Halbwahrheiten, Unwissen und Lügen

Eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Verschwörungstheorien“

Besonders in Krisenzeiten kommt der Kapitalismus in Erklärungsnot. So auch jetzt während der Corona-Pandemie: Das Hauptziel, die Wirtschaft vor dem Kollaps zu retten, dominiert die Handlungen der Regierung, was bei vielen Menschen zu Zweifeln nicht nur an der Regierung führt. In Berlin, Stuttgart und vielen anderen Städten sind tausende Menschen bei den so genannten Hygiene-Demos auf die Straße gegangen. Die einen umarmten sich, ignorierten den Mindestabstand, wieder andere meditierten für das Grundgesetz – neben Menschen, die offen den Holocaust leugnen. Gemein ist ihnen nur, dass sie in großen Teilen an Verschwörungstheorien glauben.

Von Aleksandra Setsumei und Tobias Koschmieder, Aachen

Verschwörungstheorien sind kein neues Phänomen. Illuminaten, Freimauer, Echsenmenschen, die flache Erde oder dass die Mondlandung nicht stattgefunden hat – all das sind mehr oder weniger bekannte Verschwörungstheorien.

Viele der Verschwörungstheorien haben eines gemeinsam: Sie unterstellen, dass es eine kleine elitäre Gruppe gibt, die in der Lage ist, die Menschheitsgeschichte maßgeblich im Voraus zu planen, zu beeinflussen und ihre Macht zu festigen. Bekämpft können sie nur werden, indem alle anderen Menschen „aufwachen“ und sich gegen diese Eliten auflehnen. Laut den Verschwörungen stammen diese Eliten meistens aus dem Ausland und beeinflussen Politiker*innen und Unternehmen, um in ihrem Interesse zu handeln.

Viele Verschwörungstheorien knüpfen an realen Problemen und damit Bedürfnissen vieler Menschen an, bieten aber völlig abstruse Erklärungen und Lösungen an. Es stimmt, dass die Welt im Kapitalismus von einer kleinen, abgehobenen Minderheit beherrscht wird – von der Kapitalistenklasse, die den Großteil der Produktionsmittel, der Rohstoffe und des Grund und Bodens besitzt und damit große Macht ausübt. Die Existenz dieser superreichen Elite ist ein Ausdruck des Systems und im Kapitalismus unabdingbar. Gleichzeitig sind nicht die einzelnen Kapitalisten oder Regierungsvertreter*innen unverzichtbar. Der Kapitalismus ist ein flexibles System und wird nicht durch personelle Wechsel in der Kapitalistenklasse und in Regierungen in seiner Existenz bedroht. Das macht deutlich: Die Probleme auf der Welt können nur gelöst werden, wenn es zu einem Systemwechsel kommt, nicht durch die Entmachtung bestimmter mächtiger Personen.

Es ist in diesem Artikel unmöglich, sich mit allen Verschwörungstheorien zu beschäftigen. Aus dem Grund beschäftigen wir uns hauptsächlich mit der aktuell populären Verschwörungstheorie, dass „wir“ durch Bill und Melinda Gates in einer „Gesundheitsdiktatur“ leben, alle „zwangsgeimpft“ und zur Überwachung gechippt werden sollen.

Gates kapert Deutschland!“

Populär wurde diese Verschwörungstheorie durch das Video „Gates kapert Deutschland!“ von KenFM, das innerhalb von wenigen Tagen über drei Millionen Klicks erreichte. Zum Vergleich: Normalerweise erhalten Videos von KenFM zwischen zwanzig und fünf- bis sechshunderttausend Klicks.

Ken Jebsen behauptet, er habe dieses Video gemacht, weil er auf einer Hygiene-Demo in Berlin gesehen habe, dass Polizisten Menschen verhafteten, weil sie das Grundgesetz zeigten. Jebsen beginnt das Video, indem er sagt, dass er das Grundgesetz durch Corona gefährdet sehe. Die Entscheidung, ob man eine Maske trage, wen man besuchen dürfe, zum Beispiel die eigenen Kinder, sofern sie im Ausland leben, würden Bill und Melinda Gates für uns fällen.

Bill und Melinda Gates würden zur „amerikanischen Elite“ gehören, die nicht durch Arbeit, sondern durch Steuerhinterziehung reich geworden sei und die „im Wahn die Welt besser zu machen“ die Weltgesundheitsorganisation gekauft habe, beziehungsweise zu „über achtzig Prozent finanzieren“ würde.

