Sozialistische Debatte zur Identitätspolitik

Marxismus und Kampf gegen Frauenunterdrückung

Wir veröffentlichen hier einen Artikel aus der Februarausgabe von Socialism Today, Theoriemagazin der Socialist Party – CWI (Committee for a Workers Internationale – Komitee für eine Arbeiterinternationale) in England und Wales

Das Verhältnis zwischen dem Kampf gegen Frauenunterdrückung, Identitätspolitik und dem Kampf für Sozialismus ist Gegenstand vieler Debatten innerhalb der internationalen Arbeiterbewegung. Die Fehler, die die Irische Socialist Party (Sozialistische Partei) in dieser Frage gemacht hat, spielte bei der Spaltung innerhalb des CWI 2019 eine zentrale Rolle. Im Zuge der irischen Parlamentswahlen zog Hannah Sell Bilanz.

Eine wesentliche Debatte im Jahre 2019 innerhalb des CWI, dem die Socialist Party in England und Wales angehört, hat zur Spaltung innerhalb des CWI geführt, indem einige ihrer nunmehr früheren Unterstützer*innen eine opportunistische Anpassung eingeschlagen hatten.

Ein Hauptauslöser der Debatte war das fehlerhafte Herangehen der Führung der Irish Socialist Party (zu dem Zeitpunkt Teil des CWI ) an den Kampf gegen Frauenunterdrückung und ihr Verhältnis zum Kampf für den Sozialismus. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage birgt wichtige Lektionen für die internationale Arbeiter*innenbewegung insbesondere in einer Zeit, in der von Einzelnen und Kräften, die sich für links halten, Identität anstatt Klassenzugehörigkeit vielfach als zentrale Spaltungslinie innerhalb der Gesellschaft ausgemacht wird. In zukünftigen Kämpfen werden diesbezügliche Fragen auf unterschiedlichste Art wieder und wieder aufkommen. Ebenso wie Lenin und die Bolschewistische Partei ohne einen korrekten Umgang mit dem Recht auf nationale Selbstbestimmung nicht in der Lage gewesen wären, die Arbeiter*innenklasse in Russland 1917 zur Macht zu führen, wird der korrekte Umgang mit den vielen Formen spezieller Unterdrückung für zukünftige gesellschaftsverändernde Kämpfe unabdingbar sein.

Einheit ist Stärke

Unser Ausgangspunkt ist, jede Form der im Kapitalismus erlittenen Unterdrückung hart zu bekämpfen, indem wir uns dafür einsetzen, dass die Arbeiter*innenbewegung ernsthaft für die Rechte aller Unterdrückten kämpft. Dabei sollten wir versuchen zu vermeiden, dass sich die Kluft innerhalb verschiedener Teilen der Arbeiter*innenklasse verschärft oder vertieft. Während die Frage, wie spezielle Probleme am besten aufgegriffen werden können, komplex sein kann, ist unsere generelle Herangehensweise sehr einfach. Eines der Grundprinzipien der Arbeiter*innenbewegung – „Einheit ist Stärke“ – ist heute so lebenswichtig wie eh. Für die kapitalistische Klasse, eine winzige Minderheit der Gesellschaft, ist es ein unentbehrliches Mittel zur Aufrechterhaltung der eigenen Macht, Bewegungen, die ihre Herrschaft bedrohen, zu durchtrennen, indem sie Unterschiede und Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen der Unterdrückten anheizt. Auf welche Weise die kapitalistische Klasse Identitätspolitik benutzen kann, um in der Arbeiter*innenbewegung Spaltung zu erzeugen, besonders da, wo sie nicht effektiv bekämpft wird, zeigt sich in den erfolgreichen Versuchen, irreführende Antisemitismusanschuldigungen einzusetzen, um Jeremy Corbyn während der letzten vier Jahre und während des gegenwärtigen Wettstreits um die Führung zu unterminieren und gleichzeitig den Boden für zukünftige Angriffe gegen Linke zu bereiten.

