Alle Arbeitsplätze bei vollem Lohn sichern – Gewerkschaften müssen kämpfen
Die Corona-Pandemie stürzt weite Teile der schon vorher angeschlagenen Wirtschaft endgültig in die Krise. Als einer der ersten großen Konzerne in Deutschland macht die Lufthansa ihr Fortbestehen von direkten staatlichen Hilfen abhängig. Die Lufthansa-Bosse schachern um Milliardenhilfen mit der Bundesregierung, unabhängig davon sollen 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Die Beschäftigten werden kämpfen müssen, wenn sie ihre Interessen verteidigen wollen.
von Tom Hoffmann, Berlin
Die Reisebeschränkungen im Zuge der Ausbreitung des Corona-Virus bedrohen weltweit die Flugverkehrsbranche. Aktuell hat die Lufthansa laut Geschäftsführung nur noch ein Prozent des normalen Passagieraufkommens. Nun ruft auch Lufthansa-Chef Carsten Spohr nach staatlichen Milliardenhilfen – der Carsten Spohr, der noch im März versicherte, dass dies nicht nötig würde und der noch nach der Air Berlin-Pleite (an der die Lufthansa im Übrigen ordentlich verdiente) spottete, dass ein Unternehmen, welches jahrelang subventioniert wird und trotzdem nur Verluste macht, nicht auf den Markt gehört. Dabei ist die Lufthansa nicht alleine: Auch der französische und der niederländische Staat pumpen bis zu elf Milliarden Euro in Air France-KLM. Die italienische Alitalia soll direkt verstaatlicht werden. Bei beiden Konzernen ist die Bedingung, dass sie „rentabler“ werden. In den USA erhält die Luftfahrtindustrie ganze fünfzig Milliarden Dollar, hälftig als Kredite und Zuschüsse. Die Bedingung für letztere ist, dass in den nächsten sechs Monaten niemand entlassen werden darf. Danach darf dann saniert werden. Trotz der staatlichen Eingriffe zeichnen sich also Angriffe auf die Beschäftigten ab. Viele andere Airlines haben ebenfalls bereits Stellenabbau angekündigt: bis zu 5000 bei der skandinavischen SAS, 2000 bei der Icelandair und bis zu 12.000 bei der British-Airways-Mutter IAG.
Erpressungsversuche
Die Lufthansa steht ihnen in nichts nach: Die Flotte von derzeit 760 Fliegern soll um rund einhundert reduziert und damit gut 10.000 Arbeitsplätzen abgebaut werden. In den Verhandlungen mit der Bundesregierung schachern die Bosse. Erst wollten sie am liebsten Niedrigzinskredite und eine stille Beteiligung des Staates, um zu verhindern, dass der Staat bei der Unternehmensführung mitreden darf und über zwei Sitze im Aufsichtsrat verfügt. Nach dem Willen von Spohr und Co. sollte der Staat also bis zu zehn Milliarden Euro inklusive Freifahrtschein ausliefern. Spohr drohte offen damit, sollte es nicht zur Einigung kommen, den Weg der Thomas-Cook-Tochter Condor zu gehen: Ein sogenanntes Schutzschirmverfahren, bei dem die Geschäftsführung unter Aufsicht eines Sachverwalters erhalten bleibt. Pensionsverpflichtungen können ausgelagert und Tarifverträge leichter aufgehoben werden. Mehrere Milliarden Euro könnte der Konzern durch die nicht mehr abgeflogenen Tickets einsparen, die sich Kund*innen im Moment noch rückerstatten lassen können. Unter dem Schutzschirm wären ihre Ansprüche nachrangig und würden sie wahrscheinlich leer ausgehen. Die Verhandlungen ziehen sich hin. Die Bundesregierung beharrt anscheinend auf einer Beteiligung von 25 Prozent und einer weiteren Aktie, um eine Sperrminorität zu erhalten. Doch die Beschäftigten werden weiterhin im Dunkeln gelassen und müssen um ihre Jobs bangen.
Beschäftigte sollen zahlen
Nicht zu wenig schwadronierte die herrschende Politik in den letzten Wochen vom großen Zusammenhalt der Gesellschaft im Kampf gegen das Virus. Doch die Lufthansa-Bosse zeigen: Der Klassenkampf von oben ist in vollem Gange. Die Beschäftigten sollen die Krise bezahlen. Man kann Spohr und Co. mit ihren Erpressungsversuchen wahrlich nicht vorwerfen, die Interessen ihrer Klasse von Kapitaleigentümer*innen nicht konsequent zu vertreten. Für die Gewerkschaften und die Beschäftigten muss in dieser Situation gelten: Angriff ist die beste Verteidigung. Sie müssen erklären, dass sie keinen Arbeitsplatzabbau und keine Lohnsenkungen hinnehmen und für die Interessen der Beschäftigten kämpfen werden. Auch wenn Streiks im Moment kaum möglich sind, müssen sie die Beschäftigten auf harte Auseinandersetzungen vorbereiten und klar Stellung beziehen. Die Lufthansa hat Milliardengewinne in den letzten Jahren eingefahren. Die Gewerkschaften müssen fragen: Wie wurden die verwendet und wo ist das Geld hin? Die Geschäftsbücher müssen den Gewerkschaften und Vertreter*innen der Beschäftigten geöffnet werden, um diese Fragen beantworten zu können.
Verstaatlichung, aber wie?
