Bye-bye Trump, aber Biden ist keine Alternative

Foto: Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of America

Die USA nach den Wahlen

Donald Trump hat die US-Wahlen verloren. Millionen Menschen in den USA und auf der ganzen Welt freuen sich verständlicherweise darüber, dass dieser rassistische und frauenverachtende Milliardär das Weiße Haus räumen muss. Doch die Freude dürfte weder lange anhalten, noch bei vielen die Skepsis gegenüber dem verdrängen, was nun kommt. Denn diese Wahl bringt keine Lösung – viel eher ist sie Ausdruck – der grundlegenden Probleme des Landes. Die soziale und politische Polarisierung in den USA ist gigantisch. Das Phänomen „Trump“ oder „Trumpismus“ wird nicht verschwinden, wenn mit Joe Biden ein Vertreter jenes pro-kapitalistischen Establishments die Regierung führt, welches mit seiner jahrzehntelangen Politik für die Banken und Konzerne Trumps Aufstieg erst ermöglichte. Und vor all der Aufregung um die Wahl hätte man fast vergessen können, dass die Jahrhundert-Wirtschaftskrise in den USA (und auf der Welt) gerade erst begonnen hat. Massenarbeitslosigkeit, Hunger und Elend werden auch in den USA in einem Ausmaß hervorbrechen, welches viele Generationen nicht erlebt haben, auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass Konjunkturprogramme und der Effekt eines Impfstoffs zu vorübergehenden ökonomischen Erholungen führen können. Und die Corona-Pandemie, die schon über 230.000 Tote forderte, wütet weiter. Joe Biden und die Demokraten sind entschiedene Verteidiger des Kapitalismus. Sie werden aus keinem dieser Probleme einen Ausweg im Interesse der großen Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung, der Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Unterdrückten, aufzeigen können. Mit aller Dringlichkeit stellt sich die Aufgabe des Aufbaus einer wirklichen politischen Alternative – einer neuen linken Arbeiterpartei.

von Tom Hoffmann, Sol-Bundesleitung

Denn die neue Administration wird die Polarisierung im Land nicht abbauen können oder das „Land heilen und einen“, auch wenn Biden das nach seinem Sieg erneut zum Ziel erklärte. Schon im Wahlkampf war das seine zentrale Aussage. Das größte Argument seiner Kampagne: Er ist nicht Trump. Seine eigenen politischen Vorhaben standen im Wahlkampf weniger im Vordergrund als die Kritik an Trumps rassistischer Hetze, seinem katastrophalen Umgang mit der Corona-Pandemie und dem Vorwurf, er agiere nicht präsidial genug. Ein großer Teil seiner Wähler*innen dürfte Joe Biden vor allem als „kleineres Übel“ gewählt haben, um Trump loszuwerden.

Warum es so knapp war

Dass das klappt, stand lange nicht fest und war denkbar knapp. Die erste Lehre aus der US-Wahl muss deshalb sein, dass auf diese Logik kein Verlass ist. Warum? Weil das „kleinere Übel“ nicht aufhört ein Übel zu sein. Selbst für viele, die Trump um jeden Preis loswerden wollten, war Joe Biden eine schwer zu schluckende Pille. Sicher hat er die Gefahren des Corona-Virus nicht wie Trump geleugnet. Aber er hat sich im Wahlkampf und in der schwersten Pandemie unserer Zeit gegen eine allgemeine, staatliche Krankenversicherung ausgesprochen. Sicher ist er nicht so plump rassistisch, autoritär usw wie Trump. Aber er seine Reaktion auf rassistische Polizeimorde ist, dass die Polizei Verdächtigen ins Bein schießen solle. Vor allem aber ist Joe Biden der Kandidat der Mehrheit des kapitalistischen Establishments gewesen. Deshalb konnte er nicht in der Lage sein, größere Teile von Trumps Wählerschaft „zurückzugewinnen“. Denn jene haben dieses Establishment satt. Sozialist*innen haben immer darauf hingewiesen, dass die Logik des „kleineren Übels“ fester Bestandteil des kapitalistischen System und seiner Arbeitsteilung ist. Und früher oder später wird in dieser Logik ein Punkt erreicht, wo die Meinungen in der Bevölkerung darüber auseinandergehen, wer nun das „kleinere“ und wer das „größere“ Übel wirklich ist.