Das Ziel der Marxist*innen ist dem der Kapitalist*innen entgegengesetzt. In jeder Phase streben wir danach, alle Unterdrückten in einer Bewegung zu vereinen, die, von der Arbeiter*innenklasse angeführt, dafür kämpft, durch die sozialistische Transformation der Gesellschaft alle Übel des Kapitalismus zu beenden. Unser Programm – das alle Forderungen aus den verschiedenen Bereichen der Arbeiter*innenklasse zusammenbringt und zusammenfasst – weist den Weg, diese zu erreichen. Sie werden niemals erreicht, wenn versäumt wird, Bewegungen Unterdrückter zu unterstützen oder die legitimen Forderungen jeglicher unterdrückter Gruppe herunterzuspielen oder zu ignorieren. Wir müssen jedoch in jeder Epoche auf den gemeinsamen Kampf der gesamten Arbeiter*innenklasse als bestem Mittel hinweisen, die jeweiligen Forderungen langfristig durchzusetzen.

Leider hat die Irish Socialist Party von diesem Herangehen Abstand genommen. Das hat ihre Effizienz im Kampf für das Recht auf Abtreibung und auch in anderen Kämpfen verwässert und war ein Faktor bei den substanziellen Wahlrückschlägen. Es ist bedauerlich, dass Ruth Coppinger, Mitglied der Irish Socialist Party, ihren Sitz bei den kürzlichen Parlamentswahlen verloren hat. Wir möchten, dass eine maximale Anzahl an Sozialist*innen die Wahlen gewinnt und wir würden viel lieber Kritik an Kampagnen erheben, die zu Wahlerfolgen anstatt zu Niederlagen führten.

Gleichwohl ist wichtig, die notwendigen Schlussfolgerungen für zukünftige nicht zuletzt in Irland aufkommende Kämpfe zu ziehen. Der große Zustrom für Sinn Fein während der Wahl durch das Vorgeben einer Anti-Establishment-Haltung und indem sie der vorhandenen Wut über die Verhältnisse in den Bereichen Wohnen, Gesundheit und Niedriglohn Ausdruck verliehen, zeigt die Gärung in der irischen Gesellschaft. Zahlreiche andere Vorboten des kommenden Klassensturms, der Irland erschüttern wird, zeigten sich in den letzten Jahren. Das schließt die erfolgreiche Massenbewegung gegen die Wassergebühren ein, die die Irish Socialist Party 2015-16 angeführt hat, die Bewegung für Abtreibungsrechte, die im Referendumssieg 2018 ihren Höhepunkt hatte sowie eine Reihe sehr wichtiger Streiks, besonders der Streik der Krankenpflege und Hebammen 2019.

Zentral und vorrangig?

Leider hat sich die Führung der Irish Socialist Party nicht auf die bevorstehenden Massenbewegungen vorbereitet. In der Folge des Abtreibungsreferendums äußerte das CWI Besorgnis darüber, dass die Irish Socialist Party Gefahr läuft, „alle Kämpfe durch das Prisma der Frauenkämpfe zu sehen, statt zu sehen, wie diese sich mit anderen Kämpfen verknüpfen und damit riskieren, in die falsche Richtung zu gucken, wenn andere Kämpfe sich entwickeln.“ Wir erklärten, dass „aus unserer Sicht nicht der Fall sein wird, dass Bewegungen, die mit Frauenunterdrückung zu tun haben, in jedem Land während der nächsten Zeit zentral sein werden. Zusätzlich können in vielen Ländern, in denen solche Bewegungen entstehen, die Elemente der Arbeiter*innenklasse in ihnen schnell Teil breiterer Kämpfe werden (auch wenn natürlich die Forderungen, die speziell an die Frauenunterdrückung geknüpft sind, ein wichtiger Aspekt in diesen Bewegungen bleiben werden.)“

