Daimler Berlin-Marienfelde: Wir bleiben hier!

Flugblatt der Sol Berlin: Gemeinsam gegen Arbeitsplatzraub und für eine menschen- und umweltgerechte Produktion in der Autoindustrie!

Mit mehreren Protesten vor dem Werkstor und einer Demonstration mit anschließender Betriebsversammlung, wo nahezu alle Beschäftigten teilnahmen, wurde die Ankündigung der defacto-Schließung des Daimler-Werks in Marienfelde von den Kolleg*innen beantwortet. Viele wollen weiter kämpfen. „Wir bleiben hier“ und „Zukunft oder Widerstand“ und „Entlassen werden die Kapitalisten“ war auf den Transparenten zu lesen.

Der Abbau von bundesweit 30.000 Stellen trotz positiver Gewinnentwicklung aufgrund von vor allem vermehrten Absätzen teurerer Autos auf dem chinesischen Markt soll nun weiter die Konzerne sanieren und den Vorständen satte Boni einbringen. Bereits dieses Jahr (2020) wurden 13.000 Stellen vernichtet. Zusammen mit anderen Betrieben und der Zuliefererindustrie stehen eine Millionen Stellen zur Disposition. Für die Verbleibenden gibt es weitere Sparprogramme und Arbeitshetze. Besonders für die Kolleg*innen in Polen, Ungarn, Tschechien, Rumänien und China heißt das enormer Arbeitsdruck bei schlechten Löhnen und Arbeitsbedingungen meist ohne gewerkschaftliche Rechte.

Wirtschaftskrise und Transformation

Die Corona-Pandemie, die derzeit oft als Grund für massive Angriffe genutzt wird, hat die Krise in der Automobilindustrie, die weitere Wirtschaftszweige mit in eine Rezession reißt, nicht verursacht, aber verstärkt und beschleunigt. Das kann 2021 noch weiter gehen. Seit Jahren hat die Automobilindustrie Überkapazitäten aufgebaut – derzeit von 7 Millionen Fahrzeugen. Das macht Druck auf die einzelnen Konzerne, die nun versuchen mit Arbeitsplatzvernichtung und Kosteneinsparungen teilweise mit Finanzspritzen aus den Staatshaushalten, den Kopf über Wasser zu halten und weiter Profite zu machen. Während sich einige wenige die Gewinne in die Taschen stecken, sollen die Lasten der Krise und der Fehlentscheidungen des Managements wie zuletzt beim Dieselskandal auf den Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Hierbei gibt es keinen „sozialverträglichen Abbau“; denn die Stellen sind endgültig weg und junge Arbeitnehmer*innen finden dort keine Anstellung mehr und Jugendliche keinen Ausbildungsplatz.

Die sogenannte Transformation und damit die Wende zu E-Autos und die damit verbundene mögliche Beschäftigungsperspektive ist nur die Fortsetzung des Konkurrenzkampfes auf dem Weltmarkt. Es geht nicht ums Klima, sondern um Profit. In der Gesamtbilanz produzieren E-Autos genauso viel CO2 und verursachen einen weitaus höheren Brennstoffverbrauch. Für den Bau sind sehr seltene Rohstoffe nötig, was in der neokolonialen Welt massive Schäden verursacht. Alle anderen Folgen des Individualverkehrs wie Lärm, Feinstaub, Unfallschäden und Mikroplastik sind durch E-Autos nicht aufgehoben. Nur lässt sich mit einem besser klingendem Namen für ein weiterhin schädliches Produkt auch noch etwas extra Geld über staatliche Subventionen einstreichen. Das Tesla-Werk in Grünheide in Brandenburg kann bis zu 280 Millionen erhalten, wo durch den Bau des Werkes 80 ha Wald vernichtet und mehrere seltene Tierarten gefährdet werden. Für die Ladestationen und andere Zuschüsse zahlt sowieso der Staat (12 Mrd. bis 2025), die Profite bleiben aber in privater Hand.

Verzicht schafft keine Arbeitsplätze

Viele Betriebe der Branche haben bereits in den letzten Jahren Standortsicherungsverträge und ähnliche Vereinbarungen getroffen und damit Milliarden eingespart. Allen voran Daimler, wo der Gesamtbetriebsrat und die IG Metall bereits vor Jahren Einsparungen von 500 Mio. Euro jährlich zusagten als gedroht wurde, Produktionsteile ins Ausland zu verlagern. VW und Opel zogen sofort nach. Dieser Extra-Gewinn wurde neben dem Aufbau des Motorenwerks in Marienfelde auch dazu genutzt, neue Werke dort zu bauen, wo die Löhne niedriger sind. Erst im November 2020 enthüllte der Daimler Vorstand seinen Deal mit dem chinesischen Automobilhersteller und Daimler Großaktionär Geely für ein neues Werk für Benzinmotoren und Aggregate in China. Und so schließt sich der Kreis der Verzichtslogik: Die Kolleg*innen finanzieren mit einem Teil ihrer Löhne die Auslagerung an billigere Standorte und werden hinterher mit den Kolleg*innen dort in Konkurrenz um noch geringere Löhne gesetzt. Die Löhne sind aber nicht zu hoch, sondern die Managergehälter. Der Profit wird nicht im Sinne der Beschäftigten, der Bevölkerung oder für eine echte Transformation der Produktion genutzt. Wir können uns dieses Profitsystem nicht mehr leisten.