Dass macht sicher einige, aber bei weitem nicht alle der über 71 Millionen Trump-Wähler*innen zu hoffnungslos verlorenen Rassist*innen. Es gibt tiefer liegende Ursachen, warum es weiterhin so viele Trump-Wähler*innen gibt. 2016 zeigten Umfragen, dass der sich selbst als Sozialist bezeichnende Bernie Sanders die Wahl gegen Trump hätte gewinnen können und ein teil der Trump Wähler*innenschaft für linke Anti-Establishment-Positionen mobilisierbar ist. Diese Wahlen zeigen vor allem, dass die Entfremdung vom liberalen Establishment bei vielen Menschen in den USA riesige Ausmaße angenommen hat – so groß, dass auch nach vier Jahren Trump an der Spitze des Landes, die Demokraten für sie der schlimmere der beiden korrupten Haufen sind, die sich bisher im US-amerikanischen Politikbetrieb die Zügel in die Hand gaben.

Bilanz der Demokraten

Das mag für einige auf den ersten Blick unverständlich sein. Aber ohne die Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten zu vergessen: Beide Parteien sind Verwalterinnen des kapitalistischen Systems, unter deren Politik Millionen US-Amerikaner*innen ihren Lebensstandard in den letzten Jahrzehnten haben schwinden sehen. Joe Biden war unmissverständlich der Kandidat des US-Establishments und ist langjähriger Veteran der Demokratischen Partei. Die bitteren Erfahrungen großer Teile der US-Arbeiter*innenklasse mit „demokratischen“ Administrationen stehen den republikanischen in Nichts nach.

Für Beispiele muss man nicht einmal weit in die Geschichte des Landes zurück blicken. Die Obama-Administration wurde 2008 mit dem Slogan „Hope“ und unter tatsächlich großen Hoffnungen in der Bevölkerung auf eine sozialere und weniger diskriminierende Politik nach Jahrzehnten sinkender Lebensstandards und Deindustrialisierung ins Amt gewählt. Am Trend nach unten hat sich jedoch nichts geändert. Das Tempo zog hingegen an. Fast 14 Millionen US-Amerikaner*innen leben heute in Gegenden mit extremer Armut. Zwischen 2000 und 2014 hat sich diese Zahl verdoppelt. Während der letzten Weltwirtschafts- und Finanzkrise pumpte die Obama-Regierung (inkl. Vizepräsident Joe Biden) Unsummen in die Taschen der Banken und Konzerne, welche die Krise zu verantworten hatten. Die herrschende Klasse hat einen enormen Reichtum in ihren Händen konzentriert: Allein die zwölf reichsten US-Bürger haben ein Privatvermögen von mehr als einer Billion US-Dollar. Genauso gilt aber, dass unter der „demokratischen“ Obama-Administration die Zahl der Polizeimorde an Schwarzen in neue Höhen geschnellt ist. Und die Reformen des Gesundheitssystems haben nicht verhindert, dass 2016 mehr als 27 Millionen Menschen weiterhin keine und Millionen darüber hinaus eine ungenügende Krankenversicherung hatten. Diese Zahlen sind seit dem noch gestiegen. Das Corona-Virus hat in den USA auch deswegen leichtes Spiel.

Die Enttäuschung mit der Obama-Administration und die sozialen Folgen der letzten Wirtschaftskrise waren es, die Donald Trump den Weg zur Präsidentschaft ebneten. Zwischen 2008 und 2016 nahmen die Wahlergebnisse der Demokraten kontinuierlich ab. Die realen sozialen Probleme und die berechtigte Wut über ein abgehobenes Establishment sind der Nährboden für die gesellschaftliche Polarisierung, die mit den Wahlen 2020 neue Höhen erreicht hat. Und sie sind der Anknüpfungspunkt für Trumps rechten Populismus, der an diesen realen Problemen ansetzt und sich nicht nur als außerhalb des Establishments stehender Deal-Maker sondern sich bewusst als Gegner der liberalen Eliten präsentiert.

Scheitern der Identitätspolitik

Aus diesem Grund ist das Ergebnis in den USA auch ein kräftiger Schlag vor den Bug der Identitätspolitik eben jener liberalen Eliten. Trump konnte sein Stimmenanteil unter schwarzen Männern wohl auf 19 Prozent steigern. Unter Latinos stimmte jeder dritte für ihn. Bidens Stimmenanteile unter People of Color lagen unter denen von Hillary Clinton 2016. Gleichzeitig stimmte jede*r Fünfte von denen, die der Black-Lives-Matter Bewegung positiv gegenüber stehen, für Trump. (Alle Zahlen aus CNN-Exit Polls) Warum das alles, wo doch Biden angeblich der Kandidat gegen Rassismus etc. war? Einiges spricht dafür, dass auch unter diesen Gruppen die Abneigung gegenüber dem Establishment und seinem Kandidaten größer oder andere Themen für die Wahlentscheidung wichtiger waren. Für Trump-Wähler*innen war vor allem auch der Zustand der Wirtschaft wahlentscheidend. Zwischen 2016 und 2019 stieg die Zahl der Industriearbeitsplätze um 500.000 an – auch wenn dieses Wachstum nicht größer ist als in den Jahren zuvor, es die Verluste des vorherigen Jahrzehnt nicht wettmacht und allein durch die Corona-Pandemie zwischen Januar und Juli 740.000 Jobs in diesem Sektor vernichtet wurden. Einiges spricht aber dafür, dass Trump sich trotz seiner Versprechen, er würde alle Industriearbeitsplätze zurückholen, vor einem großen Teil seiner Basis noch nicht entzaubert hat und dass viele seiner Wähler*innen die gerade erst beginnende Wirtschaftskrise nicht ihm anlasten.

