Schluss mit Lernfabrik und Leistungsdruck

Warum wir auch nach der Pandemie Noten und Prüfungen abschaffen sollten

Nicht nur die Pandemie und Homeschooling bereiten Schüler*innen Schwierigkeiten, auch Leistungsdruck und Konkurrenz gehören zum Alltag in den Schulen. Die aktuelle Lage hat viele Widersprüche eines auf Leistung und Ergebnisse getrimmten Bildungssystems offen zu Tage gefördert. In einigen Städten regt sich der Widerstand. So organisierten Schüler*innen in Bochum erste Proteste gegen eine verfrühte Schulöffnung und Abiturient*innen in München fordern, die Abiturprüfungen sollen nur für eine freiwillige Aufbesserung der Noten abgelegt werden. Aber wofür brauchen wir überhaupt Noten und sollten diese nicht gänzlich abgeschafft werden? 

von Jonas Rütter, Dortmund

Seit den ersten Schulschließungen im Frühjahr 2020 hat sich an der Situation vieler Schüler*innen wenig getan. Auch in diesem Jahr steht ein weiterer Abschlussjahrgang vor einer ungewissen Zukunft. Die erzielten Noten bestimmen in den meisten Fällen den weiteren Werdegang maßgeblich. Junge Menschen müssen sich ständig fragen, ob sie gut genug sind, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen und ihren Traum-Ausbildungs- oder Studienplatz zu ergattern.

Kein Platz für Individualität

Auch das Bildungswesen ist den Zwängen des Kapitalismus untergeordnet und agiert nach wirtschaftlichen Interessen. Es fordert von Schüler*innen, sich diesem System unterzuordnen, und nützlich zu sein. Dabei bleibt kein Raum für individuelle Entfaltung von Interessen. Zentralprüfungen verhindern es, dass Lehrkräfte ihren Unterricht an den individuellen Bedarf ihrer Schüler*innen anpassen, da unbekannt ist, welcher Stoff genau abgefragt wird und somit eine große Bandbreite abgearbeitet werden muss.

Bildung wird nicht nach den Bedürfnissen der einzelnen Schüler*innen organisiert, sondern soll wie eine Ware in einer Fabrik nach der Produktion möglichst standardisiert dem Markt zur Verfügung gestellt werden. Ziel einer Bewertung von Leistungen durch ein Notensystem ist die Vergleichbarkeit. So sollen Unternehmen später zwischen verschiedenen Bewerber*innen aussortieren können. Auch die Lehrinhalte werden angepasst, um neoliberale Ideologie und ökonomische Denkweisen zu vermitteln. 

Notensystem ungenügend

Zu dumm, zu langsam, zu faul? Noten sagen wenig über das tatsächlich angeeignete Wissen und über Fähigkeiten aus. Die überwiegenden Prüfungsmethoden, nach denen die Leistung von Schüler*innen bewertet werden soll, fragt lediglich stumpf auswendig gelerntes Wissen statt Verständnis und Anwendung ab. Sie sollen uns aber daran gewöhnen auf Knopfdruck zu funktionieren und dienen auch zur Disziplinierung von vermeintlichem Fehlverhalten. Die Gefahr sitzen zu bleiben, ein Schuljahr wiederholen zu müssen und aus dem sozialen Umfeld gerissen zu werden, ist pädagogisch absolut sinnlos, übt aber zusätzlichen Druck auf Schüler*innen aus, die sowieso schon Schwierigkeiten mit dem den von ihnen erwarteten Leistungen haben. 

Die Konkurrenz untereinander wird durch die Vergabe von Noten verschärft und Solidarität bestraft. Schüler*innen werden dazu erzogen, sich gegen andere in der Schule und auch später auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen. 

Schluss mit Lernfabrik und Leistungsdruck

Eine sozialistische Alternative im Bildungssystem ist dringend notwendig. 

Lehrpläne müssen demokratisch diskutiert und von Schüler*innen, Lehrkräften und Vertreter*innen der Gewerkschaften erstellt und beschlossen werden. Für einen bedarfsgerechten Unterricht braucht es deutlich mehr Personal im Bildungswesen und kleinere Lerngruppen, um eine individuelle Förderung von Stärken der Schüler*innen sicher zu stellen. Schluss mit Konkurrenz und Leistungsdruck! Schüler*innen sollten gemeinsam mit den Lehrkräften einen Plan zur Erreichung ihrer persönlichen Lernziele vereinbaren. Noten und stumpfe Wissensabfragen in Form von Klausuren und Abschlussprüfungen gehören abgeschafft. Stattdessen sollten für Schüler*innen Freiräume zur Entfaltung ihrer individuellen Interessen geschaffen werden und Solidarität und Kooperation als Leitbilder zur Erarbeitung neuer Themenfelder dienen.   

Die kapitalistische Wirtschaftskrise wird die Situation für junge Menschen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt weiter verschärfen und die Konkurrenz wird zunehmen. Das macht den Kampf für ein anderes Wirtschafts- und Bildungssystem, welches sich nach den Bedürfnissen der Menschen richtet, umso dringender.

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