Die Zugeständnisse durch die Führung der IG Metall, hat die Kapitalseite nur zu mehr Angriffen ermutigt. Der Gesamtmetall-Präsident Wolf fordert für 2021 eine Nullrunde, die Abschaffung von bezahlten Pausen, Zulagen und Weihnachtsgeld und zudem unbezahlte Mehrarbeit. Die IG Metall muss die Angriffe des Kapitals mit dem Aufkündigen sämtlicher Verzichtszusagen beantworten und die Offenlegung der Geschäftsbücher gegenüber Belegschaft und Gewerkschaft fordern. Das begleitet von konzern- und branchenweiten Protesten bis hin zu Streiks und Betriebsbesetzungen. Ob beim Kampf gegen Arbeitsplatzvernichtung oder Standortschließung oder in der Tarifrunde gilt, es darf keine Geheimverhanldungen und keine Unterschrift unter einer Vereinbarung durch die Gewerkschaftsführung geben ohne demokratische Abstimmung. Über Kampfmaßnahmen muss auf regelmässigen Delegiertenversammlungen diskutiert und entschieden werden. Funktionär*innen dürfen keine Privilegien erhalten, sondern sollten einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn beziehen und müssen rechenschaftspflichtig und jederzeit wähl- und abwählbar sein.

Zukunft erkämpfen

Eine Zukunftsperspektive gibt es nicht gemeinsam mit der Kapitalseite. Die IG Metall Führung muss aufhören, an Verhandlungstischen Verzicht zu vereinbaren und Co-Management zu betreiben, sondern muss die gesamte Kampfkraft der Beschäftigten nutzen. Der Kampf für den Erhalt aller Arbeitsplätze und eine Verteilung der Arbeitszeit muss mit der Frage verbunden werden, wie die Macht der Konzerne gebrochen werden kann.

Mit den Überkapazitäten, der nahenden Krise und der sich verschärfenden Umweltmisere ist die Autoindustrie längst überfällig für eine geplante Überführung in eine gesellschaftlich sinnvolle Produktion. Einige Kolleg*innen haben immer wieder Pläne entwickelt, wie Automobilwerke auch für den Öffentlichen Nahverkehr arbeiten können oder selbst Beatmungsgeräte, Filteranlagen für Klassenzimmer oder Corona-Teststationen herstellen können. Was wäre erst möglich, wenn die Werke ganz in der Hand der Beschäftigten wären ohne Profitlogik, Konkurrenzdruck und Erpressung durch Lohndumping? Die Corona-Krise hat einmal mehr gezeigt, dass der Markt die Verteilung der Ressourcen nicht regeln kann. Selbst vor Corona verlangten auch Neoliberale mehr Eingreifen des Staates.

In dieser Krise, die fast alle Bereiche trifft, müssten sich Gewerkschaften aber auch die LINKE, als sozialistische Partei und Teil der Berliner Landesregierung, für einen Ausweg einsetzen; wie die Krise im Gesundheitssystem, die Belastungen im Bildungsbereich und die Zerstörung der Umwelt überwunden werden kann. Das geht nur in dem Konzerne in öffentliches Eigentum überführt werden. Es gibt genügend gesellschaftlichen Bedarf z.B. an Produkten wie Luftfilter für öffentliche Gebäude, Schulen und Kitas und an einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr. Hierfür könnte die Produktion in Marienfelde umgestellt werden und einen wichtigen Beitrag leisten.

Produktion raus aus Unternehmerhand

Appelle der Subventionen haben bisher nicht geholfen und werden in einem System, wo der Profit entscheidet auch nicht weiter helfen. Die Produktion muss raus aus Unternehmerhand und in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die Beschäftigten, Gewerkschaften und dem Land überführt werden – unter Hinzuziehung von Fachleuten z.B. für die Bereiche Gesundheit und Umwelt. Nur so kann erreicht werden, dass durch eine Umstellung der Produktion keine Arbeitsplätze vernichtet, bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten erreicht werden und sie im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung durchgeführt wird. Das sollte auch das Ziel der Gewerkschaftsführungen in Berlin und besonders der IG Metall Führung sein, die bundesweit gemeinsam mit dem BUND schon Transformationsräte vor Ort fordert, jedoch hierbei die Frage der Kontrolle und der Eigentums beiseite schiebt. „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“ ist ein Teil in Punkt 4 der Satzung der IG Metall. Diese Forderung sollte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern ein Teil des Kampfprogramms gegen Arbeitsplatzvernichtung und Lohnraub sein. Eine bessere Zukunft wird uns nicht geschenkt oder durch Verzicht erkauft – sie muss erkämpft werden.

In der Partei DIE LINKE und in den Gewerkschaften muss dafür ein radikaler Kurswechsel stattfinden, weg von Sozialpartnerschaft, Co-Management und Standortlogik hin zu konsequenter Gegenwehr und einer antikapitalistischen Durchsetzungsstrategie. Dafür müssen sich kämpferische Kolleg*innen zusammenschließen, die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) bietet dafür einen sehr guten Ansatzpunkt.

Die SOL – Sozialistische Organisation ist aktiv in Betrieben und Gewerkschaften und in der Partei DIE LINKE. Wir stellen uns gegen Konkurrenz und Produktion für den Profit und für eine demokratische Koorperation und nachhaltige Planung nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt – für sozialistische Demokratie weltweit!

Wir fordern

  • Nein zu Arbeitsplatzabbau & Betriebsschließungen
  • Statt Co-Managment und Verzichtslogik: Einsatz der vollen Kampfkraft bis hin zu branchenweiten Streiks
  • Offenlegung der Geschäftsbücher gegenüber Belegschaft und Gewerkschaft
  • Betriebe, die entlassen, Banken und Großkonzerne in öffentliche Hand bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung – Entschädigung nur für Klein- und Belegschaftsaktionäre
  • 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich in allen Autokonzernen und Zulieferbetrieben
  • Umstellung der Produktion auf nachhaltige und gesellschaftlich notwendige Güter
  • Demokratische Planung statt Produktion für Profit
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