Aber das Wahlergebnis in den USA ist eine Bestätigung dafür, dass Trumps Wähler*innenbasis nicht durch moralische Appelle und Identitätspolitik kleinzukriegen ist. Dennoch stellt sich für die Linke in den USA jetzt die Aufgabe, einen Teil dieser Wähler*innen anzusprechen und zurückzugewinnen, wie auch die vielen Nichtwähler*innen zu mobilisieren. Das kann nur auf Basis eines klassenbasierten Programms geschehen, welches die gemeinsamen sozialen Interessen der Arbeiter*innenklasse unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht etc. betont und den wirklichen Gegner beim Namen nennt: die Banken und Konzerne.

Gleichzeitig haben diejenigen, deren finanzielle Situation sich in den letzten Jahren und insbesondere während der letzten Monate verschlechtert hat eher für Biden gestimmt. Doch seine Administration wird versuchen, die Wirtschaftskrise auf dem Rücken der Beschäftigten abzuwälzen. Die Linke und die Gewerkschaften stehen deshalb in der Pflicht: Der gemeinsame Kampf der Arbeiter*innenklasse um die Verteidigung von Arbeitsplätzen und -bedingungen und für soziale Verbesserungen wird nicht nur der einzige Weg sein, die Angriffe der Kapitalisten und der Regierung zu stoppen, sondern auch die Spaltung in der Arbeiter*innenklasse durch Rassismus, Sexismus usw. zurückzudrängen.

Comeback möglich

Denn auch wenn Trump diese Wahlen verloren hat, ist der Rechtspopulismus nicht geschlagen. Ja, Biden hat die meisten Stimmen jemals in einer US-Präsidentschaftswahl bekommen. Aber Trump die zweitmeisten, weil die gesellschaftlichen Ursachen seines Aufstiegs nicht verschwunden sind sondern sich sogar verschärft haben. Trumps juristische Infragestellung des Wahlergebnisses dürfte nicht nur mit seinem persönlichen Charakter, sondern vor allem mit dem Versuch zusammenhängen, seine Wähler*innenbasis geschlossen zu halten. In diesem Sinne ist sein Gang vor die Gerichte die Vorbereitung eines Comebacks – wenn nicht durch ihn selbst, so vielleicht durch ein Familienmitglied oder eine andere Figur der Rechtspopulisten. Gibt es bessere Voraussetzungen für ein Comeback als unter einem Präsidenten Biden? Es bedarf nicht viel Vorstellungskraft, welche Dimensionen die gesellschaftliche Radikalisierung (nach rechts wie nach links) angesichts der sich entwickelnden Wirtschaftskrise annehmen kann. Auf Obama und die Krise 2007-2008 folgte Trump. Sozialist*innen sollten vor der Gefahr warnen, die auf Biden und die Krise 2020-X folgen könnte, wenn die Arbeiter*innenklasse nicht ihre eigene, von den Kapitalist*innen unabhängige politische Kraft aufbaut und die einzige Opposition eine rechte ist.

