Joe Biden ist nicht Donald Trump: Reicht das?

Nicht die Augen vor dem kleineren Übel verschließen.

Eine kürzliche Umfrage kam zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der Wählerschaft, die ihre Stimme bei der Präsidentschaftswahl 2020 den Demokraten geben will, dies aus einem einfachen Grund tut: Weil Joe Biden nicht Trump ist. Soweit, so richtig. Das ist er nicht. Und jetzt?

Eine Kolumne zu den US-Präsidentschaftswahlen von Martin Schneider, Berlin

Das Spiel, das hier vor sich geht, ist das des kleineren Übels und wird alle Jahre wieder gespielt. Es werden Figuren aufgestellt, gegen die man abstimmen soll. Wohlgemerkt: Nicht FÜR irgendwen soll man abstimmen, sondern man soll seine Stimme dazu verwenden, etwas noch Schlimmeres zu verhindern. Dabei geht es so gut wie nie um Inhalte oder politische Positionen.

Brisant ist dabei besonders im Zusammenhang mit Trump und den Wahlen 2016: Wer hat ihn aufgestellt? Die Führung der Republikaner wand sich im Horror seiner Kandidatur. Er stellte ihre anderen Kandidaten öffentlich bloß, er gab widerliche Tiraden von sich, die naturgemäß an der gesamten Partei hängenblieben, er machte plötzlich und planlos Vorstöße nach vage links (Krankenversicherung, Nicht-Intervention, Ende des Freihandels etc.) – kurz, er war eine Abrissbirne. Nein, die Republikaner wollten ihn nicht.

WikiLeaks enthüllte damals, dass die Clinton-Kampagne sehr gern gegen Trump in den Wahlkampf ziehen wollte. Er erschien so grotesk, dass sich gut vorstellen ließ, wie die Menschen ihren berechtigten (und inhaltlich fundierten) Abscheu vor Hillary beiseitelassen und demokratisch abstimmen würden. Also ermunterte man Trump, anzutreten. Also rief man seine Buddies bei den großen Printmedien an und sagte ihnen: Schreibt ihn hoch. Also zeigte MSNBC stundenlang das leere Podium Trumps – während Bernie Sanders unbeachtet eine Siegesrede hielt. Die Pied-Piper-Strategie – statt der Ratten in den Fluss sollten die Wähler*innen den Demokraten zugeführt werden.

Das Ende vom Lied: Die Sache ging schief. Für alle Beteiligten. Das Establishment verkalkulierte sich, da Trumps Anti-Establishment-Aura schwerer wog als rationales Weiter so. Und Trump verkalkulierte sich ebenfalls – denn er wollte ja gar nicht das Amt. Er wollte Publicity für seine TV-Karriere und Werbung für seine Marke. Und es ging schief für die amerikanischen Wähler*innen, denn nicht nur hielt Trump natürlich kein einziges seiner Wahlversprechen, es begann fast augenblicklich eine Jahre andauernde Kakofonie aus Ablenkungsmanövern: RussiaGate, Impeachment, FakeNews etc. Die Lebensrealitäten von tödlichen Krankenhausrechnungen, Kreditkartenschulden, Lebensmittelmarken und Verseuchung von Trinkwasser spielte plötzlich noch weniger eine Rolle als zu Zeiten der Obama/Biden-Administration.

Einzige Nutznießer waren die Führungsspitzen der Demokraten: Ihre Spendeneinnahmen gingen hoch, die Inszenierung als „Resistance“ brachte besseren Leumund und während sie beinahe jede Maßnahme der Trump-Regierung (Richter, Interventionen, Bombardierungen, Putsche, Kürzung von Sozialleistungen und Steuergeschenke) mittrugen, konnten sie sich auf allen Kanälen über diesen Pennäler und seine Twittertiraden empören. Win-Win-Win.

Fassen wir zusammen: Donald Trump ist nicht Joe Biden.

Donald Trump ist ein Rassist. Joe Biden war gegen die Bus-Kampagne und schrieb die CrimeBill, welche in den Neunzigern dafür sorgte, dass überwiegend Schwarze und Latinos für minderschwere Verbrechen lebenslang in den Knast wanderten. Three strikes, you’re out!

Donald Trump ist ein Milliardärssöhnchen, das die Armen verachtet. Joe Biden arbeitete seine ganze Karriere über an dem Ziel, die Sozialhilfe inklusive Medicare und Medicaid zu kürzen. Obama verhandelte darüber sogar mit Newt Gingrich. Bill Clinton kürzte die Sozialhilfe für schwarze, alleinerziehende Mütter und zwang sie zur Arbeit – Welfare to work!

Donald Trump ist korrupt. Joe Bidens Sohn erhielt nach dem Putsch in der Ukraine einen Vorstandsposten bei einem dort ansässigen Energieunternehmen für mehrere Zehntausend im Monat. Biden selbst verhinderte im Auftrag von Kreditkartenfirmen den erleichterten Zugang zur Privatinsolvenz für einfache Menschen. Seine Opposition gegen Medicare4All verträgt sich gut mit den Spenden der Gesundheitsindustrie. Hillary Clinton fädelte gegen Spenden an ihre Foundation Rüstungsaufträge mit Saudi-Arabien ein. Obama erhielt nach getaner Arbeit, genau wie sie, Rednerhonorare in Hunderttausender Höhe.

Donald Trump ist außenpolitischer Sprengstoff; jemand, den man nicht in die Nähe von Abschusscodes lassen darf. Joe Biden und Hillary Clinton stimmten für den Irak-Krieg, Hillary verantwortete als Außenministerin das Desaster von Libyen und forderte eine No-Fly-Zone über Syrien. Obama verlegte Truppen aus dem Irak nach Afghanistan. Während seiner Amtszeit wurden überall auf der Welt Menschen mit Drohnen ermordet. Er steigerte Bushs Kriege von zwei auf sieben. Die Armee hatte unter seiner Ägide eines Tages sogar keine Bomben mehr. Sie waren alle abgeworfen. Und alle Demokraten schreien: Putin, Russland, Stärke zeigen! We came, we saw, they died!

Wir sollten uns fragen, welchen Effekt eine Stimme oder ein Wahlaufruf für Biden haben würde.

Muss sich nicht jede politische Kraft, die eine solche Wahlempfehlung ausspricht, ob “mit zugehaltener Nase” oder wie auch immer, ihre eigene Glaubwürdigkeit verspielen? Und viel schlimmer: Würde sie nicht diesem verrottetem Zwei-Parteien-Theater eher noch Glaubwürdigkeit verleihen und die Wähler, die Menschen, für eine weitere Legislaturperiode schlafen schicken? Bis ein neuer, schlimmerer Trump erscheint, um die bis dahin ins Unermessliche gewachsenen Sorgen der Menschen aufzugreifen und auf neue, andere Sündenböcke abzulenken?

Das Ergebnis dieses Kleinere-Übel-Spiels wird immer sein: Das dringend Nötige wird verhindert – das Aufbrechen des dysfunktionalen Systems zweier kapitalistischer Parteien, die Bildung einer dritten Partei, einer Arbeiter*innenpartei, die die Interessen der Klasse der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten vertritt. Um dies zu erreichen, muss nicht nur Trump bekämpft, sondern auch mit den nicht minder prokapitalistischen Demokraten gebrochen werden.

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