Eindeutig hat eine ganze Reihe von Bewegungen gegen Frauen- und geschlechtliche Unterdrückung innerhalb der letzten Jahre stattgefunden. Die Bewegung für Abtreibungsrechte in Irland war eine davon. Auch wenn sie nicht den Grad aktiver Massenbeteiligung wie beispielsweise bei den massiven Demonstrationen in Indien, Argentinien oder Spanien hatte, mobilisierte sie doch bedeutende Schichten von Frauen auf die Straßen und führte natürlich zu einem wichtigen Schritt vorwärts für die irische Arbeiter*innenklasse.

Sind irgendwelche der kürzlichen Frauenbewegungen für sich genommen „zentral“ und „vorrangig“ im Kampf für den Sozialismus? Nein. Zu argumentieren, dass sie es sein könnten, heißt, sich der Haltung der radikalen Mittelschichten anzupassen, die die Führung der meisten Frauenbewegungen in diesem Stadium dominieren. Die Kraft, die „zentral“ und „vorrangig“ im Kampf für den Sozialismus ist, ist die Arbeiter*innenklasse aller Geschlechter. Nicht aus moralischen Gründen. Die Arbeiter*innenklasse erlebt sowohl die wirtschaftliche Ausbeutung durch den Kapitalismus als auch seine spaltende Ideologie. Unvermeidlich wird in ihr widergespiegelt, was Marx den Dreck des Kapitalismus nennt, einschließlich Sexismus, Rassismus und andere Vorurteile. Dennoch ist sie die potentiell weitaus machtvollste Kraft für soziale Umwälzung aufgrund ihrer Rolle im kapitalistischen Produktionsprozess und ihres potentiell kollektiven Bewusstseins.

Die Referendumskampagne

Unmittelbar nach Abschluss der Debatte im CWI über diese Fragen ist die Welle einer gigantischen Bewegung überwiegend aus der Arbeiter*innenklasse über die Welt hinweggefegt – einschließlich Latein-Amerika, weiten Teilen des Mittleren Ostens und Frankreichs – , die alle Kämpfe seit der Niederlage des Arabischen Frühlings in den Schatten stellt. In einem Land nach dem anderen wurden ethnische, religiöse, Geschlechter- und andere Spaltungen durchbrochen, indem Arbeiter*innen und junge Leute gegen die wirtschaftliche Misere und die undemokratischen Regimes kämpfen, die ihnen der Kapitalismus anzubieten hat. Die Mehrheit dieser Bewegungen hat bisher noch keine klaren Siege errungen, was auf die Notwendigkeit von Massenparteien der Arbeiter*innen mit einem klaren Programm hinweist, mit dem Kapitalismus zu brechen und eine neue sozialistische Ordnung zu errichten. Dennoch sind sie einen enormen Schritt weiter.

Keine Frauenbewegung, es sei denn sie wird eine Bewegung der Arbeiter*innenklasse als ganzes, kann die Rolle übernehmen, die diese Bewegungen in der Vereinigung der Unterdrückten zu einem gemeinsamen Kampf innehaben. Sie können jedoch eine entscheidende Rolle darin spielen, eine breitere Bewegung auszulösen und haben das viele Male getan, nicht zuletzt als die Textilarbeiterinnen die russische Revolution im Februar 1917 begannen. Frauen haben ebenfalls eine herausragende Rolle in breiteren Klassenkämpfen gespielt, die aufgrund einer generellen Radikalisierung und aufgrund ihres wachsenden spezifischen Gewichtes an den Arbeitsplätzen und in den Gewerkschaften in vielen Ländern entstanden sind.

