundheit und persönliche Unterstützung
  • Hundert Prozent öffentliche Forschung, Investitionen in die Grundlagenforschung, Beseitigung von Patenten und öffentliche Verfügbarkeit aller medizinischen Entdeckungen
  • Nein zu Macrons Angriffen, ausgesetzt oder angekündigt: vollständige Rücknahme der Rentenreform, der Abschaffung der Arbeitslosenversicherung…
  • Für eine Arbeiter*innenregierung! Gegen den Kapitalismus, für den Sozialismus!
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