Nicht nur die Weltgesundheitsorganisation werde von der Familie Gates kontrolliert, sondern genauso die Medien (zum Beispiel der Spiegel), das Robert-Koch-Institut oder die John Hopkins Universität. Das habe zur Folge, dass wir den Aussagen genau dieser Medien und Institute nicht glauben dürfen, da sie im Interesse ihrer Geldgeber arbeiten, so Jebsen.

Am Einfluss der WHO und beispielsweise des Robert-Koch-Institutes auf die Politiker*innen könne man sehen, dass diese ebenfalls von Bill und Melinda Gates bezahlt sind. Außerdem hätten sie uns bereits in vielen Fällen belogen, wie zum Beispiel bei der so genannten Flüchtlingskrise oder bezüglich des Tragens von Masken während Corona.

Das Ziel der Gates sei, es alle Menschen zwangsweise zu impfen, um so einerseits durch Beteiligungen an Pharmakonzernen zu verdienen, andererseits etwas gegen die Überbevölkerung auf der Welt zu tun, da man durch das Impfen gezielt Menschen sterilisieren oder sogar krank werden lassen könne.

Im Bundestag existiere sogar schon ein Gesetzentwurf, der vorsehe nicht geimpften Menschen den Zugang zu Grundrechten oder Aktivitäten zu verwehren und welcher bis zum 15.05.20 heimlich durchgebracht werden solle. Um das effektiv zu gewährleisten, brauche man logischerweise Digitale IDs, die es möglich machen würden, Menschen permanent und komplett zu überwachen, diese müssten unter der Haut getragen werden, um nicht ausgetauscht werden zu können.

Faktencheck

Beim Betrachten der Quellen Jebsens fällt sofort auf, dass er kein Problem damit hat, die von ihm als unglaubwürdig kritisierten Medien und Politiker*innen, als Quellen anzugeben. So nutzt er zum Beispiel die Seite des Gesundheitsministeriums, heise.de oder auch die Süddeutsche Zeitung als Quelle. Das genaue Lesen scheint allerdings nicht seine Stärke zu sein. So gibt er an, dass Bill und Melinda Gates über achtzig Prozent der WHO finanzieren würden. In der von ihm verlinkten Quelle steht allerdings, dass die WHO zu achtzig Prozent aus privaten Geldern finanziert wird und die Bill und Melinda Gates Stiftung vierzehn Prozent der privaten Gelder zahlt. Auch wenn die Einflussnahme durch andere Firmen, die von der Bill und Melinda Gates Stiftung mitfinanziert werden, mitgerechnet wird, kommen keine, wie Jebsen sagt, achtzig Prozent der Gelder von den Gates.

Der Gesetzentwurf zur angeblichen Impflicht ist in Wirklichkeit eine Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf, der bis jetzt (Stand: 15.05.20) nicht verabschiedet wurde. Zusätzlich ist der angeblich geheime Gesetzesentwurf für jeden einsehbar auf der Seite des Gesundheitsministeriums, die er auch als Quelle angibt. Im Übrigen wurde im Zusammenhang mit dem Gesetz eine Ermächtigung für den Gesundheitsminister geplant, mit welcher er die Test-Phase für Impfungen hätte verkürzen können – wenn das nicht der eigentliche Skandal ist! Das verdeutlicht, dass Akteure wie Jebsen mit ihren erfundenen Märchen von eigentlichen Problemen ablenken, statt auf berechtigte Probleme hinzuweisen.

Dass der Spiegel von der Bill und Melinda Gates-Stiftung 2,5 Millionen Euro gespendet bekommen hat, ist richtig. Gleichzeitig hat der Spiegel aber im Jahr 2019 einen Jahresumsatz von 207 Millionen Euro. Ein Prozent des Umsatzes reichen nicht, um die Meinung einer Zeitung so umfassend, wie Jebsen sich das vorstellt, zu bestimmen. Zusätzlich muss infrage gestellt werden, ob – im Fall, dass sich der Spiegel vollständig unter Kontrolle der Gates befände – es realistisch ist, dass niemand von den über Tausend Beschäftigten als Whistleblower auftritt und die Öffentlichkeit darüber informiert.