Der kürzlichen Massenbewegung in Chile sind, um ein Beispiel anzuführen, Märsche gegen Sexismus im Bildungswesen von Zehntausenden vorausgegangen. Sie wurden durch Demonstrationen gigantischer Millionen und mehr in den Schatten gestellt, die Ende letzten Jahres gegen Austerität und das undemokratische Regime stattfanden. Dennoch blieben die Märsche für Frauenrechte ein wichtiger Bestandteil der breiteren Bewegung, die das Land überflutete und in dieser breiteren Bewegung spielten die Frauen eine tragende Rolle.

Alle Frauen, sogar die der herrschenden Elite erleiden Unterdrückung aufgrund ihres Geschlechtes. Trotzdem haben klassenübergreifende Frauenbewegungen begrenzte gemeinsame Interessen. Der Kampf für das Wahlrecht der Frauen zum Beispiel war für Arbeiterfrauen Teil des Kampfes für bessere Bedingungen für die Arbeiter*innenklasse, während er für die Ehefrauen und Töchter der kapitalistischen Klasse hauptsächlich ein Ringen um ihre Rechte für eine unabhängige Rolle innerhalb der herrschenden Elite war. Frauenbewegungen neigen also dazu, entlang der Klassenlinien zu zerbrechen, obwohl das natürlich nicht von vornherein ausschließt, dass einzelne Frauen sich von der Elite lösen und sich dem Kampf für den Sozialismus als einzigem Mittel anschließen, die Unterdrückung ihres Geschlechtes gänzlich zu überwinden.

Der Kampf für den Sozialismus ist ebenfalls das einzige Mittel, das die Grundlage der Unterdrückung von Frauen und Minderheiten gänzlich und dauerhaft überwindet. Frauenunterdrückung ist ein immanenter Bestandteil aller Klassengesellschaften einschließlich des die gesamte heutige Welt dominierenden Kapitalismus. Die Aufgabe von Marxist*innen ist, an Bewegungen gegen Frauenunterdrückung teilzuhaben und die aktuellen Forderungen der Bewegung geschickt mit einem Programm zu verbinden, das auf die Notwendigkeit der sozialistischen Umwälzung der Gesellschaft hinweist.

Leider hat die Führung der Irish Socialist Party diesen Ansatz in der Referendumskampagne für das Recht auf Abtreibung nicht übernommen und auch im Nachhinein argumentiert, dass das falsch gewesen wäre. Sie lehnte während der Referendumskampagne beispielsweise ab, die Forderung für das Recht auf Abtreibung mit anderen Forderungen zu verbinden, die ein wirkliches Recht der Wahl, wann und ob ein Kinderwunsch besteht, durch bezahlbaren Wohnraum, angemessene Bezahlung, das Recht auf Familienurlaub anstrebten. Für Sozialist*innen sind solche Forderungen unerlässlich, um das Versagen des Kapitalismus, der Mehrheit der Frauen jedes wirkliche Recht der Wahl zu gewähren, aufzuzeigen. Ebenfalls stellen sie die kapitalistischen und kleinbürgerlichen Führer*innen der Bewegung bloß, die legalen Änderungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen für Frauen zustimmen, aber wirtschaftliche Verbesserungen ablehnen.

Der Kampf für derartige Forderungen hätte beispielsweise dazu beigetragen, den prokapitalistischen Fine Gael Premierminister Leo Varadkar zu entlarven, der für sich beansprucht hat, für Frauenrechte einzustehen während er zeitgleich über Kürzungen und Armut im öffentlichen Sektor residierte. Sie weisen auf die Notwendigkeit des Klassenkampfes für wirkliche Frauenrechte hin. Aber die Führung der Irish Socialist Party hat auch noch zusätzlich haarsträubend argumentiert, dass es falsch gewesen wäre, an die Gewerkschaften den Anspruch zu stellen, den Kampf für das Recht auf Abtreibung aufzunehmen.