Lehren für Linke und soziale Bewegungen

Aber die Arbeiter*innenklasse in den USA ist dieser Entwicklung nicht machtlos ausgeliefert. Es ist nur nötig, dass Sozialist*innen und Aktive in sozialen Bewegungen alle Schlussfolgerungen aus dieser Wahl und den Erfahrungen mit „demokratischen“ Administrationen ziehen. Die Logik des „kleineren Übels“ führt in den USA seit Jahrzehnten dazu, dass soziale Bewegungen früher oder später in die für die Kapitalist*innen sicheren Gewässer der Demokratischen Partei gelenkt werden. Dass war leider auch in diesem Jahr mit der beeindruckenden Black-Lives-Matter Bewegung der Fall. Und es war der Fall mit der Kampagne des selbst ernannten Sozialisten Bernie Sanders, der zu den beliebtesten Politiker*innen des Landes zählt, den Kampf gegen die „Klasse der Milliardäre“ propagiert und eine Reihe wichtiger linker Forderungen vertritt. Aber Sanders, andere prominente US-Linke wie das sogenannte „Squad“ um die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez oder auch Organisationen wie die Democratic Socialists of America (DSA) sind gefangen in ihrem Tunnelblick auf die Demokratische Partei. Schon 2016 besaß die Sanders-Kampagne das Potenzial zum Ausgangspunkt für eine wirkliche politische Alternative zum Zwei-Parteien-System zu werden, wenn sie mit der Demokratischen Partei gebrochen hätte und die Kampagne zum Aufbau einer neuen linken Arbeiterpartei genutzt worden wäre. Sanders, wie auch die anderen „Linken“ in der Demokratischen Partei tragen mit ihrer Entscheidung Clinton bzw. Biden zu unterstützen die Verantwortung dafür, dass es nicht dazu gekommen ist. Vieles spricht dafür, dass die Abwahl von Donald Trump keine Zitterpartie hätte sein müssen. Mehr noch: Sie hätte sogar der Ausgangspunkt einer Offensive für eine kostenlose, staatliche Gesundheitsversorgung, ein milliardenschweres Investitionsprogramm zur Schaffung von nachhaltigen Arbeitsplätzen, eine massive Besteuerung von Reichtum und die Überführung der großen Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum, für eine Entmilitarisierung der Polizei und vieles mehr sein können, wenn die letzten vier Jahre zum Aufbau einer neuen linken Partei genutzt worden wären.

Diese Chance wurde vertan und zumindest Alexandria Ocasio-Cortez scheint weit davon entfernt zu sein, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Während das Demokraten-Establishment unter anderem ihre linken Positionen für das knappe Wahlergebnis verantwortlich macht, kontert sie in einem Interview mit der New York Times nicht mit Kritik an der Politik der Demokraten, sondern damit dass zu wenig Geld für Social-Media-Werbung ausgegeben wurde. Sie fordert Biden dazu auf, er solle in seine Regierung auch „linke“ Demokraten einbeziehen und sie warnt die Demokraten vor Niederlagen bei nächsten Wahlen, wenn sie nicht einige linke Forderungen im Gesundheitswesen oder im Kampf gegen Rassismus aufnehmen. Statt zum Kampf gegen das demokratische Establishment und zur Bildung einer neuen Partei aufzurufen, erweckte sie den Eindruck, sie könne sich einen Rückzug aus der Politik vorstellen. Sicher kann es sein, dass Biden die eine oder andere linke Forderung aufgreift, um dem Unmut über seine sonstige Regierungspolitik in Krisenzeiten zu begegnen. Aber wer glaubt, dass ein paar „linke“ Demokraten in einer Biden-Regierung einen grundlegenden Unterschied ausmachen, der glaubt auch dass Saskia Esken und Norbert Walter Borjans in der SPD den Ton angeben – zumal Biden wenig Anlass sehen wird, die „Linken“ einbeziehen zu müssen. Die tiefere Ursache für die beschränkte Strategie der „Demokraten-Linken“ ist ihr Mangel an einem Klassenstandpunkt und ihre fehlende Bereitschaft grundlegend mit dem Kapitalismus zu brechen. Sie landen deshalb automatisch in der Rolle des sozialen Gewissens der Kapitalist*innen, welches mit Reformen im bestehenden System eine Bewegung für eine grundlegende, sozialistische Veränderung von unten verhindern will.

Die Aufgaben des Wiederaufbaus und der Ausbreitung der Gewerkschaften und der Gründung einer neuen linken Partei, die sich den Interessen der Arbeiter*innenklasse verschreibt, bleibt aber bestehen. Das wird keine Sache von Jahrzehnten sein. Bereits in den letzten Monaten gab es (auch während der Pandemie) den Aufschwung von einer Reihe betrieblicher und gewerkschaftlicher Kämpfe in den USA. In den wirtschaftlichen Erholungsintervallen, die im Rahmen der schweren allgemeinen Krise trotzdem auftreten können, können neue Schichten an Selbstbewusstsein gewinnen und in den Kampf treten. Auch wenn man den Einfluss von Vorurteilen und Nationalismus (den nicht nur Trump sondern auch die Demokraten schüren) auf das Bewusstsein relevanter Schichten nicht unterschätzen sollte: Eine neue linke Partei könnte in kürzester Zeit Massenunterstützung erlangen, wie die Sanders-Kampagne gezeigt hat. Die Schwesterorganisation der Sol in den USA, die Independent Socialist Group, hat deshalb dazu aufgerufen, bei dieser Wahl für die sozialistischen Kandidat*innen Howie Hawkins und Angela Walker zu stimmen, die auf dem Ticket der Grünen Partei antraten (welche nicht mit den pro-kapitalistischen und etablierten deutschen Grünen vergleichbar ist). Über 360.000 Menschen haben das gemacht,was eine angesichts der Polarisierung bei dieser Wahl zu erwartende geringe Zahl ist, die trotzdem ein Ausgangspunkt für eine weitere Organisierung der Linken sein kann.

