Regieren in Bewegung?

Vier Jahre Rot-Rot-Grün in Berlin: eine erste Bilanz

Die Führung der Berliner LINKEN nimmt für sich in Anspruch ein “Regieren in Bewegung” umzusetzen – soziale Protestbewegungen in der Hauptstadt geraten angeblich nicht mehr in einen Widerspruch zur Regierungspolitik der Partei, sondern beides ergänze sich. Stimmt das? 

Von Ronald Luther, aktiv in der LINKEN Berlin-Neukölln

Keine Frage: Die letzten vier Jahre einer Regierung mit LINKE-Beteiligung werden auch unter vielen Aktiven aus sozialen Bewegungen und Gewerkschaften anders gesehen als die rot-rote Koalition von 2002 bis 2011, die für Privatisierungen und Sozialkürzungen stand. 

Vor dem Hintergrund von einem bis Ende 2019 andauernden wirtschaftlichen Wachstum und großem Druck durch Protestbewegungen hat der Senat aus SPD, Grünen und LINKE einige Maßnahmen beschlossen, die positiv sind: hier ist vor allem der Mietendeckel zu nennen, aber auch ein billigeres Sozialticket für Bus und Bahn. Kita- und Hortgebühren wurden abgeschafft und Grundschüler*innen erhalten ein kostenloses Mittagessen. Auch die Charité Facility Management GmbH (CFM) wurde rekommunalisiert, die Forderungen der Beschäftigten nach Eingliederung in den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVÖD) aber nicht umgesetzt. 

Mietenproblem nicht gelöst

Doch das Mietenproblem in der Hauptstadt ist weit von einer Lösung entfernt und die Bilanz der Wohnungspolitik fällt bei genauerem Hinsehen nicht ganz so positiv aus. Der Innensenat brauchte ein ganzes Jahr, um die Einleitung des Volksbegehrens für eine Enteignung von Immobilienkonzernen für rechtmäßig zu erklären. Diese Entscheidung kam dann aber nicht etwa auf Druck der LINKEN zustande, sondern weil die Mieter*inneninitiative vor Gericht zog! 

Der von der LINKE-Führung gefeierte Mietendeckel wird gerade von den Vermieter*innen mit Schattenmieten gekontert. So beläuft sich beispielsweise die “Marktmiete” einer Wohnung auf mehr als dreizehn Euro je Quadratmeter, obwohl der Mietendeckel nur sieben Euro zulässt. Die Vermieter*innen erwarten, dass Gerichte den Deckel im nächsten Jahr für unrechtmäßig erklären. In dem Fall könnten sie dann die Differenz von den Mieter*innen nachfordern. Das bedeutet: zur Zeit müssen sich Mieter*innen Mietersparnisse zurücklegen und können gar nicht in eine aufgrund des Mietendeckels günstigere Wohnung ziehen, weil sie damit rechnen müssen, dass dieser keinen Bestand haben wird.

Wem gehört die Stadt?

DIE LINKE unterstützt das Volksbegehren “Deutsche Wohnen und Co. enteignen”. Trotzdem scheint sich die Parteiführung zu erhoffen, dass Enteignung nicht nötig sein wird. So sieht die Landesvorsitzende Katina Schubert diese nur als „einen Baustein“ an, um „die Menschen in Berlin vor diesem Mietenwahnsinn zu schützen“. Ein weiterer Baustein wäre „die konsequente Anwendung des Vorkaufsrechts“. Es wird immer deutlicher, dass die Partei zwar eine Enteignung von Immobilienkonzernen fordert, aber auch bereit ist, diesen die Häuser teuer abzukaufen. So wie sie gerade das Angebot des Stromkonzerns Vattenfall, die Berliner Stromversorgung für ein bis drei Milliarden Euro an das Land Berlin verkaufen zu wollen, als Rekommunalisierung begrüßte.

Kürzlich beantwortete der LINKE-Bürgermeister Klaus Lederer die Frage „Wem gehört die Stadt?“ klar mit: den Immobilienspekulanten. Mit seiner Unterschrift unter eine Absichtserklärung mit dem Immobilien-Milliardär Rene Benko erkaufte er sich eine unverbindliche Zusage zur Rettung von vier Karstadt-Kaufhof-Filialen mit 500 Jobs. Dafür gab es grünes Licht für Hochhaus-Neubaupläne des Konzerns. Akzeptiert wurde außerdem die Schließung von den restlichen Karstadt-Filialen und der Verlust der dortigen Arbeitsplätze. Obwohl sich der letzte LINKE-Landesparteitag gegen diese Absichtserklärung aussprach, wurde sie von Klaus Lederer nicht zerrissen. Die Berliner Mietenbewegung jedenfalls kündigte bereits massiven Widerstand bei einer Umsetzung dieser Vereinbarung an.

S-Bahn-Privatisierung

Kurz vorher hatte die Berliner LINKE-Führung ihren zahmen Widerstand gegen die von den GRÜNEN vorangetriebene Ausschreibung der Berliner S-Bahn aufgegeben. Damit kann das S-Bahn-Netz nun zum Teil oder auch ganz von privaten Anbietern übernommen werden. DIE LINKE stellt sich auch nicht vehement gegen die unsoziale Forderung der GRÜNEN nach der Einführung einer City-Maut und eines ÖPNV-Pflichttickets, sondern zeigt sich dafür sogar offen. Auch wurde nichts gegen die Law-and-Order-Politik der SPD unternommen. Diese lässt ständig Razzien in Shisha-Bars durchführen und linke Treffpunkte und Wohnhäuser mit massiver Polizeigewalt räumen. 

Corona

Der Umgang mit der Pandemie unterscheidet sich in Berlin nicht wesentlich von anderen Bundesländern. Weder hat es eine massive Personalaufstockung in den landeseigenen Krankenhäusern und den Gesundheitsämtern gegeben, noch wurden Schulen und öffentliche Gebäude mit Luftfiltern ausgestattet oder gab es einen grundsätzlich anderen Umgang mit der Einschränkung von Freiheitsrechten während des ersten Lockdowns. 

Das zeigt vielleicht mehr als jedes andere Thema: mit prokapitalistischen Parteien ist keine grundlegend andere, linke Politik zu machen. Zwischen 2016 und 2019 hatte die Führung der LINKEN Glück, dass die wirtschaftliche Situation ein paar Reförmchen ermöglichte. Dies ist mit der aktuellen Wirtschaftskrise vorbei und es stehen heftige Verteilungskämpfe bevor. In diesen wird sich DIE LINKE in Berlin entscheiden müssen, auf welcher Seite sie steht. Die Bewegungen werden sich dann zwangsläufig verstärkt auch gegen den Senat wenden und ein “Regieren in Bewegung” wird nicht einmal mehr dem Schein nach möglich sein. Statt auf eine Fortsetzung der Koalition nach den Abgeordnetenhauswahlen im September 2021 zu setzen, sollte die Partei die Widersprüche zwischen linker Politik und der Politik von SPD und Grünen zuspitzen und sich auf sozialistische Opposition und den Aufbau von Widerstand und Bewegungen konzentrieren. 

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