Die Realität der Bewegung

Sie rechtfertigte ihr Herangehen, indem sie den radikalen Charakter des Abtreibungsreferendums in Irland aufbauschte und argumentierte, dass es Teil einer weltweiten Frauenbewegung sei, welche aus ihrer Sicht „universeller, globaler und verbundener“ sei als vorhergehende feministische Wellen und „eine fundamentalere Verschiebung des Bewusstseins“ repräsentiere.

Das ist teilweise wahr. Der Ärger über die existierende Ordnung und geringes Vertrauen gegenüber jeglichen Institutionen des Kapitalismus, charakteristisch für die im Austeritätszeitalter aufgewachsene Generation, hat Bewegungen gegen Frauenunterdrückung angefacht. Junge Frauen sind – aus einer Reihe von Gründen – radikaler, speziell, weil sie in großer Zahl ins Arbeitsleben gezogen worden sind und aufgrund der Kluft zwischen der kapitalistischen Propaganda, gleiche Rechte für Frauen erreicht zu haben und der Lebenswirklichkeit für die Frauen. In Großbritannien und den USA zum Beispiel war die Unterstützung für Jeremy Corbyn und Bernie Sanders unter jungen Frauen am höchsten. Es wäre trotzdem falsch zu schlussfolgern, dass die Mehrheit derer, die für das Recht auf Abtreibung in Irland oder in anderen Bewegungen gegen Frauenunterdrückung kämpft, ihren Kampf automatisch als Teil des Kampfes gegen den Kapitalismus sieht.

Angesichts des Charakters des jetzigen Zeitraumes mit einem noch immer relativ niedrigen Organisatonsniveau der Arbeiter*innenklasse, verbunden mit einem noch begrenzten Verständnis von der Möglichkeit einer sozialistischen Umwälzung ist es nicht überraschend, dass die Führung vieler Frauenbewegungen der Mittelklasse angehört oder sogar Mitglied der führenden Elite ist. In der irischen Abtreibungsbewegung waren besonders verschwommene Klassenlinien, weil die Mehrheit der irischen Kapitalistenklasse unter dem Druck von unten zu dem Schluss gekommen war, dass sie wenigstens in die Abtreibungsrechte einwilligen muss. Leider hat die Socialist Party in Irland nicht die Rolle gespielt, die sie hätte spielen können, indem sie die Klassenlinien klarer gezogen hat, sondern beschönigte stattdessen die Realität der Bewegung.

Vertiefung der Fehler

Alle Organisationen machen Fehler. Vorausgesetzt man erkennt und korrigiert sie, geht nichts ernsthaft verloren. Weit davon entfernt sich zu hinterfragen, ist die Führung der Irish Socialist Party aber denselben Weg weiter gegangen. Zuerst setzte sie ihren Kampagnenfokus darauf, Massenstreikaktionen am internationalen Frauentag 2019 ohne ernsthafte Vorbereitung zu organisieren und verlangte vom CWI, das in internationalem Maßstab zu wiederholen. In Dublin nahmen an diesem Ereignis zweuhundert Leute teil, ein brauchbarer Protest, aber weit entfernt von den prognostizierten Massenaktionen.

Dann stellte die Irish Socialist Party in den Europawahlen 2019 die Kandidatin Rita Harrold für Dublin mit dem Slogan auf „ eine sozialistische feministische Stimme für Europa“ und „eine sozialistische feministische Stimme für Arbeiter, Frauen und die Erde.“ Das ist auf die falsche Analyse zurückzuführen, dass Geschlechterunterdrückung in diesem Stadium die vorrangige Quelle der Radikalisierung in Irland ist. Das Wahlergebnis hat dem nicht recht gegeben. Wenn das Referendum zu der von ihr beschriebenen Radikalisierung geführt hätte und hätte das Thema Abtreibung, wie sie behauptete, in großem Maße durch ihre Aktionen gewonnen, hätte das bei einer korrekten Herangehensweise zu einem positiven Wahleffekt führen müssen.