Wenn die Lufthansa nicht ohne Staatsgelder überleben kann, muss sie komplett verstaatlicht werden, um alle Arbeitsplätze zu retten. Finanzielle Entschädigung für Aktionär*innen sollte nur für Kleinaktionär*innen bei erwiesener Bedürftigkeit gezahlt werden. Eine stille Beteiligung des Staats, um das Unternehmen mit Staatsknete und somit auf doppelte Kosten der Belegschaften und der steuerzahlenden arbeitenden Bevölkerung zu sanieren, nur um es später nach der Krise wieder zu privatisieren, ist abzulehnen. Und selbst wenn der Bund und damit pro-kapitalistische Politiker*innen über eine Sperrminorität verfügen sollten, ist das keine Garantie für die Rettung der Arbeitsplätze und die Wahrung der Beschäftigteninteressen. Eine verstaatliche Lufthansa könnte hingegen durch ein paritätisch besetztes Gremium aus demokratisch gewählten Vertreter*innen der Belegschaften, der Gewerkschaften sowie Vertreter*innen des Staates geführt werden, in dem die Belegschaften und Gewerkschaften die Mehrheit stellen. So würden die Voraussetzung geschaffen, dass die Lufthansa nicht im Interesse der Kapitalisten, sondern der arbeitenden Bevölkerung verstaatlicht und fortgeführt wird.
Beschäftigte müssen kämpfen
Leider stimmen die Führungen von ver.di und der Vereinigung Cockpit (VC) die Beschäftigten gerade nicht auf Kampf sondern auf Verzicht ein. Statt Spohrs Drohungen zu skandalisieren und zu verurteilen, bot die VC-Führung an, dass die Pilot*innen freiwillig auf 45 Prozent ihres Gehalts verzichten und sogar eine weitere Absenkung des Kurzarbeitergeldes akzeptieren könnten, wenn Lufthansa nicht unter den Schutzschirm geht! Zum Vergleich: Der Vorstand verzichtet gerade mal auf zwanzig Prozent des Gehalts und die üblichen Boni. Carsten Spohr, der das 85-fache eines durchschnittlichen Mitarbeitergehalts erhält, muss so mit wohl etwas mehr als drei Millionen Euro im Jahr auskommen. Wer soll da noch meinen, dass Beschäftigte und Chefs in einem Boot säßen! Es ist deswegen falsch, dass ver.di und VC einen gemeinsam Appell mit dem Lufthansa-Vorstand an den Staat gerichtet haben. Was die Lufthansa-Bosse unter dem darin formulierten „gemeinsamen Ziel“ nach dem Erhalt „möglichst vieler Arbeitsplätze“ verstehen, haben die Stellenabbaupläne und die Aufgabe der Germanwings-Tochter bereits gezeigt. Auch die Äußerungen von Nicoley Baublies von der Kabinengewerkschaft UFO gegen staatlichen Einfluss auf die Unternehmensführung haben den Beschäftigten einen Bärendienst erwiesen. Die Gewerkschaftsführungen müssen stattdessen für eine Verstaatlichung und einen Ausweg im Interesse der Belegschaft eintreten. Es wird in den nächsten Wochen aufgrund der Lockerungen der Corona-Maßnahmen wieder einfacher, öffentliche Proteste, Kundgebungen oder Demonstrationen zu organisieren. Wenn von den Spitzen der Gewerkschaften keine Führung kommt, müssen sich Kolleg*innen von unten koordinieren, vernetzen und mobilisieren.
DIE LINKE
Die LINKE sollte für diesen Fall den Kolleg*innen ihre volle Solidarität und Unterstützung anbieten. Zurecht hat der LINKE-Vorsitzende Bernd Riexinger die Überführung der Lufthansa in öffentliches Eigentum gefordert. In seiner Presseerklärung behauptete er aber fälschlicherweise, die Lufthansa wäre bis Ende der 90er Jahre „ein staatlicher Betrieb“ gewesen. Die Privatisierung begann allerdings schon 1966 – seit dem wurden Anteile der Lufthansa an der Börse gehandelt. Bis 1994 hielt der Staat über verschiedene Kanäle zwar die Mehrheit der Anteile, doch war das eher ein Musterbeispiel einer lang gezogenen Privatisierung, die 1997 dann vollzogen wurde, als das eines vorbildlichen Staatsbetriebs. Statt diesen Hinweis also deshalb anzubringen, um sich wie Riexinger im Vornherein von „Sozialisierungs- oder Staatssozialismus“-Vorwürfen seitens der Kapitalisten freizusprechen, hätte er im Gegenteil offensiv für eine wirklich demokratische, sozialistische Verstaatlichung argumentieren sollen. Denn der Kapitalismus kann nicht ohne Krisen. Auch vor Corona deutete sich an, was von Unternehmerseite oft euphemistisch als „Marktkorrekturen“ umschrieben wird – die gesamte Flugverkehrsbranche hat riesige Überkapazitäten aufgebaut. Die Pandemie lässt das Kartenhaus nun komplett zusammenbrechen. Seit Jahren verschärft sich der internationale Konkurrenzkampf zwischen den Airlines. Billiganbieter kämpfen auf Kosten der Beschäftigten und letztlich auch der Umwelt um Marktanteile und Profite. Die Verstaatlichung der Lufthansa ist auch nach ökologischen Gesichtspunkten nötig, um im Rahmen einer Neuaufstellung des gesamten Luftverkehrs und eines umweltfreundlichen, integrierten Transportwesens den Klimawandel zu bekämpfen.Nur wenn die gesamte Luftverkehrsbranche und letztlich die die Wirtschaft dominierenden Großkonzerne und Banken verstaatlicht und unter die demokratische Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung gestellt werden, kann eine nachhaltige Planung im Interesse von Mensch und Umwelt beginnen. Dafür sollte die LINKE offensiv eintreten und kämpfen.