Neben dem sehr freien Auslegen von Informationen, lügt Ken Jebsen auch klar. Das Menschen verhaftet worden sind, weil sie das Grundgesetz hochhielten ist falsch. Sie wurden von der Polizei aufgefordert zu gehen, weil sie nicht zur angemeldeten Kundgebung gehörten. Wir konnten zumindest kein Video finden, das die Behauptung Jebsens untermauert hätte, stattdessen finden sich einige Videos, die seiner Aussage widersprechen. Seine Aussagen und Schlussfolgerungen beruhen auf schlecht recherchierten Halbwahrheiten und Fakenews.

Jebsens Analyse

In dem Video offenbart sich das widersprüchliche Weltbild von Ken Jebsen. Er bemerkt einerseits die negativen Auswirkungen des Kapitalismus, wie Armut, Hunger, bei gleichzeitigem Reichtum von einzelnen. Andererseits erkennt er nicht die systemischen Zusammenhänge des Kapitalismus, dessen Probleme sich nicht daraus ergeben, dass die jetzigen Herrschenden besonders böse sind, sondern daraus, dass sie die Rolle der Ausbeuter einnehmen, eine Rolle, die im Kapitalismus notwendigerweise ausgeübt werden muss.

Genauso sind Jebsens Überlegungen über die Verantwortlichen falsch: Einerseits benennt er die Profiteure des Kapitalismus als Schuldige. Diese scheinen für ihn aber immer aus dem Ausland zu kommen und „unser Land“ ruinieren zu wollen. Und weiter: Auf der einen Seite kritisiert er zurecht die Tatsache, dass nicht gewählte Menschen politischen Einfluss durch ihr Vermögen ausüben können, gleichzeitig scheint er zu glauben, dass nur die ausländischen Einflüsse problematisch sind.

An diesen Beispielen wird klar: Ken Jebsens Weltbild und Propaganda bestehen zum Teil aus legitimer Systemkritik und zum anderen Teil aus verwirrendem, nationalistischem und gefährlichem Gewirr. Außerdem lehnt er die Unterscheidungen in Links und Rechts ab, da sie von der Elite zur Spaltung genutzt werden würden. Er reiht sich damit perfekt in eine Reihe von Verschwörungstheorien ein, die es im Laufe der letzten Jahrhunderte gab und von denen nicht wenige antisemitisch waren und sind.

Besonders gefährlich ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Jebsen zum Nationalstaat. Zwar wettert er immer wieder gegen die reichen Eliten und die Regierenden, aber spricht nie von den Interessen des deutschen Staates oder den Interessen der deutschen Kapitalistenklasse. Damit suggeriert er, dass die Frontlinien nicht zwischen der Arbeiter*innenklasse und den Kapitalisten liegen, sondern zwischen „unserem Land“ und den Interessen ausländischer Konzerne. Das ist im Kapitalismus nicht wahr, denn im Kapitalismus stehen sich hauptsächlich zwei Klassen gegenüber: die Arbeiter*innenklasse und die Kapitalistenklasse. Während die Kapitalisten einzelner Nationen im Konkurrenzkampf zueinander stehen, hat die Arbeiter*innenklasse dagegen keine nationalen Interessen, da sie sich im Klassenkampf gegen die gesamte Bourgeoisie befindet und durch Zusammenarbeit mit Arbeiter*innen aus anderen Ländern nur an Stärke gewinnen kann.

Und nun? 

Was folgt daraus? Der Glaube daran, dass bestimmte zur Elite gehörende Personen(gruppen) die Wurzel des Übels sind, ohne die systemischen Zusammenhänge dahinter anzuerkennen, macht eine Überwindung des Kapitalismus und damit des Übels selbst unmöglich. Folgt man diesem Weltbild, reicht es aus, die jetzigen – besonders bösartigen – Herrschenden zu entmachten, die „uns“ aus dem Ausland kontrollieren oder sich von ihnen unabhängig zu machen.

Im Einklang damit steht die von Ken Jebsen vorgeschlagene Lösung: Er möchte die Macht der Eliten begrenzen, indem er eine Vermögensgrenze ansetzt – bei fünfzig Millionen Euro. Offenbar meint Jebsen, dass Einflussnahme durch Vermögen in Ordnung ist, solange sie auf lokale Strukturen begrenzt ist. So oder so wird der Kapitalismus durch diese Forderung weder abgeschafft noch in seiner Basis verändert. 