In vorhergehenden Beispielen von Massenbewegungen, in denen wir eine führende Rolle spielten, haben wir im Anschluss immer Wahlsiege errungen. In Schottland zum Beispiel hat unsere damalige Organisation Scottish Millitand Labour (SML) nach dem Sieg über die Kopfsteuer bei ihrer ersten Wahlteilnahme 1992 vier Sitze im Stadtrat von Glasgow gewonnen. Insgesamt hat SML von Mai 1992 bis Februar 1994 33.3 % der für 17 Kandidaturen abgegebenen Stimmen erhalten und sechs der Sitze gewonnen. Gefolgt von Tommy Sheridan, der 7,6 % (12..113 Stimmen) für den Glasgower Sitz in den Europawahlen 1994 erhielt. Dies fand unter einem weitaus unvorteilhafteren first-past-the-post-system statt als das Wahlsystem in Irland und mit einer sehr begrenzten Geschichte vor den Wahlen. Den Genoss*innen in Irland gelangen vergleichbare Durchbrüche, weil sie die Bewegung gegen die Wassergebühren zum Sieg geführt und damit im Rücken hatten.

Jetzt hat Rita bloß 4.967 (1,4 Prozent) der Stimmen erhalten im Vergleich zu fast 30.000, die der Kandidat der Socialist Party Paul Murphy für denselben Sitz 2014 für seine Wiederwahl erhalten hatte. In allen lokalen und europäischen Wahlen, die zeitgleich abgehalten wurden, erlitt die Sozialistische Partei (unter dem Solidaritätsbanner) den größten Stimmverlust von allen Parteien, die im irischen Parlament vertreten sind. Bei den Europawahlen erlitt sie den größten Stimmverlust seit zwanzig Jahren.

Auch wenn die Kampagne zu einer erfolgreichen Wahl geführt hätte, so wäre es nicht die richtige Herangehensweise gewesen. Man kann einen gewissen Vergleich zu den Fehlern von „Respect“ ziehen, der kurzlebigen linken Partei in Großbritannien, in der George Galloway und die Socialist Workers Party miteinbezogen waren, die einige Wahlsiege zwischen 2004 und 2007 erzielten. Ihr vorübergehender Wahlerfolg war das Resultat der Antikriegsbewegung mit Wahldurchbrüchen hauptsächlich in den vorwiegend muslimischen Bezirken.

Die Mehrheit der Muslim*innen in Großbritannien ist Teil der am stärksten ausgebeuteten Teile der Arbeiter*innenklasse und durch die Beteiligung der Labour-Regierungen an den Kriegen im Irak und in Afghanistan radikalisiert. Muslimische Stimmen zu gewinnen, hätte potentiell einen wichtigen Schritt vorwärts zu einer neuen Massenarbeiterpartei sein können aber nur, wenn an andere Sektoren der Arbeiter*innenklasse auf der Klassengrundlage eines kämpferischen Programms appelliert worden wäre. Stattdessen hat „Respect“ die Spaltung unter den Lohnabhängigen vertieft, indem sie sich vielfach als „die Partei für Muslime“ beschrieben hat. Indem bei einer Wahl auf allgemeine Slogans verzichtet wurde, die die gesamte Arbeiter*innenklasse ansprechen und stattdessen unter dem Slogan „sozialistisch, feministisch“ aufgetreten wurde , während lediglich ungefähr ein Drittel der irischen Bevölkerung sich auf Nachfrage als feministisch ansieht, wurde in der Kampagne für die Europawahl ein unnötiges Hindernis gegenüber der Mehrheit der Arbeiter*innen aller Geschlechter aufgebaut, die sich durch eine solche Kampagne nicht angesprochen fühlen.

