Vor der zweiten Welle?

Für eine Corona-Politik im Interesse der Mehrheit

Der Herbst bedeutet eine Zunahme von Erkältungskrankheiten, die oft ähnliche Symptome (Halsschmerzen, Husten, laufende Nasen, Fieber…) wie Corona aufweisen. Mehr besorgte Patient*innen werden Ärzt*innen aufsuchen. Außerdem bedeutet die kältere Jahreszeit, dass mehr Aktivitäten in geschlossenen Räumen stattfinden werden, in denen die Ansteckungsgefahr größer ist. Diese unvermeidlichen jahreszeitlichen Herausforderungen verbinden sich aber mit vielen, die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Ursachen haben.

Von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart

Meinungsumfragen zeigen, dass es für die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung weiterhin eine große Zustimmung gibt. Das ist zunächst einmal Ausdruck davon, dass sie sich von der unverantwortlichen Haltung diverser Corona-Leugner*innen oder von internationalen Politiker*innen wie Trump in den USA und Bolsonaro in Brasilien positiv abhebt. Es ist auch ein Ausdruck davon, dass sie von den Gewerkschaften und von der Partei DIE LINKE wenig herausgefordert wird. Zugleich trug die ausführliche Medienberichterstattung über die Demos der Coronaleugner*innen dazu bei, jegliche Kritik an der Regierungspolitik zu diskreditieren.

Tatsächlich wurden die Regierungsmaßnahmen von den Profitinteressen des Kapitals bestimmt. Auf der einen Seite wurden zum Beispiel Freizeitmöglichkeiten drastisch eingeschränkt, einschließlich von Freizeitmöglichkeiten im Freien, bei denen die Ansteckungsgefahr gering gewesen wäre. Auf der anderen Seite ging die Produktion überwiegend weiter. Wenn Bereiche sich nicht ins Home Office verlagern ließen, wurde den Beschäftigten zugemutet, in vollen öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit und wieder nach Hause zu fahren. Wenn die Produktion vorübergehend eingestellt wurde, lag das mehr an der Unterbrechung von Lieferketten als am Gesundheitsschutz. Bei Erntehelfer*innen oder in der Fleischindustrie führten die Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse zu mehreren Corona-Ausbrüchen.

Beifall kann man nicht essen

Dem Krankenhauspersonal wurde erst „großzügig“ Beifall gespendet, dann war von einer Einmalzahlung von 1500,- Euro die Rede. Dann hieß es, dieser Betrag solle nur an das Personal in der Altenpflege gehen. Anfang September stellten die gesetzlichen Krankenversicherungen dann doch hundert Millionen Euro für Krankenhauspersonal zur Verfügung, das bis zu tausend Euro pro Person erhalten soll, je nachdem, wie stark die Kolleg*innen mit der Behandlung von Coronapatient*innen befasst waren. Aber die notwendigen Schutzmaßnahmen gegen Corona-Infektionen haben auch für viele andere Krankenhausbeschäftigte drastisch erschwerte Arbeitsbedingungen bedeutet. Sollen die weiterhin leer ausgehen?!

Zunahme der Infektionen

In den Sommerferien gab es flächendeckende Tests bei Urlaubsrückkehrer*innen aus „Risikoländern“. Sie zeigten die Nützlichkeit solcher Tests bei der Identifizierung von Infizierten. Da aber in anderen Bereichen keine vergleichbaren Tests stattfanden, entstand ein schiefes Bild, als sei vor allem das Freizeitverhalten ein Problem. Von den Arbeits- und Wohnbedingungen wurde so abgelenkt. Aber zum Beispiel wurde am 21. September ein weiterer Corona-Ausbruch auf der Stuttgart-21-Baustelle bekannt.

Trotz steigender Infektionszahlen drängte die Politik auf eine schnelle Wiedereröffnung der Kitas und Schulen. Das war von dem Ziel bestimmt, die Kinder möglichst schnell unterzubringen, damit die Eltern ohne Ablenkung wieder berufstätig sein könnten, nicht von Sorgen für die psychischen Folgen der Isolation von Kindern bei Social Distancing oder der Benachteiligung von Kindern aus einkommensschwachen Familien bei Home Schooling. 

Dabei zeigen sich die Folgen der Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte drastisch. Wenn in vergangenen Jahrzehnten kleinere Klassen eingeführt worden wären, weil sie bessere Lernbedingungen für die Kinder bedeuten, wäre das jetzt in Coronazeiten ein großer Vorteil. Auch Schulärzt*innen wären auch zu „normalen“ Zeiten schon sinnvoll gewesen. Wenn Schulgebäude so weit saniert worden wären, dass man wenigstens in allen Klassenzimmern die Fenster öffnen und lüften kann, würden heute Anweisungen, zum Schutz gegen Corona regelmäßig kräftig zu lüften, nirgends zu Ratlosigkeit führen. Wenn für den kalten Winter frühzeitig eine Planung für den Einsatz von Luftfiltern in allen Klassenräumen erarbeitet worden, und in die Anschaffung investiert worden wäre, stünden Lehrer*innen und Schüler*innen nicht bald vor der Alternative „frieren oder Risiko erhöhen“. Dass Lehrer*innen und Eltern vor Ort demokratisch unter dem Blickwinkel der körperlichen und seelischen Gesundheit der Kinder entscheiden, ist nicht vorgesehen.

Wie sich die Coronazahlen in den nächsten Monaten entwickeln werden, kann niemand zuverlässig vorhersagen. Die Regierung wird sicher alles tun, um einen neuen Lockdown zu vermeiden angesichts der drastischen wirtschaftlichen Folgen im Frühjahr. Im zweiten Quartal schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 10,1 Prozent (zum Vergleich: in der Krise 2008/2009 war der größte Quartalsrückgang 4,7 Prozent im 1. Quartal 2009). Auch die finanzielle Belastung für den Staatshaushalt war beträchtlich. Für dieses Jahr wird mit 217,8 Milliarden Euro neuen Schulden gerechnet, fünf mal so viel wie im bisherigen Rekordjahr 2010. Wahrscheinlich wird sich die Regierung bis zu den Bundestagswahlen im nächsten Herbst zurückhalten, dieses Geld bei der Masse der Bevölkerung wieder einzutreiben. Aber danach werden die Messer gezückt werden und wir werden Widerstand organisieren müssen.

Die Sol fordert:

  • Entscheidung von demokratisch gewählten Vertreter*innen von Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen über Schulschließungen
  • Massive Ausweitung der Corona-Tests. Kombination von flächendeckenden Schnelltests und Labortests.
  • Flächendeckende Bereitstellung von Luftfiltern in Schulen, an Arbeitsplätzen etc.
  • Risikozuschläge für Beschäftigte, die sich erhöhter Gefahr aussetzen müssen. 
  • Corona-Abgabe für Millionär*innen: dreißig Prozent ab der ersten Million!
  • Keine Millionenhilfen für private Banken und Konzerne, sondern ihre Überführung in öffentliches Eigentum, wenn sie durch die Corona- und Wirtschaftskrise ins Trudeln kommen
  • Wir zahlen nicht für die kapitalistische Krise – Nein zu Arbeitsplatzabbau und Entlassungen, Sozialabbau, kommunalen Kürzungen und Abbau von Arbeiter*innenrechten – Gewerkschaften und LINKE müssen jetzt den Widerstand beginnen
  • Sozialistische Demokratie statt kapitalistischem Chaos
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