Der Grund, warum diese Lösung für Jebsen ausreicht ist sein Glaube an eine allmächtige Elite, denn natürlich, um eine so unfassbare Kontrolle über die Welt auszuüben, wie er sie sich vorstellt, sind unfassbare Ressourcen und weit mehr als schon fast lächerlich aussehende fünfzig Millionen notwendig. 

Aus der Überzeugung an die Allmächtigkeit der Elite ergibt sich außerdem, dass alles, was der Theorie widerspricht, als Propaganda oder Manipulation gewertet wird. Jede*r die oder der nicht der eigenen Meinung ist, ist von den Eliten gekauft oder manipuliert, weshalb die Menschen „aufgeweckt“ werden müssen. Genauso verhält es sich mit jeder Information, entweder sie passt in das eigene Weltbild oder die Information ist falsch.

Die Klassengesellschaft

Da stellt sich die Frage: Warum glauben so viele Menschen an solche Theorien? Es gibt unter den Unterstützer*innen verschiedener Verschwörungstheorien verschiedene Menschen, die das aus unterschiedlichsten Gründen tun.

Für die lautesten Vertreter*innen entpuppt sich die Verschwörungstheorie-Masche als ein durchaus rentables Geschäftsmodell. Plattformen wie KenFM, Compact etc. verdienen ihr Geld damit, dass Menschen sich ihre Veröffentlichungen anschauen. Andere bekannte Verschwörungstheoretiker bieten kostspielige Seminare an oder haben Online-Geschäfte. Solche Leute haben ein finanzielles Interesse daran, dass Menschen ihre Inhalte konsumieren. Sie verbreiten die Verschwörungstheorien gezielt und es ist infrage zu stellen, ob sie tatsächlich an ihre Richtigkeit glauben. 

Nichtsdestotrotz treffen sie damit offensichtlich ein Bedürfnis vieler Menschen, die die Theorien konsumieren und an sie glauben. Warum tun die Menschen das? Die Antwort darauf ist komplex und vielschichtig. Wir wollen uns hier nicht mit psychologischen Gründen beschäftigen, weshalb einzelne Menschen mehr als andere für Verschwörungstheorien empfänglicher sein könnten. Stattdessen wollen wir uns auf die objektiven, gesellschaftlichen Zusammenhänge fokussieren, die Menschen in die Arme der Verschwörungstheoretiker treiben. 

Ein wesentlicher Faktor, der dabei eine Rolle spielt, ist die simple Feststellung, dass die jetzige Gesellschaft ungerecht ist, und dass es auf der Welt sehr viele Probleme und Katastrophen gibt. Gleichzeitig bietet die herrschende, bürgerliche Meinung keine Erklärung für die Ursachen der Missstände. Die Verantwortlichen werden nicht genannt. Stattdessen wird der Status Quo als alternativlos und gegeben verkauft.

Es gibt gute Gründe, diese Geschichte zu hinterfragen. Im Kapitalismus verfügt eine kleine Minderheit über den Großteil des Vermögens und der Produktionsmittel, während die große Mehrheit der Lohnabhängigen diesen Reichtum schafft, ihn aber nicht behalten darf , sondern nur einen Bruchteil der von ihnen geschaffenen Werte als Lohn ausgezahlt bekommt. Das ist die Klassengesellschaft, in der die Wenigen auf Kosten der Vielen leben und reicher werden. Doch wenn das jeden Abend in der Tagesschau Thema wäre, würden viele Menschen die Legitimation des Kapitalismus infrage stellen und sich auf die Suche nach Alternativen machen.

Manipulation und Unwahrheiten gehören zum Kapitalismus dazu

Wie das berühmte Zitat von Paul Sethe sagt: “Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Kurz: Medien sind im Kapitalismus nicht neutral. Die herrschende Meinung im Kapitalismus ist die Meinung der Herrschenden. Sie kann nicht die Wahrheit widerspiegeln, weil die Wahrheit die hässliche Fratze ihres Systems entblößen würde: die Ausbeutung, die Armut und die Diskriminierung. Sie verbreiten zwar nicht nur Lügen, aber ihre Berichterstattung ist interessengesteuert.

Es ist keine Verschwörungstheorie, sondern eine Tatsache, dass die wenigen Menschen, die Milliarden-Konzerne und -Vermögen besitzen, großen Einfluss auf die Politik und die Wirtschaft ausüben und in Hinterzimmergesprächen Entscheidungen auf Kosten der Gesellschaft treffen können. Dafür haben sie die Unterstützung der bürgerlichen Regierungen, die die Interessen von Banken und Konzernen vor den Interessen der Bevölkerung stellt. 