Die Februar-Wahl

Leider waren die Europawahlen noch nicht das Ende der durch die Wahlergebnisse demonstrierten falschen Herangehensweise der Irish Socialist Party. Die Parlamentswahlen im Februar zeigten einen vergleichbaren Trend. Alle der drei Abgeordneten von Solidarity (zwei von Ihnen – Mick Barry und Ruth Coppinger – sind in der Irish Socialist Party verblieben) erlitten einen großen Stimmverlust. Ruth Coppingers erste Vorzugsstimmen sanken um 33 % im Vergleich zu 2016, was zum Verlust ihres Sitzes führte. Mick Barry und Paul Murphy wurden wiedergewählt, erlitten aber einen Verlust von 54 % und 50 % in den Vorzugsstimmenergebnissen. Andere Mitglieder der Socialist Party erlitten einen Verlust zwischen 67 – 85 %. Natürlich kann es Umstände geben, in denen die objektiven Bedingungen zu einem großen Stimmverlust führen, auch wenn man eine Vorzeigekampagne führt.

In diesem Fall demonstriert der dramatische Stimmzuwachs für Sinn Fein, die Stimmen vieler Arbeiter*innen und Jugendlicher erhielten, den Durst nach einer radikalen Alternative. Nebenbei bemerkt genießt Sinn Fein keinen guten Ruf im Kampf für das Recht auf Abtreibung. Erst im Juni 2018 wurde auf ihrer Konferenz dafür gestimmt, Abtreibung bis zur 12. Woche zu unterstützen. Bis dahin hatte sie Abtreibung lediglich im Falle tödlicher fetaler Anomalie, Vergewaltigung oder sexuellen Missbrauchs befürwortet. Zweifellos wäre es nicht zum Durchbruch bei den Februarwahlen gekommen, hätte Sinn Fein ihren Standpunkt unter dem Druck der Bewegung für Abtreibung nicht geändert. Dennoch war Sinn Fein trotz ihrer schlechten Bilanz unter jungen Frauen führend. Gemäß der Irish Times war die Wohnsituation das wichtigste Wahlthema für junge Leute, gefolgt von Arbeit, wiederum gefolgt vom Klimawandel.

Natürlich war Sinn Feins Aufstieg – die vielen Arbeiter*innen als Regierungsalternative erschien – für eine kleinere sozialistische Kraft eine objektive Schwierigkeit, obwohl das Wahlsystem den Wähler*innen die Möglichkeit gibt, ihre Stimmen auf andere Kandidat*innen zu transferieren. Andere linke Kräfte – People Before Profit zum Beispiel – schafften es, ihre Stammwählerschaft im groben zu halten.

Wichtiger allerdings ist, dass die Socialist Party die wertvolle Plattforn, die sie durch ihre Parlamentsmitglieder in der vorherigen Periode errungen hat, nicht wirkungsvoll genutzt hat. Wenn sie sie genutzt hätte, hätte sie zugewinnen können anstatt zurückgedrängt zu werden. Sie hat ganz klar die enorme, aufgestaute Wut über die Widersprüche zwischen Wirtschaftswachstum und dem völligen Mangel an einer Besserung des Lebensstandards der Mehrheit unterschätzt. Sie tendierte dazu, das Bewusstsein einer Schicht zu wiederzugeben, die sich zu diesem Zeitpunkt um die Frage der Geschlechterunterdrückung radikalisiert hat, anstatt die geduldige Arbeit zu leisten, sich auf kommende allgemeinere Klassenkämpfe vorzubereiten. Sie hat tatsächlich in die falsche Richtung geschaut.