Vor allem aber sollten Sozialist*innen betonen, dass es ein Armutszeugnis für eine Demokratie ist, wenn eine Wahlbeteiligung von etwas über 66 Prozent Rekorde bricht. Ein großer Teil der Bevölkerung hat also nicht gewählt bzw. war von der Wahl von vornherein ausgeschlossen. Das drückt das Potenzial für eine neue Kraft aus. Jeder zweite junge Mensch in den USA hat eine positive Sicht auf die Idee des Sozialismus, auch wenn eine genaue Vorstellung davon, was Sozialismus ist, sicher noch fehlt. Aber eine solche neue linke Kraft könnte ein Forum für Diskussionen sein: darüber was Sozialismus genau ist; darüber, wie man am besten Arbeitsplätze und Lebensstandards in der Krise verteidigt und verhindert, dass die Banken und Konzerne wieder die lachenden Gewinner sind; darüber, wie man mit einem klassenbasierten Programm versuchen kann das Trump-Lager zu spalten. Voraussetzung dafür ist aber der Bruch mit den pro-kapitalistischen Demokraten.

Lehren für die LINKE in Deutschland

Leider hat die LINKE-Führung in Deutschland diese Aufgaben anscheinend nicht begriffen. Aus ihren Reihen hörte man entweder kritiklose Gratulationen an Biden oder Appelle an die Demokraten, jetzt für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, um Trumps Nährboden entgegenzuwirken. So werden die durchaus vorhandenen Illusionen in die Demokraten nicht weniger. Stattdessen hätte die LINKE erklären sollen, dass es zwar gut ist, dass Trump abgewählt wurde, aber von den Demokraten keine linke Politik sondern weitere Angriffe auf die Beschäftigten und sozial Benachteiligten zu erwarten sind und deshalb eine unabhängige und neue linke Kraft aufgebaut werden muss. Dass die LINKEN-Spitze das nicht macht ist leider die Teil ihres ohnehin falschen Kurses, vor allem der immer deutlicher werdenden Orientierung auf SPD und Grüne und eine rot-rot-grüne Bundesregierung nach den nächsten Wahlen. Dabei zeigen die US-Wahlen, dass pro-kapitalistische Politik mit wohlklingenden Phrasen (und nichts anderes wird mit SPD und Grünen möglich sein) nur weiteres Futter für die Rechtspopulisten sein wird. Andere Äußerungen aus den Prominentenreihen der LINKEN sind aber ebenfalls nicht hilfreich. Oskar Lafontaine schreibt in seiner Erklärung viele richtige Dinge über die sozialen Ursachen für die Spaltung in den USA und den Aufstieg Trumps, nur um ihm dann doch zu attestieren, dass er immerhin keinen Krieg angefangen hat (als ob das die Einzelentscheidung eines Präsidenten wäre), und ohne konkret zu sagen, welche Schritte nun in den USA nötig sind und wer sie gehen muss.

Auswirkungen auf Deutschland und die Welt

Die Bundesregierung und die etablierten Parteien sind dagegen schnell dabei, ihre eigenen Schlussfolgerungen aus den US-Wahlen zu ziehen. Sie sind erleichtert über Bidens Sieg, aber betonen, dass nun die Konflikte zwischen Deutschland bzw der EU und den USA vielleicht in einem freundlicheren Ton ausgetragen werden aber weiterhin bestehen. Deutschland bzw. Europa müssen mehr Verantwortung übernehmen. Das Zwei-Prozent-Ziel für Militärausgaben (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) bleibt bestehen. Bidens Sieg ist kein Grund anzunehmen, dass die zunehmenden Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten, allen voran zwischen den USA und China, weniger werden. Die Welt befindet sich in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit über hundert Jahren und sie hat gerade erst begonnen. Kein Land der Welt wird von wachsender Polarisierung und Zunahme von Klassenkämpfen verschont bleiben. Doch damit wachsen auch die Möglichkeiten für Durchbrüche beim Wiederaufbau der Arbeiter*innenbewegung. Die Sol will als Teil des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale dazu einen Beitrag leisten.

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