Hinter dem Verhalten von Politiker*innen stehen kapitalistische Interessen und selbstverständlich versuchen die Politiker*innen, sie zu verbergen. Wie Lenin schon gesagt hat: „Die Menschen waren in der Politik stets die einfältigen Opfer von Betrug und Selbstbetrug, und sie werden es immer sein, solange sie nicht lernen, hinter allen möglichen moralischen, religiösen, politischen und sozialen Phrasen, Erklärungen und Versprechungen die Interessen dieser oder jener Klassen zu suchen.“

Um ein jüngeres Beispiel zu präsentieren: Der Ministerpräsident von NRW, Armin Laschet, hat inzwischen nachgewiesenermaßen über sein Wissen bezüglich der Heinsberg-Studie gelogen. Er wollte eine Studie haben, mit welcher sich baldige Lockerungen begründen lassen. Inzwischen werden der Studie Untersuchungsmängel vorgeworfen. 

Um weitere, drastische Beispiele zu geben: Kein Land ist jemals in den Krieg gezogen mit der Begründung, dass es sich um einen geostrategischen Angriff handele, um die Ressourcen des anderen Landes unter Kontrolle zu bringen. Nein, stattdessen wurden Lügen erfunden, um den Angriff zu rechtfertigen: Lügen über Massenvernichtungswaffen oder nie stattgefundene Übergriffe oder besonders brutale Menschenrechtsverletzungen.

So war die offizielle Begründung für den zweiten Irakkrieg der Vorwurf, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfüge – die Massenvernichtungswaffen konnten nach der für Hunderttausende tödlichen Intervention nicht gefunden werden. Nur zwölf Jahre zuvor wurde der erste Krieg gegen Irak unter anderem damit begründet, dass irakische Soldaten bei der Einnahme von Kuwait Neugeborene getötet hätten – die Behauptung hat sich später als Lüge entpuppt, die sogenannte „Brutkastenlüge“. Selbst die Nazis haben den Überfall auf Polen, der den Beginn des Zweiten Weltkrieges markiert, damit begründet, dass polnische Soldaten angeblich den Sender Gleiwitz attackiert hätten. Selbstverständlich versuchen die Herrschenden, ihre dunklen Machenschaften zu verbergen.  

Die Liste ließe sich weiter und weiter fortsetzen. Das Fazit ist: Die Informationsdarstellung durch die Herrschenden ist weder neutral noch besonders aufrichtig und vertrauenswürdig. Aus dem Frust über die Lügen, Korruption und Manipulation, können viele Menschen zu dem richtigen Schluss gelangen, dass dem Establishment nicht zu trauen ist. Das führt die Menschen wiederum auf die Suche nach Antworten: Warum sieht die Welt so aus, wie sie aussieht? Was könnte man machen, damit die Welt sich ändert? Es muss doch jemanden geben, der verantwortlich ist, oder? 

Verschwörungstheorien und legitime Vermutungen

Einige von diesen Menschen treffen im Netz dann auf kuriose Verschwörungstheorien, die alle Missstände auf die Machenschaften einer Bank oder einer Geheimgesellschaft zurückführen. Da diejenigen, die laut der Theorie dahinterstecken, so mächtig und gut organisiert sind, kann keine Untersuchung angestellt werden, die diese Verschwörungstheorie be- oder widerlegen. Wie wir zuvor erklärt haben, sind solche Verschwörungstheorien falsch und gefährlich. 

Dennoch ist nicht jede nicht bewiesene Story eine abstruse Verschwörungstheorie. Denn es gibt Verschwörungen und es gibt unbewiesene Vermutungen, die berechtigt sind. Mit der Verdammung aller solchen Vermutungen mit Hinweis auf Verschwörungstheorien, können die Herrschenden berechtigte Verdachtsfälle abwerten und sie so ideologisch bekämpfen. So werden beispielsweise oft die Ideen von Bankenmacht oder der Macht der einzelnen Kapitalist*innen in einer Reihe mit dem Glauben an die Macht der Illuminati oder sogar an die Existenz von Echsenmenschen gestellt. Das ist falsch und dient dazu, linke Ideen zu diskreditieren.

Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, die als Verschwörungstheorien verleumdet wurden und sich im Nachhinein als wahr herausgestellt haben. So zum Beispiel die Theorien, dass die CIA in Staatsstreiche wie dem in Chile 1973 oder Iran 1953 beteiligt war. Besonders aktuelles Beispiel einer bewiesenen Verschwörung ist die Existenz der rechten Terrorzelle NSU. Die Nazis haben über den Zeitraum von zehn Jahren zehn Menschen ermordet. Während linke Aktivist*innen dafür argumentierten, dass es sich bei den Morden um die Taten einer rechten Terrorgruppe handele, hat die Polizei diese These abgelehnt und nach den Tätern unter Migrant*innen gesucht. Die Verwicklungen des Verfassungsschutzes und des NSU sind bis heute nicht aufgeklärt.

Die bürgerliche Presse kann alles als Verschwörungstheorie abwerten, was nicht der offiziellen Geschichte entspricht. Die offizielle Story entspricht aber nicht immer der Wahrheit, da hinter der Darstellung immer Interessen stecken. Jeder Vorwurf von Korruption, jeder aufgedeckte Skandal, jede Anklage ist vor der Bestätigung nur eine Vermutung und kann von den Herrschenden mit der Keule „Verschwörungstheorie“ abgetan werden. Die Ablehnung jeden unbewiesenen Verdachts, der von der offiziellen Version abweicht, ist gefährlich, denn sie führt zu dem Schluss, dass die Medien und die Regierungen die offizielle Wahrheit gestalten können und uns nichts Anderes übrigbleibt, als sie zu akzeptieren. Damit wird dem Establishment die Deutungshoheit überlassen. Das dürfen wir nicht machen. 

Was unterscheidet denn legitime Verdachtsfälle von den verrückten Geschichten, die überraschend schnell zu „die Erde ist flach“ führen? Die legitimen Vermutungen können im Gegensatz zu kruden Lügengeschichten bewiesen oder widerlegt werden. Sie werden das aber nicht immer, weil die Möglichkeiten dazu fehlen. Aus dem Grund sollte eine zentrale linke Forderung angesichts eines Verdachtes oder eines nicht geklärten Vorfalles ein von Staat und Konzernen unabhängiger Untersuchungsausschuss sein, der den Verdacht aufklären kann.

Der Kapitalismus ist keine Verschwörungstheorie

Egal wie attraktiv oder interessant die umfassenden Verschwörungstheorien über Chemtrails, Illuminaten, etc. klingen, sie lenken von den eigentlichen Missständen ab und bieten keine Lösung. Denn es ist keine kleine Minderheit, die heimlich hinter den Kulissen den Kapitalismus zu dem mörderischen System macht, das es ist. Es ist das kapitalistische System selbst, das die Welt zu einem Ort voller Armut, Diskriminierung, Krieg und Ausbeutung macht. Nicht eine Gruppe von bösen Menschen ist die Ursache, sondern die materiellen Umstände, die Menschen in Besitzende und Besitzlose trennt, die Marktwirtschaft, die zum tödlichen Konkurrenzkampf führt, und die Profitorientierung, die vor jeder Menschlichkeit gilt. Die Herrschenden sind natürlich für ihr Handeln verantwortlich, aber auch austauschbar.

Um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, müssen wir das kapitalistische System ersetzen durch ein System, das auf Bedürfnisbefriedigung fokussiert. Das kann nur eine sozialistische Demokratie schaffen. In einer sozialistischen Gesellschaft gehören die Fabriken und weitere Produktionsmittel nicht einer kleinen, auf Profitmaximierung fixierten Minderheit, sondern der arbeitenden Bevölkerung. So kann die Produktion demokratisch durch die Beschäftigten geplant und kontrolliert werden. Als Folge wird der produzierte Reichtum im Interesse von Menschen und Natur eingesetzt. Die Wirtschaft hat nicht mehr das Ziel, möglichst große Profite abzuwerfen, sondern richtet sich nach den Bedürfnissen von Menschen. Dadurch wird verhindert, dass Privilegien und eine abgehobene Elite entstehen. In einer solchen durch und durch demokratischen Gesellschaft wird der wirtschaftliche Einfluss von Einzelnen ausgeschlossen.

Der Weg zu einer Gesellschaft, in der alle gut leben können, verläuft nicht über Kämpfe gegen die imaginäre, allmächtige Verschwörung, sondern über Kämpfe für die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und die Frage der Entscheidungsgewalt über die Produktion und der Eigentumsverhältnisse über die Produktionsmittel.

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