Neue Möglichkeiten

Während die Socialist Party im letzten Jahrzehnt wichtige Kämpfe anführte, dabei ist besonders der Kampf gegen die Wassergebühren hervorzuheben, wandte sich die Führung (der Irish Socialist Party) von der systematischen Aufbauarbeit innerhalb der Gewerkschaften ab. Sie lehnte ab, Vorschlägen der CWI-Führung nachzugehen, die von den Parlamentsmitgliedern zur Verfügung gestellte Plattform für eine Kampagne zu nutzen, die Gewerkschaften in kämpfende demokratische Organisationen zu transformieren. Sie kämpfte nicht konsequent für ein ernsthaftes Gewerkschaftsprogramm zur Verteidigung der Arbeiter*innenklasse und war ungenügend darauf orientiert, Kämpfe zu führen und sich in Betrieben und in den Wohnorten der Arbeiter*innen zu verwurzeln, worin die Irish Socialist Party eine stolze Vergangenheit hat. Insgesamt lag ihre Betonung nicht auf einer Stärkung und Konsolidierung der Klassenorganisation, sondern eher darauf, verschiedene „Bewegungen“ gegen Unterdrückung zu unterstützen.

Die Kampagne zur Parlamentswahl stellte eine Ausweitung dieser Fehler dar. Beide, Mick Barry und Ruth Coppinger hatten „wählt die Kämpfer für Arbeiter, Frauen und die Erde wieder“ / „Wiederwahl der Kämpfer….“ als ihren Hauptwahlslogan. Viele der Flugblätter brachten gute Forderungen zum Beispiel zur Wohnsituation oder dem Gesundheitssystem. Trotzdem war Ruth Coppingers Kampagne-Material besonders deutlich an den Teil der Frauen gerichtet, die sich vorrangig an der Frage der Geschlechterunterdrückung radikalisiert haben. Ein „Bus für Ruth“ war unter dem Slogan organisiert worden, „Frauen haben unfertige Geschäfte (unfinished BUSisness)“ und „mach Frauenrecht zu einem Wahlthema, wähle Ruth Nr. 1“. Während das Material für den Bus auf wichtige Themen wie Gewalt, Kinderbetreuung, Lohnunterschiede, Wohnen und Gesundheitsversorgung verwies, so geschah es doch auf eine Weise, die nahelegte, dass Ruth Coppinger eine Kandidatin für Frauen sei anstatt für die Arbeiter*innenklasse als ganze. Weiteres Material, solches wie das Flugblatt „behaltet eine starke Stimme für Frauen im Dail (Parlament)“, schlugen die gleiche Richtung ein.

Die generelle Ausrichtung des Materials orientierte sich deutlich auf Frauen statt auf die Arbeiter*innenklasse als ganze. Das ist keine marxistische Herangehensweise. Selbst „Frauen“ und „Arbeiter*innen“ als separate Kategorien aufzuführen ist unnötig trennend, besonders in einem Land, in dem fast siebzig Prozent der Frauen Arbeitskräfte sind. Wir kämpfen gegen die Diskriminierung, der alle Frauen aufgrund ihres Geschlechtes ausgesetzt sind. Doch Frauen, die Teil der kapitalistischen Klasse sind, haben diametral entgegengesetzte Klasseninteressen zur Arbeiter*innenklasse aller Geschlechter. Nur wenn sie mit ihrer Klasse brechen, können sie eine positive Rolle im Kampf für eine neue Gesellschaft führen.

Die politische Situation in der Folge der irischen Wahl mit der Möglichkeit einer kurzfristigen Neuwahl ist noch nicht klar. Was jedoch klar ist, ist die tief verwurzelte Wut der irischen Arbeiter*innenklasse gegenüber dem immensen Ausmaß an Ungleichheit, geschaffen vom irischen Kapitalismus und das Entstehen von Gelegenheiten, eine Basis für sozialistische und marxistische Ideen aufzubauen. Leider mag die Führung der Irish Socialist Party ihren fehlerhaften Weg bereits zu weit gegangen sein, um ihn nun zu korrigieren. Die Kräfte, die sich weiterhin dem CWI in Irland verpflichtet fühlen, werden jedenfalls tatkräftig aufbauen. Auf internationaler Ebene helfen die negativen Lektionen aus der kürzlichen irischen Erfahrung, Sozialist*innen damit auszurüsten, wie gegen Unterdrückung gekämpft werden kann, ohne der Identitätspolitik zu folgen.

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